Endbericht zum Fall Schavan: Täuschungsabsicht ist nachweisbar

Ich empfehle allen an der Thematik Interessierten die genaue Lektüre des Endberichts zur Dissertation von Annette Schavan. Bei oberflächlicher, wohlwollender Interpretation spräche für die Verfasserin (und unsere Welt ist ja oberflächlich geworden und wir neigen zu vorschnellen Urteilen): Inkriminierte Passagen finden sich auf 94 der 333 Textseiten, also auf 28 Prozent. Da gab es schon quantitativ deutlichere Plagiate. Und von den 44 Literaturquellen, von denen Schavan abgeschrieben hat, finden sich nur vier nicht in ihrem Literaturverzeichnis. Sie hat also fast alle Quellen ihrer Ab- und Umschreibarbeiten am Ende der Arbeit angegeben. Spräche dies tatsächlich für Betrug und nicht eher für eine Unkenntnis der genauen Zitierregeln? Wollte Schavan ernstlich täuschen, hätte sie doch viel mehr Literaturtitel gar nicht angegeben und damit an anderen Stellen der Arbeit auch nicht zitiert, oder? Und überhaupt: Begriffe wie „Verschleierung“ oder „Bauernopfer“ fanden sich vor 1980 in keinem Lehrbuch zum wissenschaftlichen Arbeiten. Und schließlich hat man damals dem Thema Plagiat nur eine sehr geringe Bedeutung zugemessen, und das indirekte Zitat mit „vgl.“ war unklar und mehrdeutig definiert. Also: Was soll’s?

Das ist die Sichtweise, zu der die Kommission an der Universität Düsseldorf besser nicht kommen sollte. Denn sie verkennt die Qualität des Schavanschen Plagiats: Frau Schavan hat nämlich wiederholt und methodisch so getan, als würde sie Originalliteratur gelesen haben (von George Herbert Mead bis zu Martin Heidegger), hat aber nicht nur den Wortlaut der Originalautoren, sondern auch Interpretationen dieses Wortlauts von bei diesen Interpretationen ungenannten Quellen abgeschrieben. Damit erfüllt das Vorgehen Schavans jede Plagiatsdefinition, die es auch schon vor 1980 gab und die immer schon der kleinste gemeinsame Nenner einer Definition von „Plagiat“ war: Ein Textplagiat ist eine unbefugte Aneignung fremder Ausführungen ohne Quellenangabe.

Der Leser erhält an allen inkriminierten Stellen den Eindruck, hier würde Schavan – die Werke von Freud, Adler, Piaget und vielen anderen direkt zitierend – diese „Originalstellen“ in ihren eigenen Worten interpretieren. Dabei hat sie die Interpretationen von ‚vor Ort‘ ungenannten Quellen ab- und umgeschrieben, und oft ist man sich aufgrund ihrer Kürzungen und Umstellungen nicht einmal sicher, ob sie die Interpretationen verstanden hat. Damit wird der Leser (und damit der Begutachter) über die Autorschaft getäuscht. Zu einer solchen Interpretation wiederum muss jeder gelangen, der die Vergleichsstellen vorurteilsfrei genau studiert. Das deutsche Gesetz über die Führung akademischer Grade ist eindeutig: Ein „von einer deutschen staatlichen Hochschule verliehene[r] akademische[r] Grad kann wieder entzogen werden“, „wenn sich nachträglich herausstellt, daß er durch Täuschung erworben worden ist […]“. (Anmerkung: Dieses Gesetz galt zum Zeitpunkt der Promotion Schavans, weil die betreffende Promotionsordnung darauf verweist, siehe § 14 hier.) Bleibt noch die Frage der Erheblichkeit der Täuschungshandlungen zu klären: Dazu genügt ein Blick auf die rot markierten Seiten in der schavanplag-Dokumentation.

