GWP @ UG: Erfreuliche Debatte über verbindliche Definitionen für „Plagiat“ und „gute wissenschaftliche Praxis“ in Österreich gestartet

I. GUTE WISSENSCHAFTLICHE PRAXIS

Die „gute wissenschaftliche Praxis“ ist in den österreichischen Hochschulgesetzen UG, FHG, HSG und PrivHG angekommen. Alle vier Hochschultypen des Landes (staatliche Universitäten, FHs, PHs und Privatuniversitäten) finden ab Herbst die „Sicherstellung guter wissenschaftlicher Praxis und akademischer Integrität“ neu in den leitenden Grundsätzen zu Beginn der jeweiligen Gesetzesmaterie. Diese erfreuliche Erweiterung geht u.a. auf meine Stellungnahme zum Ministerialentwurf zurück.

Im UG (und nur dort) findet sich ab Herbst auch erstmals eine Definition von „guter wissenschaftlicher Praxis“ (GWP) in den studienrechtlichen Begriffsbestimmungen – wo seit 2015 bereits der Begriff „Plagiat“ definiert ist. Die GWP-Definition basiert ebenfalls auf meiner Stellungnahme:

„Gute wissenschaftliche Praxis bedeutet, im Rahmen der Aufgaben und Ziele der jeweiligen Einrichtung die rechtlichen Regelungen, ethischen Normen und den aktuellen Erkenntnisstand des jeweiligen Faches einzuhalten.“

Der „Dreiklang“ 1) rechtliche Regelungen (etwa UG für Österreich, ev. auch DSGVO und andere Gesetzesmaterien), 2) ethische Normen (Grundlagen der Forschungsethik und der Ethik des jeweiligen Fachs) und 3) aktueller Erkenntnisstand des jeweiligen Fachs findet sich in vielen deutschsprachigen GWP-Definitionen, und zwar für die „lege artis“-Bestimmung der Wissenschaft als ein Teil von guter wissenschaftlicher Praxis. Wissenschaft, die lege artis, also nach den anerkannten Regeln der Kunst, vorgeht, habe diese drei Dimensionen im Auge zu behalten und immer einzuhalten. Siehe etwa statt vieler hier:

„Es ist nach dem Prinzip ‚lege artis‘ zu arbeiten: Die wissenschaftliche Tätigkeit soll entsprechend den rechtlichen Regelungen, den ethischen Normen wie auch dem aktuellen Stand der Forschung durchgeführt werden.“

Es sind hier allerdings insgesamt sieben „Regeln guter wissenschaftlicher Praxis“ benannt, von denen die „lege artis“-Bestimmung wiederum nur die erste von insgesamt acht unter Punkt 1 genannten „allgemeinen Prinzipien wissenschaftlicher Arbeit“ ist. Man könnte also meinen, die Definition für „gute wissenschaftliche Praxis“ im österreichischen UG sei zu eng. (Die derzeit gebräuchlichen Formulierungen lassen sich übrigens zurückverfolgen auf den Strafrechtler Albin Eser und seinen im Jahr 1999 publizierten Schlüsselaufsatz „Die Sicherung von ‚Good Scientific Practice‘ und die Sanktionierung von Fehlverhalten“. Sie finden sich auch in vielen GWP-Richtlinien und Codes of Conduct von Universitäten, siehe etwa TU Wien.)

Die nunmehr ins österreichische Gesetz eingehende Definition könnte aber auch zu breit oder zu schwammig sein. In einer hochinteressanten Podiumsdiskussion an der Universität Graz vom 24.03.2021 („Von Plagiatsskandalen zu ‚Good Scientific Practice‘?“) kritisierte Anna Gamper von der Universität Innsbruck etwa den aus ihrer Sicht nicht ausreichend präzisierten Verweis auf ethische Normen und fragte zugespitzt: Kann es eine ethische Norm sein, den Genderstern zu benutzen und wäre dann die Nicht-Benutzung des Gendersterns ein Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis?

