Das unzitierte Ab- und Umschreiben in den österreichischen Rechtswissenschaften: Was ist erlaubt, was nicht?

Anlässlich der Zitierweisen in der juristischen Diplomarbeit von Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) und in der juristischen Dissertation von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) richtete ich Anfang 2022 einen Offenen Brief an rechtswissenschaftliche Fachgesellschaften und Experten. Denn ich stellte schon seit Jahren fest, dass österreichische Rechtswissenschaftler häufig aus Judikatur und aus wissenschaftlicher Literatur (!) wörtlich oder fast wörtlich und ohne Konjunktiv zitieren, aber dabei die wörtlich übernommenen Fragmente nicht in Anführungszeichen setzen. Meine Frage war: Dürfen das die Juristen hierzulande? Wenn ja, wo steht das? Hat sich hier am Ende ein gewisser Zitier-Schlendrian eingeschlichen, womöglich sogar ein österreichischer Zitier-Dialekt, der im Fach beschwiegen wird, aber international nicht akzeptiert werden würde? Denkt man, dass man keine Anführungszeichen setzen müsse, nur weil das bei der Wiedergabe von Normtexten bislang geduldet wurde?

So wie es nur in Österreich ein „Materiengesetz“ oder „das Erkenntnis“ gibt, so gibt es vielleicht auch einen Zitier-Dialekt. Interessanterweise findet man dazu überhaupt keine Literatur. In juristischen Lehrbüchern wie etwa den AZR finden sich nur penible Regeln für Quellenangaben, die Frage der etwaigen Kennzeichnung von Inhalten wird nicht einmal am Rande gestreift. Kurzum: Die Anführungszeichen sind der Rechtswissenschaft schlichtweg kein Thema.

Auf meinen Offenen Brief vom Januar 2022 antworteten keine österreichischen Institutionen und Experten, sonder nur bundesdeutsche. Unter anderem wurden mir die Zitierregeln der „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer“ geschickt. Legt man deren – eigentlich selbstverständlichen – Maßstab zu Grunde, müsste man viele Abschlussarbeiten mit „Ösi-Zitierweise“ zurückweisen. So dann wohl auch die Dissertation des Salzburger Europarechtlers Günter Herzig, in der durchwegs „österreichisch“ zitiert wurde, die aber auf den letzten Seiten plötzlich auch Quellenangaben an Ort und Stelle vermissen lässt. Ich habe Herrn Herzig um eine Stellungnahme zu den hier im Blogbeitrag unten dokumentierten Übereinstimmungen gebeten. Er hat nicht reagiert. Es könnte ja sein, dass er als Richter selbst am VfGH gewerkt hat oder sonstwie an den Erkenntnissen mitgearbeitet hat und so gesehen höchstens ein „Eigenplagiat“ fabriziert hätte. Auch meiner Bitte, mir seine unveröffentlichte Habilitationsschrift zu schicken, ist er nicht nachgekommen.

Schade, dass in Österreich nicht einmal ein Fachdialog zum Zitieren in den Rechtswissenschaften geführt werden kann. So bleibt nur mein Versuch, diesen zum zweiten Mal über meinen Blog zu initiieren. Ich bin entweder fachlich auf dem Irrweg, oder es fühlen sich viele, zu viele auf den Schlips getreten.

Machen wir doch ein Symposium zu den Anführungszeichen in der Rechtswissenschaft. Wer traut sich?

Plagiatsfragmente Herzig Dissertation Seite 1
Plagiatsfragmente Herzig Dissertation Seite 2
Plagiatsfragmente Herzig Dissertation Seite 3
Plagiatsfragmente Herzig Dissertation Seite 4

5 Kommentare zu “Das unzitierte Ab- und Umschreiben in den österreichischen Rechtswissenschaften: Was ist erlaubt, was nicht?

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  1. Propädeutikum

    @RandomJurist: Interessante These. Aber ich glaube nicht (hoffe nicht), dass diese Analyse generell für österreichische JuristInnen zutrifft (außerhalb Österreichs mit Sicherheit nicht). Aber wenn ich diese Spekulation fortführen darf: Vielleicht hängen solche Vorkommnisse auch damit zusammen, dass es in Österreich – in dieser Form wohl einzigartig in Europa – direkte Wege vom Gericht an die Universitäten gibt? (Mit den ganzen Honorarprofessuren und § 99- Professuren). Da werden dann wohl diese „unschönen“ Praktiken, die Sie beschrieben haben, auf die universitäre Ebene übertragen?
    Wirksame Kontrolle gibt es keine in Österreich (Ausnahme: Stefan Weber) und so bleiben diese ganzen Verfehlungen ungesühnt und mancher mag schon geneigt sein, darin lokales österreichisches Gewohnheitsrecht zu sehen…

    Nur der Vollständigkeit/der Sicherheit halber: Urheberrechtverletzungen und GWP-Verstöße/Plagiate sind zwei völlig verschiedene Dinge, auch wenn es Überschneidungen geben kann.

