„Musterbeispiel schlechter Legistik“: Zwei Strafrahmen für Titelmissbrauch – Wir brauchen jetzt ein „GWP-Sicherungsgesetz“!

Wenn schon das Gedächtnis der Legisten im Wissenschaftsministerium nicht ausreicht, könnte man dann vielleicht künstliche Intelligenz einsetzen, um uns Peinlichkeiten wie die folgende zu ersparen?

In der aktuellen Ausgabe der „Zeitschrift für Hochschulrecht“ (zfhr) deckt Gerhard Muzak von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien auf (man kann es wirklich nicht anders als „aufdecken“ nennen), dass es eine offenbar weitgehend unbekannte weitere Strafbestimmung zu Titelmissbrauch in Österreich gibt. Muzak resümiert mit den Worten: „Musterbeispiel schlechter Legistik“ (S. 114).

Im Gegensatz zu § 116 Universitätsgesetz (UG), der einen Strafrahmen bei Titelmissbrauch von bis zu 15.000,– Euro vorsieht, ist im sogenannten Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz (HS-QSG) in § 32 von einem Strafrahmen bei unbefugter Titelführung von bis zu 25.000,– Euro die Rede. Das HS-QSG gilt nach § 1 Abs. 1 für alle vier Hochschultypen in Österreich (öffentliche Universitäten, Privatuniversitäten, Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen) und wurde 2011 geschaffen.

Zu diesem Zeitpunkt gab es den § 116 UG bereits, aber erst 2021 wurde nach einer weiteren Aufdeckung einer Inkonsistenz durch den „Standard“-Redakteur Theo Anders klargestellt, dass der  § 116 UG und der neu geschaffene § 116a („Ghostwriting-Paragraf“) für alle vier Hochschultypen gelten müssen. Wäre diese Klarstellung nicht erfolgt, wäre Ghostwriting nur an öffentlichen Universitäten strafbar gewesen – eine absurde Situation.

Jener Legist, der die Strafbestimmung ins HS-QSG hineingetextet hat, dürfte die Doublette in Bezug auf den Titelmissbrauch schon 2011 nicht bemerkt haben. Lustigerweise (besser: traurigerweise) wird der Titelmissbrauch auch noch einmal im Fachhochschulgesetz (FHG) unter Strafe gestellt, und zwar seit 1993. Kennt sich da noch irgendwer aus?

Fakt ist: UG und FHG delegieren beide auf mögliche „Verwaltungs(straf)bestimmungen mit strengerer Strafe“. Damit gilt in Österreich seit 2011 aber nur § 32 HS-QSG. Jeder Bescheid nach UG oder FHG wäre somit formaljuristisch betrachtet rechtswidrig.

Und so sieht die derzeitige Dreifach-Regelung in Österreich mitsamt unterschiedlicher Strafrahmen aus:

Quelle: Strafbestimmung § 32 des HS-QSG, geschaffen 2011, angewandt wohl noch nie, da weitgehend unbekannt


Quelle: Strafbestimmung § 116 des UG, geschaffen schon vor Jahrzehnten, gültig seit 2021 laut § 6 Abs. 7 UG für alle vier Hochschultypen


Quelle: Strafbestimmung § 24 des FHG, geschaffen schon 1993 mit Einführung der Fachhochschulen als damaliger § 18, seit 2011 redundant zu § 32 HS-QSG, seit 2021 redundant zu § 116 UG


Der Fall zeigt meines Erachtens schön auf, dass Titelmissbrauch in Österreich allen wurscht (bundesdeutsch: wumpe) ist, wenn nicht einmal die Legisten des BMBWF, der VwGH, die Juristen der Hochschulen und die Verwaltungsbehörden hier mitdenken und die Gesetze genau lesen.

Immer mehr zeigt sich: Alles, was zu guter wissenschaftlicher Praxis (GWP) insbesondere seit 2021 geschaffen wurde, ist ein riesiger Murks. Dabei hatte ich nach dem Fall Aschbacher die Hoffnung auf echte Reformen. – Ich fasse den Murks zusammen:

1. Inkonsistente Differenzierung von „Plagiat“ und „Vortäuschen“

2. Inkonsistente Abgrenzung des „Vorsatzes“

3. Irreführende Bestimmung zu Titelmissbrauch durch Plagiat in § 116 Abs. 3 UG

4. Zwei Strafausmaße bei Titelmissbrauch und drei Gesetzesstellen dazu

Das schreit alles förmlich nach Verbesserung. Mittlerweile kenne ich Minister Polaschek: Genau deshalb wird absolut nichts passieren. Man müsste sich die Fehler der Vergangenheit eingestehen. Das passt nicht zum ewigen Schönfärben und Probleme-Weggrinsen im Ministerium.


Was wir jetzt jedoch benötigen würden, wäre ein kompaktes kurzes Gesetz (GWP-Sicherungsgesetz), das für alle vier Hochschultypen gilt und zumindest folgende Aspekte mitsamt der jeweiligen Strafbestimmungen umfasst:

  • Plagiat
  • Verwendung unerlaubter Hilfsmittel (analog und digital, inkl. KI-Tools)
  • Ghostwriting
  • Datenfälschung und Datenerfindung
  • Falschangaben in Output dokumentierenden Dokumenten und gefälschte Dokumente
  • Titelmissbrauch
  • Hochschulkorruption („Postenschacher“ etc.)

Das wäre dann gleich zu ergänzen mit einem echten Rechtsschutz bei Verfahren, mit Informationsfreiheit anstelle des Amtsgeheimnisses und der Ermöglichung von Konkurrentenklagen.

Dieses Gesetz könnte Schule machen in ganz Europa! Wir müssen nicht immer auf die EU warten, wir könnten auch einmal Vorreiter sein.

Dann könnten die verzweigten und widersprüchlichen Bestimmungen in UG, FHG und HS-QSG gestrichen werden.

Welcher politische Bewerber wäre für ein solches Gesetz zu gewinnen? Von Polaschek & Co. wird es nicht kommen. Ich bin aber absolut davon überzeugt, dass wir es brauchen.

Literatur: MUZAK, Gerhard (2023): Falsche Titel im Labyrinth universitätsrechtlicher Verwaltungsstrafbestimmungen. In: zfhr 22, Ausgabe 3, S. 107-114

2 Kommentare zu “„Musterbeispiel schlechter Legistik“: Zwei Strafrahmen für Titelmissbrauch – Wir brauchen jetzt ein „GWP-Sicherungsgesetz“!

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  1. Heinrich Unger

    Eigentlich ist es verzwickt. Wenn sich die Wissenschaftler und Universitäten selbst ernst nehmen würden, würden sie selbst auf strengere Gesetze pochen.

    Die Politik will Titelgenerierungsinstitute, damit sie in den diversen europäischen Statistiken gut da steht.

    Soll sein – dann sollte man aber im Gegenzug verlangen, PHD und Doktor strengstens abzusichern und mit sehr strengen Kriterien aufzuwerten.

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  2. Stillstand-Terminator

    Sehr gut auf den Punkt gebracht.
    20 Jahre Stillstand seit Einführung des UG müssen ein Ende finden.
    Stimmt: Politiker/Parteien vor, die bereit sind, diese überfällige Arbeit anzugehen, wenn es Polascheck und Co. nicht machen….

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