Das Problem beschäftigt mich nun seit mehr als zehn Jahren, siehe eine bereits 2011 von mir initiierte Diskussion auf VroniPlag Wiki. Aus aktuellen Anlässen wird es nun, elf Jahre nach dem Guttenberg-Plagiatsskandal und damit eigentlich viel zu spät, Zeit für klare Worte aus dem Fach:
Dürfen Rechtswissenschaftler etwas, was so gut wie alle anderen Disziplinen nicht dürfen, nämlich aus wissenschaftlicher Literatur wörtlich ohne Anführungszeichen und nur mit Quellenangabe zitieren?
Folgende Fachorganisationen und -vertreter haben daher heute diesen Offenen Brief von mir erhalten. Unmittelbarer Anlass sind die dokumentierten Zitierpraxen in den juristischen Dissertationen von Susanne Raab und Alma Zadic (diese aktuelle Dokumentation stammt von der ebenfalls ehrenamtlich und unbezahlt tätigen Plagiatssucherin Katharina Renner). Ich würde die Vorgehensweise von Frau Zadic nicht als Plagiat werten, sondern als schlechte Wissenschaft bzw. eher sinnbefreites Arbeiten: Wissenschaft heißt meines Erachtens nicht, Wortketten anderer zu „sampeln“. Aber wieder lautet die Frage: „Dürfen“ Juristen dieses Wortketten-Sampling betreiben?
Ich freue mich auf klärende Debattenbeiträge von…
- dem Österreichischen Juristentag (ÖJT), namentlich Dr. Günther Winsauer, AT
- der Österreichischen Gesellschaft für Rechtslinguistik (ÖGRL), AT
- der Redaktion der „Abkürzungs- und Zitierregeln” (AZR), AT
- der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, DE
- der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht (DGIR), DE
- dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, DE
- dem Ombudsman der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), namentlich Univ. Prof. Dr. Stephan Rixen, DE
- Prof. Dr. Wolfgang Löwer, DE
- Maximilian Steinbeis, DE
Eine ähnliche Debatte sollte man auch in der Medizin, in der Mathematik und in der Informatik führen: Nachdem ich mich über mehrere Monate im Rahmen eines Wiki-Projekts genauer mit Zitierweisen in verschiedenen Fächern beschäftigt habe, muss ich sagen, dass auch diese Fächer das Zitieren nicht klar und deutlich genug regeln. Das Thema Plagiat in der Medizin befand sich etwa bis vor kurzem in keinem mir zugänglichen Lehrbuch. Auch Regeln für wörtliche Übernahmen oder den Umgang mit abgeschriebenen Literaturreferenzen aus anderen, nicht-zitierten Werken (sog. „Blindreferenzen“) sucht man in medizinischer Methodenliteratur, etwa zur medizinischen Promotionsschrift, vergeblich. Es gibt Klärungsbedarf, und es betrifft die Grundlagen der Wissenschaft! Eigentlich sollte das Interesse groß sein.
Hallo Herr Weber,
könnten Sie näher erläutern, welche Probleme Sie im Bereich der Informatik sehen, die eine Diskussion über Zitierregeln erforderlich machen würden?
Ich bin selbst Informatiker mit einigen Publikationen und habe auch ein paar Abschlussarbeiten mitbetreut. Daher würde es mich interessieren, wo Sie Probleme sehen.
Pingback: Heutiges "Kurier"-Interview zur Plagiatsforschung in Langfassung
Zusatz TzudemR:
In ein paar Stunden finden Sie 50 Beispiele wie das Kodek-Zitat? Arme ÖJZ…
Dann sollte Dozent Weber aber rasch eine Anfrage an die ÖJZ richten, ob dort tatsächlich ein derart lockeres Wissenschaftlerleben herrscht. Ob die Herausgeber das für richtig erachten, ob ihnen das nur nicht aufgefallen ist oder ob ihnen das einfach egal ist. Ich glaube es nicht….
Wetten, dass? Die werden Ihre Vermutung kategorisch bestreiten.
Zwei Gedanken dazu:
1. Ich finde, man sollte das Gehalt aller Rechtswissenschaftler in Österreich erhöhen. Denn wenn das Usus ist, ist dieser Job unzumutbar: Mir würden bei diesem Abschreiben die Füße einschlafen. Es käme für mich einer wissenschaftlichen Höchststrafe gleich, ein ganzes Buch verfassen zu müssen, das im Stil des Kodek-Zitats geschrieben ist. Eine furchtbare Vorstellung, so gut wie nur gelesene Sätze anderer aneinanderzureihen. Außerdem hätte ich trotz erhöhten Salärs täglich Jobangst: Denn dieses Kompilieren kann bereits künstliche Intelligenz recht gut, siehe nur den Software-Autor „BetaWriter“.
2. Wieder zurück zum Ernst: Gibt es eigentlich Publikationen oder Forschungsprojekte, die genau unser Thema zum Gegenstand haben? Also etwa: Zitieren und Arten der Wiedergaben von Quellen in der österreichischen Rechtswissenschaft? Ich hätte da eine Idee: Einmal ein Cluster von Texten zu einem ähnlichen Thema aus einigen Fachzeitschriften herunterladen und mit Software die Papers untereinander und mit externen Quellen vergleichen. Wenn mir dabei jemand behilflich sein will, würde ich mich über Unterstützung sehr freuen.
LG
Ich denke die Zahl war doch etwas hoch gegriffen. Habe jetzt nochmal 30 Minuten investiert und so eine 1:1 Übernahme ist mir nicht mehr untergekommen.
Duplik auf TzudemR:
Der Hinweis auf das Kodek-Zitat war ein spontaner Zufallstreffer? Also, ich glaube, wer Informationen solcher Dimension platziert, weiß, was er tut. Auf jeden Fall haben Sie voll ins Schwarze getroffen.
Es ist aber ein Zufallstreffer gewesen.
Lege Artis hat ÖJZ erwähnt, ich habe daher die rdb (Rechtsdatenbank) aufgerufen, auf die ÖJZ geklickt, das neueste Heft aufgemacht (2022, Heft 2a) und einen Beitrag aufgemacht (Prof. Kodek ist ein bekannter Name, unterbewusst ist vl deswegen die Auswahl auf diesen Beitrag gefallen).
In der elektronischen rdb sind die Fußnoten „ganz unten“. also habe ich ganz nach unten gescrolled und eine Fußnote gesucht, wo nur eine und nicht mehrere Belegstellen angegeben sind und in der die Belegstelle für mich in der rdb ebenso abrufbar ist. Das erste dazu sichtbare Zitat war die Fußnote 96 (ich scrolle von ganz unten nach oben, der Beitrag hat insgesamt 100 Fußnoten) und siehe da, sie war gleich ein gutes Beispiel für das von Herrn Weber erwähnte Zitierverhalten in den östReWi. Damit konnte ich Lege Artis gut vorzeigen, dass auch in den renommierten Zeitschriften so vorgegangen wird. Das war eig die einzige Intention meines Beitrags.
Zusatz
Ob ich damit voll ins Schwarze getroffen habe, bezweifle ich stark. Ich denke, ich würde innerhalb von mehreren Stunden sicherlich locker 50 Beispiele dieser Art auffinden können.
Replik auf TzudemR:
Oje, dieses Wochenende scheint zum Desaster für die österreichische Rechtswissenschaft zu werden. Ganz offen, TzudemR: Wer immer Sie sind (Wiener Kollege?) – Sie wissen, dass die Zitierweise von Herrn Georg Kodek so nicht passen kann, oder? Sie sind ja Jurist und damit wissen Sie ja auch, dass eine Regel durch Regelverstoß nicht außer Kraft gesetzt wird. Dass es zu den Grundregeln wissenschaftlichen Zitierens kein „österreichisches derogierendes Gewohnheitsrecht“ geben kann, das dürfte Ihnen wohl klar sein?
Jetzt wäre ich aber gespannt, wie Georg Kodek aus dieser Geschichte herauskommen soll. Sie haben jetzt ein ganz neues Thema eröffnet.
Und das bei diesem Kaiserwetter…
>> Sie wissen, dass die Zitierweise von Herrn Georg Kodek so nicht passen kann, oder? <<
das ist eine sehr gute Frage und ganz zentral. Sie ist aber anscheinend auch für Herrn Weber derart unklar, dass er diesen offenen Brief verfasst hat. Ich persönlich habe in der Juristerei auch etwas wissenschaftlich gearbeitet (ein paar Glossen, Artikel, eine publizierte Dissertation) und halte dieses Zitat (meiner Erfahrung nach) nicht für ein Plagiat UND (das sage ich in dem anderen Kommentar) glaube ich, dass diese gesamte östReWi-Community dieses Zitat ebenfalls nicht als ein Plagiat bewerten würde.
Ich bin hier sehr tolerant und mich interessieren gerade abweichende Auffassungen! Nur bitte ich darum, dass sie belegt werden sollten. Ein Knaller ist etwa dieses Dokument, römisch I, hier vor allem die Punkte 8, 9 und 12: https://www.vdstrl.de/gute-wissenschaftliche-praxis/
Ich weiß nicht, von welchen Gerichten Sie hier sprechen, aber die Urteile, die ich bislang gesehen habe zitieren sehr wohl und sehr genau.
Zudem: Zwischen Urteilen und wissenschaftlichen Arbeiten besteht doch wohl noch ein Unterschied. Wir wollen doch hoffentlich keine Diplomarbeiten oder Dissertationen, die sich wie ein Urteil lesen, oder?
