„Plagiatsverjährung“ ist Titelentwertung: Wie Blimlinger und Polaschek jedes Bemühen um Qualitätssicherung an Hochschulen zerstören

Da will sich ein System nun vor neuen Aufdeckungen schützen.

Eines der vier Ziele des „Hochschulrechtspakets 2024“ war die „Sicherstellung der höchstmöglichen [sic] Integrität im wissenschaftlichen und künstlerischen Studien-, Lehr- und Forschungsbereich“. Diese „Sicherstellung“ setzt die schwarz-grüne Koalition jetzt mit folgendem Signal um: ‚Wenn Du Deinen Textbetrug länger als zehn Jahre abgesessen hast, kann Dir hierzulande nichts mehr passieren.‘ Hunderte, wohl eher tausende Akademikerinnen und Akademiker Österreichs dürfen seit gestern aufatmen! Die Politik weiß natürlich längst, dass sehr viele plagiiert haben, also wird es auch einige Wählerstimmen mehr aus dem Lager der Plagiatoren geben. Und vielleicht neue Studenten aus dem Ausland?

Frau Blimlinger und Herr Polaschek, das kann doch nicht ihr Ernst sein! Ein „Bitte treten Sie zurück!“ wäre hier noch untertrieben. Sie hätten beide gar nie in ihre Ämter kommen dürfen! Sie machen Österrreich international lächerlich und entwerten die Grade tausender Menschen, die ihren Abschluss redlich erworben haben.

Es gibt meines Wissens weltweit nirgends auf Master-Ebene eine studienrechtliche Verjährung von Textbetrug bei gleichzeitiger Veröffentlichungspflicht (!).

Zu den juristischen Fakten.

Aus der gestern vom Ministerrat abgesegneten Regierungsvorlage:

Neu eingefügt werden soll Abs. 2 in den existierenden § 89 UG (sowie im Nachbargesetz HG). Was für den Verfassungsdienst schon 2020 rechtswidrig war, ist es auch noch im Jahr 2024. Und aus zumindest drei Gründen ist die Regel sowieso juristisch inkonsistent und somit völliger Quatsch:

1. Wissenschaftliche Arbeiten wie Diplom- oder Masterarbeiten sind in Österreich nach § 86 UG veröffentlichungspflichtig. Der österreichische Gesetzgeber hat nach Einführung des Bologna-Systems bewusst eine Grenze zwischen „wissenschaftlichen Arbeiten“ wie etwa Masterarbeiten hier und Prüfungs(teil)leistungen wie etwa Bachelor- oder Seminararbeiten dort gezogen. Wenn nun Plagiate auch in Diplom- oder Masterarbeiten studienrechtlich verjähren sollen, ändert das die Gesamtarchitektur und Begriffslogik des UG. Zumindest müsste man dann auch die Veröffentlichungspflicht für Diplom- und Masterarbeiten mit abschaffen und somit von einer jahrzehntelang geübten bibliothekarischen Praxis in Österreich abrücken.

In Deutschland sind Diplom- und Masterarbeiten nicht veröffentlichungspflichtig. Die studienrechtliche Verjährung von Täuschung in diesen ist in den allermeisten bundesdeutschen Diplom-Studienordnungen mit fünf Jahren festgelegt. Aber wie gesagt: Das geht nur, weil sie nicht in Bibliotheken aufliegen und somit in Deutschland wie die Bachelorarbeiten als nicht-öffentliche Prüfungsleistungen gelten.

2. Laut Abs. 2 verjährt studienrechtlich nicht wissenschaftliches Fehlverhalten in den genannten Arbeiten, sondern nur eine Form des Fehlverhaltens, nämlich das Plagiat. Dafür gibt es sachlich keine Begründung. In den Erläuterungen ist sogar zu lesen: „Die Sanktion soll in einem angemessenen Verhältnis zum Fehlverhalten stehen.“ – Es geht aber nicht um das ganze Spektrum wissenschaftlichen Fehlverhaltens, sondern nur um Plagiate. Die Privilegierung des Plagiats – etwa im Gegensatz zu Ghostwriting oder Datenfälschung – ist sachlich nicht zu begründen und offenbar das Ergebnis rein emotional getriggerter Anlassgesetzgebung. So etwas kann vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht halten.

