Textueller Missbrauch an deutschen Unis und in der Europapolitik

Seit gestern wissen wir, wieder einmal dank VroniPlag, dass ein weiterer deutscher Politiker aus dem konservativ-liberalen Lager bereits die ersten Sätze der Einleitung seiner Dissertation aus der FAZ abgeschrieben hat. Der gute Mann muss schon ins Schwitzen gekommen sein, denn auf seiner Website erklärt er – auch seit gestern – seine Neuerfindung der wissenschaftlichen Zitiertechniken: vom Harvard-Style zum Jorgo-Style sozusagen. Und dieser Freestyle sieht dann so aus: Zitate im Fließtext, nicht eingerückt und ohne Anführungszeichen, ausgewiesen durch Fußnote. Doch wenn ein Zitat im Fließtext aufgeht, Anfang und Ende nicht durch An- und Abführungszeichen deutlich gekennzeichnet sind und nur eine diffuse Fußnote irgendwo zur Originalstelle führt, handelt es sich um ein Plagiat (das hat etwa der österreichische Verwaltungsgerichtshof wiederholt klargestellt; ähnliche Entscheide müsste es auch für Deutschland geben). Es mutet fast ein wenig absurd an, hier wieder mal daran erinnern zu müssen, dass jede Einführung in wissenschaftliche Arbeitstechniken genau solche Formen des Missbrauchs verbietet. Dazu nur drei Zitate aus dem Buch „Wissenschaftliches Arbeiten: Technik – Methodik – Form“ von Manuel R. Theisen, Erstauflage 1984:

– „Ein direktes Zitat muß im Text in Anführungszeichen gesetzt werden […]“. (S. 127 – Hervorhebungen im Original)

– „Die einmal gewählte Zitattechnik muß in einer Arbeit konsequent und ausnahmslos durchgehalten werden.“ (Ebenda – Hervorhebungen im Original)

Und auch für das ‚inhaltliche‘ oder ‚indirekte‘ oder ’sinngemäße‘ Zitat, das oft als Freibrief zum Paraphrasieren missverstanden wird, gibt es eine ganz klare Regel:

– „In jedem Fall muß für den Leser Anfang und Ende auch eines längeren indirekten Zitates klar erkennbar sein […]“. (S. 131 – Hervorhebungen im Original)

Schon auf der ersten Seite der fraglichen Dissertation („Einleitung“, S. 6) wurde gegen diese drei Regeln glasklar verstoßen. Das Interessante an diesem Fall ist, dass sich die Begutachter, Detlev Karsten und Uwe Holtz, nun nicht mehr darauf berufen können, sie hätten eine ach so geschickte Täuschung nicht bemerkt (wie noch Häberle und Streinz). Denn die „Zitierweise“ in Fußnote 1 der Doktorarbeit, „Beck / Prinz (1998)“, ist schlichtweg ein No-go in der Wissenschaft: Keiner weiß hier, was von wo nach wohin übernommen wurde. Jeder Betreuer einer Erstsemestrigenarbeit muss so etwas sofort sehen! Doch hier handelt es sich um eine Dissertation, darin liegt der eigentliche Skandal dieses neuerlichen Plagiatsfalls, bei dem es diesmal auch Konsequenzen für die Betreuer geben müsste, wenn sie nicht schon emeritiert wären.

Was mir aber auch langsam Kopfzerbrechen bereitet: Bislang ging es – auf GuttenPlag wie auf VroniPlag und verwandten Initiativen – „nur“ um die Qualitätssicherung in der textorientierten Wissenschaft, um das Hinweisen auf ein grobes Problem in der Referenzkultur. Mit dem neuen Fall wird die Sache aber endgültig politisch, und langsam muss man sich fragen: Wer sind diese konservativen oder liberalen EU-affinen Politiker, die Dissertationen fast immer über EU-nahe Themen „schreiben“, das heißt ab- und umschreiben statt selber schreiben? Muss man textuellen Missbrauch betreiben, ja blenden können, damit man EU-Politiker werden kann? Als Gipfel der Heuchelei findet sich auf der Webseite des Promovierten unter „Meine Themen“ auch noch der Hinweis darauf, dass er „Wissensklau verhindern“ will – in diesem Zusammenhang erwähnt er die „Bekämpfung von Verletzungen der Rechte des geistigen Eigentums“. Du meine Güte, hat das eine Schieflage! Von welchen Menschen werden wir hier regiert, wer fällt hier ‚für uns‘ mit welchem Bildungsniveau Entscheidungen für die Zukunft? Und der nächste Fall steht schon ante portas: Raten Sie mal – ein konservativer EU-Kommissar!

2 Kommentare zu “Textueller Missbrauch an deutschen Unis und in der Europapolitik

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