Bringen Sie doch ein paar Beispiele von Artikeln in anerkannten Zeitschriften, in denen die AutorInnen „möglichst wortnah ohne Anführungszeichen“ zitieren. Dann werden die betreffenden AutorInnen aber erhebliche Schwierigkeiten bekommen.
Beispiel aus der ÖJZ (habe jetzt den erstbesten Artikel genommen)
Georg Kodek, Vertragswidrigkeit und Mangelbegriff im neuen Gewährleistungsrecht, ÖJZ 2022/17, 103
Auf Seite 112 dieses Artikels steht:
Während bei Dauerrechtsverhältnissen die zeitliche Dimension der Aktualisierungspflicht klar vorgegeben ist, lässt die im Unionsrecht wurzelnde Regelung für Zielschuldverhältnisse den Rechtsanwender doch etwas „ratlos zurück“.
Zitiert wird (FN 96): Stabentheiner, ÖJZ 2021, 965 (972).
Dort steht: Während also bei Dauerrechtsverhältnissen die zeitliche Dimension der Aktualisierungspflicht klar vorgegeben ist, lässt die im Unionsrecht wurzelnde Regelung für Zielschuldverhältnisse den Rechtsanwender doch etwas ratlos zurück.
Anführungszeichen bei Kodek? Nein bzw nur bei „ratlos zurück“. Warum nur hier? Weil es ihm offensichtlich nur hier auf den genauen Wortlaut ankam. Der Rest wird zwar zitiert, man übernimmt aber nur Inhalt und nicht die Formulierung. Die ist zwar hier ebenso abgeschrieben, da es aber auf sie nicht ankommt, werden keine Anführungszeichen gesetzt.
Das ist in ReWi so üblich – wie auch SW anmerkt – und daher lege artis.
Schönen Tag
Sehr interessant, vielen Dank für das Beispiel.
Ich möchte dazu folgendes bemerken, ohne die beiden Quellen überprüft zu haben: In allen anderen mir bekannten Fächern wäre dieses Beispiel nicht nur nicht lege artis, sondern ein Plagiat. Es handelt sich um ein typisches Beispiel einer Bauernopfer-Referenz nach Lahusen (2006): Nur ein (kleiner) Teil des insgesamt Übernommenen wird als fremde geistige Leistung ausgegeben. Der Leser kommt ja nicht auf die Idee, dass der gesamte Satz von Kodek auch bei Stabentheiner zu finden ist, wenn nur zwei Wörter aus diesem unter Anführungszeichen gesetzt werden.
Die Juristen scheinen mir aus der ausgesprochenen Regel „Nur wenn es auf den Wortlaut ankommt, müssen Anführungszeichen gesetzt werden.“ eine unausgesprochene Regel zu machen: „Wenn es nicht auf den Wortlaut ankommt, darf ohne Anführungszeichen abgeschrieben werden.“. Nun, dann würde es in der Rechtswissenschaft eine geheime Regel geben, denn ich finde diese nirgends expliziert. Ja, es scheint weitgehend Usus zu sein, aber ist es auch gute oder schlechte Praxis? Können wir auch sagen, dass etwas schlechte Praxis ist, obwohl (weil?) es offenbar weit verbreitet ist?
Mich würden entsprechende Beispiele aus internationalen Publikationen sehr interessieren.
Herr Weber,
Sie schreiben in
„Der Leser kommt ja nicht auf die Idee,“
aber Sie meinen möglicherweise „Der nicht-juristische Leser kommt ja nicht auf die Idee,“.
Offenbar lesen Juristen das völlig anders, und wissenschaftliche Arbeiten richten sich in erster Linie an eine Fachleserschaft, nicht an die allgemeine Leserschaft.
Es scheint also auch hier so zu sein, dass Kriterien vieler restlicher GeWi hier in den ReWi einfach nicht in dieser Form anwendbar sind.
Die Stellen aus der Diss von Frau Zadic würden dann nicht nur kein Plagiat sein, wie Sie bereits anmerkten, sondern auch keine schlampige Arbeitsweise, eben deshalb, weil Juristen mit gutem Grund Anführungszeichen, Sperrung oder Schrägstellung eine andere Bedeutung zumessen und deshalb auch bei wörtlichen Zitaten nur durch Fußnote alleine und Quellenangaben kennzeichnen.
Damit ist dieser Fall für mich als Nicht-Jurist erledigt und ich hoffe, dass im Zuge der Diskussion auch durchgedrungen ist, dass ebenso die von Ihnen angesprochene Mathematik ganz anders arbeitet.
Sie schreiben, Sie seien Nicht-Jurist. Woher wissen Sie dann, dass das Juristen anders lesen? Ich kenne einige (die sich zum Teil auch hier äußern), die das ganz anders sehen als Sie.
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der juristischen Zitierweise und den Defiziten in den Lehrbüchern.
Ähnlich wie Herr Slateff muss ich Ihrer Aussage „Der Leser kommt ja nicht auf die Idee, dass der gesamte Satz von Kodek auch bei Stabentheiner zu finden ist, wenn nur zwei Wörter aus diesem unter Anführungszeichen gesetzt werden.“ widersprechen (aus Sicht eines Juristen).
Ich käme zB gar nicht auf die Idee dass nur die beiden Wörter übernommen worden sind. Für mich bedeutet ein Zitat, dass die Idee nicht von mir stammt. Ich kann mir zB kaum vorstellen, dass Herr Prof. Stabentheiner (https://eur-int-comp-law.univie.ac.at/team/externe-lehrbeauftragte/stabentheiner-johannes/ – leicht zu erreichen, wenn Sie ihn fragen wollen) mein Beispiel als Plagiat ansehen würde. Ich kann mir sogar eher vorstellen, dass er über die Frage lachen würde, weil es ein so klares Nein wäre.
Ihr Beispiel aus Ihrem offenen Brief ist für mich schon etwas anders gelagert, da ein ganzer Absatz abgeschrieben wird, zitiert wird aber nur am Ende des Absatzes. Auch sowas habe ich in meiner Tätigkeit früher (Assistent an einem Institut, habe dort Bachelorarbeiten iZm meinem Prof betreut/geprüft) gesehen. Das ist halt schleißige Arbeit, man merkt sofort, dass der Schreiber nicht nachdenkt. Es sind dann auch meistens (wissenschaftlich gesehen) wertlose Arbeiten. Was ja an sich für eine Bachelorarbeit kein Problem ist, da hier nichts Neues geleistet werden muss (so die mir bekannte Definition einer Bachelorarbeit).
Ein Plagiat würde ich (aus Juristensicht) darin nicht sehen, weil mir dennoch weiterhin (völlig) klar ist, dass keiner dieser Gedanken von ihm stammen („nicht von ihm zum ersten Mal gedacht“).
Lieber TzudemR, ich muss hier mal was Grundsätzliches bemerken: Ich versuche ja immer, meine Auffassungen mit Quellen zu belegen. Obwohl das hier keine wissenschaftliche Textsorte ist, sondern ein Blog. Hat sich in unserer Kultur bewährt, womit wir wieder beim Thema Zitieren sind. Nun habe ich Lahusen (2006) angeführt und seine Einführung des Begriffs der „Bauernopfer-Referenz“. Ich habe argumentiert, dass das unter Anwendung von Lahusen als Plagiat zu klassifizieren ist. Gilt für einen Text aus dem Jahr 2021, denke ich.
Sie schreiben hingegen einfach, was für Sie gilt, auf welche Idee Sie (nicht) kommen, was Sie sich (nicht) vorstellen können – und aus. Haben Sie bitte auch Quellen für Ihre Ansichten?
Und zweitens: Das Snippet aus dem offenen Brief stammt nicht aus einer Bachelorarbeit, sondern aus einer Diplomarbeit. Steht auch oberhalb des Snippets!
LG
Vl sollte ich hier etwas zu meinem Beitrag klarstellen. Ich habe diese Diskussion mit Aufmerksamkeit verfolgt und halte sie für sehr gewinnbringend!
Ich wollte daher einfach nur etwas mehr Licht auf den Status Quo werfen. Da Herr Lege Artis ÖJZ und NJW erwähnt hat, habe ich das Beispiel aus der ÖJZ gebracht.
Anschließend habe ich nur meine Meinung wiedergegeben. Ich erhebe keinerlei Anspruch dass das
1. richtig ist
2. selbst wenn es den Status Quo wiedergibt, dieser auch so sein soll.
Ich stimme eig ganz grundsätzlich Ihrem Befund zu, dass über diese Themen es in der bezughabenden Literatur (AZR, leg cit, NZR) keine Auseinandersetzung gibt und dass in der Praxis idR über „Gefühl“ und weniger über formale Regeln gemacht wird.
Ich kann daher keine Zitate geben, da es sich nur um Anekdoten meiner persönlichen Erfahrungen handelt. Daher kontne ich auch keine Diplomarbeiten referenzieren, da ich solche nie in der Hand hatte (und es diese ja auch auf dem Juridicum nicht gibt)
Ihr Beispiel und Fund ist eh souperb, nochmals danke dafür. Ich finde die Diskussion auch sehr wichtig. Aber eben nur Gefühle und persönliche Einschätzungen helfen uns letztendlich nicht weiter in der Wissenschaft.
