Aus Anlass der „Drosten-Papers“: Gedanken zur mutmaßlichen Unsinnigkeit des medizinischen Promotionswesens in Deutschland

Sie waren in Deutschland beim Arzt? Dann wissen Sie vielleicht gar nicht, dass jeder dritte Mediziner in der Bundesrepublik „nur“ Arzt ist, also zwar alle erforderlichen Prüfungen abgelegt hat, aber nicht promoviert wurde, also kein „Dr. med.“ ist? Nur zwei von drei Medizinern schließen eine Promotion an ihr Studium an und schreiben eine Doktorarbeit. – Aber wofür ist diese eigentlich gut?

Abb. 1: Screenshot des Covers der Dissertation von Christian Drosten (2001/2003/2020)

Der „Star-Virologe“ Christian Drosten hat eine deutschsprachige medizinische Promotionsschrift im Umfang von 122 Seiten vorzuweisen. Unklar ist und wahrscheinlich nie zu klären sein wird, ob er die Pflichtexemplare in der von § 12 Abs. 4 der damaligen Promotionsordnung vorgegebenen Frist von einem Jahr abgeliefert hat. Wir müssen dies wohl derzeit annehmen, sonst hätte er auch seine Promotionsurkunde nicht erhalten (man kann nun verschwörungstheoretisch spekulieren, dass er auch diese nie bekommen hat – aber wie wäre dann zu erklären, dass es nun, 2020, eine Promotionsschrift gibt? Soll diese etwa erst in diesem Jahr nachträglich verfasst worden sein? Verschwörungstheoretiker glauben, Herr Drosten hätte das in seinem Sommerurlaub 2020 „nachgeholt“).

Wozu eine Promotionsschrift ohne Öffentlichkeit und nur für das Kellerarchiv?

Was mich dennoch verwundert, sind folgende Punkte: Die Promotionsleistung war, wie ja auch die Universität Frankfurt am Main in einer E-Mail schreibt, im Wesentlichen durch die (vorhergehende) Veröffentlichung der Ergebnisse in drei Journals in englischer Sprache mit Ko-Autoren (wie in der Medizin üblich) erbracht worden. Die eigenständige, deutschsprachige Promotionsschrift, in der gleich auf S. 3 auf diese drei Aufsätze verwiesen wird, wurde von der Universität Frankfurt nie veröffentlicht, sie landete im Kellerarchiv des Dekanats. Wozu dann eigentlich die Pflichtübung einer deutschsprachigen Promotionsschrift? Eine ältere Promotionsordnung für Medizin an der Universität Münster sah zumindest vor, dass ein Aufsatz selbst die Promotionsschrift sein durfte – was wiederum zu möglichen Autorschaftskonflikten führen konnte. Man findet so auch im Münsteraner Katalog kurze Zeitschriftenaufsätze mit dem Vermerk „zugleich Dissertation“.

Wozu die Publikation eines Einzelautors bei Forschergruppen und Teamarbeit?

In der Medizin wird, wie allgemein in den Naturwissenschaften, in Forschergruppen gearbeitet. Mehrere Wissenschaftler steuern ihre Expertisen bei. Fast alle empirischen Verfahren verlangen Teamarbeit. Wozu dann eigentlich noch eine Publikation eines singulären Autors? Woher rührt der Zwang zur Abgabe eines „Buchs“, wenn doch alle wesentlichen Erkenntnisse in kurzen und knackigen Papers in Journals publiziert werden? Und warum auch noch ein Buch (im Regelfall) auf Deutsch, wenn die Wissenschaftssprache doch Englisch ist?

Man mag also zurecht die Frage stellen, warum Christian Drosten überhaupt eine deutschsprachige Promotionsschrift schreiben musste, von der weder die wissenschaftliche Fachwelt noch die sonstige interessierte Öffentlichkeit jemals hätte Notiz nehmen können, wäre nicht das Interesse an Christian Drosten im Jahr 2020 durch die Corona-Pandemie plötzlich entfacht worden. Eigentlich haben davon weder der Verfasser noch die Fachwelt etwas: die medizinische Promotionsschrift, sie ist in diesem Fall vergeudete Zeit für den Autor und die Begutachter.

Abb. 2: Aus der „Ehrenwörtlichen Erklärung“ in der Dissertation von Christian Drosten, S. 106

Zusätzlich sind Autorschafts-, ja womöglich sogar Plagiatskonflikte vorprogrammiert (siehe etwa das von VroniPlag Wiki aufgedeckte „Plagiatscluster“ bei medizinischen Dissertationen aus Münster): Christian Drosten publizierte drei Papers zum Thema der Dissertation mit Ko-Autoren. In der Dissertation, die auf den Papers basiert, musste er aber angeben, die gesamte Arbeit „ohne sonstige Hilfe selbst durchgeführt“ zu haben. Also: Entweder ist diese „ehrenwörtliche Erklärung“ falsch, oder die in den Papers angegebenen Autoren haben allesamt den Rang einer Ehrenautorschaft. Das wäre laut DFG-Kodex wissenschaftliches Fehlverhalten, übrigens normiert seit 1998. Eine dritte Möglichkeit wäre, dass die drei Papers gar nichts mit der Dissertation zu tun haben. Nun, dann wäre die Argumentation der Universität Frankfurt ungültig, dass die Ergebnisse der Dissertation in den drei Papers veröffentlicht wurden.

Eine Schieflage: Gutachter beurteilen ihre eigenen Arbeiten

Das größte Kuriosum einer medizinischen Promotionsschrift Drostenscher Art ist aber wohl, dass Begutachter ihre eigenen Arbeiten bewerten (ähnlich hier). Der Erstgutachter der Dissertation von Christian Drosten, W. K. Roth, war auch Ko-Autor aller drei Papers, die die Basis der Dissertation bildeten, in einem Fall sogar Erstautor.

Abb. 3: S. 2 und S. 3 der Dissertation von Christian Drosten

W. K. Roth benotete also Arbeiten, die er selbst schon für sehr gut befunden haben muss, sonst hätte er ja kaum mitgearbeitet. Eine etwaige Ehrenautorschaft ist zumindest bei jenem Paper, bei dem er als Erstautor genannt ist, auszuschließen.

Ich komme zum Schluss: Ich weiß nicht, wann und warum und wo das medizinische Promotionswesen in Deutschland eingeführt wurde. Aber zumindest der Fall Drosten zeigt alle Probleme dieses Promotionswesens auf und warum man es wohl in dieser Form besser abschaffen sollte.

Anmerkung: Aktuelle Promotionsordnungen erlauben explizit publikationsbasierte Dissertationen und normieren oft, dass der Begutachter nicht gleichzeitig Ko-Autor von der Dissertation zugrunde liegenden Papers sein darf. Wer keine Veröffentlichungen vorweisen kann, der mag sich aber weiter fragen: Wozu eigentlich eine eigenständige Dissertation in der Medizin?

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