Hier hat eine äußerst wichtige Diskussion in einem neuen Feld begonnen, bei der man dann auch gleich klären könnte, wie sich die Grundbegriffe „gute wissenschaftliche Praxis“, „akademische Integrität“, „Forschungsintegrität“ und „wissenschaftliche Integrität“ zueinander verhalten sollen. Gibt es eine „Dachmarke“, ist Integrität jene Haltung, die gute wissenschaftliche Praxis erst ermöglicht oder stehen sich beide gegenüber (Haltung vs. Handlung)? Die Einengung auf Forschung blendet etwa GWP in der Lehre aus. – Ich denke, hier ist noch einiges an Begriffsarbeit zu leisten, und es handelt sich ja auch um ein Feld, das noch keine 25 Jahre alt ist.

II. PLAGIAT

Klärungsbedarf und mögliche Inkonsistenzen im Gesetz gibt es auch beim Plagiatsbegriff, worauf Anna Gamper ebenfalls bei der Grazer Podiumsdiskussion hingewiesen hat.

Ich habe das UG bisher so verstanden, dass der Plagiatsbegriff in den studienrechtlichen Begriffsbestimmungen sowohl das grob fahrlässige als auch das vorsätzliche Plagiat umfasst, quasi den kleinsten gemeinsamen Nenner von beiden. Ein Einengung auf „vorsätzlich“ wäre falsch gewesen, da ja Albin Eser wissenschaftliches Fehlverhalten (und das Plagiat ist nun mal eine Art von diesem) ursprünglich 1999 als „bewusst oder grob fahrlässig“ charakterisiert hat (noch einmal der Verweis auf „Die Sicherung von ‚Good Scientific Practice‘ und die Sanktionierung von Fehlverhalten“).

Etwaige studienrechtliche Konsequenzen kann es nur für vorsätzliche (bewusste, absichtliche) Plagiate in Täuschungsabsicht geben. Und nur um diese geht es auch in § 19 Abs 2a UG („Vortäuschen“, „schwerwiegend und vorsätzlich“). § 19 Abs 2a UG umfasst also quasi eine Teilmenge von Plagiat aus den – breiteren – Begriffsbestimmungen.

So weit, so gut. – Aber: Bei der UG-Novelle hat man offenbar auf diese Differenzierung verzichtet:

Das ist meines Erachtens nicht richtig, denn der Verweis auf die Begriffsbestimmungen hier führt ja zur breiteren Definition von Plagiat (egal, ob vorsätzlich oder grob fahrlässig). Hier hätte doch eigentlich stehen müssen „ein Plagiat im Sinne von § 19 Abs 2a“ (also schwerwiegend und vorsätzlich). Beurteilungen können ja für grob fahrlässige Plagiate nicht für nichtig erklärt werden. (Kollegin Gamper ist hingegen der Auffassung, dass durch die Verwendung des Begriffs „erschlichen“ bereits eine Klarstellung erfolgt sei.)

Zweitens, und hier herrscht Einigkeit unter den Kritikern:

Der neue Absatz zur Strafbestimmung stimmt so m.E. auf keinen Fall (ich hab das erst durch die initiale Kritik von Anna Gamper gestern bemerkt). Richtig wäre wohl auch hier gewesen: „aufgrund eines schwerwiegenden und vorsätzlichen Plagiats“ oder „aufgrund eines Plagiats in Täuschungsabsicht“.

Freilich könnte man die Inkonsistenzen pragmatisch lösen, indem man einfach die Begriffsbestimmung einengt auf: „Ein studienrechtlich relevantes Plagiat liegt jedenfalls dann vor, wenn in Täuschungsabsicht…“ oder „wenn vorsätzlich…“.

Dann wäre das grob fahrlässige Plagiat ganz aus dem UG draußen. Zunächst aber stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber überhaupt eine Plagiatsdifferenzierung etwa in diesem Sinne abgebildet haben möchte:

Abbildung 1: Plagiate mit ansteigendem Schweregrad, siehe auch hier (Stefan Weber, 2021)

Oder sieht der Gesetzgeber auch studienrechtliche Konsequenzen für fahrlässige Plagiate als zulässig?

Weiteren Verbesserungsbedarf sehen viele bei den neuen Bestimmungen zu III. GHOSTWRITING und auch bei den bisherigen Bestimmungen zu IV. TITELMISSBRAUCH. Davon wird der kommende Blogbeitrag handeln.