Noch zur Ergänzung:
Im medial diskutierten Beschluss des OGH vom 15.12.2021, 7 Ob 197/21b (Löschung von Facebookpostings in Familienangelegenheiten) findet sich z.B. folgende Passage: „Neben dem Wahrnehmbarmachen (Verbreiten) soll ausdrücklich auch das Wahrnehmbarhalten verboten werden können. Damit kann der Antragsgegner etwa auch dazu verhalten werden, bestimmte digitale Inhalte insbesondere aus dem Internet zu entfernen (Löschung). Dies setzt selbstverständlich voraus, dass ihm die Entfernung oder deren Veranlassung möglich ist (Initiativantrag aaO 46). Dem Antragsgegner kann daher ein aktives Tun auferlegt werden, nämlich dafür zu sorgen, dass die Verletzungen wieder beseitigt werden. Das kann etwa durch Löschen von Bildern oder Beiträgen auf einer Seite eines sozialen Mediums geschehen, aber auch durch die Entfernung von Plakaten oder Teilen davon (Pesendorfer aaO 371; vgl Sailer in Deixler-Hübner, Kommentar zur Exekutionsordnung, 382g EO Rz 7 [31. Lfg, Dezember 2020]; Mayrhofer in Deixler-Hübner, Handbuch Familienrecht2 [2020] 220).“
Bei Pesendorfer, iFamZ 2019, 367 (371) steht: „ Neben dem Verbreiten (Wahrnehmbarmachen) von Tatsachen oder Bildern ist ausdrücklich auch das Wahrnehmbarhalten vom Verbot erfasst. Dem Antragsgegner kann daher ein aktives Tun auferlegt werden, nämlich dafür zu sorgen, dass die Verletzungen wieder beseitigt werden. Das kann etwa durch Löschen von Bildern oder Beiträgen auf einer Seite eines sozialen Mediums geschehen, aber auch durch die Entfernung von Plakaten oder Teilen davon.“
Die oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtsangelegenheiten – ein Plagiator? Die angeforderten Beispiele in Artikeln hat Ihnen TzudemR mit einem der angesehensten österreichischen Zivilrechtler auch schon geliefert. Ich denke, eine Abrüstung wäre jetzt (wieder) angebracht. Und dass Dissertationen und sonstige Abschlussarbeiten einen anderen Stil aufweisen als Gerichtsentscheidungen liegt auf der Hand; warum soll das aber für die Zitierung gelten? Die ist dasselbe Handwerkszeug dort wie da.
Herr Weber,
noch eine späte Antwort zu ihrer Anmerkung.
Als Nicht-Jurist kann ich durchaus darüber schreiben, wie ich als Nicht-Jurist das lese, und wie ich mir vorstellen kann, dass andere Nicht-Juristen das lesen. Wie das Wort „offenbar“ andeutet, ist das Lese-Verhalten von Juristen nur eine naheliegende Vermutung meinerseits, naheliegend auch deswegen, weil sich auch in Ihrem blog hier anonym einige anscheinende Juristen geäußert haben.
Grundsätzlich halte ich es für wichtig, unterschiedliche Stile oder Gepflogenheiten in unterschiedlichen Disziplinen zu trennen. Was in gewissen Geisteswissenschaften Usus ist, mag möglicherweise für die Rechtswissenschaften nicht gelten. Die Übertragbarkeit ist gering.
Darüber, dass in Mathematik (und auch Technik) überhaupt ganz andere Maßstäbe gelten, hatte ich schon an anderer Stelle geschrieben.
Ich finde auch eine Übertragbarkeit von Vorschriften anderer Länder oder anderer Unis oder anderer Journals nicht wirklich gegeben und wäre sehr vorsichtig damit, jemandem daraus einen Strick zu drehen.
Zu ihrer immer wieder aufgeworfenen Frage, warum das in Österreich möglicherweise anders ist oder schlampiger sein darf: Möglicherweise liegt es einfach am anderen Lebensverständnis und anderen Gemüt. Christoph Waltz hat einen ganz netten bildlichen Vergleich gebracht:
Ein ähnliches Beispiel betreffend Sprache:
Nicht einmal in Südbayern versteht man die Mehrdeutigkeit und Blumigkeit des Wienerischen mit seinen Über- und Untertreibungen, die aber so gut wie nie wörtlich gemeint sind und in bundesdeutschen Medien dann immer wieder für Verwirrung sorgen, weil wörtlich interpretiert. „I bring Di um!“ ist in Wien keine Morddrohung, sondern nur eine affektierte Gemütsäußerung zum Ausdruck der Verärgerung.
In ähnlicher Weise benötigen deutsche Unis möglicherweise formal striktere Zitierregeln, während man das in Wien auch ohne versteht.
Pingback: Stefan Webers beschuldigingen van plagiaat zijn volgens Alma Zadic "dubieus en vals"
Das ist kein „Wortkettensampling“, das ist schon der erste Gedankenfehler. Jurist:innen zitieren möglichst wortnahe weil eine sinngemäße Wiedergabe häufig zu einem (manchmal unwesentlichen, manchmal wesentlichen) Abweichen vom Inhalt führt und damit die Aussage nicht komplett exakt wiedergegeben wird. Das ist keine wissenschaftliche Fehlleistung, sondern ein anderes Arbeiten als in anderen Disziplinen. Auch die Gerichte geben frühere Rechtssätze wörtlich wieder ohne Anführungszeichen zu setzen. Was wäre auch der Mehrwert einer solchen Auszeichnung?
Ich selbst habe meine Diplomarbeit im geisteswissenschaftlichen Bereich an der Uni Innsbruck verfasst. Bei uns wurde dem korrekten Zitieren von Beginn des Studiums an insofern eine hohe Bedeutung beigemessen, als bereits im ersten Studienabschnitt zahlreiche Proseminararbeiten zu verfassen waren, bei deren Beurteilung stark auf Formalitäten geachtet wurde. Zu dem Zeitpunkt, als es die Diplomarbeit zu verfassen galt, war ich in diesem Bereich schon äußerst routiniert. Von Medizinern, Juristen aber auch einem Physiker in meinem Bekanntenkreis bekam ich damals allerdings mit, dass dem ‚“pedantischen“ Zitieren an deren Falultäten keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. So bekam ich von besagtem Physiker etwa Sätze zu hören wie“Was? Einen Zeitschriftenartikel zitiert ihr anders als etwa ein Zitat aus einer Monographie?“. An deren Instituten hieß es „Hauptsache einheitlich und nachvollziehbar“, aber es wurde weder ein Zitierstil vorgeschrieben noch wurde das korrekte Zitieren gelehrt. Zudem gelten in der Physik oder in der Medizin viele Dinge als ‚allgemeines Gut‘. So werden etwa Newton’sche Gesetze nicht zitiert, da diese jeder kennt. An jenen Instituten schreiben Studierende beim Verfassen der Diplomarbeit zum ersten Mal eine solche Arbeit, da der Fokus während des Studiums auf völlig anderen Dingen liegt. Die meisten streben zudem im Anschluss keine wissenschaftliche Karriere an. Also kann meiner Meinung nach kein Jurist etwas dafür, wenn manche Dinge in der Diplomarbeit nicht hundertprozentig korrekt zitiert werden. Meist ist ja wohl auch aus dem Kontext ersichtlich, dass der Inhalt nicht auf einer Neuerkenntnis des Autors basiert.
Auch möchte ich anmerken, dass es auch im geisteswissenschaftlichen Bereich passieren wird, dass Phrasen zwar paraphrasiert werden, aber Wortketten teils ‚ohne böse Absicht‘ übernommen werden, ohne dass diese immer gleich in Anführungszeichen gesetzt werden. Hier sollte meiner Meinung nach auch der Inhalt ebendieser Wortketten abgewogen werden: Handelt es sich bei dem Inhalt um eine Definition oder um eine brisante Erkenntnis, die auf der Forschung des Autors der Originalquelle basiert, wäre diese selbstverständlich unter Anführungszeichen zu setzen, wenn sie wörtlich übernommen wird. Wenn allerdings ein paar Wortfetzen aus einer Originalquelle wie beispielsweise ‚“Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 ist eines der bedeutendsten Werke dieser Epoche‘ in einem Satz in einer Diplomarbeit wörtlich übernommen werden, so würde ich bei solch ’nichtssagendem Allerweltswissen‘ nicht zu hart ins Gericht gehen, sofern die Quelle eh angegeben ist, aber halt die Anführungszeichen fehlen. Vor allem, wenn der Satz etwa paraphrasiert wird mit „Bei Tschaikowskis Klavierkonzert Nr. 1 handelt es sich um eines der bedeutendsten Werke aus dieser Zeit“ wird kaum jemand den wörtlich übernommenen Teil „eines der bedeutendsten Werke“ in Anführungszeichen setzen, da es sich hierbei ja nicht um eine individuelle Formulierung über eine bahnbrechende Erkenntnis des Originalquellenautors handelt.
Deshalb würde ich meinen: sofern augenscheinlich nicht ganz offensichtlich wörtlich über eine längere Passage hinweg abgeschrieben wurde, und sofern die Quelle schlicht und einfach nirgends steht, oder sofern Anführunszeichen nicht bei Inhalten aus der Originalquelle fehlen, bei denen im Wortlaut das geistige Eigentum des Originalquellenautors steckt, würde ich da nicht zu hart ins Gericht mit den Verfassern gehen.
Wie sehen Sie das, Herr Weber?
Hallo Andreas Slateff,
nein, ich beziehe mich nicht nur auf die kontinentaleuropäische Tradition, sondern auch auf die Common-Law-Welt. Wie in chinesischer oder arabischer rechtswissenschaftlicher Literatur zitiert wird, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich kenne aber internationale Journale aus diesen Räumen (erscheinen bei Oxford University Press und bei Brill/Martinus Nijhoff, auf Englisch). Der Standard in diesen Journals ist sehr hoch. Man kann sich nun fragen: Sind das überhaupt noch „chinesische“ oder „arabische“ Journale? Ja und nein. Der wissenschaftliche Standard ist mittlerweile ein weitgehend einheitlicher (und wir könnten hier eine lange Diskussion darüber führen, ob sich hier „europäische“ Standards letztlich durchgesetzt haben und ob das „fair“ sei; es ist halt so).
