Prokrastinierte Publikationen: Über Falschangaben von im Druck befindlichen Veröffentlichungen in den Rechtswissenschaften

Nach den von mir aufgedeckten Problemen mit Zitierstandards in den österreichischen Rechtswissenschaften gibt es schon wieder eine Baustelle im Fach: Habilitationsschriften, deren Drucklegung über Jahre angekündigt wird, die aber bis dato nicht erschienen sind. Eigentlich sind das Falschangaben in Lebensläufen, etwa bei Bewerbungen: Es wird die kurz bevorstehende Drucklegung einer Publikation (meist der umfangreichsten im ganzen Schriftenverzeichnis) vorgetäuscht, die dann immer wieder hinausgeschoben wird.

Beispiel 1: Andreas Th. Müller

Der an der Universität Basel frisch berufene Universitätsprofessor war vorher an der Universität Innsbruck tätig. Es geht um seine im Dezember 2016 preisgekrönte Habilitationsschrift „Effet direct. Die unmittelbare Wirkung des Unionsrechts“. Diese ist nun seit geschlagenen sieben Jahren in Veröffentlichung, und man mag sich fragen: Wäre sie heute wirklich noch aktuell, gab es zu dem Thema seitdem keinen Wissensfortschritt oder war sie einfach ihrer Zeit gnadenlos voraus? Die folgenden Snippets stellen vielleicht ein Extrembeispiel dar – oder auch nicht (die ersten vier Snippets stammen aus eigenen Publikationslisten von Andreas Müller, der fünfte Hinweis ist ein Selbstzitat aus einem Paper von Andreas Müller aus dem Jahr 2022):

Und im aktuellsten Dokument (September 2023, Universität Basel) heißt es nur noch datumslos:

Auf der Verlagswebsite von Mohr Siebeck sucht man den Titel indes aktuell vergeblich.


Beispiel 2: Wolfgang Faber

Auch beim derzeit – im Kontext der Rektorswahl an der Universität Salzburg – medienpräsenten Senatsvorsitzenden und Rechtswissenschaftler Wolfgang Faber tritt das Phänomen der prokrastinierten Publikation auf. Alle Snippets stammen wieder aus eigenen Publikationsverzeichnissen (Eigenangaben: Stand Dezember 2020, 2021 und 2022):

Angekündigt wird der Titel nunmehr für 20.11.2023 hier. Und zwar – und hier verstummt fast meine Kritik – mit stolzen XXVI + 732 Seiten im Festeinband, was wiederum nichts mit Weihnachten zu tun hat.


Beispiel 3: Meinhard Lukas

Der ehemalige Rektor der Universität Linz hat im Jahr 2004 eine Habilitationsschrift zum Thema „Das Recht der Nichterfüllung. Systemwechsel durch Rechtsangleichung“ vollendet. 2008 hätte die Arbeit bei Springer Wien als Buch erscheinen sollen. Und das ist eine weitere Spielart, diesmal in Gestalt einer Phantom-Publikation: Das Buch ist nie erschienen, taucht jedoch in verschiedenen Quellen auf, sogar auf amazon als Titel im Springer-Verlag.

Die Deutsche Nationalbibliothek meldet den Titel mit „Ohne Bestand“:


Der geneigten Leserschaft teile ich vorsichtshalber mit, dass ich mir dessen bewusst bin, dass Habilitationsschriften weder in Österreich noch in Deutschland veröffentlicht werden müssen (was ich übrigens auch für falsch halte). Aber wenn man sie in Publikationslisten als Veröffentlichungen führt, sollten sie auch entsprechend zeitnah veröffentlicht werden. Oder nicht? Albin Eser hat nicht umsonst schon 1998 normiert:

In Österreich herrscht natürlich wie immer kein Bewusstsein dafür: Richtig unter Punkt c) gelesen, Falschangaben zu in Druck befindlichen Veröffentlichungen sind wissenschaftliches Fehlverhalten. Das ich freilich den überlasteten Kollegen hier keinesfalls unterstellen möchte!

7 Kommentare zu “Prokrastinierte Publikationen: Über Falschangaben von im Druck befindlichen Veröffentlichungen in den Rechtswissenschaften

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  1. Dr. Markus Kühbacher

    Die Dissertation von Christian Drosten war bis zum Sommer 2020 an keiner Bibliothek katalogisiert:

    https://transition-news.org/promotionsschrift-von-prof-christian-drosten-war-bis-zum-sommer-2020-an-keiner

    Und diese Tatsache versucht man bis heute zu vertuschen:

    https://transition-news.org/grosste-deutsche-nachrichtenagentur-verweigert-veroffentlichung-der-causa

    Die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) hat sogar archivierte Webseiten ihres digitalen Katalogs aus dem Internetarchiv entfernen lassen:

    Manipuliert die Nationalbibliothek Eintrag zu Drosten-Dissertation?

