Langsam fragt man sich: Wie verlogen und korrupt ist das Wissenschaftssystem in Deutschland, Österreich und der Schweiz eigentlich, wenn eine Handvoll mehrheitlich anonymer Wissenschaftler in einem Wiki einen glasklaren Plagiatsfall nach dem anderen dokumentiert, die betroffenen Universitäten und Hochschulen mit zunehmender quantitativer Brisanz der Untaten aber auf noble Zurückhaltung, Ignoranz oder sogar bewusstes Lügen machen? Worum geht es in der Wissenschaft hauptsächlich? Um Wissen und Erkenntnis (dazu gehört eben immer auch die alles andere als unbedeutende Erkenntnis, dass eine Arbeit unredlich zustande gekommen ist, das heißt abgeschrieben wurde)? Oder primär oder gar ausschließlich um den Schutz der bereits Angestellten und der von diesen bereits „Durchgewunkenen“?
Fallbeispiel 1, die Dissertation von Dominic Stoiber. Der Vorsitzende des Senats der Universität Innsbruck beruft sich gegenüber „Spiegel Online“ auf einen zum Rechtssatz erhobenen Passus aus einer einschlägigen Entscheidung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs. Dort heißt es:
„Vor dem Hintergrund des Beschwerdefalles ist der Begriff des ‚Erschleichens‘ im Sinne der Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 9. März 1982, 81/07/0230, 0231, VwSlg. 10670 A/1982, zu verstehen, also ein ‚Erschleichen‘ dann anzunehmen, wenn in Täuschungsabsicht wesentliche Teile der Dissertation ohne entsprechende Hinweise abgeschrieben wurden, mit der Maßgabe, dass die Wesentlichkeit dann anzunehmen ist, wenn bei objektiver Betrachtung die Beschwerdeführerin davon ausgehen musste, dass bei entsprechenden Hinweisen die Dissertation nicht positiv oder zumindest weniger günstig beurteilt worden wäre (§ 45 Abs. 1 UniStG 1997 normiert ja vier positive Noten für wissenschaftliche Arbeiten) und die Unterlassung dieser Hinweise zu einem günstigeren Ergebnis geführt hat, entsprechende Hinweise daher zu einem ungünstigeren Ergebnis geführt hätten (vgl. dazu Bast-Langeder, UniStG, Anm. 15 zu § 46).“
Quelle: VwGH, Erkenntnis 99/12/0324, Rechtssatz.
Der Senatsvorsitzende folgert gegenüber „Spiegel Online“ (sofern korrekt zitiert):
„Im Fall Stoiber hätte jedoch, so Hajnal, ‚eine klarere Kenntlichmachung der betreffenden Textstellen die ursprüngliche Benotung nicht verändert‘.“
Was heißt das? Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine – offenbar bewusste – Fehlinterpretation des betreffenden VwGH-Rechtssatzes. Nehmen wir – getreu der Innsbrucker Logik – den Fall Guttenberg: Hätte ein Gutachter nun argumentiert, dass ihn ein Mehr an direkten, korrekt kenntlich gemachten Zitaten von knapp 64 Prozent der Gesamtzeilenanzahl nicht gestört hätte, dass diese vielen Zitate also die Note nicht verschlechtert hätten, dass womöglich sogar ganz im Gegenteil so viele Zitate doch für akribische Literaturarbeit stehen würden, dann wäre Guttenbergs Plagiat getreu der Innsbrucker Logik schlicht keines gewesen. – Schon bemerkt? Nur eine Arbeit, in der fast alles plagiiert wäre, wäre dann ein solches „wesentliches“ Plagiat.
Was war der Trick? Die Innsbrucker Lesart ignoriert drei Wörter des Rechtssatzes: „bei objektiver Betrachtung“. Das bedeutet nun nämlich sicher nicht, dass der subjektiven Plagiats- bzw. Zitatstoleranz des Gutachters kaum Grenzen nach oben gesetzt wären, sondern das heißt: Was ist der State of the Art im jeweiligen Fach, was erlauben die Lehrbücher, wie sehen die wissenschaftlich redlichen Arbeiten im Vergleich aus? Nur das ist objektive Betrachtung! Und damit verschiebt sich die Messlatte komplett. Die Universität Innsbruck betreibt damit – wie schon zuvor die Universität Salzburg – grobe Rechtsverdrehung. Ich wiederhole es gerne: Wie schon zuvor an der Universität Salzburg ist dies ein Fall für die Korruptionsstaatsanwaltschaft.
