Zehn plagiierte Veröffentlichungen und zwei vorgetäuschte Professuren bei ein und derselben Person – und was Minister Polaschek damit zu tun hat

Ich wurde beauftragt, gutachterlich einen (hoffentlich!) einmaligen Fall zu beleuchten: Der derzeitige Chefökonom und designierte neue Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands und Professor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordakademie in Elmshorn, Prof. Dr. Henrique Schneider, MA steht im Verdacht, seit mindestens zehn Jahren in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen systematisch plagiiert zu haben und zwei Professuren, nämlich an den Universitäten Wien und Graz, vorgetäuscht zu haben. Die „NZZ am Sonntag“ berichtet heute hier zu den Falschangaben im Lebenslauf und hier zu den Plagiaten nach langer und umfassender Recherche exklusiv. Sie stützt sich dabei unter anderem auf mein Gutachten, das den Plagiatsverdacht bestätigt (siehe unten).

Die Schweizer Handelszeitung schrieb erst vor wenigen Tagen über den umtriebigen Wissenschaftler und Publizisten:

„Als Akademiker schreibt er über Themen wie China, Neutralität oder Datenschutz. Als Autor verfasste er Bücher über liberale Persönlichkeiten, Sharing Economy oder Dorfgemeinschaften in Kosovo.“

Lesen Sie hier im Blog untenstehend das Gutachten in seiner Komplettfassung, das einen nur noch sprach- und ratlos zurücklässt:

  • Wie konnten die Plagiate in peer-reviewten Fachzeitschriften wie etwa dem Journal of Chinese Philosophy im anerkannten Verlag Wiley-VCH durchgehen?
  • Wie konnten erfundene Professuren an den Universitäten Wien und Graz in einer peer-reviewten Fachzeitschrift und in einem Sammelband niemandem auffallen?
  • Wie konnten renommierte Verlage wie Springer Nature die Plagiate nicht bemerken?

Wieder einmal haben die Mechanismen der Qualitätssicherung (von denen man seit Guttenberg, also seit 2011 dachte, dass sie funktionieren) über viele Jahre komplett versagt. Oder es gab gar keine. Oder aber: Es gab gar keine Prüfer und Leser.

Plagiatsprüfung an der Universität Graz war Ressort Martin Polaschek

Höchst problematisch ist auch die real existierende Dissertation an der Universität Graz aus dem Jahr 2015, zuständiger Vizerektor für Studium und Lehre zu dem Zeitpunkt war der jetzige österreichische Bildungsminister Martin Polaschek. Wie ernst nahm dieser die Plagiatskontrolle an seiner Universität? Es ist nun schon das zweite Mal, dass Polaschek mit einem von mir dokumentierten Plagiatsfall in Berührung kommt. Der Fall Schneider kommt noch dazu zu einem Zeitpunkt, an dem sich das von Polaschek geführte Ministerium aus allen Projekten zu „guter wissenschaftlicher Praxis“ verabschiedet hat.

Um einer Fehldeutung vorzubeugen: Ich verlange klarerweise nicht, dass ein Vizerektor persönlich Dissertationen auf Plagiate prüft. Ich verlange aber sehr wohl, dass er eine technische Schnittstelle etabliert, um genau solche Fälle auszuschließen. Und das geht simpel mit der Anbindung der Software Turnitin an die Lernplattform der Universität und an den verpflichtenden digitalen Upload-Mechanismus. Wieder ein Systemversagen, und wieder ein Fall, der zeigt, dass man an genauen Kontrollen kein wirkliches Interesse hat. Polaschek war seit 2003 im Amt, er hätte also genug Zeit gehabt, einen solchen Workflow zu implementieren. Wie konnte Schneiders Dissertation durchgewunken werden?

Das österreichische Doktorat aus dem Jahr 2015 wurde zum Karriere-Booster für Henrique Schneider: Zuerst eine Fülle an Papers und Büchern, dann Ende 2018 die Professor in Norddeutschland, nun, 2023 der angebotene Schweizer Direktorenposten.

Was muss nun noch passieren, damit wir Qualitätssicherung, die mit flächendeckenden Plagiatssoftware-Kontrollen und genauen Lebenslauf-Checks beginnen muss, endlich ernstnehmen und technisch wie logistisch umsetzen?

Der nächste unglaubliche Fall, der an der Universität Wien spielt und eine vor allem in Deutschland bekannte und gepushte Theoretikerin betrifft, ist schon in Arbeit.

