Offene Briefe an die ÖAWI zum Fall Mag.a (FH) Christine Aschbacher, PhD vom 01. und 02.10.21
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich rege folgende Punkte im Sinne eines zukünftig klareren Umgangs mit Ex-Post-Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens an:
1. TRANSPARENZ – IN DEUTSCHLAND MÖGLICH, WARUM NICHT AUCH IN ÖSTERREICH? Es ist meiner Erfahrung nach im Double Blind Peer Review-Prozess üblich, dass zumindest Auszüge (Schnipsel) von Gutachten veröffentlicht werden. Falls dies in Österreich im Behördenverfahren (immer noch) das Amtsgeheimnis verhindert, liegt es meines Erachtens vor allem auch an der Politik, hier etwas zu ändern. Bitte bedenken Sie, dass bei ähnlich gelagerten Fällen in Deutschland nicht nur Gutachten-Auszüge oder -Zitate, sondern sogar komplette Abschlussberichte veröffentlicht wurden, siehe im Fall Guttenberg und im Fall Schavan:
- Guttenberg: https://www.presse.uni-bayreuth.de/de/archiv/guttenberg/index.html; https://www.presse.uni-bayreuth.de/de/archiv/2011/Bericht_der_Kommission_m__Anlagen_10_5_2011_.pdf
- Schavan: https://www.tagesspiegel.de/downloads/10245842/2/abschlussberichtbleckmann.pdf, interessant am Schluss die dokumentierten Versuche der Einflussnahme auf das Verfahren von außen
Warum ist in Österreich nicht möglich, was im Nachbarland möglich ist? Und werden solche Veröffentlichungen zumindest durch das neue Informationsfreiheitsgesetz möglich sein oder weiter nicht?
2. NEUTRALITÄT DER KOMMISSION IM PLAGIATSSTREIT: Ich stelle die Neutralität des Kommissionsvorsitzenden der ÖAWI in Frage. Prof. Dr. Philipp Theisohn hat sich etwa im eindeutigen Plagiatsfall von Annette Schavan, der zur rechtskräftigen Aberkennung des Doktorgrades führte, klar für Frau Schavan ausgesprochen, siehe etwa hier: https://rp-online.de/politik/deutschland/plagiatsforscher-stuetzt-annette-schavan_aid-16134529 und hier: https://www.fr.de/politik/annette-schavans-titelkampf-11273089.html
Ich zitiere: „Aber auch andere Wissenschaftler wie der Schweizer Literaturforscher Philipp Theisohn sehen keinen Grund, Schavan die Doktorwürde zu entziehen. Theisohn, der Bücher über Plagiate in der Wissenschaft geschrieben hat, verweist auf die Zeit, in der Schavan ihre Arbeit geschrieben hat. In der Pädagogik sei es vor 30 Jahren gängig gewesen, Thesen zu sammeln und umzuschreiben. Eine Täuschungsabsicht will er Schavan nicht unterstellen.“
Ich denke, dass jemand, der einen relativierenden Plagiatsbegriff vertritt und der Gruppe der sogenannten „Schavanisten“ zuzuordnen ist (so nennt man in der Community die Fraktion der Plagiatsverharmloser rund um Herrn Markschies), nicht geeignet ist, dem Claim der ÖAWI „vertraulich – unabhängig – objektiv“ gerecht zu werden. Mir ist klar, dass er alleine keine Entscheidungen trifft, es dürfte aber auch evident sein, dass er wesentlichen Einfluss auf die Auswahl der GutachterInnen hat, und hier gibt es mehr als einen Sammelband der „Schavanisten“, bei dem er sich auf der Suche nach wohlwollenden GutachterInnen bedienen kann.
Ich bitte daher die ÖAWI und hier vor allem ihre Fördergeber, die Frage des Vorsitzes zum Gegenstand einer Prüfung zu machen.