Und damit sind wir schon beim nächsten Punkt, den – so glaube ich – vielleicht auch unausgesprochen Kollege Weber ganz zentral im Auge hat: Unabhängig davon, wie wir zu diesen Formalismen persönlich stehen: Der internationale rechtswissenschaftliche Diskurs (der immer mehr auf Englisch geführt wird, wenn er grenzüberschreitend erfolgt) folgt eben gewissen Standards, die unbeanstandet von der „internationalen Mainstream-Rechtswissenschaft“ respektiert werden. Sollte man Österreich hier einen „Sonderweg“ in dem Sinne offen lassen, dass hier schamlos abgeschrieben werden kann, am Ende vielleicht eine Fußnote, aber ansonsten alles Wort für Wort übernommen werden kann? Eh egal, liest ja keiner außerhalb Österreichs, ist ja auf Deutsch und deutschsprachige österreichische Rechtsliteratur lesen nicht einmal die Bundesdeutschen? Sollte das unsere Haltung sein? Ich glaube nicht. Schlampiges, fehlerhaftes Arbeiten muss als solches auch qualifiziert werden. Wir haben Standards, diese gelten in den USA, in Großbritannien, in Frankreich, in Deutschland – bemühen wir uns, diese auch in Österreich anzuwenden. Gerade österreichische JurstInnen sind ja so titelverliebt: Sorgen wir dafür, dass diese Titel einigermaßen verdient sind und auf Leistungen beruhen, die internationalen Standards entsprechen.
Man muss schon auch bewerten, was zur Zeit der Einreichung und am Ort der Einreichung üblich war. Wenn es 2017 in Österreich an einigen juridischen Instituten durchaus üblich war, auf diese Art und Weise zu zitieren – auch bei wörtlichen Übernahmen, solange keine Norm im Wortlaut zitiert wird – dann muss man leider auch 2022 akzeptieren, dass es 2017 eben so war.
Nulla poena sine lege scripta, praevia [!], certa et stricta.
Davon unabhängig ist zu diskutieren, ob österreichische juridische Institute in der Zukunft strengere schriftliche Regeln verfassen und deren Einhaltung einfordern.
1. Noch wissen wir nicht, ob es üblich war.
2. Ihre Anregung im letzten Satz teile ich!
Jahrhunderte galt das Kopieren und Paraphrasieren als kulturelle Höchstleistung. Diese Zeiten sind vorbei. Gefragt ist heute der eigene Kopf. Da dieser in der Regel, um mit Schopenhauer zu sprechen, bei den meisten nicht viel hergibt, wird Fremdes abgeschrieben und als Eigenes ausgegeben.
Damit das wissenschaftliche Publikum nicht getäuscht werde, bedarf es fester Regeln, um das geistige Eigentum zu schützen. Dabei geht es nicht um Originalität, in der Wissenschaft eine Seltenheit, sondern um die Mühe der eigenen Formulierung, der sich der Plagiator entzieht, weil er lieber den kürzeren müheloseren Weg geht. Hier sind strenge Regeln unerlässlich, damit keine Zweifel aufkommen. So sind Quelle und der daraus Schöpfende vor allerlei Vorwürfen geschützt.
Noch eine Frage: Sollte eigentlich nicht auch berücksichtigt werden, in welchem Teil der Arbeit diese Mängel vorkommen? Ich meine damit: Gerade im geisteswissenschaftlichen Bereich bestehen die ersten – sagen wir – 30 Seiten aus einer Art Einführung. So wird etwa eine philosophische oder literaturgeschichtliche Strömung und deren Bedeutung erläutert, bei der mehr oder minder ausschließlich bereits vorhandenes Wissen zusammengeschrieben und paraphrasiert wird. Das, was auf den ersten 30 Seiten steht, kann man in vielen anderen Quellen (die man natürlich anzugeben hat) in anderen Worten nachlesen. Danach beginnt das ‚Herzstück‘ der Arbeit; das ‚Neue‘, das sich der Verfasser als Forschungsfeld zu eigen machte (wo Plagiate eigentlich gar nicht möglich sein sollten, da es sich um etwas „vorher in diesem Kontext noch nie Beleuchtetes“ handelt). Deshalb würde ich etwa im einleitenden Teil, wenn dort etwa die Biographie Wolfram von Eschenbachs skizziert wird, bei etwaigen Zitierfehlern nicht so streng ins Gericht gehen, da diesen Inhalt jeder auch auf Wikipedia nachlesen könnte. Anders sieht die Chose aus, wenn etwa im Herzstück der Arbeit, das wohl auf etwas ‚zum ersten Mal Erforschten‘ basieren sollte, geistiges Eigentum dreist abgekupfert wird.
Wird also im Fall einer Analyse einer Arbeit berücksichtigt, WO in der Arbeit diese Fehler passierten? Denn meiner Meinung nach kommt es stark auf den Grad der Originalität des Inhaltes an, wie ‚heiß‘ ein sogenanntes ‚Plagiat‘ ‚gegessen‘ bzw verurteilt werden sollte.
Fällt Ihnen etwas auf, Herr Weber?
Bei Aschbacher und jüngst bei Raab (beide ÖVP) haben die Medien sofort breit über die Plagiatsvorwürfe berichtet. Bei Zadic (Grüne) hingegen reagieren sie erst mal wie im Fall Baerbock (Grüne): Schweigen im Walde. Nur jene schreiben darüber, die bekanntlich mit den Grünen per se keine rechte Freude haben.
Auch das bewusste Verschweigen von Informationen kann bereits eine Lüge sein. Nicht immer de jure, aber zumindest de facto.
1. Den Plagiatsvorwurf gegenüber Frau Zadic habe nicht ich erhoben, sondern Kollege Manuel Theisen. Ich würde beim Ab- und Umschreiben von Frau Zadic nicht von Plagiaten sprechen, da Quellenangaben erfolgten.
2. Es ist ein kategorialer Unterschied zwischen allen drei Fällen: Aschbacher: Aus meiner Sicht Plagiate, Quatsch/Absurditäten und mangelnde Deutschkenntnisse. Raab: Einige Textplagiate, ein wenig Quatsch (Fehler). Zadic: Systematisch falsches Zitieren.
Wir können uns natürlich moralisch fragen, welche Qualität wir uns von der juristischen Dissertation einer Justizministerin erwarten dürfen.
Noch ein Hinweis, siehe Legaldefinition im UG (schon mehrfach hier erwähnt):
„Ein Plagiat liegt jedenfalls dann vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden. Dies umfasst insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers.“
Die Bedingung „ohne entsprechende Kenntlichmachung“ (gemeint ist immer: ohne Kennzeichnung durch Anführungszeichen oder durch sonstige optische Hervorhebung) ist bei Zadic erfüllt. Die Bedingung „ohne … Zitierung der Quelle“ (also ohne Quellenangabe, Referenz, Verweis…) ist bei Zadic nicht erfüllt. Daher aus meiner Sicht keine Plagiate, sondern systematisch falsches Zitieren. Aber man mag das strenger sehen, siehe Kollege Theisen. Man mag das auch entspannter sehen und sagen, das machen die Juristen so (dann muss ich aber keine Diss aus dem Fach mehr lesen, ich lese ungern Wortketten-Sampling).
Ich habe übrigens die aus meiner Sicht falsche Zitierweise schon vor vielen Monaten der Uni Wien gemeldet, und ich war da auch nicht der erste.
Ich lese den UG-Text etwas anders:
„ohne entsprechende Kenntlichmachung und [ohne] Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers“.
Das würde heißen, dass es zum Kennzeichen eines Plagiats zweier Sachen bedarf, die fehlen:
a) die Kenntlichmachung muss fehlen und
b) die Quellenangabe/Urheberangabe muss fehlen.
Fehlt nur eines dieser Kennzeichen, dann mag es kein Plagiat sein, man kann dann keinen Vorsatz geistigen Diebstahls oder Aneignung unterstellen, da die Quelle ja angegeben wurde. Auch wenn es besser wäre, beide Kennzeichen auszuführen und wörtliche Textpassagen als wörtliche Textpassagen zu kennzeichnen: Wie Sie schon an anderer Stelle anmerkten, ist es eher kein Plagiat, sondern nur eine unerwünschte (von wem unerwünscht? wo unerwünscht?) Arbeitsweise.
Vielen lesen den UG-Text offenbar als:
„ohne entsprechende Kenntlichmachung ODER Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers“.
Ich lese hier jedenfalls klar ein „und“. Ist ja auch nicht besonders schwer, wenn das „und“ auch im UG steht.
Das Problem besteht weniger in der Wortwahl „und“, sondern darin, dass es sich um einen mit „ohne“ eingeleiteten Teilsatz handelt, also um eine Art von Negation. Viele Menschen tun sich mit logisch korrektem Negieren schwer, insbesondere bei Konjunktionen mit „und“ oder „oder“.
Dozent Weber hat mich soeben auf die OSCOLA-Zitierregeln aufmerksam gemacht (selbstverständlich bekannt):
https://www.law.ox.ac.uk/sites/files/oxlaw/oscola_2006.pdf
Auf S. 5 wird das bestätigt, was wir hier seit Tagen diskutieren: Zitate sind auf jeden Fall zu kennzeichnen.
Das ist so klar, dass wahrscheinlich jeder Rechtswissenschaftler, der diese Regeln durchliest, darüber hinwegliest, aber gut, dass wir es hier – nochmals – schwarz auf weiß festgehalten vorfinden. Und diese Regel gilt natürlich auch im Kontext anderer Zitierrregeln, wobei selbstverständlich – wie schon gestern festgehalten, die Hervorhebung auch durch Einrückung, Kursivschrift u.ä. erfolgen kann.
