Was ist ein Plagiat in der Wissenschaft?

Von Doz. Dr. Stefan Weber, 2020

Dieser Text behandelt den Plagiatsbegriff in der Wissenschaft. Es gibt auch Plagiatsbegriffe in der Literatur, in der Musik, in der Architektur und in der Wirtschaft (Produktplagiate, Markenpiraterie). Vorwurf und Feststellung eines Plagiats sind kulturabhängig: So ist der Plagiatsbegriff im asiatischen Kulturkreis positiver besetzt als anderswo. Akademische Plagiate werden an amerikanischen Universitäten strenger geahndet als an europäischen.

Das Plagiat: Die Legaldefinition

Wenn man einen Begriff wie „Plagiat“ definieren will, schaut man am besten ins Gesetz. Das österreichische Universitätsgesetz etwa definiert den Begriff seit 2015 wie folgt (§ 51 Abs 2 Z 31 UG 2002):

„Ein Plagiat liegt jedenfalls dann vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden. Dies umfasst insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers.“

Die Definition zeigt, dass der Begriff Plagiat weit gefasst ist: Er kann sowohl ein Textplagiat als auch ein Ideenplagiat meinen, zu ergänzen wäre noch das Strukturplagiat (dieses meint die vollständige oder partielle Übernahme eines Inhaltsverzeichnisses aus einer fremden Arbeit). In der Wissenschaft kommen mitunter auch Abbildungsplagiate vor, wenn Abbildungen aus plagiierten Texten mit übernommen werden oder fremde Abbildungen explizit als eigene bezeichnet werden.

In der Tat können sowohl Fließtexte (meist im Theorie- oder Definitionsteil), aber auch Forschungsfragen und Hypothesen, ja sogar empirische Daten wie etwa direkt zitierte Interviewtranskripte plagiiert sein. Im breiteren Kontext können Plagiate in Motivationsschreiben, Bewerbungsschreiben und Dankwörtern auftauchen. Auch plagiierte Vortragsfolien findet man immer wieder. Bei Plagiaten in Klausuren ist darauf zu achten, ob Übereinstimmungen vorliegenden Definitionen geschuldet sind oder nicht.

Eine genaue quantitative Bestimmung ist nicht sinnvoll. Festlegungen wie etwa „Ein Textplagiat muss mindestens 10 übereinstimmende Wörter nacheinander umfassen.“ oder „Damit ein Text als Plagiat bezeichnet werden kann, muss er mindestens 30 Prozent Plagiatsanteil enthalten.“ ergeben keinen Sinn, da das Plagiat primär über inhaltliche Kriterien zu bestimmen ist und wir nie wissen können, ob wir das tatsächliche Ausmaß des Plagiats gefunden haben. Aber natürlich spielt es dann – sekundär – eine Rolle, ob ein Absatz oder zehn Seiten am Stück plagiiert sind.

Bei der Plagiatsgewichtung sind weiter entscheidend: die Schöpfungshöhe des Originals, der Kontext des Plagiats und das Wissen darum, dass wir das „wahre Ausmaß“ eines Plagiats fast nie erkennen können. Plagiatsdetektion und Poppers Falsifikationismus geben sich die Hand.

© Hannes Fuß
© Hannes Fuß

Plagiat und wissenschaftliches Fehlverhalten

Nicht jedes Plagiat ist wissenschaftliches Fehlverhalten. Ein Textplagiat im Dankwort einer Dissertation ist vielleicht peinlich oder skurril, aber es ist isoliert betrachtet kein wissenschaftliches Fehlverhalten. Zum wissenschaftlichen Fehlverhalten wird das Plagiat erst, wenn es zwei weitere Kriterien erfüllt: Es muss …

  • in einem „wissenschaftserheblichen Zusammenhang“ auftreten und
  • „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ erzeugt worden sein.

Diese beiden Bedingungen gehen zurück auf Formulierungen des Strafrechtlers Albin Eser aus dem Jahr 1997 für die Max-Planck-Gesellschaft (Eser hat mir seine Autorschaft persönlich mitgeteilt). Eser lieferte eine heute in deutscher Sprache weit verbreitete Standard-Definition:

„Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt vor, wenn in einem wissenschaftserheblichen Zusammenhang bewusst oder grob fahrlässig Falschangaben gemacht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt oder sonst wie deren Forschungstätigkeit beeinträchtigt wird.“

„Wissenschaftserheblich“ meint, dass das Plagiat für ein wissenschaftliches Werk und deren Rezeption von der Fachwelt von zentraler Bedeutung sein muss. – Hier zeigen sich die Grenzen einer rein quantitativen Bestimmung des Plagiatsbegriffs: Das Plagiat einer zentralen Forschungsfrage, das nur wenige Zeilen umfasst, kann wissenschaftserheblich sein. Hingegen kann das Plagiat eines mehrseitigen Exkurses als nicht wissenschaftserheblich eingestuft werden. Die Formulierung „bewusst oder grob fahrlässig“ bzw. „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ zeigt an, dass ein Plagiat nicht zwingend in Täuschungsabsicht geschehen muss, damit es als wissenschaftliches Fehlverhalten klassifiziert wird.

Albin Eser definierte Plagiat als „die unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft“. Die Quellen eines Plagiats, also die Objekte der unbefugten Verwertung wurden nicht spezifiziert. Auch diese Definition ist heute weit verbreitet.

Plagiat als wissenschaftliches Fehlverhalten betrifft primär Mitarbeiter einer Universität, also die Forscherinnen und Forscher. Es ist Gegenstand von Ombudspersonen und Kommissionen zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis (GWP). Geht es hingegen um Plagiate in wissenschaftlichen Qualifikationsschriften, ist die studienrechtliche Dimension relevant. Diese Plagiatsfälle behandeln in der Regel die Fakultäten.

