Im Kommentarbereich meines gestrigen Blogbeitrags zum unfassbaren Plagiat des ehemaligen Technik-Vorstands der Zillertalbahn sowie in den Online-Foren der Massenmedien war häufig zu lesen: Warum vermittelt eine Tochtergesellschaft der Universität Salzburg promotionswillige Wirtschaftstreibende nach Lettland oder Australien und nicht an Salzburger Professorinnen und Professoren? Warum erledigt die Universität Salzburg mit ihren rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das nicht selbst vor Ort?
Tatsächlich stößt man auf einige Ungereimtheiten, wenn man genauer hinschaut. Bleiben wir zunächst beim monströsen Übersetzungsplagiat des ehemaligen Technik-Vorstands Helmut Schreiner. Zum Status seiner Dissertation zirkulieren derzeit drei sich widersprechende Aussagen:
Version Nummer eins stammt von Helmut Schreiner selbst. Er sagte der „Tiroler Tageszeitung“ vergangene Woche, dass er sein Doktoratsstudium an der Universität Lettlands mit der neuen Doktorarbeit „bereits abgeschlossen“ habe und die Verleihung der Doktorwürde „nur noch eine Frage der Zeit“ sei.
Dieser Darstellung widerspricht jedoch die Universität in Riga energisch. Eine E-Mail vom 26.06.23 einer Professorin aus Riga hört sich ganz anders an. Und damit komme ich zu Version Nummer zwei:
„His current status at our doctoral study programme is […] student in [the] 6th semester, he passed his comprehensive exam, the first draft of the first version of the doctoral thesis was submitted and discussed in the Department (Department of Global Economics Interdisciplinary Studies) meeting on 3rd of February 2023. The thesis draft in current version was not recommended to future steps. After that we had no new information from him. With this, I can state again that we are not speaking about a submitted or a defended doctoral thesis, he has not received a doctoral degree.“ (Hervorhebung in fett S.W.)
Interessanterweise publizierte heute die SMBS selbst auf ihrer Website Version Nummer drei:
„Nach Rückmeldung der Universität Lettlands stand Herr Schreiner zu keinem Zeitpunkt kurz vor der Verleihung des Doktortitels. Er hatte lediglich seine Dissertation eingereicht, die bislang noch nicht begutachtet wurde.“ (Hervorhebung in fett S.W.)
Quelle: https://www.smbs.at/dr-in-bwl-der-universitaet-lettlands-riga
Nun, das ist merkwürdig: Während für den Promotionsvermittler SMBS die Dissertation bereits eingereicht wurde, ist sie für die vermittelte Universität noch nicht eingereicht worden.
Das Elaborat Schreiners sieht übrigens vom Deckblatt bis zum Anhang keinesfalls nach Entwurf aus, sondern nach fertiger Doktorarbeit. Von einem „first draft of the first version“, wie Riga nun behauptet, kann keine Rede sein, vielmehr handelt es sich laut Metadaten bereits um Iteration 6.0!
Wer sagt in diesem Spiel die Wahrheit, wer lügt hier, und wer kennt sich nicht aus? Und was sagt zu all dem eigentlich der verantwortliche Betreuer, Professor Dr. Dr. h.c. Josef Neuert? Wenn es ihm an der guten wissenschaftlichen Praxis gelegen wäre, dürfte er doch nicht schweigen, oder?
Dazu noch einige allgemeinere Überlegungen. Promotionsvermittelnde Unternehmen wie die SMBS in Salzburg, das IfM in Salzburg, das Studienzentrum Hohe Warte in Wien und einige andere in Österreich haben zumindest diese Gemeinsamkeiten:
- Zielgruppe sind Führungskräfte, also nebenberuflich Promotionswillige.
- Die Kosten liegen bei 20.000,– bis 30.000,– Euro.
- Es wird meist mit einer Universität in Osteuropa kooperiert, von Ungarn bis Lettland. Aber auch Spanien oder Australien stehen auf dem Programm.