Ja, Sie hatten also Recht, es ist so selbstverständlich, dass man es fast überliest. ABER: Bitte warum steht das nicht in AZR oder „leg cit“?
Wahrscheinlich, weil es so selbstverständlich ist…..
Lege artis,
wie können Sie als Jurist übersehen, dass in diesem Dokument ganz klar auf Seite 3 steht:
„It is used by the Oxford University Commonwealth Law Journal,“
Von Allgemeingültigkeit steht dort gar nichts.
Lieber Herr Slateff!
Ich schalte Ihre Beiträge gerne frei, aber bitte Sie hinkünftig, genauer zu recherchieren, bevor Sie hier falsche Anschuldigungen erheben.
„OSCOLA wird häufig in den Rechtswissenschaften bei englischen juristischen Texten verwendet.“
https://www.scribbr.de/richtig-zitieren/uebersicht-zitierstile/
Lieber Herr Weber,
auch wenn Sie tausend Beispiele finden, sind tausend Beispiele immer noch kein Beleg für Allgemeingültigkeit. Zwischen „tausend“ und „alle“ liegen Welten!
Antwort auf Andreas Slateff
Ich musste echt lachen, als ich die Ausführungen von Herrn Slateff betreffend meinen Beitrag zum Zitieren in den Rechtswissenschaften gelesen habe. Er fordert mich auf, nicht nur zwischen einzelnen Ländersituationen zu differenzieren, sondern auch noch zwischen einzelnen Universitäten, Fakultäten, „Nachbarschaften“… Schlichtweg unglaublich! Damit würde genau die Rechtswissenschaft aufhören, eine Wissenschaft zu sein!
Sehr geehrte Herr Slateff: Dann wäre das, was im angloamerikanischen Bereich strikt verboten ist (ganze Sätze ohne Kennzeichnung zu übernehmen, nur mit Fußnote am Ende) in Deutschland vielleicht zugelassen werden (vielleicht bei minimalem Paraphrasieren), in Österreich grundsätzlich erlaubt sein und an einzelnen Universitäten in Österreich sogar noch als „gute Wissenschaft“ gelobt werden! Nein, derart am Boden ist die Rechtswissenschaft glücklicherweise (noch) nicht!
Und zu „Offenkundigkeit“ vs. „Privatmeinung“: Blicken Sie doch einmal in ein (anerkanntes) juristisches Journal (gestern sind hier die Harvard Journals erwähnt worden), dann sehen Sie, wie in der Praxis in renommierten Journals (aber nicht nur dort) zitiert wird. Sie können auch gerne in Deutschland die NJW heranziehen oder in Österreich die ÖJZ oder die JBl: Zeigen Sie mir Beispiele dafür, dass in diesen Zeitschriften ganze Sätze von anderen Autoren übernommen wurden und am Ende nur eine Fußnote gesetzt wurde! Ich bin überzeugt, es wird Ihnen nicht gelingen und wenn ja (eine gelungene Schwindelei ist noch keine Aufgabe der Regel, das müsste eigentlich klar sein), dann wird der betreffende Autor/die betreffende Autorin erhebliche Schwierigkeiten mit der Zeitschriftenredaktion bekommen (und hoffentlich auch an der eigenen Universität)!
Dennoch war Ihr Beitrag wertvoll in dem Sinne, dass er ein gravierendes Missverständnis zum Ausdruck gebracht hat. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade ein paar Personen, die an den Schalthebeln der Kontrolleinrichtungen sitzen, ähnlich denken. Umso wichtiger wäre eine Antwort der von Dozent Weber angeschriebenen Wissenschaftseinrichtungen.
Liebe Lege artis! Könnten Sie ev. Quellenangaben zu diesbezüglichen internationalen Zitiermanuals/publication guides posten? Dann hätten wir das schwarz auf weiß.
LG
Lieber Herr Dozent Weber,
gute Frage, die Sie unten stellen. Solche schriftliche Anleitungen wären mir auf Anhieb jetzt auf Anhieb auch nicht präsent. Diese Regeln sind einfach derart gängige Praxis, dass niemand sie positivieren muss. Da genügt ein Blick in die Literatur. Wer das nicht schon bei der Erstellung der vorwissenschaftlichen Arbeit in der Schule gelernt hat, der wird das indirekt bei der Lektüre wissenschaftlicher Texte verinnerlichen, wenn schon der Dissertationsbetreuer im Seminar nichts dazu sagt (was er/sie aber sollte!).
Weshalb kommt es dann gerade in österreichischen Dissertationen immer wieder zu solchen Verstößen gegen die gute wissenschaftliche Praxis? Vielleicht weil diese Arbeiten vor einer echten wissenschaftlichen Tätigkeit verfasst werden und natürlich auch in den betreffenden Fällen die Betreuung versagt bzw. nicht gegeben ist.
Nochmals: Die von Ihnen angeschriebenen Wissenschaftsinstitutionen könnte hier ein wichtige Klärung herbeiführen (für die paar „Rechtswissenschaftler“, die das nicht selber verstanden haben, schlecht oder nicht betreut wurden und/oder noch zu wenig gelesen haben).
Hallo Lege artis,
danke für Ihre Antwort und schön, dass ich in diesen schweren Coronazeiten zu Ihrem Amusement erfolgreich beitragen konnte! [Gelöscht von der Moderation: Wir diskutieren hier bitte sachlich.]
Vielleicht meinen Sie vor allem Römisches Recht und nachfolgende Rechtssysteme? Es gibt übrigens durchaus auch die Haltung, Rechtswissenschaften den Status einer Wissenschaft überhaupt abzuerkennen, und auch der berühmte kritische Vortrag im 19. Jahrhundert
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Werthlosigkeit_der_Jurisprudenz_als_Wissenschaft
sollte nicht unerwähnt bleiben.
Zitieren alleine kennzeichnet noch keine Wissenschaft („Cargo cult science“ – vgl. gleichnamigen Vortrag von Richard Feynman, zu ergooglen im Internet), und umgekehrt können wissenschaftliche Erkenntnisse durchaus auch ganz ohne Zitate gewonnen werden. (In Albert Einsteins bekanntester Arbeit, in der die populäre Formel E=mc^2 vorkommt – aber nicht bewiesen wird – gibt es kein einziges Zitat und keine einzige Quelle.)
Sind Sie sich wirklich ganz sicher, dass im islamischen Fiqh ebenso ausführlich und detailliert zitiert wird, wie in Deutschland? Oder im chinesischen Recht? Übrigens zitiert nicht einmal der Vatikan in seinen kirchenrechtlichen Publikationen so ausführlich und detailliert, wie bundesdeutsche Juristen.
Hallo Herr Weber,
zur Ihrem Wunsch klarer Zitierregeln in der Mathematik: In der Mathematik als Formalwissenschaft besteht die disziplinäre Strenge nicht im Zitieren von Personen oder Arbeiten, sondern im strengen mathematischen Beweis und dessen Niederschrift.
Es gibt mehrere Theorien darüber, was Mathematik eigentlich ist und welche Arbeit Mathematiker eigentlich leisten. „Grundsätzlich“ ist es mehr oder weniger so, dass mit dem Aufstellen eines Axiomensystems und der Regeln einer Logik „typischerweise“ bereits festliegt, welche mathematischen Sätze dann wahr sind oder falsch, bzw. welche bewiesen werden können. Nach einer der verschiedenen Auffassungen schreiben Mathematiker dann nur noch nieder, dass gewisse Sätze wahr sind und begründen das mittels mathematischen Beweises. Das heißt, es liegt nach dieser Auffassung mitunter überhaupt keine eigene Gedankensleitung vor, sondern eher eine Arbeit, die der eines Notars, Buchhalters oder Kopisten gleicht. Beweise könnten zu einem gewissen Grad auch völlig automatisch von Maschinen ausgeführt werden.
Da das bis zu einem gewissen Grad jedem mathematisch Tätigen klar ist (oder diese Auffassungsmöglichkeit zumindest jedem klar sein sollte), gilt es als selbstverständlich, dass sämtliche mathematischen Arbeiten nur auf anderem aufbauend sein können. Wenn Sie so wollen, besteht ein Großteil der mathematischen Arbeit dann gerade in einer Art „Collage“ und „Zusammenfassung“ im Sinn von Verkürzung einer Beweisführung und Niederschreibens wahrer mathematischer Sätze und korrekter Beweise. Eine geistige Leistung kann es dabei sein, herauszufinden, dass sich mit dem Definieren von „Abkürzungen“ bzw. „Abkürzungsnotationen“ (der Definition eines „neuen“ „mathematischen Objekts“) eine besonders kurze („elegante“) Beweisführung ergibt, bzw. die Erkenntnis, dass gewisse Argumentationschritte immer wieder nützlich sind, auch in anderen Situationen.
Darüberhinaus ist Mathematik gewissermaßen intersubjektiv: Im Unterschied zu vielen Geisteswissenschaften, bei denen es eine ganz große Rolle spielt, dass dieser oder jener Autor gewisse Sichtweisen auf einen Sachverhalt hat und deswegen zu zitieren ist, hat die Mathematik als formalistische Methodik eben den intersubjektiven mathematischen Beweis, und zwar völlig losgelöst von Personen. Der vollständige, korrekte Beweis ist etwas, was Geisteswissenschaften oder ganz allgemein andere Wissenschaftsdisziplinen nicht haben.
