Die TU Dresden und das (oder ihr?) Plagiatsproblem

„Plagiatsvorwürfe sind bei uns sehr selten“, sagt der ehemalige Rektor und heutige Ombudsmann für die saubere Wissenschaft an der TU Dresden in einem lesenswerten Artikel in der Sachsen-Ausgabe der heutigen „Zeit“. Und der ehemalige Dekan ergänzt, es habe überhaupt nur einen einzigen Fall gegeben, nämlich den „Fall“ Wöller.
Ich habe unlängst drei Hauptprobleme bei der wissenschaftlichen Textqualitätssicherung benannt, deren Identifikation wir primär den Dokumentationen auf GuttenPlag und VroniPlag zu verdanken haben:

(1) Print- und Online-Plagiarismus/’Hardcore-‚ bzw. ‚echter‘ Plagiarismus im Stile Guttenbergs: Hier handelt es sich klar um Vorsatz, Täuschung, Betrug, Erschleichung etc.

(2) Eine Umschreib-Unkultur, meist auf dem falschen Einsatz von „Vgl.“ basierend, im Stile Althusmanns: Hier handelt es sich womöglich nicht um bewusste Täuschung, sondern um (grobe) Fahrlässigkeit oder Unkenntnis; aber auch diese Technik führt zu Redundanz, bedeutet keinen wissenschaftlichen Fortschritt und steht im Widerspruch zu Promotionsordnungen.

(3) Das Problem der mangelnden Quellenseriosität durch die zunehmende Zitation nicht-wissenschaftlicher Quellen zur Faktenvermittlung in wissenschaftlichen Arbeiten („Super Illu“ lässt grüßen).

Analytisch und zum Zwecke der empirischen Erforschung kann man die drei ‚Baustellen‘ trennen. Praktisch treten sie oft gemeinsam auf. Selbstverständlich finden sich etwa in der Doktorarbeit Guttenbergs alle drei Probleme (Schwerpunkt bei (1)), wie auch bei Chatzimarkakis (Schwerpunkt bei (2)). Bei Althusmann ist es hingegen etwa fraglich, ob (1) zu identifizieren ist, ebenso nach dem derzeitigen Stand der Dinge bei Wöller.
Warum diese kleine Systematik? Nun, weil mir zu allen drei Punkten sofort Vorwürfe gegenüber Wissenschaftlern der TU Dresden einfallen (die allerdings nicht ich erhoben habe). Insofern wundert es mich, dass in der heutigen „Zeit“ alle Verantwortlichen so tun, als gäbe es das Problem an der TU Dresden so gut wie nicht bzw. habe es in der jüngeren Vergangenheit nur einen Vorwurf gegeben.

Ad 1: Ein schwerwiegender, da offenbar mehrere Werke betreffender Plagiatsvorwurf gegenüber einem (mittlerweile emeritierten) Dresdner Philosophiehistoriker findet sich in den Fußnoten 5 und 6 dieser 2002 erschienenen Rezension. Ich copypaste:

„Wollgast hat seine 1997 erschienene Reprintausgabe der gesammelten Werke Gabriel Wagners (1660-1717) mit einer Einleitung versehen, bei der es sich um eine ‚weitgehend wortwörtliche Abschrift‘ einer über 50 Seiten langen Passage aus einem Buch von 1961 handelt, vgl. die Rezension von Detlev Döring, in: Theologische Literaturzeitung 123 (1998), Sp. 883-885.
[…] Die Passage S. 144 f. zur Absentia-Promotion von Karl Marx in Jena 1841 ist sprachlich abhängig von: Erhard Lange, Ernst-Günther Schmidt, Günter Steiger, Inge Taubert, Die Promotion von Karl Marx – Jena 1841. Eine Quellendedition, Berlin 1983, S. 29 ff. Eine Reihe von trefflichen Formulierungen aus dem Aufsatz von Hanspeter Marti, Der wissenschaftsgeschichtliche Dokumentationswert alter Dissertationen. Erschließung und Auswertung einer vernachlässigten Quellengattung der Philosophiegeschichte – Eine Zwischenbilanz, in: Nouvelles de la Republique des Lettres, 1981-1, S. 117-132, hier S. 126, hat Wollgast zweimal verwertet, ohne den Aufsatz zu zitieren: In seinem Buch S. 108 f. und in seinem Aufsatz, Zur Geschichte des Dissertationswesens in Deutschland im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät 32 (1999), S. 5-41, hier S. 34 f., der weitestgehend mit den entsprechenden Teilen des Buches übereinstimmt.“

Ist die TU Dresden diesen Vorwürfen zu „Amtszeiten“ des Professors nachgegangen? Hat es ein Verfahren gegeben? Wie war dessen Ausgang?

Ad 2: Der Vorwurf des zumindest sehr unsauberen Zitierens gegenüber einem Dresdner Rechtswissenschaftler wurde von Volker Rieble in seinem – allerdings mittlerweile eingezogenen – Buch „Das Wissenschaftsplagiat“, S. 28 f. erhoben. Rieble spricht hier von einem „übersehen[en]“, „diskret gehandhabt[en]“ Fall:

„[…] die teils wortwörtlichen Übernahmen werden aber nicht durch Anführungszeichen als Fremdtext gekennzeichnet und auch bei den Umformulierungen ist die Anlehnung abschnittsweise derart stark, daß die eigene Leistung des Abschreibers insoweit nicht erkennbar wird.“ (Rieble 2010, S. 28 f.)

Der hier Beschuldigte ist immerhin Dekan an der TU Dresden. Zu Recht oder zu Unrecht beschuldigt – das ist hier nicht der Punkt. Entscheidend ist vielmehr, dass es im Falle einer Prüfung eben auch einen „Fall“ gegeben haben müsste, was aber in Abrede gestellt wurde.

Ad 3: Mit Sicherheit nicht das einzige Beispiel: Man vergleiche einmal Seite 12 dieser Powerpoint-Präsentation – den Satz „Deutschland gilt als ein Magnet für angehende Akademiker aus aller Welt (Bildung ‚made in Germany‘)“ – mit diesem Spiegel-Online-Artikel – nämlich mit dem Satz „Dabei könnte eigentlich alles gut sein, die Bundesrepublik ein Magnet für angehende Akademiker aus aller Welt: Bildung made in Germany hat einen guten Ruf.“ Auch das ist ein gutes Beispiel für eine Tendenz zur Textkultur ohne Hirn mit fragwürder Referenz(un)kultur (nichts gegen den „Spiegel“, aber Wissenschaft ist Wissenschaft und Massenmedien sind Massenmedien, nicht nur bei Luhmann).

Das Problem ist also wohl überall, und keine Universität sollte so tun, als sei sie nicht betroffen. Das ist schlichtweg verlogen gegenüber der Öffentlichkeit.

2 Kommentare zu “Die TU Dresden und das (oder ihr?) Plagiatsproblem

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  1. Interessierter Mitleser

    „Der Vorwurf des zumindest sehr unsauberen Zitierens gegenüber einem Dresdner Rechtswissenschaftler wurde von Volker Rieble in seinem – allerdings mittlerweile eingezogenen – Buch “Das Wissenschaftsplagiat”, S. 28 f. erhoben.“

    Das Buch kann weiterhin problemlos bezogen werden.

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