Plagiat und Studienrecht

Nicht jedes Plagiat in Qualifikationsschriften, das als wissenschaftliches Fehlverhalten klassifiziert werden kann, führt auch zu studienrechtlichen Konsequenzen. In Fragen des Widerrufs von Beurteilungen von Prüfungsleistungen und der Aberkennung von bereits verliehenen Titeln ist die Beeinflussung der Note durch eine nachgewiesene Täuschungshandlung das entscheidende Kriterium. – Anmerkung: Im rechtlichen Kontext ist in Österreich von der „Wesentlichkeit“ des „Erschleichens“, in Deutschland von der „Erheblichkeit“ der „Täuschung“ die Rede. Beide Redeweisen betonen den Vorsatz.

So führte etwa der österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) im Jahr 2014 dazu aus (Stammrechtssatz):

„Ein 'Erschleichen' der Beurteilung einer Arbeit ist anzunehmen, wenn in Täuschungsabsicht wesentliche Teile der Arbeit ohne entsprechende Hinweise abgeschrieben wurden, wobei Wesentlichkeit dann anzunehmen ist, wenn bei objektiver Betrachtung der Verfasser der Arbeit davon ausgehen musste, dass bei entsprechenden Hinweisen die Arbeit nicht positiv oder zumindest weniger günstig beurteilt worden wäre, entsprechende Hinweise daher zu einem ungünstigeren Ergebnis geführt hätten.“

Die Interpretation dieses Stammrechtssatzes lautet wie folgt: „Ohne entsprechende Hinweise“ meint: ohne Kenntlichmachung der Übernahmen, etwa durch Anführungszeichen und Quellenangaben. „Bei entsprechenden Hinweisen“ meint: mit Kenntlichmachung der Übernahmen, etwa durch Anführungszeichen und Quellenangaben. Wenn also in einem Beispiel alle Plagiatsfragmente mit entsprechenden Hinweisen versehen worden wären und es (alleine) deshalb eine schlechtere Note (oder ein „Nicht genügend“) gegeben hätte, dann ist das Plagiat studienrechtlich relevant: Eine bereits erfolgte Beurteilung muss für nichtig erklärt und in der Folge ev. ein bereits verliehener akademischer Grad aberkannt werden.

Juristisch spitzfindig ist folgendes: Rechtlich korrekt ist die Aussage „Das Plagiat muss die Note verbessert haben, die eine Arbeit mit korrekten Kenntlichmachungen desselben Textes, also anstelle des Plagiats bekommen hätte.“. Rechtlich nicht korrekt ist hingegen der Satz „Das Plagiat muss die Note verbessert haben, die eine Arbeit ohne den plagiierten Text bekommen hätte.“.

Das deutsche Bundesverwaltungsgericht führte im Jahr 2017 anlässlich des Plagiatsfalls Mathiopoulos zu den Kriterien für die Entziehung eines Doktorgrads wegen festgestellter Plagiate aus:

„Die Plagiatsstellen müssen die Arbeit quantitativ, qualitativ oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen. Eine quantitative Prägung ist zu bejahen, wenn die Anzahl der Plagiatsstellen und deren Anteil an der Arbeit angesichts des Gesamtumfangs überhandnehmen. Derartige Passagen prägen die Arbeit qualitativ, wenn die restliche Dissertation den inhaltlichen Anforderungen an eine beachtliche wissenschaftliche Leistung nicht genügt.“

Die qualitative Bestimmung ist, siehe oben, juristisch umstritten. Die Bestimmung, dass ein Plagiat bzw. die Plagiate den Wesenskern einer Arbeit betreffen müssen, erscheint konsistenter. Manchmal ist auch davon die Rede, dass die Plagiate "werkprägend" sein müssen, damit eine Titelaberkennung erfolgt. Das österreichische Universitätsgesetz (§ 19 Abs. 2a UG 2002) räumt den Rektoraten die Möglichkeit von Studiensperren bei "schwerwiegendem und vorsätzlichem" Plagiieren ein. Man kann daraus schließen, dass dies dann auch für die Nichtigerklärung von Beurteilungen und Widerrufe von verliehenen Graden gelten muss.

Abb. 1.: Plagiate mit ansteigendem Schweregrad, © Doz. Dr. Stefan Weber, 2021
© Doz. Dr. Stefan Weber
Abb. 1.: Plagiate mit ansteigendem Schweregrad, © Doz. Dr. Stefan Weber, 2021

Spezialfragen zum Thema Plagiat

  • Gibt es nicht-plagiierbare Quellen? Ja, in der Regel sind diese etwa Gesetzestexte.
  • Gibt es ein Plagiat von Texten ohne angegebenen Urheber? Ja, und das wurde erst durch das Internet zum Problem. Natürlich kann man auch einen Text plagiieren, der keinen Urheber (angegeben) hat. Das betrifft insbesondere Web-Quellen.
  • Gibt es Texte, die so eine geringe oder keine Schöpfungshöhe aufweisen, dass sie nicht plagiierbar sind? Nein. Und auch wenn die „Originalquelle“ eines Plagiats selbst wiederum das Plagiat einer weiteren (älteren) Arbeit ist, greift der Plagiatsbegriff. Allerdings ist dann eine genaue zeitliche Rekonstruktion notwendig.
  • Gibt es Textsorten, gegen die man keinen Plagiatsvorwurf erheben kann? In der Wissenschaft nein. Auch Gutachten von wissenschaftlichen Sachverständigen oder Behördenberichte zu wissenschaftlichen Sachfragen können Plagiate enthalten. Fach- und Sachbücher gehören tendenziell ins Wissenschaftssystem und nicht in die Literatur, also greift der wissenschaftliche Plagiatsbegriff meist auch hier.

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