Bei Prioritätsstreitigkeiten in der Mathematik geht es in diesem Sinn dann darum, festzustellen, wer als erster „erkannt“ hat, dass es sich lohnt, niederzuschreiben bzw. festzuhalten, dass eine gewisse mathematische Aussage wahr ist. Oder dass es sich lohnt, gewisse Notationen, Abkürzungen, Benennungen durchzuführen, zwecks einer „sprachlichen“ „Vereinfachung“. oder dass es „sich“ „lohnt“, de Niederschrift in gewisser Art durchzuführen.
Eine zusätzliche Formalisierung für/durch/mittels Zitierregeln, wie Sie sie sich für die Mathematik zu wünschen scheinen, erübrigt sich insofern, als bereits durch und durch formalisiert wurde, was als mathematischer Beweis gilt. Oder anders ausgedrückt: Das, was gewisse Wissenschaftsdisziplinen an Formalisierung durch das Zitat benötigen, ist in der Mathematik bereits durch die Beweisregeln formalisiert.
Als „Plagiatsprüfer“ hätten Sie daher in der Mathematik dann viel mehr zu prüfen, ob in einer mathematischen Arbeit etwas als „korrekter Beweis“ behauptet wurde, was in Wahrheit unvollständig war, bzw. ob die Argumentation in der Beweisführung für Sie ausreicht, das Niedergeschriebene als Beweis anzuerkennen.
Mathematische Arbeiten werden dann auch weniger wegen des Fehlens eines Zitats oder einer schlampigen Zitierweise zurückgezogen, sondern wegen unvollständiger Beweise, wegen fehlerhafter oder falscher Beweise.
In diesem Sinn arbeitet die Mathematik gerade wegen der bereits erfolgten strikten Formalisierung völlig anders, als andere Wissenschaftsdisziplinen, und es ist jedem innerhalb der Disziplin klar – bzw. sollte klar sein -, dass sogar die „selbst erbrachte Leistung“ eigentlich intersubjektiv ist, und eigentlich nur das „Buch der Mathematik, als Katalog niedergeschriebener wahrer mathematischer Aussagen, weitergeschrieben wird“.
Das Zitieren in der Mathematik geschieht nicht unbedingt wegen einer Urheberschaft, sondern zum Nachweis, dass sich ein Teil der ausgelassenen Beweisführung in dieser oder jener Arbeit finden lässt.
Von der eigentlichen Mathematik abgesehen, die man formalistisch auch rein im Definition-Satz-Beweis-Stil betreiben und publizieren könnte, besitzt der restliche Text oft einen eher eingeschränkten Wortschatz, unterliegt dort als außermathematischer Teil aber natürlich dann den üblichen Zitierregeln.
Das Wort „Collage“ habe ich in obigem Text ganz bewusst verwendet, um anzudeuten, dass es für einen Plagiatsjäger durchaus ungewohnt sein könnte, dass eine ganze Wissenschaftsdisziplin an sich einen Teil einer Arbeitsweise verwendet, der in einer anderen Disziplin verpönt ist. Mit der Collage meinte ich eine für den Autor taugliche Zusammenstellung eines Ausschnitts des „Buchs der Mathematik“; die Collage dieses Ausschnitts ist überhaupt nur deshalb möglich, weil in der Mathematik „üblicherweise“ bereits festliegt, welche Aussagen „wahr“ sind und gemäß dieser Auffassung nur noch niedergeschrieben werden.
Die automatische zwingende Folgerung der „Wahrheit“ vieler mathematischer Aussagen, und somit eine gewisse grundsätzliche Abwesenheit geistigen Eigentums, gibt es in den Geisteswissenschaften ebenso nicht, sondern aufgrund der Unschärfe in den GeWi bedeutet jede Aussage mehr oder weniger eine Interpretation oder Sichtweise des Autors. Manche Gedankengänge und Argumentationen in den GeWi mögen zwar naheliegend sein, so zwingend wie in der Mathematik sind sie jedoch nicht.
Zum Verpönten: Auch umgekehrt verwenden GeWis Methodik, die in der Mathematik verpönt ist. Nämlich jene, keine strikten Beweise zu führen, sondern stattdessen Handwaving, Interpretationen, Auslegungen, subjektive Sichtweisen oder Vergleiche des Autors zu bringen.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass auch Plagiatsjäger sich daran anpassen sollten, was in einer etablierten Disziplin üblich ist, anstatt quasi „vom Schreibtisch aus“ mit einer einzigen formalistischen Zitierauffassung, die für zum Beispiel GeWis angebracht ist, über alles andere drüberfahren zu wollen und der anderen Disziplin vorschreiben zu wollen.
Ich vermute, dass Ihre formalistische Auffassung des geistigen Eigentums und dessen Kennzeichnung spätestens bei der heutigen Mathematik an Grenzen stößt. An Grenzen, die Sie bereits in jener Form wahrnahmen oder angedeutet bekamen dadurch, dass Ihnen auffiel, in der Mathematik werde „anders“ oder vielleicht sogar „gar nicht“ systematisch zitiert. Die Ursache dafür möge vielleicht in der gewissen grundsätzlichen „Abwesenheit geistigen Eigentums“ liegen: Der mathematische Schluss in Peano-Arithmetik und üblicher Notation „Wenn 1+1=2 und 2+2=4, dann ist (1+1) + (1+1) = 4.“ ist niemandes geistigen Eigentums.
„[…] ist niemandes geistiges Eigentum.“ hätte es heißen sollen.
Danke für die Freischaltung!
Ein netter Vortrag von Jean-Pierre Serre
(bzw. das Originalvideo mit kaum verständlichem Ton
)
mit dem Titel „How to write mathematics badly“ bringt etliche Beispiele einer unsauberen mathematischen Arbeitsweise, die dann als „schlechte Mathematik“ oder „schlecht durchgeführte Mathematik“ gilt, aber dessen ungeachtet leider oft vorkommt.
(Der Vortrag von Jean-Pierre Serre richtet sich an Mathematiker, kann aber auch dem Nicht-Mathematiker vielleicht einen gewissen Eindruck vermitteln.)
Einiges, was in GeWis durch schlechte, fehlende oder mangelnde Zitate auffällt, hat als „schlechte Mathematik“ auch sein Pendant in der Mathematik und wird im Vortrag von Jean-Pierre Serre angesprochen. In der Mathematik nennt man das durchaus „cheating“, auch wenn es sich nicht direkt um Betrug im strafrechtlichen Sinn handelt, sondern nur um fehlerhafte oder mangelnde Beweisführung. Derartige Lücken oder Schlampereien sollten nicht vorkommen, sind aber leider Alltag und durchaus auch dem Mensch-Sein geschuldet.
Darüberhinaus werden auch in der Mathematik in der Kommunikation nicht nur strikte formale Beweise im Sinn der Mathematischen Logik rein symbolisch geführt und publiziert – diese wären für die meisten menschlischen Mathematiker kaum oder nur schlecht lesbar, für Maschinen jedoch um so besser verwertbar -, sondern sie werden durchaus abgekürzt in menschlicher Hochsprache wiedergegeben. Akzeptiert wird das dann, wenn in der Community (bzw. bei den Reviewern) ausreichend „klar“ ist, dass und wie sich das schnell komplett formalisiert niederschreiben ließe.
Beispiele dafür, dass das auch daneben gehen kann, deutet Jean-Pierre Serre an. Auch bringt er seine Erfahrung, dass viele Fehler gerade in jenen Teilen eines Beweises vorkamen, die für „offensichtlich“, „offenkundig“, „selbstverständlich“ oder „trivial“ gehalten wurden. In vielen Fällen ist es tatsächlich mathematisch (bzw. für Mathematiker der eigenen Disziplin) trivial, in vielen Fällen stellte sich hinterher leider heraus, dass es doch nicht so trivial war, bzw. ein Detail übersehen wurde und der Beweis daher eine Lücke hat.
Ein nicht vollständig bewiesener Satz heißt in der Mathematik eine „Vermutung“, und erst mit einem Beweis wird aus einer Vermutung oder einer Behauptung ein mathematischer Satz. Das war zwar historisch nicht immer so, die strikte Formalisierung der Mathematik erfolgte erst in den Jahrzehnten um etwa 1900, sollte heute aber ein klarer Qualitätsstandard sein.
Mathematische Skandale sind eher Arbeiten, die etwas Unbewiesenes groß behaupten, vielleicht gar in der Überschrift oder im Abstract, und dann doch etwas ganz anderes bieten. Dass ganze Arbeiten abgeschrieben werden kommt leider auch vor – und ist dann tatsächlich auch ein klares Plagiat wie in den GeWi – ist aber sehr selten, weil sich wegen der hohen Informationsdichte und des hohen symbolischen Schreib- und Korrekturaufwands kaum jemand die Mühe macht, etwas komplett neu nocheinmal zu LaTeXen, sondern lieber gleich verweist oder nur verweisend zusammenfasst.