3. KOMMUNIKATION DER ÖAWI: Exemplarisch hänge ich die Stellungnahme der ÖAWI zum Fall Dr. Johannes Hahn an. Man sieht erst beim genauen Lesen, dass hier doch einiges nicht stimmt:
Dazu:
- Es handle „sich nicht um ein Plagiat“. So gut wie noch nie gab es eine Dissertation, die als Ganzes ein Plagiat war, wir haben es fast immer nur mit Plagiatsfragmenten zu tun. Die Formulierung „ist ein Plagiat“ oder „ist kein Plagiat“ ist eine publizistische Verkürzung und im Wissenschaftsdiskurs meistens Unsinn, allenfalls kann man fragen: „Wurde plagiiert oder nicht?“ Die Formulierung „ist kein Plagiat“ wird meiner Beobachtung zufolge gerne verwendet, um nicht über Plagiatsfragmente sprechen zu müssen.
- Die Schlussfolgerung ist falsch: Wenn sich nach 25 Jahren nicht mehr verifizieren lässt, ob die Dissertation den damals geltenden Standards entsprochen hat, kann schlichtweg nicht beurteilt werden, ob wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt oder nicht. Die Frage muss also offen gelassen werden.
- Zitierregeln zu wörtlichen und sinngemäßen Zitaten sind in der Literatur seit 1960 nachweisbar.
4. ENTSCHEIDUNGEN DER ÖAWI: Alle von mir seit 2011 angezeigten Plagiate mit Ausnahme des Falls Mag. Christian Buchmann wurden via ÖAWI-Gutachten mit dem Verweis auf keine nachweisbare Täuschungsabsicht entkräftet. Eine kleine Mediennachlese:
- https://tirv1.orf.at/stories/536440, ich zitiere daraus: „Es habe keine Täuschungsabsicht gegeben…“.
- https://medienportal.univie.ac.at/presse/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/artikel/akademischer-grad-von-bogdan-roscic-wird-nicht-aberkannt, ich zitiere daraus: „Eine Täuschungsabsicht zur Erschleichung eines akademischen Grades ist nicht erkennbar.“
- Zwei weitere Fälle waren nicht in der Medienöffentlichkeit: Dissertation und Habilitation an der Universität Innsbruck und zahnmedizinische Diplomarbeit an der Med-Uni Wien
In allen Fällen hat die ÖAWI keine Täuschungsabsicht erkennen können und/oder empfahl den jeweiligen Universitäten keine Konsequenzen.
Meine Frage lautet nun, ob die ÖAWI in den 13 Jahren ihrer Tätigkeit überhaupt schon einmal eine Täuschungsabsicht feststellen konnte, abgesehen vom frappierend klaren Fall an der JKU Linz im Jahr 2020 und dem Fall Buchmann. Gab es in all den Jahren nur einen Plagiatsfall bei Veröffentlichungen und einen mit studienrechtlicher Relevanz?
Was war konkret der Beitrag der ÖAWI in den vergangenen 13 Jahren zur Einordnung und Empfehlung zur Sanktionierung wissenschaftlichen Fehlverhaltens?
Ich darf davon ausgehen, dass es allen Stakeholdern letztlich um eine zukünftig klarere Einhaltung von Zitierregeln sowie eine Verbesserung der Betreuung wissenschaftlicher Arbeiten geht. Den konstruktiven Dialog, den ich mit BM Faßmann und dem BMBWF dazu im Januar 2021 begonnen habe und der ja bereits in konkrete Gesetzesanpassungen und erste Projektvorhaben mündete, werde ich mit viel Engagement fortsetzen.
Dazu ist es aber notwendig, dass das Spiel „Weber zeigt Plagiate an – ÖAWI verneint die Täuschungsabsicht“ in dieser Form ein Ende findet, und zwar auf beiden Seiten, da es nur zur Verunsicherung der Studierenden führt und zur sicher falschen Wahrnehmung, dass es in Österreich „für alles“ einen akademischen Titel gibt.
Die vier in diesem offenen Brief kommunizierten Punkte sind in dieser Form neu, deshalb auch erneut die Wahl dieser Kommunikationsform.
Mit freundlichen Grüßen
DOZ. DR. STEFAN WEBER
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Lieber Herr Kollege Aigner,
lieber Herr Kollege Hilpold und liebe restliche Runde!
