Schon elf partiell bis nahezu komplett plagiierte Dissertationen an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster – und es werden wohl noch mehr werden. Dass unterschiedliche Betreuer in den neuen Plagiatsskandal involviert sind, weist meiner Erfahrung nach nicht auf eine Verschwörung einer Gruppe von Münsteraner Professoren hin, sondern eher auf die Tatsache, dass das Plagiat in der Medizin offenbar noch weiter verbreitet ist als in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Ich gehe davon aus, dass das in ganz Deutschland so oder ähnlich der Fall ist. Wenn wir das hochrechnen, kommen wir auf tausende falsche Doktoren, insbesondere Zahnmediziner, in Deutschland. Wenn wir aus plagiatorischem Vorgehen auf Bildungslücken oder sonstige betrügerische Energie schließen können, wird einem angst und bange.
Wäre der Plagiatsskandal undercover zu ermitteln, hätte das „Team Wallraff“ seine Freude. Man könnte ja mal einen promotionswilligen angehenden „Arzt“, idealer Weise mit Migrationshintergrund und auf alle Fälle mit gefälschten Studienzeugnissen, zu einem Professor in Münster schicken und schauen, was passiert…
Interessant an der Pressemitteilung der Universität Münster ist vor allem das implizite Eingeständnis, dass erst durch die Causa Guttenberg – ab Mitte 2011 – die Spielregeln für Promotionen verschärft wurden. Es bedurfte also eines großen Falls, damit überhaupt erst gehandelt wurde. Das zeigt, wie sehr die Universitäten heuchlerisch sind und letztlich auch nur symbolische Politik betreiben: Kritiker wiesen schon in den Jahren vor Guttenberg, zum Teil auch in den Massenmedien, auf das grassierende Plagiatsproblem hin, aber da wurden kaum einmal Promotionsregeln verschärft. Und nicht wenige an den Universitäten, vor allem der jüngere kritische Mittelbau, wussten, was hier passiert: Die Blender sind von den redlich arbeitenden Wissenschaftlern nicht unterschieden worden. Mein Doktorvater Peter A. Bruck schrieb 2007 (!) über mich: „Er hat die Rolle des Spürhundes übernommen und Dinge gefunden, die viele in der Öffentlichkeit überraschten, in den Universitäten aber auch vielen bekannt waren.“ Von bedauerlichen Einzelfällen wird bald niemand mehr sprechen. Die Frage wird sein, wie die Wissenschaft mit dem systemischen Charakter des Plagiierens umgehen wird.
Plagiatssoftware kann in Anbetracht der zunehmenden Textkomplexität zumindest zum Teil Abhilfe schaffen. Nicht nur, dass mit Systemen wie etwa PlagScan mehr oder weniger effizient ein Abgleich mit Web-Fundstellen ermöglicht wird. Man muss auch jedem Professor, der seine Sache ernst meint, heute dringend empfehlen, alle bei ihm eingereichten Arbeiten digital zu speichern und neu eingereichte Arbeiten mit den alten abzugleichen. Auch dafür gibt es Softwarelösungen, zum Teil sogar kostenlos, und einiges ist hier derzeit in Entwicklung. Die Voraussetzung ist, dass die Begutachter überhaupt ehrliche Wissenschaft wollen. Erst dann können wir über ein Weiterbildungsprogramm und ein technisches Update nachdenken.
In einer Vroniplag Diskussion (http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Diskussion:Cl/Fragment_030_06) findet sich dieser Link:
http://www.meduniwien.ac.at/homepage/content/studium-lehre/studierendenberatung/plagiatpruefung-an-der-meduni-wien/was-ist-ein-plagiat/was-ist-kein-plagiat/
Ist auf jeden Fall eine „interessante“ Sichtweise…
Ich denke, vor allem der zweite Punkt, das Eigen-Text-Recycling, ist in der Tat so ok. Selbstplagiate sind kaum einmal studienrechtlich relevant.
An der ETH Zürich gilt etwa sogar allgemein für Doktorarbeiten:
„b) Verwendung von publizierten Arbeiten als Teile der Doktorarbeit
Publizierte oder zur Publikation eingereichte Manuskripte können, zusammengeführt durch einen geeigneten Rahmentext mit Einleitung und Zusammenfassung, in die Doktorarbeit aufgenommen werden, falls die Prüfungskommission auf dieser Grundlage den selbständigen wissenschaftlichen Beitrag der Doktorierenden bewerten kann und der Text der Doktorarbeit in nur einer Sprache verfasst ist.“
Punkt 10, S. 5 in
https://www.share.ethz.ch/sites/rechtssammlung/Rechtssammlung/3%20Lehre/3.2%20Diverses/Ausf%C3%BChrungsbestimmungen%20des%20Rektors%20zur%20Doktoratsverordnung%20ETH%20Z%C3%BCrich.pdf
Pikanter ist das mit dem „Material und Methoden“-Teil. Zunächst wird damit nicht gesagt, dass man im vorgeschalteten Theorie-Teil plagiieren dürfte. Aber man hätte natürlich schreiben müssen: Kein STUDIENRECHTLICH RELEVANTES Plagiat ist … sofern NUR (!) in diesem Teil abgeschrieben wurde. Eine Änderung der „Anführungszeichenkultur“ innerhalb ein und derselben Arbeit kann nicht ernstlich von der Med-Uni Wien befürwortet werden.
1. Es freut mich, dass Sie zur alten Schärfe zurückgefunden haben.
2. In der Tat ist es zunächst eine moralische Frage, eine Frage von Bildung und Erziehung, wie man mit Leistungen Anderer umgeht.
3. Appelle helfen leider so wenig wie einstmals bei Alkohol am Steuer. Nur rigide Kontrolle, gepaart mit drastischen Strafen, wird den Einen oder Anderen davon abhalten, seine Mitmenschen geistig zu bestehlen.
Die Medizinische Fakultät in Münster dürfte auch durch einen ziemlich deutlichen Plagiatsfall 2011 motiviert gewesen sein, die Promotionsordnung zu ändern:
http://campus.uni-muenster.de/campus-news.html?&newsid=874&cHash=04a8e32224c8191ff4ece04a68fb1440
Danke für den Hinweis, das kannte ich noch nicht. In der PM aber wieder die Einzelfall-Rhetorik: „Er geht von einem ‚absoluten Einzelfall‘ aus, schon weil es in der Medizin wegen der hohen Quote experimenteller Arbeiten und der Veröffentlichung in Zeitschriften und Datenbanken riskant sei, ein Plagiat einzureichen.“
Auch interessant:
„‚Mit dieser Entscheidung ist der Plagiatsfall, der erste an der Fakultät, für uns beendet‘, so der Dekan. Mit weiteren Fällen rechnet er nicht: Schon vor dem aktuellen Verfahren, im Oktober 2010, habe die Fakultät ihre interne Qualitätssicherung ausgebaut […].“
http://campus.uni-muenster.de/campus-news.html?&no_cache=1&newsid=949&cHash=e7426f51f88e1e956d3f6ff291848ade