Wie haben Absolventen der Universität Salzburg in der ausklingenden Barockzeit zitiert?

Ich freue mich, von einem Kollegen zu hören, dass diese Arbeit (ehrenamtlich betrieben und daher derzeit nur sehr exemplarisch möglich) ein „Forschungsdesiderat“ sei.

Ich habe mir aus forschender Neugierde 23 Dissertationen an der „alten“ Universität Salzburg angesehen, die in den Fächern Religion, Jus und Philosophie in der Zeit um 1780 eingereicht wurden. – Genauer: Nicht Dissertationen, sondern Verteidigungsschriften. Das Studium war ja damals völlig anders organisiert als heute, und es endete mit einer „Defensio“, die möglicherweise zu Teilen auch vom Professor selbst verfasst wurde.

Hier in Kürze meine ersten hypothesengenerierenden Findings:

  • Keine Verteidigungsthesis enthält ein Inhaltsverzeichnis, ein Sachwortregister oder ein Literaturverzeichnis.
  • Keine enthält eine wie auch immer geartete ehrenwörtliche Erklärung.
  • Es gibt keine „sinngemäßen Zitate“, kein einziges „Vgl.“ oder wie früher üblich „Cf.“.
  • Die Arbeiten sind oft sehr dünn, umfassen mitunter nur einige Seiten. Es wird alles immer streng in Punkte gegliedert, wobei sogar der laufende Fließtext in ein und demselben Absatz mitunter durch römische Ziffern strukturiert wird.
  • Zitieren und Wörtlichkeit scheinen keine große Bedeutung gehabt zu haben. In mehr als der Hälfte der Arbeiten wird überhaupt nicht zitiert und es gibt auch keinen Anmerkungsteil.
  • Wo zitiert wird, fällt auf, dass ein gewählter Zitierstil stets nicht konsequent durchgehalten wird.

Im Folgenden zunächst ein Beispiel für die „Doppelhaken am Seitenrand“-Zitation, wie sie aus dem Mittelalter kommend in Büchern bis Anfang des 20. Jahrhunderts (!) zu finden ist: Zusätzlich zum öffnenden und schließenden doppelten Anführungszeichen findet sich ein weiteres – hier schließendes (!) – Anführungszeichen zu Beginn jeder neuen Zeile links am Rand (Thesis, Universität Salzburg, 1781).

Da die doppelten Anführungszeichen im folgenden Beispiel typografisch andersrum verwendet werden (das heißt, in der heute korrekten Form), finden sich hier öffnende Anführungszeichen zusätzlich am Beginn jeder neuen Zeile links (Thesis, Universität Salzburg, 1787):

Interessant: In ein und derselben Thesis wird auch nach der heute üblichen Art zitiert. Hier fehlen die Anführungszeichen am Seitenrand:

Und fast schon spektakulär: Eine Verteidigungsthesis mit nur schließenden, aber nicht öffnenden Anführungszeichen. Der Beginn des wörtlichen Zitats wird folglich nur durch die Kursivierung kenntlich gemacht:

Ein Beispiel für Quellenangaben in den Marginalien (Thesis, Universität Salzburg, 1784):

Und hier neben der nicht konsequent gehandhabten Zitierweise mit nur schließenden Anführungszeichen und kursivierten direkten Zitaten eine interessante Form der frühen Fußnotengestaltung: Diese wurden mit (a) bis (z), dann mit (aa) bis (zz), dann mit (aaa) bis (zzz) usw. gegliedert:

Wenige Zitate. – Und auch wenige Plagiate? Das wissen wir (noch) nicht. Hier werden uns große Digitalisierungsvorhaben in den nächsten Jahren weiterhelfen. (Wird fortgesetzt um Dissertationen aus den End-1960ern.)


Mein Dank an das Team der Universitätsbibliothek Salzburg und im Speziellen an den Universitätsarchivar!

3 Kommentare zu “Wie haben Absolventen der Universität Salzburg in der ausklingenden Barockzeit zitiert?

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  1. Viktoria Steinacher.

    Da damals Theologie als die Königin der Wissenschaft galt, gab es in diesen Arbeiten auch die meisten Zitate, die Bibel ist ja eine riesige Bibliothek, die man erst seit Erfindung des Buchdruckes in ein Buch pressen kann, ja natürlich zitierte man auch die griechischen Philosophen schon in der Scholastik, und die mittelalterlichen und antiken Kirchenväter. Die Bibel zitiert sich selbst ständig, im Neuen Testament werden zitiert die Bücher des At usw.. Man tat dies aber deswegen, um zu beweisen, dass man der Tradition folgte und kein Häretiker war, und nicht aus wissenschaftstheorethischen Gründen. Außerhalb der theologischen und philosophischen Wissenschaften wurde man vor Galilei nicht der Häresie verdächtigt, so dass man keinen Traditionen folgen musste, und es gab zum Beispiel in der Medizin auch viel weniger schriftliche Quellen als in der Theologie.

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  2. Ronald Benedik

    Früher hat man wichtiges Wissen nur ausgewählten Personen weitergegeben. So sind zum Beispiel Mathematikbücher ohne Beweise geschrieben worden, dafür in Latein. Vor Tycho Brahe gab es praktisch keine systematische Verarbeitung von Daten. Man wird sehen wie sich die Bewirtschaftung der Hochschulen in diesem Jahrhundert herausbildet.

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  3. Gerhard

    Nur als Anmerkung: Die Erforschung frühneuzeitlicher Dissertationen/Disputationen hat gerade in den letzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen. Es ist lohnenswert, sich über Funktionen, Formen und Bedeutung dieser besonderen Literaturgattung zu informieren. Diese Thesendrucke wurden in der Tat meist vom jeweiligen Professor verfasst und hatten im Gegensatz zu heutigen Dissertationen gar nicht den Anspruch, neues Wissen zu enthalten. Es ging in der Regel darum, kontroverse Fragen des jeweiligen Fachgebietes diskutieren zu können. Daher enthalten sie auch so viele Zitate aus anderen Quellen. Ein Vergleich mit modernen Dissertationen auch in der Frage nach der Bedeutung und Verwendung von Zitaten sollte auf jeden Fall berücksichtigen, dass frühneuzeitliche Dissertationen vor den humboldtschen Reformationen wenig mit moderner Forschungsliteratur zu tun haben.
    Zum Einstieg z. B.:
    Friedenthal, Meelis; Marti, Hanspeter; Seidel, Robert (eds.): Early Modern Disputations and Dissertations in an Interdisciplinary and European Context, Leiden/Boston: Brill, 2021.
    Chang, Ku-ming: For the Love of the Truth: The Dissertation as a Genre of Scholarly Publication in Early Modern Europe, in KNOW: A Journal on the Formation of Knowledge 5 (2021), 113–166.

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