Was gibt es noch zu sagen? Klar ist heute, dass die Einschätzung von VroniPlag falsch war, dass sich nicht viel mehr Plagiatsstellen als die ursprünglich angezeigten in der Dissertation Schavans finden werden. Das wurde mittlerweile empirisch widerlegt, die Anzahl der Quellen des Plagiats hat sich fast verdoppelt. Hätte VroniPlag den Fall auf die Startseite gebracht, wäre Frau Schavan heute nicht mehr Frau Doktor. Und an den Universitäten hätten weitaus mehr Akteure Farbe bekannt und endlich umgedacht.

Wem wird die Düsseldorfer Kommission dienen: der wissenschaftlichen Wahrheitsfindung oder dem politischen Establishment?

7 Kommentare zu “Endbericht zum Fall Schavan: Täuschungsabsicht ist nachweisbar

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  1. Ernst

    Das Fälschen einer Doktorarbeit sollte mit Freiheitsentzug von
    mindestens 3 Jahren geahndet werden.

    Man verschafft sich enorme finanzielle Vorteile und bringt
    ehrenwerte Kollegen, die gearbeitet haben um den Job.
    Gerade in der Politik ist dies besonders verwerflich,
    da man durch Beziehungen und Lobby gegen den Konkurrenten
    einen nicht durch Sachwissen einholbaren Vorsprung erhällt.

    Gruß Ernst

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  2. Erbloggtes

    Vielen Dank, dass Sie die Charakterisitik der Arbeit über „Person und Gewissen“ nochmal prägnant zusammenfassen! Der Spiegel schreibt heute in der Printausgabe, über die Analyse Rohrbachers: „So stütze sich Schavan bei Ausführungen über zwei Philosophen auf ein Buch des Fachkollegen Josef Speck, ohne dies ausreichend kenntlich zu machen. Der Vorwurf lautet nicht, dass sie Speck verschweige; sie nennt ihn in einer Fußnote. Der Vorwurf lautet, dass sie nicht offenlege, wie weitgehend sie sich bei Speck bediene. Der Verdacht: Statt die Schriften der beiden Philosophen selbst zu lesen, das wäre der mühselige Weg, nutze Schavan die Darstellung des Kollegen Speck – der Gutachter erkennt ‚keine Anhaltspunkte für eine eigenständige Rezeption durch die Verfasserin‘.“
    Speck ist übrigens Schavanplag nicht bekannt gewesen. Das spricht für eine aufwändige und eigenständige Analyse. Die Arbeitsweise, die am Beispiel Speck erläutert wird, ist allerdings in einigen anderen Fällen schon genau so beschrieben worden.
    Da ist es besonders ärgerlich, dass Der Spiegel so unglaublich parteiisch schreibt. Plagiatssucher sind für ihn Heckenschützen mit niederen Motiven. Selbst bei Rohrbacher suchen sie nach dem Heckenschützenmotiv: „Wenig ist bekannt über ihn, nichts macht ihn auf den ersten Blick verdächtig.“ Da müsste doch was sein; nur antwortet Rohrbacher dem Spiegel nicht auf seine (wahrscheinlich unverschämte) Anfrage. Na, dann ist er ja so gut wie ein anonymer Plagiatssucher: Das Motiv muss heimtückisch sein, wir kennen es nur noch nicht. Denn es kann ja nicht sein, dass bei unvoreingenommener Analyse Schavans Diss. eine Täuschung war. Zumindest sei der Fall umstritten:
    „Schavans Fall ist diffiziler, er erfordert Beschäftigung und Verständigung über wissenschaftliche Regeln und Gepflogenheiten, bezogen auf die Disziplin, in der Schavan promoviert hat, und die Zeit, in der sie promoviert hat.“
    Disziplinären und historischen Relativismus wollen die Spiegel-Autoren der Ministerin zu Gute halten. Daher besonderer Dank, dass Sie oben nochmal das universelle Plagiatskriterium angeführt haben. Auf die „Aneignung“ verweist auch Rohrbacher.

    Doch genug des Ärgers über ein ehemaliges Nachrichtenmagazin. Wie es in Düsseldorf weitergeht, ist eigentlich keine meiner offenen Fragen zum Fall Schavan. Ich habe da einige Indizien und Intuitionen zusammengetragen.

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