5 Kommentare zu “GWP @ UG: Erfreuliche Debatte über verbindliche Definitionen für „Plagiat“ und „gute wissenschaftliche Praxis“ in Österreich gestartet

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  1. Vermutlich...

    Hallo, Herr Weber!

    Danke für die Antwort. Das bedeutet also, dass das grob fährlässige Plagiat auch „erschlichen“ werden kann? Nein, oder? Erschleichen – und das verstehe ich nicht – hat doch immer nur mit Absicht zu tun, oder? Darum geht es beim §73 doch. Das hatten Sie im Podcast „Auf Brot und Wein“ eindrucksvoll erklärt. Hier hat doch die Novelle keine Änderung gebracht, es bleibt sich also gleich, oder? Natürlich wäre eine Unterscheidung im Gesetz besser.

    Wissenschaftliches Fehlverhalten grob fahrlässig kann natürlich auch ohne Absicht geahndet werden. Dieser Fall hier könnte als Beispiel dienen: https://www.diepresse.com/749167/gekundigter-molekularbiologe-es-war-keine-falschung

    In Deutschland geht es m.E. auch häufig um die Frage, ob die Plagiate „billigend in Kauf genommen“ wurden – also um Eventualvorsatz. Das habe ich in Österreich im Zuge der Diskussion nie gehört. Im von Ihnen aufgezeigten Beispiel wird aber tatsächlich Täuschung einhergehend mit grober Fahrlässigkeit genannt. Ihr Kollege weist aber darauf hin, dass es bei Entzug durch g. F. auf die Promotionsordnung ankommt. Frau Gamper sagt aber, dass „Erschleichung“ klar genug sei. Heißt das dann, dass die Erschleichungsabsicht – diesen Terminus Technicus gibt es in Dt hier so nicht – in Ö in der juristischen Praxis ohnehin nur auf das absichtliche, bewusste plagiieren abzielt (§73)?

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  2. Vermutlich...

    Hallo,

    „Erschlichen“ reicht, denke ich. Plagiat gibt es aus (grober) Fahrlässigkeit nicht, zumindest nicht in Hinblick auf das Studienrecht in Österreich. Als damals die Kowi in Salzburg 2006 auf die Kritik von Herrn Weber reagierte, kam es zu dieser Podiumsdiskussion: http://www.unitv.sbg.ac.at/beitrag.asp?ID=96

    Herr Mosler stellt damals den Standpunkt der Juristen dar und betonte Absicht durch Erschleichen und die Wesentlichkeit. Damals war es noch der §74 aber inhaltlich dürfe es keinen Unterschied geben?

    Ist die Situation in Deutschland anderes? Dieser Beitrag könne helfen, die Situation besser zu verstehen.

    https://www.academics.de/ratgeber/doktortitel-fuehren

    Danke!

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      In Deutschland kommt es, abhängig vom Wortlaut der jeweiligen Entziehungsbestimmung im betreffenden Länder-Hochschulgesetz, mitunter auch zu anderen Urteilen, siehe etwa: https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/verwaltungsgericht-best%c3%a4tigt-entziehung-des-doktorgrades

      Herr Mosler hat aber bei der von Ihnen in Erinnerung gerufenen Podiumsdiskussion einen Stammrechtssatz des VwGH entweder bewusst oder in Unkenntnis, also wiederum grob fahrlässig, missinterpretiert.

