Schweizerischer Gewerbeverband: Plagiator Henrique Schneider mit Gegengutachten unterlegen

Das sind gute Nachrichten aus der Schweiz: Der Serienplagiator und Titel-Hochstapler Henrique Schneider wird definitiv nicht Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands. Zunächst hat ein vom Gewerbeverband selbst in Auftrag gegebenes Gutachten meine Plagiatsermittlungen im Wesentlichen bestätigt. Klarerweise hat auch der Beschuldigte ein Gutachten in Auftrag gegeben. In diesem argumentiert ein Züricher Arbeitsrechtler für Schneider, dass Plagiate, die weder urheberechtlich noch studienrechtlich zu ahnden wären oder geahndet wurden, keine seien oder höchstens Harmlosigkeiten, die de facto ignoriert werden könnten.

Ich habe dann untenstehende Stellungnahme verfasst, weil es mir wichtig ist, solche Auslassungen und Verirrungen nicht unwidersprochen stehen zu lassen. Wer behauptet, dass Plagiate entweder unter das Urheberrecht oder unter das Studienrecht fallen müssen, der übersieht eine dritte Möglichkeit: nämlich Plagiate als eine Form des wissenschaftlichen, künstlerischen oder sonstigen Fehlverhaltens. Ein Wissenschaftsplagiat als Form wissenschaftlichen Fehlverhaltens muss mit einer Urheberrechtsverletzung nicht einhergehen, vielmehr gibt es diese Überschneidung nur in den seltensten Fällen. Soeben gab es etwa eine „Retraction“ eines Papers der gefeierten Politikwissenschaftlerin Rahel Süß wegen plagiierter Textfragmente, ohne dass das etwas mit Urheberrechten zu tun gehabt hätte („insufficiently attributed overlap“ ist übrigens auch eine charmante Umschreibung von Plagiat).

Schneider versuchte, sich damit zu verteidigen, dass er doch keine Urheberrechte verletzt habe und einige Texte gar nicht zur Wissenschaft, sondern zum Journalismus gehörten. Ich habe versucht, klarzumachen, dass es einen Plagiatsbegriff erstens jenseits der Urheberrechte (und des Studienrechts) und zweitens jenseits der Wissenschaft geben muss: etwa in der Kunst, im Journalismus, ja auch in der Politik, wenn man nur an abgekupferte Reden denkt.

Als Diskussionsbeitrag hier meine „Stellungnahme“:

Stellungnahme Weber Schneider Seite 1
Stellungnahme Weber Schneider Seite 2
Stellungnahme Weber Schneider Seite 3
Stellungnahme Weber Schneider Seite 4

2 Kommentare zu “Schweizerischer Gewerbeverband: Plagiator Henrique Schneider mit Gegengutachten unterlegen

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  1. Ralf Rath

    Seit rund zwanzig Jahren reklamiert die empirische Sozialforschung ein schon damals seit längerem sich insbesondere auf Leitungsfunktionen erstreckendes „Kompetenzdefizit“ (Oberbeck, in: Lompe/Oberbeck (Hg.), 2003: 105). Das deutsche Bundesverfassungsgericht kritisierte angesichts dessen in seinem am 19. November 2021 gefallenen Entscheid erst jüngst, dass dadurch „unverzichtbare Mindeststandards“ (Rn 57) womöglich höchst unzulässig unterschritten werden. Insofern ist es längst kein bloß arbeitsrechtlich als vielmehr ein ausschließlich konstitutiv zu lösendes Problem. Damit es buchstäblich dem Fass nicht den „Boden“ (Husserl, 1954: 176) ausschlägt, bedarf es notwendig einer unnachgiebigen Theorie. Dass nicht zuletzt die einstige Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock erwiesenermaßen jedwede Anstrengung vermissen ließ, dazu wenigstens einen bescheidenen Beitrag zu leisten, wie ihn Theodor W. Adorno bereits in seinem Einleitungsvortrag zum 16. Deutschen Soziologentag am 8. April 1968 anregte, deutet mehr als augenfällig auf den noch immer anhaltenden „flight from reality“, von dem Hannah Arendt in der Zeitschrift „Commentary“ früh anlässlich der Ausgabe vom Oktober 1950 berichtete. Begrüßenswert ist somit, wenn zumindest in der Schweiz „Die langen Fünfziger Jahre“ (Abelshauser, 1987) exemplarisch am dortigen Gewerbeverband und seinem Direktor sich nunmehr dem Ende zuneigen und endlich „ein neuer Tag anbrechen“ kann, wie Max Horkheimer im Vorwort zur deutschen Erstausgabe von „Eclipse of Reason“ im Mai 1967 bemerkt hat.

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    1. Ralf Rath

      Übrigens: Wegen des geradewegs sich in der Irre verlierenden Anspruchs, eine „ausformulierte Theorie“ (Einleitung u. a. von Oskar Negt vom Februar 1971 zu Konstitution und Klassenkampf) zu erarbeiten, sah sich Adorno noch zu seinen Lebzeiten zu der Aussage gezwungen: „In Krahl, da hausen die Wölfe!“. Spätestens seit dem Jahr 1957 gilt nämlich: „Nicht nur die Theorie, sondern ebenso deren Absenz wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift“ (Adorno zit. n. kpwittemann.de). Insofern erübrigt es sich von vornherein, solch eine „Waffe“ (Marx) jemals ins Feld zu führen. Fraglich daher, warum fortgesetzt bis auf die Gegenwart so getan wird, als ob insbesondere meine Person der so genannten „Schicksalsgemeinschaft“ (Dörre, in: Schumann, 2013: 170) etwas schuldig geblieben wäre. In einem ungeheuren Anflug geistiger Umnachtung diente mir sogar eine Amtsleiterin der Stadt, in der ich vor kurzem wohnte, dennoch eine Schuldnerberatung an.

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