Herr Weber, in der Mathematik zitiert man Trivialitäten schlampig (ohne Anführungszeichen) und wesentliche Aussagen (Sätze bzw. Theoreme, Lemmata, Propositionen, Beispiele, etc.) sauber (mit Quellenangabe). Texte selbst sind selten, kommen aber vor, und dann werden sie (sauber) mit Anführungszeichen gebracht. Der wesentliche Punkt ist, dass fundamentale Aussagen von anderen kaum erkannt würden, weil die in konkreten Kontexten mit eigener Notation wiedergegeben werden. Gekennzeichnet werden sie immer. (Insidern fallen Plagiate schnell auf, automatische und systematische Kontrollen sind alleine wegen der Typographie unmöglich.) Das ganze Thema ist unsofern schwierig, als sich die Frage stellt, was „normale“ Mathematiker:innen aus dem Handgelenk schütteln können (quasi als Übung für Student:innen), oder was wirklich originell ist. Viele Beweise sind so komplex, dass man sie nicht niederschreiben kann, ohne sich wirklich eingehend mit der Materie beschäftigt zu haben. Man wird also sofort beim Lesen merken, ob das alles stimmig ist (z.B. Beispiele, die zeigen, wo die Grenzen eines Theorems liegen, etc.) Mit „schlampig“ meine ich, dass man oft nur den ersten Beweis (in der Geschichte) erwähnt, oder jene Literatur, die einen Begriff definiert oder geprägt hat. Dazu muss man auch so eine Art „Zeitfenster“ berücksichtigen. Vieles, das wir heute verwenden, ist „Folklore“. Wir haben es in der Schule oder im Studium gelernt. Würde man all das „sauber“ zitieren, wäre die Mathematik noch unlesbarer als sie ohnehin schon ist ;-). Achtung: Das ist sehr komprimiert und pointiert. Auf Details kann ich gerne noch eingehen.
Hallo Herr Schrempf,
auch die von Ihnen angesprochene Folklore (zB. Lemma von Zorn, Satz von Hahn-Banach, ) sind ebenfalls Sätze, keinesfalls tirivial, werden aber typischerweise nie samt Quelle zitiert, sondern nur beim Namen genannt. In den meisten Publikationen zitiert man Trivialitäten gar nicht und wesentliche Aussagen „schlampig“ oder verkürzt. Ihre Behauptung, „gekennzeichnet werden Sie immer“, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.
Begründungen, warum es geistiges Eigentum in der Mathematik nicht oder nur bedingt gibt, finden Sie auch in den entsprechenden Erläuterungen dafür, warum es auf mathematische Sätze keine Patente gibt und warum sich auch das Thema „Diensterfindungen“ in der Mathematik nicht stellt.
Man mag das als schaffender kreativer Mathematiker möglicherweise anders empfinden und im Endeffekt vielleicht sogar darüber enttäuscht sein, dass man in einem gewissen Sinn eigentlich nur Tautologien niederschreibt, anordnet, symbolisiert und collagiert.
Lesbarkeit ist ein ganz wichtiger Punkt. Würde man zu den Formeln auch noch überall Fußnoten anbringen, dann wäre kaum mehr unterscheidbar, was eine hochgestellte Ziffer als mathematisches Symbol und was eine Fußnote sein soll. Das wäre also keinesfalls hilfreich, sondern viel mehr behindernd.
Da Sie über Studenten schreiben, mögen Sie möglicherweise in erster Linie Hausarbeiten oder Abschlussarbeiten an Unis beim Verfassen Ihres Kommentars im Kopf gehabt haben. Herrn Webers Fragestellung geht aber wesentlich weiter und würde auch alle wissenschaftlichen mathematischen Publikationen überhaupt betreffen.
Zitiert wird in der Mathematik eher nicht wegen Urheberschaft oder geistigen Eigentums, sondern als Hinweis darauf, wo sich der ausgelassene Teil der eigenen Beweisführung findet, oder zur Hilfe des Lesers, dass man auf eine ähnliche Beweisführung wie schon aus der zitierten Arbeit bekannt zurückgreift. Oder – leider – zur Begünstigung des eigenen Zitierklüngels; aber das ist ein anderes Thema. 🙂
Guten Abend!
In Harvard scheint man keine Anführungszeichen für Zitate vorzuschreiben:
https://www.scribbr.de/harvard-zitierweise/harvard-im-text/
Ausführlicher über Harvard Zitierweise:
https://www.die-bachelorarbeit.de/media/Harvard-Zitierweise_richtig.pdf
Im Chicago Manual of Style auch nix:
https://www.chicagomanualofstyle.org/tools_citationguide.html
Wo werden im europäischen Raum die Zitierregeln für akademische Arbeiten festgeschrieben?
Liebe Grüße!
Peter Nathschläger
Bitte informieren, bevor Sie solche Dinge schreiben. Es genügt, auf die Homepage des „Harvard International Law Journals“ zu gehen (frei zugänglich) und irgendeinen Artikel anzuklicken, dann sehen Sie, wie man beim HILJ zitiert. Hier ein x-beliebig ausgewählter Artikel:
https://harvardilj.org/wp-content/uploads/sites/15/HLI201_crop-3.pdf
Man zitiert in den USA so, wie man in Deutschland zitiert und wie man in Österreich zitieren sollte!
Wortwörtliche Zitate sind unter Anführungszeichen zu setzen (oder meinetwegen irgendwie anders kenntlich zu machen) und gerade dieser Artikel zeigt, dass dies eigentlich auch für Halbsätze gilt.
Versuchen Sie mal, beim Harvard International Law Journal einen Artikel einzureichen mit Sätzen aus anderen Texten und einer Fußnote am Ende: Dann werden die Ihnen weiterhelfen!
Wörtliches Zitieren ohne Anführungszeichen in der Rechtswissenschaft?
Ja, das ist durchaus möglich.
Wenn man den Text als Zitat einrückt oder zum Beispiel kursiv auszeichnet, kann man auch ohne Anführungszeichen in der Rechtswissenschaft wörtlich zitieren.
(Mäßig) guter Witz. So war die Frage nicht gemeint. Natürlich ist immer zu ergänzen: „ohne Anführungszeichen und ohne optische Kennzeichnungen wie etwa Einrückungen, Änderung des Schriftformats, des Schrifttyps, der Schriftgröße, des Zeilenabstands usw.“
Lieber Herr Schroder, lieber Herr Weber,
ich denke, Herr Schroder hat das genau so gemeint: Es bedarf eben einer Kennzeichnung als Zitat (Anführungszeichen, kursiv setzen, einrücken). Was eben nicht geht, ist Folgendes: Ohne weitere Kennzeichnung ganze Sätze zu übernehmen und am Ende eine Fußnote zu setzen. Dazu herrscht praktisch Einigkeit in der Rechtswissenschaft. Das ist gut so und das war zu erwarten. Sollte nur mal klargestellt werden. Damit steht die Norm außer Streit. Nun zum Tatbestand und zur Anwendung der Norm auf den Tatbestand:
Es liegen hier offenkundig Diplomarbeiten und Dissertationen aus dem juristischen Bereich vor, bei denen diese Regeln nicht eingehalten worden sind.
Die zuständigen Damen und Herren, die für die entsprechenden studienrechtlichen Maßnahmen verantwortlich sind, mögen ihres Amtes walten!
Hallo Lege artis,
ohne selber Jurist zu sein, wäre ich mit so allgemeinen Behauptungen wie „Dazu herrscht praktisch Einigkeit in der Rechtswissenschaft.“ sehr vorsichtig.
Welche Rechtswissenschaft meinen Sie konkret? Jene in Deutschland, jene in Ihrer Stadt, jene an Ihrer Fakultät?
Auch Ihr „offenkundig“ ist eine reine Behauptung. Für jemanden wie mich, der aus der eigenen Disziplin gewohnt ist, dass sich viele viele Fehler und Lücken einer Argumentation gerade in jenen Bereichen befinden, bei denen behauptet wurde, es sei „offenkundig“, „offensichtlich“, „trivial“ oder „selbstverständlich“, mutet es in diesem Diskussionskontext sogar etwas sehr sonderbar an. Sie mögen es vielleicht als „offenkundig“ empfinden, ich empfinde es so nicht.
Im 19. Jahrhundert und zur Zeit der Kolonialisierung war sich der westlich-europäische Kulturkreis auch im Klaren darüber, dass für uns „offenkundig“ sei und wir uns „praktisch einig“ seien, dass wir „die Zivilisierten“ seien und Ureinwohner Australiens, Schwarzafrikas, der Amerikas oder anderer außereuropäischer Regionen seien „die Wilden“.
Sie hätten auch schreiben können „Meiner Erfahrung nach“ oder „In meinem Umkreis der Rechtswissenschaften“.
Große allgemeine Behauptungen, besonders jene, die auch noch im Brustton der Überzeugung vorgebracht werden, haben meiner Erfahrung nach die Tendenz, in Wirklichkeit bei genauerer Betrachtung einfach nur falsch zu sein.
Ich stimme Herrn Slateff zu. Noch einmal meine Auffassung: Die Position von Lege artis wäre wünschenswert, sie würde einer idealen Wissenschaftswelt entsprechen. Ich würde sogar noch weiter gehen und würde regeln, dass Juristen immer Anführungszeichen zu verwenden haben, wenn sie Normtexte zitieren. Ich will als Leser nämlich immer wissen, was der Wortlaut des Gesetzgebers war und was nicht, ohne (in Österreich) im RIS nachlesen zu müssen. Ich kenne Juristen, die wünschen sich Anführungszeichen (und immer: oder sonstige optische Hervorhebungen) auch bei allen Zitaten von Normtexten. Ich kenne andere Juristen, die das ablehnen. Letztere behaupten, rechtswissenschaftliche Texte würden damit unleserlicher werden. Ich sehe das nicht so. Faktum ist: Ich habe in den vergangenen Jahren viele juristische Diplom- und Doktorarbeiten aus Österreich geprüft. Die Mehrheit besteht aus (fast) wörtlichen Wiedergaben von Normtexten und Judikatur zu mehr als 50 Prozent des Gesamttextes, ohne Anführungszeichen! „Plagiat“ habe ich das nur im ersten Jahr meiner Tätigkeit genannt! 😉
Eine Regel, dass Rechtswissenschaftler Normtexte immer unter Anführungszeichen zu setzen haben, würde allerdings mit der üblichen Zitierpraxis der Rechtsprechung kollidieren. In der Judikatur ist es völlig üblich, dass die Ausführungen von Kläger- und Beklagten-Seite „abgeschrieben“ werden, idealerweise im Konjunktiv 1. Auch ist es üblich, dass in jüngeren Urteilen Passagen aus älteren Urteilen ohne Anführungszeichen und nur mit Quellenangaben „abgeschrieben“ werden. Drittens arbeiten alle mir bekannten Gesetzeskommentare in Österreich so! Normtexte werden ohne Anführungszeichen wiedergegeben, außer es geht explizit um den Wortlaut. Man müsste dann eventuell sogar hier eine Veränderung diskutieren, oder man findet sich damit ab, dass Judikatur anders zitiert als Wissenschaft.