    Und es kommt noch besser: Sämtliche E-Mail-Korrespondenz von Mitarbeitern der DNB zur Causa Drosten soll aus datenschutzrechtlichen Gründen gelöscht worden sein.

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  2. Ralf Rath

    Nach Abschluss einer Promotion gilt eine Arbeitsleistung als eigenständig erbracht. Eine Habilitation hingegen ist ein gesellschaftlicher Prozess, an dessen Ende der Wissensbestand herausgehoben und insofern extern vorliegt. Ohne eine Veröffentlichung fehlt es demnach daran, von außen darauf zugreifen zu können. Der jeweilige Verfasser schließt sich dadurch in das „stählerne Gehäuse“ im Innern des Menschen ein, das einst schon Max Weber kritisiert hat. Die eigene Person fortgesetzt selbst gefangen zu nehmen, zeugt insofern nicht davon, zu rationalem Handeln fähig zu sein. Das Hölderlin’sche Flehen „Komm! ins Offene, Freund!“ verhallt dann ungehört.

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  3. Sven Schroder

    Stichprobe:

    „Habilitation: Abschluss des Habilitationsverfahrens am 24. Juni 2014 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit der Erteilung der Lehrbefähigung und -befugnis für Öffentliches Recht, Völkerrecht, Europarecht und Rechtstheorie. Habilitationsschrift zum Thema „Folgen hoheitlicher Rechtsverletzungen. Theorie und Dogmatik des öffentlichen Reaktionsrechts“ (erschienen 2021 im Verlag Mohr Siebeck als „Öffentliches Reaktionsrecht“)“

    https://www.jura.uni-bonn.de/lehrstuhl-prof-dr-sauer/prof-dr-heiko-sauer

    2014/2021 – Wo ist das Problem? Gut Ding will Weile haben!

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Na eh. Mein Lieblingsbuch „Das Jenseits der Philosophie“ hat Josef Mitterer gar in den Jahren 1973-78 geschrieben, aber erst 1992 veröffentlicht. Das spürt man kaum, da es ohnedies bei jedem Leser Jahrzehnte dauert, bis man seinen Vorschlag kapiert.

    2. Norman Nordländer

      Ach, was lob ich mir die Vergleiche zwischen Österreich und Deutschland. Ist doch tatsächlich überall (beinah) dasselbe. Einziger unbedeutender Unterschied: Heiko Sauers Habilitationsschrift ist tatsächlich erschienen!

  4. Dr. Markus Kühbacher

    Im deutschen Urheberrechtsgesetz werden die „Veröffentlichung“ und das „Erscheinen“ (z. B. eines Druckwerks) als sogenannte bestimmte Rechtsbegriffe gebraucht. Aus der Rechtsnorm des § 6 Abs. 2 UrhG leitet sich die Legaldefinition des Begriffs „Erscheinungsdatum“ ab, die im Kern sich nicht von der bibliografischen Definition des Begriffs unterscheidet: „Ein Werk ist erschienen, wenn mit Zustimmung des Berechtigten Vervielfältigungsstücke des Werkes nach ihrer Herstellung in genügender Anzahl der Öffentlichkeit angeboten oder in Verkehr gebracht worden sind. Ein Werk der bildenden Künste gilt auch dann als erschienen, wenn das Original oder ein Vervielfältigungsstück des Werkes mit Zustimmung des Berechtigten bleibend der Öffentlichkeit zugänglich ist.“

    Daher handelt es sich z. B. bei der im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) aufgeführten Angabe zum Erscheinungsdatum („[2003]“) um eine falsche Angabe zum Jahr des Erscheinens der monographischen Dissertation von Herrn Christian Drosten, die in Wahrheit erst im Jahr 2020 erschienen ist.

    Interessant ist hier zudem, dass im Katalog der DNB das Erscheinungsjahr lange Zeit in eckigen Klammern aufgeführt wurde und sogar mehrfach geändert wurde: https://d-nb.info/1213667046

    Glücklicherweise gibt es ja das Webarchiv:

    https://web.archive.org/web/20030315000000*/https://d-nb.info/1213667046

    … und Screenshots auf meinem Computer.

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    1. Dr. med. Viktor Mihaljevic (M.A.)

      Dank der freundlichen Mithilfe des Doktoranden geschah es. Er entriss es dem nassen Element.

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