3. Abs. 2 regelt nicht den Fall eines ex post entdeckten Plagiats in einer Seminararbeit. Nach geltendem Recht wird auch in diesem Fall die Beurteilung der zur Seminararbeit gehörenden Lehrveranstaltung nach § 73 UG für nichtig erklärt, mit der Rechtsfolge des Titelverlusts nach § 89. Auch das kann  vor dem VwGH unmöglich halten: Ein Plagiat in einer Bachelor- oder Masterarbeit verjährt studienrechtlich nach zehn Jahren, aber nicht in einer Seminararbeit, die ja rangniedriger ist? Undenkbar!

Die „Plagiatsverjährung“ ist also nicht nur eine emotional überschießende Fehlreaktion in Unkenntnis der wahren Faktenlage zu einem aktuellen Fall (der sich komplett anders darstellt als medial in Österreich kolportiert), sie ist auch juristisch erneut mehrfacher Murks.

Uniko betreibt Augenauswischerei

Und im Übrigen ist das Argument, dass bei Bachelor- und Masterstudien ja viele Leistungen zählen würden und nicht bloß die Abschlussarbeit(en), reine Augenauswischerei für die unkundige Bevölkerung. Denn genau diese jetzt plötzlich kritisierte Singularität war ja jahrzehntelang Wesen der Rechtsfolgen von § 73 und § 89 UG: Wenn bei einer Leistung geschwindelt wurde, musste der Grad entzogen werden und der erschwindelte Teil musste neu absolviert werden.

Dass die Universitätenkonferenz „Uniko“ in diesem üblen Spiel mitmacht, deren Präsident Oliver Vitouch selbst von einer Plagiatorin rechtlich vertreten wird, darüber kann man nur noch lachen.


Aber worüber reden wir eigentlich? Es geht in Wahrheit gar nicht um die sogenannte Unverhältnismäßigkeit eines Eingriffs. Die Wissenschaftssprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, hat in einer OTS-Aussendung gestern bemerkenswerter Weise den wahren Grund genannt:

„Unser Ziel ist es, selbsternannte ‘Plagiatsjäger:innen‘ arbeitslos zu machen.“

Wenn es Frau Blimlinger lieber ist, mich zu schwächen als Plagiaten den Kampf anzusagen, möchte ich ihr folgendes ausrichten: Österreichische Diplomarbeiten, die älter als zehn Jahre sind, machen derzeit weniger als fünf Prozent meines Jahresumsatzes aus. Also, liebe Frau Blimlinger, lassen Sie sich etwas Neues einfallen, um mir zu schaden! Aber bitte in einem neuen Job, in dem Sie weniger Unheil anrichten können.

4 Kommentare zu “„Plagiatsverjährung“ ist Titelentwertung: Wie Blimlinger und Polaschek jedes Bemühen um Qualitätssicherung an Hochschulen zerstören

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  1. Moderne PolitikerInnen

    Herrn Vitouchs Neuorientierung in der Plagiatsfrage ist Ergebnis reiflicher Überlegung und hat nichts, aber auch gar nichts mit Herrn Weber zu tun. Dass andere Herrn Weber Geschäftseinbußen wünschen oder sich darüber freuen und deshalb kleine Plagiatorenlein laufen lassen wollen, das ist reiner Zufall und nicht Herrn Vitouchs Zugang!

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Davon gehe ich auch aus. Was wohl Herrn Uniko-Präsidentens Motivation gewesen sein mag, plötzlich für eine studienrechtliche Plagiatsverjährung einzutreten? Wahrscheinlich hat er das evidenzbasiert auf aktueller Studienlage entschieden.

  2. Moderne PolitikerInnen

    Schotten dicht für die lästige „Wiener Zeitung“, dem großen bösen Stefan Weber sein Jahrhundertgeschäft vermasselt, den armen kleinen, unschuldigen Plagiatorenlein eine zweite Chance gegeben: Also wenn das die Wählerinnen und Wähler nicht honorieren werden!

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Stimmt! Das Duo infernale Schwarz & Grün hat ja auch bei der „Wiener Zeitung“ schon ganze Arbeit geleistet. Hatte ich glatt vergessen. Und die Zentralisierung der Journalistenausbildung!
      Und das doch so schlagkräftige Gesetz gegen Hass im Netz!
      Ich glaube, da waren noch mehr Highlights.

      Und da kommt womöglich noch mehr bis Herbst:
      * Zitierverbot aus Gerichtsakten für Journalisten
      * Dokumentierverbot aus Dissertationen für Plagiatsjäger

      Hauptsache, der Herr Vitouch findet die neue Plagiatsregel „gut und vernünftig“, so heute auf Ö1.

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