Was ich allerdings wirklich für eine bemerkenswerte Lücke in den Lehrbüchern halte, ist das Beschweigen des Themas! Es ist mir unverständlich, dass sich sowohl die „Abkürzungs- und Zitierregeln“ (AZR) als auch das Buch „leg cit“ den Themen Zitatinhalt und Markierung des Zitatinhalts mit keinem Wort widmen. Es sieht so aus, als habe sich die rechtswissenschaftliche Methodenliteratur bislang nur um Quellenangaben (Belege, Verweise) gekümmert. Die Modalitäten der Übernahme von Inhalten (wörtlich, paraphrasiert, im Konjunktiv, mit oder ohne Kennzeichnungen) waren nie ein Thema. Ich würde mich freuen, das breiter diskutieren zu können.
In institutsspezifischen Manuals finden sich solche Hinweise, siehe die parallel zur Debatte hier laufende Diskussion auf Twitter. Allerdings lese ich in allen Manuals bisher: Rechtswissenschaftlicher sollen mit Anführungszeichen und wörtlich nur in Ausnahmefällen zitieren und nur, wenn es auf den Wortlaut ankommt. Man ist kein Freund der Gänsefüßchen in der Juristerei. Warum das so ist, wäre m.E. auch ein Thema für ein (rechtshistorisches oder rechtslinguistisches) Forschungsprojekt.
LG
sw
Lieber Dozent Weber,
dass wortwörtlich übernommene Normtexte nicht unter Anführungszeichen zu setzen wären, wollen uns vielleicht ein paar Juristen einreden, die – wie Sie richtig schreiben – zu bequem sind, um Schlampereien der Vergangenheit zu beenden. Außerhalb des deutschen Sprachraums ist eine solche Verpflichtung auf jeden Fall völlig unbestritten., Von Urteilen/Rechtsprechung brauchen wir erst gar nicht zu sprechen. Und das ist keine byzantinische Formregel, sondern eine Frage der Brauchbarkeit der betreffenden Texte: Was soll ein Leser mit einem juristischen Text anfangen, von dem er nicht weiß, was Normtext, was Rechtsprechung und was Wertung/Analyse des Autors ist? Selber jeweils Erhebungen anstellen?
Und diese Schlampereien dann auch noch auf Übernahmen aus wissenschaftlichen Texten zu übertragen, das geht definitiv zu weit! Wer einen ganzen Satz übernimmt, hat diesen unter Anführungszeichen zu setzen. Wenn die deutsche Rechtswissenschaft Gegenteiliges behaupten sollte, würde sie sich lächerlich machen. Ich bin schon auf die Reaktion der angeschriebenen Institutionen gespannt: Aber das kann ich mir schwer vorstellen, dass diese solche Schlampereien und offenkundige Regelverstöße absegnen.
Ich bin über diese Diskussion verwundert. Selbstverständlich gelten für den juristischen Bereich dieselben Zitierregeln wie für andere Wissenschaftsdiszplinen auch. Wer ganze Sätze aus anderen Quellen übernimmt, ohne diese unter Anführungszeichen zu setzen, begeht einen Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis. Eine Fußnote am Ende des Satzes reicht da nicht. Das sollte eigentlich schon für Maturanten klar sein, von Jus-Studierenden gar nicht zu sprechen.
Muss man in Österreich immer noch eigens eine Bestätigung einholen, dass die Erde rund ist? Dass sich Dozent Weber genötigt sieht, hier eine Klarstellung einzuholen, zeigt im Grunde nur, welche Zustände teilweise in den Rechtswissenschaften herrschen.
Dozent Weber hat hier renommierte juristische Institutionen angeschrieben. Man kann nur hoffen, dass sie diese sehr einfachen Fragen klar beantworten. Und dann müssen Konsequenzen gezogen werden!
Lieber Lege artis!
Ich würde mittlerweile soweit gehen und sagen, dass wir auch andere „ungeschriebene Normen“ der Rechtswissenschaft diskutieren sollten. Grundsätzlich ist zu sagen: Zitierregeln sind im Fluss, ändern sich durch die Digitalisierung. Wir sollten über eine Verschärfung nachdenken, und zwar sowohl beim Zitieren von Normtexten als auch beim Zitieren von Judikatur. Beim Zitieren von Normtexten gibt es ja das ungeschriebene Gesetz (eigentlich auch ein Witz!) der Rechtswissenschaft (sic), dass diese nicht unter Anführungszeichen gesetzt werden müssen. Normtexte kann man nicht plagiieren und fallen nicht unter das Urheberrecht. Aber das ist nur die eine Dimension. Man hat dabei den Leser, auch den Laien-Leser vergessen. Anhand des folgenden Beispiels:
In einer juristischen Abhandlung oder Qualifikationsschrift kann stehen:
Laut § 51 Abs. 2 Z 31 UG liegt ein Plagiat jedenfalls dann vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden. Dies umfasst insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers.
Niemand würde hier wohl ernstlich behaupten wollen, der zweite, letztere Satz („Dies umfasst…“) sei ein Plagiat des Gesetzestextes! Dennoch ist diese Zitierweise nur für den Kenner des Universitätsgesetzes offenkundig. Der zweite, letztere Satz könnte sich nämlich auch genauso gut als Interpretation des § 51 Abs. 2 Z 31 UG des Verfassers lesen. Und das wäre schon ein Riesenunterschied.
Warum führen die Rechtswissenschaften nicht diese Konvention ein?
§ 51 Abs. 2 Z 31 UG liefert folgende Legaldefinition eines Plagiats: „Ein Plagiat liegt jedenfalls dann vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden. Dies umfasst insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers.“
Eine Antwort könnte sein: Wer will sich schon die Arbeit antun, so gut wie alle Kommentare neu zu schreiben, in denen „abgeschriebene“ Normtexte Usus sind?
„Warum führen die Rechtswissenschaften nicht diese Konvention ein?“
Weil es offenbar dort nicht notwendig ist. Konventionen entstehen aus fachlichen Notwendigkeiten oder historischem Zufall, nicht weil sich Außenstehende das wünschen und nur höchst selten, weil etwas vielleicht wünschenswert wäre.
Mich hat als studierter Germanist die wissenschaftliche Praxis in den (österreichischen) Rechtswissenschaften auch entsetzt, als ich mit diesem Studium begonnen habe. Als ich mich (für juristische Arbeiten) an die dortigen Regeln angepasst habe, habe ich aber schnell eingesehen, dass auch dort für Eingeweihte klar ist, wer wann was gesagt hat – oder zumindest nicht fundamental unklarer als in anderen Wissenschaften.
Gerade die Rechtswissenschaft sollte sich nicht nur an „Eingeweihte“ richten.
Ohne klare Regeln geht es nicht. Das muss man gerade von Juristen verlangen können.
Sextus Empirikus:
Ohne klare Regeln geht es schon auch, ging es auch über Jahrhunderte. Man muss nicht alles verbürokratisieren und reglementieren. Es gibt auch die Gefahren einer Scheinexaktheit oder Scheinklarheit.
Man kann auch hinterfragen, ob die implizite Behauptung „Alles, was nicht zitiert oder speziell gekennzeichnet ist, ist automatisch Eigenleistung des Autors“ überhaupt aufrecht erhalten werden kann.
In wissenschaftlichen Abschlussarbeiten wird ein schriftlicher Hinweis der Art „Alles, was nicht zitiert oder speziell gekennzeichnet ist, ist Eigenleistung des Autors“ erst in jüngeren Jahren gefordert. Auch eine solche Formulierung ist übrigens eine Scheinexaktheit: Eine der Unexaktheiten liegt im Wort „alles“. Was soll davon erfasst sein? Ist der Schriftsatz eine Eigenleistung des Autors? Ist das Seitendesign eine Eigenleistung des Autors? Ist der Aufbau der Arbeit mit Titel – Widmung – Dank – Verzeichnisse – Einleitung – Hauptteil – Zusammenfassung – Anhang – Verzeichnisse eine Eigenleistung des Autors? Ist die Grammatik der Sprache eine Eigenleistung des Autors? Muss man bei jeder Verwendung des Wortes „ist“ den Duden zitieren?
In den Vorgang einer Plagiatsprüfung gehen viele oft implizite Zusatzannahmen der Prüfung ein, die vielleicht vom Autor gar nicht intendiert waren. Auch die Rechtsauffassung, „alles, was nicht gekennzeichnet ist, ist entweder Eigenleistung oder gestohlen“ ist sehr verkürzt, sie stellt jeden Autor zunächst automatisch unter Generalverdacht, von dem er sich nur durch korrektes Zitat lösen könne. Generalverdacht wäre in Mitteleuropa eigentlich verpönt.
Methoden und Regeln des Zitierens gibt es übrigens viele.
Bei Juristen würde ich einer strikteren Auslegung der Zitierregeln eher zustimmen, in anderen Fächern fände ich das durchaus unnötig überreglementiert.