Plagiat, Widerruf des Grades und das intervenierende Moment

Ob ein Plagiat vorliegt oder nicht, hat in Österreich offenbar nicht wirklich viel mit dem Text selbst zu tun.
Ob ein akademischer Grad widerrufen wird oder nicht, hat in Österreich offenbar nicht wirklich viel mit dem Plagiat selbst zu tun.
Anders als in Form dieser beiden Arbeitshypothesen kann ich mir im Moment folgende Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre nicht erklären:
* Ein Magister der Universität Salzburg plagiiert mehr als ein Drittel seiner Diplomarbeit von einer ungenannten Quelle, er behält seinen Grad. Ein Magister der Universität Wien plagiiert 1,5 Seiten aus meiner Dissertation und verliert seinen Grad.
* Ein Doktor der Universität Innsbruck plagiiert fast seine gesamte Dissertation, er behält seinen Grad. Eine angeblich entscheidende Rolle spielte damals der Rektor und anschließende Minister Karlheinz Töchterle, der nun plötzlich im „profil“ in Anbetracht des Falles Buchmann wie ein Kämpfer gegen das Plagiieren auftritt:

„Töchterle urteilt im profil-Gespräch streng über Plagiate: ‚Das ist schlicht Betrug und ein Fehlverhalten. Man raubt einem anderen sein geistiges Eigentum.‘ Töchterle will auch nicht gelten lassen, dass früher andere Kriterien galten: ‚Das ist eine schwache Ausrede.'“

Dieselbe Strenge ließ der Fall Mario-Max Schaumburg-Lippe vollends vermissen, was sogar die ÖAWI später rügte, freilich erwartungsgemäß folgenlos.
* Eine Frau Magister der Universität Wien verliert ihren Grad, weil sie drei Absätze plagiiert hat; ein damaliger Wissenschaftsminister und späterer EU-Kommissar, auch Doktor der Universität Wien, behält seinen Doktorgrad nach dem Nachweis, dass fast 30 Prozent seiner Seiten plagiatsinfiziert sind. Die Uni Wien urteilte sogar kontrafaktisch, es liege kein Plagiat vor.
* Landesrat Buchmann verliert seinen Doktortitel; er hat genau so plagiiert wie Hahn, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Der (SPÖ-nahe?) Präsident der Universitätenkonferenz sagt heute der „Kleinen Zeitung“, die Fälle Buchmann und Hahn seien ganz anders gelagert. Nun, ich habe beide Dissertationen genauestens begutachtet, ich sollte es wissen, dass das falsch ist.
Stimmt da was nicht in Österreich? Was ist da los? Zeitalter des Postfaktischen? Der berüchtigten alternativen Fakten? Hat der Konstruktivismus doch Recht? Geht es in der Wissenschaft gar nicht um den Content, den Text, die Ideen, die geistige Beschäftigung selbst, geht es primär immer um – übergelagerte oder unterschwellige – andere Interessen?
Meine Arbeit versteht sich als ein Beitrag zu einer Wissenschaft, in der die Qualität der Inhalte zählt. Der Kampf gegen Plagiate ist ein Kampf gegen die Verlogenheit bei einer vermeintlich eigenständigen Beschäftigung mit einem Thema. Mein noch ungeschriebenes Buch „Die Rache der Inhalte“ soll sich damit beschäftigen. Natürlich haben meine Auftraggeber auch immer Intentionen; aber was ich finde oder nicht finde, hängt nie von der Person oder Potenz des Auftraggebers ab, sondern nur vom Text selbst: „Zurück zu den Sachen“, möchte ich mit dem Neuen Realismus sagen.
Seit der Causa Buchmann weiß ich nun, dass ich die Sache offenbar noch einmal neu denken muss: Neben der Erforschung der Techniken des Plagiierens, neben unglaublichen Zufallsentdeckungen wie dem Plagiat von Peter Decker durch Bogdan Roscic, also früheren Formen des Printplagiarismus, gibt es einen zweiten Forschungsgegenstand: Warum erkennen Universitäten eigentlich Grade (nicht) ab?
Gibt es am Ende entscheidende intervenierende Momente aus Politik und Wirtschaft? Welche Rolle spielen die Universitätsräte? Ich will keine Verschwörungstheorien konstruieren, ich stelle Forschungsfragen, die sich jedem denkenden Menschen stellen, der die Reaktionen der vergangenen Tage verfolgt hat. Es sind diese Fragen, es ist diese Beschäftigung der Wissenschaft mit sich selbst, wovor sie womöglich am meisten Angst hat. Vielleicht ist ihr „Streben nach Wahrheit“ nicht nur dann eine Konstruktion, wenn man sich für eine gewisse Erkenntnistheorie entscheidet?

Teil 2 meiner aktuellen Kommentarserie beschäftigt sich mit der ständigen Rechtsprechung des VwGH, wonach eine Erschleichungshandlung in Form eines Plagiats dann wesentlich ist, wenn bei entsprechender Kennzeichnung der Plagiate die Arbeit ungünstiger oder negativ beurteilt worden wäre; Teil 3 kritisiert die Informationspraxis der Universitäten nach dem AVG im Gegensatz zu Deutschland.

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