Kann ein Behörden-Bewertungsbericht Plagiate enthalten? Am Beispiel Monsanto & Glyphosat-Wiederzulassung in der EU

+++ Sie finden hier mein Gutachten in deutscher und hier in englischer Sprache. Alle Vergleichsdokumente hat „Global 2000“ hier veröffentlicht. +++

Am Samstag, dem 23.09.2017 erhielt ich eine Anfrage von „Global 2000“, bei der es einmal nicht um die üblichen Verdächtigen – sprich vermutete Dissertationsplagiate – ging. Den Fall einer mutmaßlichen Copy & Paste-Studie des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung habe ich bis zu diesem Tag nur passiv verfolgt. Nun sollte ich eine gutachterliche Bewertung vornehmen, und ich war zu Beginn zugegebenermaßen skeptisch. Zu verästelt und verworren, zu sehr wissenschaftlich offen und unentschieden erschien mir der Disput um den umstrittenen Unkrautvertilger. Aber ein Plagiatsgutachter muss davon unbeeindruckt und völlig unparteiisch nur am Text, an Konkordanzen und Zitierpraxen arbeiten.

Das empirische Material war schon auf den ersten Blick eindeutig: Es gibt seitenweise wörtliche unzitierte Textkonkordanzen zwischen

  • dem Band „Toxicological and toxicokinetic studies“ des Antrags auf erneute Zulassung von Glyphosat der „Glyphosate Task Force“ (Antragsteller: Monsanto Europe und mehr als 20 weitere Hersteller; Mai 2012, 1.027 Seiten) und
  • dem Bewertungsbericht (Renewal Assessment Report) an die EFSA (Federführend: Das Bundesinstitut für Risikobewertung und weitere Behörden; Oktober 2015; 4.322 Seiten)

Die bei Text-mit-Text-Vergleichen dieser Art immer sehr hilfreiche Software WCoypfind ermittelte: 64 Prozent des Antrags, also ca. 650 Seiten finden sich wörtlich auf 18 Prozent des Bewertungsberichts wieder.

Kann es das geben? Wurden Passagen des Antrags vielleicht im Bewertungsbericht durchgängig optisch hervorgehoben? Gab es Unterscheidungen zwischen eigenem und fremdem geistigen Eigentum, die nur der menschliche Interpret, aber nicht die Software erkennen kann?

„Global 2000“ brauchte ein rasches Ergebnis, damit nicht eine Entscheidung der EU dieser Plagiatsbegutachtung zuvorkommt. Also konzentrierte ich mich in einem ersten Zwischengutachten auf drei Kapitel des Bewertungsberichts: auf jene Kapitel, in denen es um eine kritische Review der wissenschaftlichen Literatur zur möglichen Krebserregung, DNA-Schädigung oder Fruchtbarkeitsschädigung durch Glyphosat geht.

Zum Ergebnis:

Das Bundesinstitut für Risikobewertung bekennt sich zu denselben Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis wie Universitäten. Im online verfügbaren Dokument heißt es:

„Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt vor, wenn bei wissenschaftlichen Arbeiten bewusst oder grob fahrlässig Falschangaben gemacht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt oder deren Forschungstätigkeit in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird.“

Ein Plagiat wird wie üblich definiert als „unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft.“

Als Autor etwa des Kapitels über Gentoxizität ist im Antrag der „Glyphosate Task Force“ ein gewisser Larry D. Kier angegeben. Der Toxikologe ist Ex-Monsanto-Mitarbeiter und nunmehriger Konsulent. Alleine von seinen Ausführungen und Bewertungen wurden knapp 35 Seiten im Bewertungsbericht wortwörtlich übernommen. Nun, nicht ganz wortwörtlich: Der Hinweis des Antragstellers auf die Autorschaft Larry D. Kiers wurde im Bewertungsbericht gestrichen. Auch optische Hinweise fehlen.

Auch in den beiden anderen Kapiteln musste ich seitenweise Übernahmen feststellen, ohne Anführungszeichen und Quellenangaben. Der Leser muss hier immer der Meinung sein, den Text der bewertenden Behörde zu lesen. Niemand käme auf die Idee, dass es sich um Texte des Antragstellers handelt.

Ich musste also ein Plagiat und damit wissenschaftliches Fehlverhalten attestieren. Auf der Pressekonferenz heute resümierte ich: „Aus der Art und Weise der Übernahmen (sowohl wortwörtliches Abschreiben als auch Weglassen der Quellenangaben) kann nur der Schluss gezogen werden, dass Plagiate vorliegen, dem Bundesinstitut für Risikobewertung also wissenschaftliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Entscheidend ist: Die Zweitmeinung zur Erstmeinung kann nie eine unzitierte Übernahme der Erstmeinung sein, sonst kommen wir in Teufels Küche.“

Viele Medien haben heute berichtet, vom Deutschlandfunk bis zum ORF, und auch das Bundesinstitut für Risikobewertung hat, allerdings sehr schwammig, bereits reagiert. Das BfR gibt auf jeden Fall von Aussendung zu Aussendung immer deutlicher Abschreibearbeiten zu. Heute heißt es: „Auch Teile des Bewertungsberichtes Deutschlands enthalten deshalb derartige Textteile aus Studienbeschreibungen und öffentlich zugänglicher Literatur, die von den Antragstellern als Teil der gesetzlich geforderten Dossiers eingereicht werden mussten.“ Nun, meint das BfR  „Textteile aus Studienbeschreibungen“ von den Studienautoren oder von den Antragstellern?

Wie geht es in dieser spannenden Causa jetzt weiter? Der maschinelle Abgleich von 4.322 Seiten mit 1.027 Seiten ist fast eine Big-Data-Plagiatsprüfung. Sie würde sich als Musterprojekt für die Programmierung eines neuen Softwarepiloten eignen, da selbst die besten Systeme etwa mit einer Begrenzung auf 400 Seiten pro Dokument an Grenzen stoßen. Auf jeden Fall soll nun eine Komplettprüfung des Bewertungsberichts mit einem kleinen Team länderübergreifender Plagiatsexperten schnellstmöglich durchgeführt werden. Noch vor Weihnachten 2017 soll das Endergebnis vorliegen.

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