„Person und Gewissen“ oder: Der Fall Guttenberg wird sich wiederholen

Ich hätte es nie im Leben für möglich gehalten, dass es in Deutschland eine Steigerung des Falles Guttenberg geben wird. Doch es gibt sie: in Form einer plagiierenden Ministerin, die für Bildung, Forschung und Wissenschaft zuständig ist. (Was würde Merkel nun sagen? Dieser Widerspruch ist nicht mehr auflösbar.) Eine Ministerin und vierfache Ehrendoktorin, die über Sigmund Freud schreibt, aber nachweisbar Freud gar nicht gelesen hat, sondern plump aus der Sekundärliteratur abschreibt. Die wiederum Originalautoren wörtliche Zitate unterjubelt, die diese gar nie geschrieben haben, weil aus der Sekundärliteratur nicht einmal „richtig abgeschrieben“ wurde. Die aus mindestens einem Buch plagiiert hat, das sie nicht einmal im Literaturverzeichnis anführt. – Was für eine Bankrotterklärung der akademischen Kultur und des politischen Systems! Das geht alles gar nicht.

Mein Stil in diesem Blog ist auch deshalb polemischer geworden, weil die massenmediale Wahrnehmung zumindest heute eine ganz andere war: Schavan wurde durch VroniPlag entlastet, und wenn nicht einmal VroniPlag den Fall veröffentlichen wollte, dann ist es auch keiner. Doch das ist falsch!* Ich kann nur hoffen, dass es in diesem Land investigative Journalisten gibt, die die Sache in den nächsten Tagen erhellen werden. Oder eine sich neu konstituierende Netzgemeinschaft. Ich habe jedenfalls heute alle relevanten Bücher gebraucht bestellt und werde meinen bescheidenen Teil dazu beitragen.

Mich erinnert indes immer mehr an den Fall Guttenberg: Schon alleine der aus heutiger Sicht grandios selbstsatirische Titel der Arbeit „Person und Gewissen“. Oder die erste Reaktion der Frau Minister: „Mit anonymen Vorwürfen kann man schwerlich umgehen.“ Mit diesem Satz hat sie auch unglaublich viel über ihre krasse Unkenntnis des Internets, vor allem des Web 2.0 ausgesagt. Wenn mir jemand Plagiatsvorwürfe in einem Blog machen würde, wäre ich doch nur an den Textvergleichen, an den Beweisen selbst interessiert und nicht am Urheber der Anschuldigungen. Ich würde mir höchst neugierig ansehen wollen, mit welchen Argumenten mir ein Plagiat unterstellt wird. Schavan hat sich also bereits mit diesem Satz grandios verraten, so wie Guttenberg mit seinen Sagern. Wer ablenkt und personalisiert, der ist Täter.

Und nun schlägt sie noch weiter in dieselbe Kerbe wie Guttenberg: Sie schweigt. Und wieder, wie bei Guttenberg, gibt es kein Krisenmanagement. Gibt es keine offenen Worte. Gibt es kaum eine Diskussion zur inhaltlichen Substanz des Vorwurfs und zu seiner schleunigen Verifizierung oder Falsifizierung. Dass sich die Geschichte wiederholt, hätte ich wie gesagt nie im Leben geglaubt.

* Update: Wie es wirklich war, erklären zwei der führenden VroniPlag-Mitarbeiter, Martin Klicken und marcusb, hier: https://plagiatsgutachten.com/blog/blog.php/entscheidender-fehler-von-vroniplag/#comments (dies nur als Hinweis für die heute etwas übereifrig interpretierenden Journalisten…).

4 Kommentare zu “„Person und Gewissen“ oder: Der Fall Guttenberg wird sich wiederholen

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  1. Eberhard Schmidt

    Sollte es sich nunmehr herausstellen, daß auch Hippokrates sein Arztdiplom erschwindelt hat, darf man gespannt sein, wann die Universität Zürich dem ohnehin und seit Langem suspekten Albert Einstein seine Graduierung anzweifelt. Und wenn wir schon beim Abwasch sind: da wären noch Isaac Newton, Diogenes von Sinope, Charles Darwin, Robert Koch, Werner Heisenberg, Dr. Motte,…. Helmut Kohl. Da landen wir schon bei der Frage Was geschieht mit den inflationären Ehren „Doktoren“?

    Semper fidelis

    „Dr“ diogenes alias Till Ulenspiegel

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  2. Dr.Mutter

    Darf ich bitte fragen weshalb die Doktorväter (eine anachronistische Bezeichnung und nur in Deutschland gängig vermittelt sie eine Kuschelbeziehung zw. StudentIn und ProfessorIn) nicht zur Rechenschaft gezogen werden???
    Wie konnte die Guttenbergarbeit mit „summa cum laude“ bewertet werden, da er schon in der Einleitung ellenlang aus der FAZ abschrieb?
    Ausgerechnet im Jahr der Bundestagswahl kommt die Causa Schavan nach mehr als 30 Jahren auf den Prüfstand.
    Wieviel plagiative Abschlussarbeiten liegen wohl noch in den Archiven der Unis.
    Et ceterem, wer noch nicht, auch nur ein bißchen, plagiiert oder auf andere Geistesblitze zurückgegriffen hat bei einer wissenschaftl. Arbeit, der werfe den ersten Stein. auf den Steinhagel bin ich gespannt.
    Es gibt viel zu tun, fang Du schon mal an, Uni Düsseldorf. Die Entscheidung gegen Schavan setzt strenge Maßstäbe, auch bei der Prüfung von Dissertationen, die in den Bibliotheken längst vor sich hingilben. Man darf gespannt sein, wie viele Titel diesen Maßstäben noch zum Opfer fallen werden.

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  3. Martin Heidingsfelder

    Es ist erschreckend – ein weiteres Mitglied der Bundesregierung wählt die Strategie des glorreichen Verteidigungsministers.

    Erst einmal geht sie auf Reisen, aus „absurd“ wird „anonym“…

    Die aktuelle Stunde im Bundestag ist abzusehen. Da werden die Vorwürfe nicht anonym sein. Jeder Bundestagsabgeordnete kann nachlesen, was Frau Prof. Dr. Annette Schavan vor zugegeben langer Zeit fabriziert hat.

    Der Rücktritt ist jetzt schon überfällig. Als Bundesministerin kann sie keine Vorbildfunktion wahrnehmen. Wie soll redliche Wissenschaft glaubhaft mit einer solchen Ministerin zum Thema gemacht werden? Wie soll Wissenschaftspolitik so gemacht werden? Sie wird sich ihre Fehler über das Wochenende selbst anschauen. Spätestens nächste Woche wird sie versuchen die Plagiate in einer Erklärung zu relativieren.

    Dass eine falsche Mehrheitsentscheidung bei VroniPlag zu einem Alleingang führt ist angesichts der verbliebenen, mutlosen VroniPlag-Akteure auch kein Wunder.

    Sowohl der Umgang mit der Affäre von Frau Schavan als auch das Beharren auf lähmenden Mehrheitsentscheidungen bei VroniPlag zeigt: die Bereitschaft aus Fehlern zu lernen ist nicht besonders ausgeprägt.

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