Neue Folge des „Drosten-Krimis“: Die Universität Frankfurt am Main erklärt sich endlich öffentlich – und produziert (mindestens) ein neues Rätsel

Sie dürfen es mir glauben: Es wäre mir lieber gewesen, die Universität Frankfurt am Main hätte mit ihrer heutigen Presseerklärung zum Promotionsverfahren von Christian Drosten, die wohl erfreulicherweise auf Druck meines gestrigen bewusst ein wenig provokativ geschriebenen Kommentars in „Telepolis“ zustande kam, alle Rätsel gelöst. Es stellten sich mittlerweile so viele Fragen, dass öffentlicher Druck vonnöten war. Aber ich befürchte, die Frankfurter Alma Mater hat ihre Hausaufgaben in dem Fall immer noch nicht ganz zufriedenstellend gemacht.

Kam die Universität der Ablieferungspflicht an die DB (heute DNB) nicht nach?

Das neue Rätsel lautet nämlich wie folgt: Die Universität merkt an, Herr Drosten gab „am 30. Juni 2003 seine Pflichtexemplare im Fachbereich Medizin ab und kam damit auch seiner Veröffentlichungspflicht nach“. Die Dissertation wurde also doch zum Zweck der Veröffentlichung eingereicht! Das verwundert, denn ich bin bislang davon ausgegangen, dass dies nicht der Fall war und der Promotionsausschuss die damalige Promotionsordnung so interpretierte, als wäre die Veröffentlichung der Schrift nicht beabsichtigt und nicht notwendig gewesen.

Wenn aber ein Druckwerk zum Zweck der Veröffentlichung (Verbreitung) vervielfältigt wurde, griff in besagtem Zeitraum das „Gesetz über die Deutsche Bibliothek“ vom 31.03.1969. Und dieses normiert in § 18 Abs. 1 klar: „Von jedem Druckwerk […] ist ein Stück (Pflichtstück) an die Deutsche Bibliothek abzuliefern.“

Waren die „Pflichtexemplare“ bzw. „Originalkopien“ der Dissertation von Herrn Drosten Druckwerke? Daran wird kein vernünftiger Zweifel bestehen:

Quelle: „Gesetz über die Deutsche Bibliothek“

Wie es derzeit aussieht, ist die Universität also im Jahr 2003 ihrer Pflicht zur Ablieferung eines Exemplars an die Deutsche Bibliothek (seit 2006: Deutsche Nationalbibliothek – DNB) nicht nachgekommen. Dass die Definition eines „Druckwerks“ erst ab einer gewissen Auflage/Stückzahl greift, habe ich im Gesetz nicht gefunden.

Wo sind die mindestens zwei weiteren Pflichtexemplare geblieben?

Und noch ein Rätsel: Die Universität spricht in ihrer Presseaussendung wiederholt von einem Archivexemplar, einer „Originalkopie“. Herr Drosten musste aber laut damals gültiger Promotionsordnung mindestens drei Exemplare abgegeben haben. Es muss also noch zwei Exemplare irgendwo gegeben haben – warum hat man aber dann 2020 bei Herrn Drosten direkt wegen einer „Neuauflage“ angefragt?

Wir haben also zumindest eine neue Forschungsfrage, und die Verschwörungsmythen rund um die Dissertation von Christian Drosten dürften in die nächste Runde gehen. Das ganze hat mittlerweile eine epistemologische Dimension angenommen: Es gibt offenbar keine abschließende Wahrheit.

5 Kommentare zu “Neue Folge des „Drosten-Krimis“: Die Universität Frankfurt am Main erklärt sich endlich öffentlich – und produziert (mindestens) ein neues Rätsel

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  1. Pingback: Faktencheck: Natürlich ist Drostens Doktorarbeit legitim › Corona Doks

  2. Ebert

    „Und noch ein Rätsel: Die Universität spricht in ihrer Presseaussendung wiederholt von einem Archivexemplar, einer „Originalkopie“. Herr Drosten musste aber laut damals gültiger Promotionsordnung mindestens drei Exemplare abgegeben haben. Es muss also noch zwei Exemplare irgendwo gegeben haben – warum hat man aber dann 2020 bei Herrn Drosten direkt wegen einer „Neuauflage“ angefragt?“

    Zu Ihrerem Rätsel betreffend der Abgabe von drei Exemplaren an das Promotionbüro/Dekanat. Eine Promotion hat i.d.R. zwei Gutachter, d.h. diese erhalten vom Promotionbüro/Dekanat jeweils ihre Exemplare. Das dritte Exemplar verbleibt im Promotionbüro/Dekanat und wird nach Abschluss archiviert. Die Gutachterexemplare verbleiben im Besitz der Gutachter und deren Bestand.

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  3. Elfsilbler

    Bei Dissertationen gibt es bei der DNB Einschränkungen der Ablieferungsprlicht, gab es auch 2003 schon.

    „Nicht abzuliefern sind

    1.

    Medienwerke, die in einer geringeren Auflage als 25 Exemplare erscheinen; diese Einschränkung gilt nicht für Dissertationen und Habilitationsschriften sowie für Medienwerke, die einzeln auf Anforderung verbreitet werden,
    2.

    Dissertationen, Habilitationsschriften und einzeln auf Anforderung hergestellte Medienwerke, die mit weniger als 25 Exemplaren in körperlicher Form verbreitet werden, wenn diese nach Maßgabe der Bibliothek in einer zur Archivierung und Bereitstellung geeigneten unkörperlichen Form abgeliefert wurden,#2

    http://www.gesetze-im-internet.de/pflav/__4.html

    Antworten
    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Spannend, vielen Dank. Aber:

      1) Die Verordnung http://www.gesetze-im-internet.de/pflav/__4.html erwähnt die „Deutsche Nationalbibliothek“, so heißt sie erst seit 2006. Haben Sie Belege dafür, dass die Verordnung in genau dieser Form auch schon vor 2006 gegolten hat?

      2) Punkt 1 normiert doch gerade, dass die Einschränkung mit weniger als 25 Exemplaren für Dissertationen NICHT gilt, oder habe ich etwas missverstanden? So normiert die DNB ja auch heute, dass von Dissertationen zwei Pflichtexemplare abzuliefern sind, unabhängig von der Auflagenhöhe (!). Vor 2006 war es 1 Exemplar.

      3) Die Wenn-Bedingung von Punkt 2 trifft wiederum auf die Dissertation von Herrn Drosten nicht zu. Sie wurde nämlich nicht in „unkörperlicher“ Form (also auf Datenträger oder online) archiviert.

      LG
      sw

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