Lesen Sie mein im September 2023 bei Edition Atelier erscheinendes neues Buch „Auf Plagiatsjagd. Streitschrift für eine bessere Universität“ über Hochschulkorruption in Österreich.

Plagiatsanalyse Henrique Schneider Seite 01
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7 Kommentare zu “Zehn plagiierte Veröffentlichungen und zwei vorgetäuschte Professuren bei ein und derselben Person – und was Minister Polaschek damit zu tun hat

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  1. Vermutlich...

    …wissen wir immer noch nicht ganz, was ein ! Plagiatsfall ! eigentlich ist. Die DA von Peter Weidinger war ein Plagiat für Sie, aber für die Uni Graz dann noch nicht. Der Fall Hahn war für Sie ein Plagiat, für die Uni Wien nicht, für Kollegen Hrachovek dann eigentlich aber auch nicht ganz. (https://sciencev2.orf.at/stories/1712336/index.html ) Im Fall Kuhn reagierten Sie kühn, indem Sie klarstellten, dass man auch dann Plagiator sein kann, wenn die Uni die Arbeit gar nicht entzieht.

    Ab wann ist es denn nun ein Plagiatsfall für Sie, Herr Weber? Das heißt konkret: für Sie ist es ein Fall, mit dem Sie an die Öffentlichkeit gehen, wenn Sie im Rahmen objektiver oder intersubjektiver und freier Expertise (die Sie haben, im Unterschied zu anderen „Jägern“) sicher sind, dass schwerwiegend und massiv (oder wesentlich) und somit also üppig qualitativ und quantitativ plagiiert wurde? Das heißt, ein Plagiator (bei Qualifikationsschriften) ist eine Person, die mit Vorsatz große Teile einer Arbeit unrechtmäßig übernimmt, auch dann, wenn diese Übernahmen studienrechtlich nicht relevant sind?

    Danke, freue mich wieder auf Antwort, beste Grüße

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      – „…wissen wir immer noch nicht ganz, was ein ! Plagiatsfall ! eigentlich ist“: Ich würde das so definieren: Ein Plagiatsfall ist dann der Fall (sic), wenn Plagiatsfragmente gehäuft auftreten. Plagiatsfragmente sind unzitierte Passagen von textueller Gleichheit mit Passagen älterer Werke, bei denen eine rein zufällige Gleichheit nach bestem Wissen und bester Methodik ausgeschlossen werden kann.

      – „Die DA von Peter Weidinger war ein Plagiat für Sie“: Nein, ich habe noch nie gesagt, eine Arbeit sei ein Plagiat. Eine solche Klassifizierung wäre nur dann wahr, wenn die Arbeit ein Totalplagiat wäre, wie etwa die auf VroniPlag Wiki dokumentierte Arbeit von Frau Linnert (100 Prozent Plagiat).

      – „Der Fall Hahn war für Sie ein Plagiat“: Nein, für Herrn Pilz. Ich sprach von so und so viel Prozent Plagiatsanteil.

      – Der Kollege heißt „Hrachovec“.

      – „dass man auch dann Plagiator sein kann, wenn die Uni die Arbeit gar nicht entzieht.“ Ein Grad wird entzogen, nicht die Arbeit. Und ja: Beide Dinge sind getrennt voneinander zu betrachten. Zitiergebot und Wissenschaftsethik ist nicht gleich Studienrecht. Darauf hat auch u.a. Debora Weber-Wulff immer wieder hingewiesen. Viele sind Plagiatoren, ohne dass der Grad entzogen wurde: Drozda, Kuhn, Roscic, Zadic – um nur einige zu nennen. Ein Plagiator ist in meinem Verständnis einer, in dessen Werk oder Werken gehäuft Plagiatsfragmente auftreten.

      – „Das heißt, ein Plagiator (bei Qualifikationsschriften) ist eine Person, die mit Vorsatz große Teile einer Arbeit unrechtmäßig übernimmt, auch dann, wenn diese Übernahmen studienrechtlich nicht relevant sind?“ Das wäre ein Widerspruch in sich. Aber durchaus gelebte Praxis an vielen staatlichen Universitäten in Österreich!

