Isolde Charim, Hegel und der „polizeiartige“ Plagiatsjäger

Die aus der linken Denktradition kommende Philosophin Isolde Charim, erst vor wenigen Tagen mit dem „Tractatus“-Preis des „Philosophicum Lech“ gekürt, schreibt in der ebenfalls linken Wiener Stadtzeitung „Falter“ aktuell etwas über „Die Jagd nach dem Plagiat“.

Ich freue mich grundsätzlich über Medienresonanz, auch wenn sie – wie im vorliegenden Fall – nur aus Nebelkerzen besteht. Ich werde daher im Folgenden auf Frau Charims Argumente im Einzelnen eingehen:

„Für das Publikum ist es undurchsichtig, wie jemand in Webers Visier gerät.“

Nein, ist es nicht. Ich sage immer dazu, ob es ein Auftrag war oder nicht. Im Fall Matthä etwa habe ich gegenüber dem „Kurier“ klar erklärt: „Mein Team hat sich ab 2021 die Abschlussarbeiten einiger Führungskräfte von ÖBB, OMV und anderen angeschaut. Plan war, ein Führungskräfte-Screening zu machen. Aus einem Sample von fünf Arbeiten ist Matthä sofort als monströses Plagiat herausgestochen.“ Diese Tätigkeit war ehrenamtlich und fand aus forschender Neugierde statt, wie etwa auch unsere Investigationen in den Fällen Annalena Baerbock und Diana Kinnert.


Im Folgenden setzt Frau Charim das Plagiat mit „Urheberrechtsverletzung“ gleich. Das ist falsch. Der Begriff „Plagiat“ kommt etwa weder im österreichischen noch im deutschen Urheberrechtsgesetz vor. Ich verwende den Begriff „Plagiat“ ausnahmslos im Kontext der Typologie wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Er ist, wenn man so will, ein Kodex-Begriff, kein juristischer Begriff. Allerdings gibt es in Österreich seit 2015 auch eine hochschulrechtliche Legaldefinition, die wiederum nichts mit Urheberrechten zu tun hat. An dieser Stelle gibt Frau Charim aber auch selbst zu, dass sich ihre Recherchen auf die Konsultation von Wikipedia beschränkt haben. Ihre Behauptungen sind also von vornherein unterkomplex.


Dann wechselt Frau Charim zum Konzept des „geistigen Eigentums“ über, einem Begriff von Gundling (1726). Charim erwähnt die Problematisierung dieses Konstrukts durch Hegel. Das ist eine schöne, sicher nicht unwichtige akademische Debatte, aber wieder kommt das Konstrukt des „geistigen Eigentums“ in aktuellen Debatten zur „guten wissenschaftlichen Praxis“ (GWP) fast nirgends vor. Auf meiner eigenen Website wird es etwa ganze dreimal erwähnt, in den ersten GWP-Richtlinien von Albin Eser aus dem Jahr 1998 ebenfalls dreimal. Nennen wir das Kind gerne nicht „geistiges Eigentum“, nennen wir es „originäre Formulierung oder Idee“. Aber dann würde Frau Charim vermutlich gleich mit der Intertextualitätskeule kommen und behaupten, alles sei schon einmal so oder anders gesagt worden… Was also sei schon „originär“?

(Vielleicht hat Isolde Charim auch den Abschnitt zu Hegel plagiiert, um mich zu testen. Daher schreibe ich vorsichtshalber, dass ich ihren Artikel nicht plagiatsgeprüft habe.)


Nach einer dezenten, Wikipedia-unterfütterten Annäherung geht Isolde Charim aber ans Eingemachte:

„Hinzu kommt, dass es eine geeignete gesellschaftliche Instanz braucht, um solches Eigentum zu schützen. Eine, die unrechtmäßige Übernahmen benennt und verurteilt. Eine solche Instanz wäre etwa eine gelehrte Öffentlichkeit.“

Im Folgenden macht Frau Charim klar, dass ich zu dieser „gelehrten“ Öffentlichkeit nicht gehöre. Nun, wie erfolgt die Aufnahme in den Gelehrtenstatus? Meine Habilitation an der Universität Wien dürfte hier nicht genügen. Frau Charim, die zum Marxisten Althusser promovierte und diesem Lebenslauf zufolge nicht habilitiert ist, dürfte indes den Gelehrtenstatus in ihrem Sinne erfüllen. Ich finde von Frau Charim keine einzige Veröffentlichung zum Thema Plagiat, bei mir sind es hingegen zwei Bücher und mehrere Buch- und Zeitschriftenbeiträge. Dennoch bin ich in ihrer Argumentation außen vor, blutleckender Jäger und strafender Polizist. Hat Frau Charim hier zuviel Foucault gelesen? Weiß sie am Ende gar nicht, dass ich ein Wissenschaftler bin? Dann einfach Wikipedia lesen!