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  2. RandomJurist

    Herr Weber, es ist relativ simpel (und für Sie als Nichtjurist kulturell wahrscheinlich schwer verständlich): Juristen interessieren sich nicht für korrektes Zitieren. Richter kopieren 1:1 aus Schriftsätzen der Parteien, Anwälte wiederum nahezu wortident aus der Literatur, die Literatur aus Urteilen usw. Es hat nichts mit der Rechtswissenschaft per se zu tun, sondern mit den Juristen. Ihr Verweis auf die AZR zeigt dies sehr schön. Das mag ua am fehlenden Urheberrecht für Gesetze und behördliche Entscheidungen liegen (§ 7 UrhG). Daher besteht hier kein rechtliches Risiko bei unkorrekten Zitaten.

    Andererseits ist der Zitierstil der Juristen sowieso tlw fragwürdig. Zwei Kommentare zu einem bestimmten Paragraphen nennen sich gegenseitig als Quelle. Da kann etwas nicht stimmen… Umgekehrt sind Juristen sehr penibel, wenn es um die Fundstellen geht. Ein Buch ohne Seitenangabe angeben ist ein no-go (anders als in der Sozialwissenschaft).

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Vielen Dank. Sie leiten also das (vermeintliche) Zitierproblem der Juristen von der Tatsache ab, dass Normtexte kein Urheberrecht genießen. Also hätten sich auch keine Kenntlichmachungsregeln herausgebildet. Und das sei dann also auf die wissenschaftliche juristische Literatur übergesprungen? Interessante Hypothese, sofern ich sie richtig verstanden habe. Aber auch komisch, oder? Würde ein Germanist auf die Idee kommen, zu sagen: Die Literatur, die Belletristik, mit der ich mich beschäftige, kennt diese und jene Regeln nicht. Also gelten diese Regeln auch in der Germanistik nicht. Wie geschrieben: Ein tolles Thema für ein Symposium, denke ich.

    2. RandomJurist

      Sie haben mich richtig verstanden. Die Rechtswissenschaft ist halt zirka 2000 Jahre alt (römisches Recht!). Da kommt man schnell in ein „haben wir immer schon so gemacht“, gerade in Österreich. Spannend wäre eine hier eine Untersuchung der Veränderung der Zitierweise im Zeitverlauf.

      Zum Germanistikvergleich: Am Beginn einer rechtswissenschaftlichen steht idR das Gesetz, dann kommt oft eine Judikaturrecherche. Vielfach erst dann die Literatur. Insofern starte ich mit ungeschützten Texten und gehe erst dann zu den geschützten über. Da bleibt man dann oft bei der gleichen Zitierweise und wechselt nicht beim Arbeiten. Insofern hinkt ihr Vergleich etwas. Das ist aber kein Vorwurf an sie. Sie sind halt einfach kein Jurist.

  3. Ralf Rath

    Walter Jens deutet die gleich eingangs der Präambel der Charta der Vereinten Nationen gewählte Formulierung bekanntlich mit den Worten: „Die Würde des Menschen beruht auf ewigen, einem Jeden von Natur aus eigenen Rechten“ (Vorwort, in: Brinkmann (Hrsg.), 1988: X). Insofern zumindest das elementare Wirkungsquantum erwiesenermaßen keine fiktive Größe ist, herrscht „Verbrennungsgefahr“ (Schumann, in: SOFI-Mitteilungen 33/2005: 11), falls darauf zugegriffen werden sollte, als ob es bloß eine Meinung und keine Tatsache ist. Wenn man so will, ließe sich daraus der Schluss ziehen, dass allen voran Juristen mit der von ihnen insbesondere in Österreich zuhauf bemühten Zitierweise sich daran ihre eigenen Finger verbrennen mit der Folge, danach „buchstäblich nichts“ (Adorno, 1966: 185) mehr begreifen zu können. Sich selbst den Tastsinn zu ruinieren, der für eine Annäherung an die Gegenstände unverzichtbar bleibt, wenn noch ein Interesse daran besteht, das „innre Band aufzuspüren“ (Marx, 1883: XVIII, 3. Aufl.) bzw. den „rote(n) Faden“ (Goethe, SW, Bd. 15, 1840: 161) nicht zu verlieren, könnte daher erklärungsbedürftiger nicht sein. Fraglich angesichts dessen, weswegen auf den Offenen Brief vom Januar 2022 bislang Herrn Weber dennoch ungebrochen ein geradezu ohrenbetäubend laut dröhnendes Schweigen entgegenschlägt.

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