Erschleichungsabsicht und Wesentlichkeit eines Plagiats: Grobe Defizite im österreichischen Universitätsgesetz

Es ist ein vergleichsweise kurzer Absatz im österreichischen Universitätsgesetz. § 89 normiert:

Widerruf inländischer akademischer Grade
Der Verleihungsbescheid ist vom für die studienrechtlichen Angelegenheiten zuständigen Organ aufzuheben und einzuziehen, wenn sich nachträglich ergibt, dass der akademische Grad insbesondere durch gefälschte Zeugnisse erschlichen worden ist.“

Quelle: § 89 UG (Analog heißt es auch in Bezug auf die Nichtigerklärung der Beurteilung einer wissenschaftlichen Arbeit nach § 74 Abs. 2 UG: „…wenn diese Beurteilung, insbesondere durch die Verwendung unerlaubter Hilfsmittel, erschlichen wurde...“.)

Schon das „insbesondere durch gefälschte Zeugnisse“ in § 89 verwundert, es ist ein Relikt von anno dazumal und dürfte nur einen sehr geringen Prozentsatz der heutigen Gründe für einen Widerruf ausmachen. Es könnte heute getrost durch „insbesondere durch Plagiat oder Fälschung“ ersetzt werden. – Der Begriff der Erschleichung stammt aus dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, dort heißt es in § 69:

„Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist […]“.

Bei genauer Lektüre entpuppt sich die Bestimmung des UG somit als Plagiat des AVG (halbernst gemeint).

Der Begriff „Erschleichung“ wird im UG nicht bestimmt. Das ist das erste große Manko. Das zweite große Manko ist die damit verbundene schwammige Erklärung von „Wesentlichkeit“. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof beschäftigt sich alle paar Jahre mit Plagiatsfällen, wenn ein Plagiator Berufung gegen einen Aberkennungsbescheid in zweiter Instanz einlegt. In ständiger Rechtssprechung bemerkt der VwGH:

„Ein ‚Erschleichen‘ der Beurteilung einer Arbeit ist anzunehmen, wenn in Täuschungsabsicht wesentliche Teile der Arbeit ohne entsprechende Hinweise abgeschrieben wurden, wobei Wesentlichkeit dann anzunehmen ist, wenn bei objektiver Betrachtung der Verfasser der Arbeit davon ausgehen musste, dass bei entsprechenden Hinweisen die Arbeit nicht positiv oder zumindest weniger günstig beurteilt worden wäre […]“.

Quelle: Rechtssatz des VwGH, 11.12.2009, 2008/10/0088

Auf gut Deutsch: Von einer wesentlichen Erschleichungshandlung ist dann auszugehen, wenn etwa eine plagiatsinfizierte Dissertation bei korrekter Kenntlichmachung aller Plagiate als Zitate (das meint „bei entsprechenden Hinweisen“!) eine schlechtere Note bekommen hätte als bei unterlassener Kenntlichmachung. Der Begutachter hätte also zum Beispiel sagen müssen: „Ich hätte Ihnen ein ‚Gut‘ gegeben, aber jetzt, wo ich weiß, dass Sie viel mehr zitiert haben als angenommen und damit viel weniger von Ihnen selbst stammt, bekommen Sie nur noch ein ‚Genügend‘.“

Dass das eine Gummiformulierung ist, die sich noch dazu selbst widerspricht, dürfte klar sein: „Bei objektiver Betrachtung“ und eine solche sehr hypothetische Konstruktion (der VwGH spricht auch von einer „Prognoseentscheidung“) schließen sich aus.

Man denke auch nur an ein Plagiat von fünf Seiten am Stück: Hätte dieses bei korrekter Kenntlichmachung zu einer schlechteren Note geführt (siehe Fall Roscic)? Natürlich nicht, jeder vernünftige Betreuer hätte die Arbeit zurückweisen müssen, und dafür gibt es mittlerweile auch die Einstufung mit „unbeurteilbar“ (X).

In früheren Versionen ergänzte der VwGH sogar noch: „[…] die Unterlassung dieser Hinweise zu einem günstigeren Ergebnis geführt hat […]“. Das brachte spitzfindige Vizerektoren auf folgende glorreiche Idee: Ein Plagiat muss die Note verbessern. Der Begutachter kann sagen: 60 Seiten Plagiat sind nicht so schlimm, denn für die Note entscheidend waren nur die übrigen 100 Seiten. Dies könnte man bei Genialität von 10 Seiten Eigentext letztlich auch auf einen Plagiatsanteil von 90 Prozent anwenden…

Damit ist der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet. Der Gesetzgeber sollte sich überlegen, wie er diese Grauzone neu regeln kann. Zum Wohle der Wissenschaft und zum Wohle der Studierenden, die heute nicht mehr wissen, ob sie noch indirekt zitieren oder schon plagiieren.

Teil 3 meiner Kommentarserie beschäftigt sich mit der Veröffentlichungspraxis der Universitäten.

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