Helmut Schreiner hat an der Universität Innsbruck eine Diplomarbeit über Gleissperren durch Baustellen verfasst, er dürfte also aus einer technischen Studienrichtung kommen. An einer „normalen“ Universität könnte er gar nicht in den Fächern Management- oder Wirtschaftswissenschaften promovieren. Ermöglichen die promotionsvermittelnden Unternehmen solche Fachwechsel? Das Plagiat von Schreiner hat wiederum kaum etwas mit dem Fach Wirtschaftswissenschaften zu tun, in dem er promoviert worden wäre. Die Arbeit ist von Thema und Empirie den Verkehrswissenschaften, der Mobilitätsforschung oder der Wirtschafts- und Sozialgeographie zuzuordnen. Aus diesem Fach kommt auch das Original seines Plagiats. Es handelt sich jedenfalls weder um eine technische noch um eine wirtschaftswissenschaftliche Dissertation.
Die SMBS schreibt weiter anlässlich des Falls Schreiner:
„Das Studium an der Universität Lettlands unterliegt strengen Qualitätsprüfungen und ein Plagiat hätte niemals die Endfreigabe erhalten, wenn es so weit gekommen wäre.“
Quelle: https://www.smbs.at/dr-in-bwl-der-universitaet-lettlands-riga
Nun, das ist eine kühne Behauptung. Fremdsprachenplagiate wie das vorliegende sind auch mit der besten Plagiatssoftware der Welt derzeit noch so gut wie nicht zu erkennen. Ich habe dafür eine ganze Nachtschicht „manueller“ Arbeit benötigt. Wäre Helmut Schreiner, wie im Prozess des Schreibens einer Doktorarbeit wohl unabdingbar, engmaschig betreut worden, wäre doch das Plagiat schon früher aufgefallen, oder nicht? Wie kann die gesamte Empirie gefälscht werden und „Doktorvater“ Neuert merkt bis Februar 2023 nichts davon? Ein Ding der Unmöglichkeit!
Und ein weiterer problematischer Aspekt: Kann es sein, dass das System der Promotionsvermittlung dieser Art das Engagieren von Ghostwritern begünstigt?
Es ist gut möglich, dass das vermittelte Doktorat damit in Wahrheit ca. 70.000,– Euro kostet:
- 20-30.000,– Euro gehen an die Zieluniversität und den Promotionsvermittler.
- 20-30.000,– Euro gehen an den Ghostwriter.
- 5-10.000,– Euro dürften die Reise- und Aufenthaltskosten betragen.
Wenn man (auch) an Wissenschaft interessiert ist und nicht nur am Geldverdienen, werden sich Institutionen wie die SMBS diese und andere Fragen gefallen lassen müssen und uns proaktiv Antworten zu geben haben.
Mein Tipp für die Selbstreinigung: Warum widmet man nicht eine Veranstaltung genau diesem Thema und legt die Mechanismen der Qualitätssicherung offen? Welche Mechanismen der engmaschigen Betreuung, die Schreiner wohl kaum in Anspruch genommen hatte, gibt es, die Ghostwriting zumindest erschweren? Wie kommt man Fremdsprachenplagiaten auf die Schliche? Was geschieht mit den Rohdaten aus der Empirie?
Um Ihren Rundumschlag im Salzburger Raum noch zu komplettieren, könnten Sie sich ja auch noch über die Privatuniversität Seeburg auslassen. Auch dort studiert man gegen Entgelt – und ich verrate Ihnen was: man kann dort als Berufstätiger sogar promovieren.
Geben Sie sich einen Ruck. Sie werden doch nicht insgeheim auf eine Professor dort spitzen?
Berichten Sie mir doch Details! Ich kann mir schlecht ins Leere einen Ruck geben…
Dass man in einem anderen Studienzweig nicht dissertieren darf, ist nicht richtig.
Das legt z.B. in Österreich § 64 (4) Universitätsgesetz 2002 fest. Voraussetzung für die Zulassung zum Doktoratsstudium ist der „Abschluss eines fachlich in Frage kommenden Diplomstudiums oder Masterstudiums oder eines anderen fachlich in Frage kommenden Studiums […]“. „Zum Ausgleich wesentlicher fachlicher Unterschiede können Ergänzungsprüfungen vorgeschrieben werden […]“.