Dann kommt es noch dicker:

„Der Plagiatsjäger ist die Pervertierung einer diskutierenden Öffentlichkeit: die Reduktion der Vernunft auf eine polizeiartige Tätigkeit.“

Wie kann ich etwas pervertieren, was ich in 20 Jahren Tätigkeit erst zu erschaffen versuchte: die über Plagiate diskutierende österreichische (Wissenschafts-)Öffentlichkeit? Gerade aufgrund der Medialisierung meiner Fälle wird ja überhaupt erst über das Thema öffentlich diskutiert, vorher wurde die Problematik in Österreich wie in Deutschland, siehe etwa die Fälle Stroeker und Forschner, verharmlost oder ganz unter den Teppich gekehrt.

„Pervertierung“ und „Reduktion der Vernunft“, das sind harte Kampfvokabeln für einen Kollegen, der wie Frau Charim vor allem an ernster Philosophie interessiert ist.


Völlig rätselhaft ist dann dieser Schluss:

„Die Verkommenheit der wissenschaftlichen Praxis, auf die er doch hinweisen möchte, wird so durch ihn noch befördert.“

Da müsste mir Frau Charim nun wirklich erklären, wie sie das gemeint hat. Ich kann ja nichts dafür, dass ich der einzige in Österreich bin, der die Finger in die offenen Wunden legt. Es könnten ja auch mehrere tun, wie etwa in Deutschland die ehrenamtlich Tätigen von VroniPlag Wiki, die auch häufig angefeindet werden, aber Pionierarbeit leisten.


Am Schluss wird Frau Charim dann noch sozialwissenschaftlich-empirisch:

„Aber weder trägt das Plagiatsjagen tatsächlich zu einer Verbesserung der wissenschaftlichen Praxis bei noch hat es den intendierten gesellschaftlichen Effekt.“

Darf ich hier eine Fußnote anmahnen? Auf Basis welcher empirischer Studien werden diese Nicht-Effekte behauptet? Oder wird hier einfach Wunschdenken artikuliert, fällt der Satz in die Kategorie Sprechakt, der mittels Akt eine Realität zu schaffen versucht?

Ich habe mich gerne mit dem Text von Frau Charim auseinandergesetzt. Jetzt freue ich mich umso mehr auf eine Plagiatsprüfung ihrer Dissertation zu Althusser, den mir mein Doktorvater ja ebenfalls vermittelt hat.

8 Kommentare zu “Isolde Charim, Hegel und der „polizeiartige“ Plagiatsjäger

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  1. Ralf Rath

    Da mein E-Mail-Account heute stundenlang technisch gestört war, ist es mir erst vor wenigen Minuten möglich gewesen, den Beitrag von Isolde Charim zu lesen. Herr Doz. Dr. Stefan Weber sandte mir den Text am Vormittag dankenswerterweise kurz nach 10 Uhr zu. Die von Isolde Charim dort aufgeworfene Frage nach einem „hohlen Titel“ zeugt dabei bereits von einem äußerst falschen Verständnis dessen, was eine wissenschaftliche Arbeit ausmacht. Spätestens seit dem Jahr 1714 als Gottfried Wilhelm Leibniz damals auf Französisch von einer sich jedwedem von außen verübten Zugriff immer wieder entziehenden Seele sprach, liegt das Dasein des Einzelnen stets außerhalb der Reichweite Dritter. Sämtliche Versuche, es dennoch auf den Begriff zu bringen, verlieren sich somit in „buchstäblich nichts“, wie Theodor W. Adorno im Jahr 1966 zu bedenken gibt. Eine Schrift ist somit erst dann gehaltvoll, wenn sie das damit völlig leere Gerede kritisiert. Den kritischen Weg zu wählen, der laut Immanuel Kant allein noch offen steht, könnte insofern vernünftiger nicht sein. Wenn man so will, ließe sich daraus umgekehrt der Schluss ziehen, dass Plagiatsforschung ein zutiefst vernunftwidriges Gebaren für jeden sichtbar offen vor Augen legt und einer Vergeudung von Gesundheit Einhalt gebietet, unter der schon Max Horkheimer zeitlebens extrem gelitten hat und schließlich an einer Schwäche des Herzens versterben musste. Bekanntlich trug den Spiritus Rector der Kritischen Theorie bis zuletzt die Sehnsucht, „daß der Mörder nicht über das unschuldige Opfer triumphieren möge“.

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  2. unbekannt

    Es wird aus allen Rohren geschossen, mit allen Mitteln.

    Passen Sie auf, dass es ihnen nicht irgendwann wie J. Assange et al. geht. Danisch ist mittlerweile vorsichtig geworden, aus gutem Grund.

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  3. Ralf Rath

    Der Beitrag von Isolde Charim befindet sich hinter einer Paywall. Es handelt sich insofern letzten Endes bloß um ein Geschäft. Eine soziale Auseinandersetzung ist damit bereits im Ansatz ausgeschlossen.

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