Der VwGH-Rechtssatz bezieht sich auf das Erkenntnis 81/07/0230 aus dem Jahr 1982, das mir vorliegt. In diesem geht es um eine Diplomarbeit, die zu fünf Sechstel von einer Dissertation plagiiert war. Im Erkenntnis ist dem VwGH ein grober Schnitzer unterlaufen: Er gestattete die Ausweisung von direkten Zitaten nur mit Fußnoten, aber nicht mit Anführungszeichen (oder sonstiger Hervorhebung). Eine solche Zitierweise hat es allerdings nie gegeben, zumindest nicht nach der Erfindung der Anführungszeichen vor einigen Jahrhunderten.
Quelle: VwGH, Erkenntnis 81/07/0230, S. 8.
In keiner späteren Entscheidung zu akademischen Plagiatsfällen wurde dieser Passus wiederholt. Man muss hier also klar sagen, dass sich die Universitäten offenbar bewusst unscharfer oder sogar falscher Formulierungen des Verwaltungsgerichtshofs bedienen, um Plagiatoren zu entlasten. Da alle späteren Entscheidungen strenger und begrifflich klarer ausfielen, hätten auch alle jüngeren möglichen Entziehungen von Titeln im Instanzenweg Bestand gehabt.
Fallbeispiel 2, die Thesis von Doris Fiala. Erfreulicherweise hat nun VroniPlag begonnen, das Gesamtausmaß dieser Plagiatsfundgrube offenzulegen. Erstaunliches war ja in den Schweizer Medien zu lesen: etwa, dass es sich nur um eine Thesis und nicht um eine Doktorarbeit handle (der glasklare Einwand: Plagiieren ist schon bei Hausarbeiten verboten, und dies hoffentlich auch an der ETH Zürich) oder dass nur kleinere Schlampereien gefunden wurden („da und dort schludrig zitiert“), wie ein Kommentator der ansonsten so genau argumentierenden „Neuen Zürcher Zeitung“ fälschlicherweise schrieb. Viel schlimmer als falsche Plagiatsanschuldigungen (wenn sie denn überhaupt jemals vorkamen) sind inzwischen vorschnelle falsche Entlastungen, vor allem von einer sich rasch solidarisch erklärenden Provinzpresse, nach dem Motto: „Einen Fall Guttenberg, so etwas gibt es bei uns nicht.“ Dieselben Argumentationsmuster waren auch wiederholt in der österreichischen Lokalpresse tonangebend. Die Realität sieht leider anders aus, und damit komme ich zum ähnlich gelagerten Fall 3.
Fallbeispiel 3, die Dissertation von „Prof. Dr.“ Ronald Moeder. Es handelt sich um eine haarsträubend plagiierte Doktorarbeit mit noch dazu sehr fragwürdiger Vorgeschichte. Den Vogel schoss hier jüngst die Pressestelle der Hochschule Heilbronn ab, an der Herr Moeder lehrt. Sie steht – in der Kommunikation nach außen – auf dem Standpunkt, dass ein Plagiat nicht dann eines ist, wenn es intersubjektiv mit Belegstellen nachgeprüft werden kann, sondern wenn eine andere Universität entsprechend reagiert hat, noch dazu eine „renommierte[n] Universität in Österreich“. Zumindest haben die Heilbronner schwarzen Humor, denn diese Universität, namentlich schon wieder die Universität Innsbruck, hat bislang bereits mehr als sechs Plagiatoren geschützt und tritt wissenschaftliche Redlichkeit im Moment wie keine andere mit Füßen. Was ist das für eine Wissenschaftsauffassung? Wenn in Heilbronn so geforscht und gelehrt wird wie hier argumentiert wird, dann kann man die Studierenden nur warnen: Hier geht es wohl auch nicht um Erkenntnis und Wissen, sondern um die niedere Kunst des Wegschauens und der falschen Solidarität.
Die fatalen Folgen für die Qualität und weitere Glaubwürdigkeit der Wissenschaft – interessieren die eigentlich auch jemanden? Und was sagen zu all diesen Vorgängen eigentlich jene Absolventen, die an den betroffenen Universitäten ehrlich gearbeitet und korrekt zitiert haben?
Zu Dominik Stoiber gibt es wohl leider keine öffentlich einsehbare Dokumentation. Da wäre es nämlich mal interessant, die inkriminierten Stellen zu kennen – schon allein um die Entscheidung der Universität nachvollziehen zu können.
Ja, es gibt nur die Zeitungsente, wonach ich die gesamte Arbeit überprüft hätte. Da ich keinen Prüfauftrag hatte, habe ich nur die Arbeit durch PlagScan laufen lassen und sehr schnell die eine markante Stelle mit der abgeschriebenen Seminararbeit entdeckt.