Ich danke Ihnen sehr für Ihre offenen Briefe. Ich möchte Ihnen meine weiteren Überlegungen nach Lektüre Ihrer Briefe kurz skizzieren:
1. Mein ausdrücklicher Dank an Herrn Hilpold für seinen Hinweis auf die Möglichkeit wissenschaftlichen Fehlverhaltens ohne Täuschungsabsicht. Schon Albin Eser hat ja im Jahr 1997 in seiner Definition von wissenschaftlichem Fehlverhalten auch die „grobe Fahrlässigkeit“ erwähnt. Ich habe schon vor einiger Zeit dies anhand des Plagiatsbegriffs so darzustellen versucht: https://plagiatsgutachten.com/assets/image-cache/img/ansteigende-schweregrade-plagiat-2021-03.90813884.png
Nun stelle ich fest, dass die ÖAWI in allen mir vorliegenden kurzen Stellungnahmen und Zitaten aus Stellungnahmen den Begriff des „wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ überhaupt nie verwendet hat, wenn einmal eine Täuschungsabsicht verneint wurde. Die Rede war immer nur von „Mängeln“ etc. – Aber wie kann das sein, etwa im Fall Schaumburg-Lippe, bei einer zu über 90 Prozent plagiierten Arbeit? Wenn ich genau hinsehe, lässt mich nun vieles den Kopf schütteln.
2. Durch die Kurzbriefe der ÖAWI wird seit Jahren ein falsches Signal ausgesandt, wie Herr Aigner völlig zurecht bemerkt. Die ÖAWI konterkariert damit in der Tat zu 100 Prozent ihr eigentliches Ziel, nämlich die Verhinderung wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Durch Statements wie im Fall Roscic (die inkriminierte Plagiatsstelle sei eine Art Fremdkörper gewesen und deshalb nicht werkprägend) trägt sie eigentlich zu relativistischen Argumenten wie etwa dem folgenden bei: Plagiate sind dann harmlos, wenn sie nicht den Kern des Werks betreffen. Im Fall Hahn: Vor 30 Jahren gab es womöglich andere Standards. Das sind genau genommen alles verwässernde Aussagen, die unterschwellig eine Botschaft transportieren, die dem Ziel der ÖAWI (und der hochschulischen Qualitätssicherung allgemein) komplett widerspricht.
3. Dauer der Verfahren: Es ist doch eine Groteske, dass die Texthermeneutik aus dem Ausland der Diplomarbeit von Frau Aschbacher (alias Gewissensprüfung?) geschlagene neun Monate dauert, und dies gerade in Zeiten der Digitalisierung und der Videokonferenzen. Ein solches Verfahren darf nicht neun Monate, sondern höchstens neun Wochen dauern.
4. Zur Person Philipp Theisohn stellen sich mittlerweile neben seinem fragwürdigen Pro-Plagiats-Kurs in der Causa Schavan weitere Fragen: Ihm wurde bereits einmal ein Befangenheitsproblem vorgeworfen (https://www.tagesanzeiger.ch/erhaelt-die-universitaet-zuerich-eine-professur-fuer-bro-culture-903398608867), zuvor gab es auch Kritik an seiner Stellenbesetzung (https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/universitaet-zuerich-lehrstuhl-soll-ohne-ausschreibung-besetzt-werden). Sollte der oberste Wächter über wissenschaftliche Integrität in Österreich tatsächlich jemand sein, der mit solchen Anschuldigungen in Verbindung gebracht wird?
5. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren zahlreiche E-Mails von Personen erhalten, die sich von der ÖAWI nicht gut behandelt fühlten. Ich bin den Fällen fast nie auf den Grund gegangen, weil sie nicht meine Expertise betrafen (vor allem Vorwürfe der Datenmanipulation und der Sabotage). Ich werde nun aber alle alten E-Mails ausheben und Ihnen zugänglich machen.
6. Zu fordern wäre ein komplettes Überdenken der Konstruktion der ÖAWI und alternativ die Schaffung einer Art „ständiger GWP-Beirat“, bei dem nicht Gutachter und Betroffene wochen- bis monatelange Fristen eingeräumt werden und durch den nicht der Wissenschaftsqualität abträgliche Botschaften ausgesandt werden. Wissenschaftliches Fehlverhalten muss hinkünftig als solches bezeichnet werden.
Mit freundlichen Grüßen
DOZ. DR. STEFAN WEBER
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