  2. Ossenburg

    In dem Bereich, in dem ich tätig bin (Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaften) wären falsche Affiliations-Angaben ein absolutes „no-go“. Aus verschiedenen Gründen. Bspw. gibt es Verträge der Universitäten gerade mit den anerkannten Verlagen in diesem Bereich, auf deren Grundlage besondere Publikationsbedingungen vereinbart wurden (insbesondere OA). Falsche Angaben wären ganz klar eine Falscherklärung, die disziplinarrechtlich und wohl auch strafrechtlichen zu ahnen wären. Ganz abgesehen von den Schadenersatzforderungen. Dass die betreffende Kontrolle nicht von den Reviewern duchzuführen ist, ist ohnehin klar. Den Herausgebern der Zeitschrift sollte dies aber ohne weiteres auffallen.
    Wenn in Österreich aber allen alles egal ist, dann ist es eben, wie es ist. Für manche (nicht für alle!) gilt offenbar ein Freibrief für alles.

    Antworten
  3. Gabriel

    Dass falsche „affiliations“ gerade bei Zeitschriften mit peer review nicht aufgefallen sind, ist nicht weiter verwunderlich. Zumindest bei einem double blind peer review, bleiben Gutachtende und Begutachtete ja einander unbekannt. Das ist ja gerade der Sinn des Prozederes. Allenfalls die Herausgeber:innen und/oder der Verlag hätten dies nachprüfen können, vielleicht sogar sollen. Gleichwohl dürfte wohl niemand Verdacht geschöpft haben (warum sollte man hier unter normalen Umständen lügen), weil die Affiliation in einer idealen Wissenschaftswelt keine Rolle spielt. Es zählt allein der Inhalt, nicht die Person und erst Recht nicht die Institution, an der eine Person angestellt ist. Solche Angaben in Artikel dienen einzig und allein der möglichen Kontaktaufnahme, falls Leser:innen Nachfragen oder Anmerkungen haben.

    Antworten
    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Das sehe ich ganz anders. Wenn eine affiliation nicht zumindest fachintern bekannt ist, liegt es doch schon an den Herausgebern einer Fachzeitschrift, am editorial board etc. – oft gibt es auch zusätzliche Heftverantwortliche pro Ausgabe –, die Angaben zu prüfen. So etwas sollte doch gerade in Zeiten des Internets ein fast schon üblicher Reflex sein. Und dann sollte es doch auch noch Leserinnen und Leser geben, und seien es die Peer Reviewer selbst, die wissen wollen, von wem der reviewte Text stammt.
      Also mir wäre das völlig neu, so etwas nicht zu prüfen. Sagen wir, ich wäre Heftverantwortlicher des „Medien Journals“ und würde eine Einsendung eines mir nicht bekannten „Achim Hübner“, angeblich „Juniorprofessor an der TU Dortmund“ bekommen. Da ist es doch fast ein Reflex, den Namen zu googeln, oder nicht?

    2. Tom

      Gebe Herrn Gabriel völlig Recht!
      Die affiliation soll und muss vollkommen irrelevant bleiben. Was zählt ist rein der Inhalt.

      Ich schreibe selber gerade einen review und mir ist der Autor natürlich völlig unbekannt. Ist mir auch vollkommen gleichgültig wo der/die sitzt und ob sie/er Dreck am Stecken hat. Ich habe den Inhalt zu bewerten. Selbiges gilt für das editorial board.

    3. Ralf Rath

      Wenn Sie, Herr Weber, meinen Namen im Internet googeln, sind dort zuhauf falsche Spuren gelegt. Angeblich sollen die von mir verfassten Texte, wortwörtlich, „dummes Gerede“, „Geschwurbel“, „pseudointellektuelles Geschwätz“ oder gar „selbstverliebter Nonsens ohne Aussagewert“ sein. Und das ist nur eine kleine Auswahl der seit vielen Jahren immer wiederkehrenden, aber stets unbegründeten Urteile über meine Befähigung. Als Sozialwirt ist es zwar meine vornehmste Aufgabe, mich solchen Praktiken der „terroristic annihilation“ (Horkheimer, 1947: 161) bewusst auszusetzen und auf diese Weise Erkenntnisse zu gewinnen, woran sie sich ohne mein Zutun unter allen Umständen brechen. Es ist aber inzwischen durchaus so, dass die Humanität als die historisch einzigartige Errungenschaft Europas erheblichen Schaden nimmt und keine Ermittlungsbehörde bislang willens ist, die Umstände des selbst noch infolge dessen womöglich jäh eintretenden Todes eines Menschen offen vor Augen zu legen. Längst ist deshalb von einem „perfekten Mord“ (Der Spiegel 4/1982: 47) die Rede. All das darf nicht vergessen werden, wenn Plagiatsforschung seriös sein soll.

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