An der Wirtschaftsuniversität Wien werden fürs Doktoratstudium z.B. ausgewählte Rechtsfächer angeboten, aber auch ohne Wirtschaftsbezug z.B. Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft.
Als ehemalige Studierende halte ich gerne zum Ablauf folgendes fest:
Bevor es zu einer tatsächlichen Endverteidigung der Arbeit kommt, haben Studierende Department Meetings zu bestehen. Diese Department Meetings können mit pre-defenses verglichen werden. Da in den Department Meetings Anmerkungen von den Professoren gemacht werden macht es wenig Sinn in diesem Stadium die Arbeit schon auf Plagiate zu untersuchen. Die Arbeit wird nicht nur von Gutachtern der Universität Lettlands oder der SMBS beurteilt, sondern auch von der Latvian Academy of Sciences (Lettische Akademie der Wissenschaften) und ausländischen Professoren. In diesen Gutachten wird angemerkt, ob ein Plagiatsverdacht besteht oder nicht.
Die Arbeiten werden nach erfolgreicher Verteidigung in der Datenbank der Universität Lettlands publiziert und sind ohne Anmeldung kostenfrei einsehbar.
Anzumerken ist weiters, dass für die erfolgreiche Verleihung des Doktortitels Publikationen in Fachmagazinen (Journals) zu erfolgen haben, wissenschaftliche Abschlussarbeiten (Bachelor- und Masterarbeiten) zu betreuen sind und an Hochschulen unterrichtet werden muss. Die Modulprüfungen werden an der SMBS bzw. Universität Lettlands abgelegt. Insgesamt sind 216 ECTS zu erfüllen (in Österreich üblicherweise 180 ECTS).
Zur Arbeit selbst kann ich nichts sagen – ich kenne diese auch nicht.
Methodisch finden sich in den Arbeiten häufig Strukturgleichungsmodellierungen, die auf Primärdaten beruhen. Dies entspricht im quantitativen Arbeiten dem aktuellen Stand der Wissenschaft/Methodik, wenn es um die Untersuchung von Kausalhypothesen latenter Variablen geht.
Ich bin ebenfalls Absolvent eines Doktoratsprogrammes der Universität Lettlands, allerdings direkt und ohne Teilnahme an einem Programm oder mit einem Betreuer/Dr.-Vater der SMBS. Ich kann obige Erläuterungen nur bestätigen. Es ist ein enormer Workload notwendig, um das Programm erfolgreich zu absolvieren. Neben der zweijährigen Teilnahme an ca. 10 Doktoratskursen und dem anschließenden Bestehen eines Comrehesive Examen, musste man vor Einreichen der Thesis auch mind. fünf internationale Konferenzen mit eigenen Vorträgen besuchen und mehrere Publikationen in internationalen Wissenschaftsmedien vorweisen können. Die angekündigten 3 Jahre Studium hat kaum jemand unter fünf Jahren geschafft, durchschnittlich sind es wohl eher sechs Jahre.
Ich selbst hatte drei Pre-Denfences meiner Doctoral Thesis, musste quasi zweimal überarbeiten, bevor das Department mir die Einreichung der Thesis bei der Universitätsleitung genehmigte. Danach wurde sie wie beschrieben von mehreren Gutachtern begutachtet, zwei davon von anderen Universitäten, dann einer Plagiatsprüfung unterzogen und danach erst dem lettischen Wissenschaftsministerium zur Prüfung und Freigabe vorgelegt. Erst nach all diesen Procedere wurde man zur öffentlichen Verteidigung eingeladen.
Meines Erachtens und nach Schilderung der Universität Riga hat Herr Schreiner seine erste oder x-te Predefence nicht bestanden und wurde zur weiteren Überarbeitung der Thesis aufgefordert, was er scheinbar nicht tat.
Ich habe mein Doc-Studium begonnen als gerade in Deutschland der Plagiatsskandal von Minister Guttenberg aktuell war. Mein Credo war bis zum Schluss lieber keinen Titel als einen auf solche Weise erworbenen zu erlangen.
Das stinkt gewaltig, wird aber niemanden kratzen!
Oh nein, diesmal wird es nicht niemanden kratzen. Es kratzt bereits!