  3. Nurcan Cakan

    Herr Weber, mit Ihrem Alleinstellungsmerkmal Ihrer Berufung in Österreich, haben Sie meines Erachtens sehr viel Erfahrung, um die sogenannten Schlupflöcher in den (neuen) Gesetzen auch mit wenig juristischen Kenntnissen festzustellen. Genau diese Schlupflöcher im neuen gesatzten Recht, die dürftig bis gar nicht präzisierten Begriffe und viel Interpretationsspielraum könnten Anlass genug sein, eine wissenschaftliche Entgleisung eventuell doch nicht zu sanktionieren. Somit wäre das neue Gesetz nutzlos.
    Das Ignorieren der öffentlichen Kritiken von (juristischen) ExpertInnen über die wässrige Novellierung des Universitätsgesetzes, möchte ich als ein Konflikt mit manch anderen Interessen werten.
    Ich habe die Podiumsdiskussion an der Uni Graz mit dem Thema „Von Plagiatsskandalen zu Good Scientific Practice“ verfolgt. Juristin Anna Gamper verwies mehr auf die Auslegung der Gesetze. Ich maße mir nicht an zu urteilen, inwiefern man von einer Juristin erwarten darf, reichlich wissenschaftliche Kompetenz über Zitierformen, Datenklau und Datenfälschung innehaben zu müssen.
    Es bleibt wahrscheinlich unter anderem Ihre Aufgabe Herr Weber, mit Ihrer unermüdlichen Überzeugung und Expertise, unabhängig von Gesetzen, politischen Interessen und Kalkül, Ihren Wirkungsbereich als anerkannte Wissenschaft in Österreich zu etablieren. Vielleicht kommt dadurch mehr Sensibilisierung für dieses doch brisante Thema im Hochschulsektor auf.
    In diesem Kontext möchte ich einen philosophischen Einschub bringen: Gleichgültig, ob Datenfälschung, Textklau oder sich schmücken mit falschen Titeln, etc., wer das begeht, hat eine verzerrte Selbstwahrnehmung, sich nicht eingestehen zu können/wollen, dass man nicht in der Lage ist, wissenschaftlich zu arbeiten, gepaart mit Minderwertigkeitskomplexen und dem Drang nach Status und Anerkennung.

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Liebe Frau Cakan! Ich bin mit Frau Gamper nicht immer einer Meinung. Wir haben gestern noch per E-Mail weiter diskutiert und das Ministerium sieht die Sache wiederum anders. Klarerweise kann das auch zu Konfusionen, Rechtsunsicherheiten und „Zitierängsten“ bei den Studierenden führen. Dagegen müssen wir etwas tun. Die Uneindeutigkeit der gesetzlichen Bestimmungen, Richtlinien, Lehrbücher zum wissenschaftlichen Arbeiten und diverser lokaler Zitierleitfäden habe ich nicht zu verantworten, ich kann mich aber bemühen, die Probleme aufzuzeigen. Und ich kann versuchen, etwa in meinem kommenden Projekt zitieren.at, hier hoffentlich für mehr Klarheiten zu sorgen.
      Während der Diskussion empfand ich es als mühsam, dass Gesetzestexte kritisiert wurden. Im Nachhinein fand ich aber gerade das als Asset und Ansporn der Veranstaltung, vielleicht zum Preis von Teilen des Zielpublikums, das noch verwirrter nach Hause ging als es kam.
      Inhaltlicher Kern ist derzeit wohl die Frage, ob wir die Unterscheidung von vorsätzlichem und grob fahrlässigem Plagiat aufrechterhalten wollen und es studienrechtliche Konsequenzen nur für ersters geben kann. Ich würde das bejahen. Hier eine Mail eines deutschen versierten Kollegen zu dieser Frage:

      Meine Frage:
      „Kennen Sie einen Fall, bei dem 1. ein Grad wegen grob fahrlässigen Plagiats (also nicht vorsätzlichem, nicht in Täuschungsabsicht) aberkannt wurde und 2. das vor Gericht Bestand hatte?“

      Seine Antwort:
      „Lieber Herr Weber,
      spontan fällt mir kein solcher Fall ein. Ein Gericht würde das von der Rechtsgrundlage abhängig machen, aufgrund derer ein Grad entzogen wurde. Wenn die eine Täuschung voraussetzt, reicht ein grob fahrlässiges Plagiat nicht aus. Das sehen viele, aber sicher nicht alle Promotionsordnungen in Deutschland so vor. Mir ist erinnerlich, dass [in einem Fall] die LMU München grobe Fahlässigkeit geprüft (und unverständlicherweise verneint) hat. Deshalb gehe ich davon aus, dass die einschlägige Habilitationsordnung einen Entzug auch bei grober Fahrlässigkeit ermöglicht hätte.
      Im deutschen Recht gibt es noch die allgemein Vorschrift in § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz (des Bundes, die Länder haben meist identische oder sehr ähnliche Vorschriften). Da ist vorsätzliches Handeln nur bei der Rücknahme von Verwaltungsakten erforderlich, die eine Geldleistung zum Gegenstand haben.
      Es kann also durchaus solche Fälle geben.“

      LG

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