Vielleicht vergegenwärtigen wir uns zu Beginn, welche die aktuellen Probleme in der (nicht nur, aber vielleicht insbesondere österreichischen) Hochschullandschaft sind:
- Studienanfänger sind zunehmend studierunfähig, das verlangt nach neuen Kriterien (gar nicht nur im Sinne von Hürden) für den Zuschlag eines Studienplatzes. Das BMBWF erforscht aber nicht die Hypothese der zunehmenden Studierunfähigkeit, sondern setzt auf Studierbarkeit.
- Die Digitalisierung hat das Recherchieren, Lesen und Schreiben in den vergangenen 30 Jahren grundlegend verändert – die Hochschulen reagieren darauf kontrafaktisch mit immer längeren Arbeiten. Jüngst hat ChatGPT die Unis ratlos zurückgelassen.
- Wie Volker Rieble sagte, hat sich die akademische Wissensproduktion pervertiert: Die Arbeiten werden (ab-)geschrieben, damit sie nicht gelesen werden. Dementsprechend bleiben immer noch viele Plagiatssoftware-Kontrollen aus.
- Die Globalisierung und die neue Wissenschaftssprache Englisch haben neue Probleme geschaffen, man denke nur an den erschütternden Bericht von Alkuin Schachenmayr aus der Theologie, bei dem natürlich auch das Plagiatsproblem der Kern ist.
- Fehlverhalten wird auch von Universitätsspitzen gemeldet, man denke an einen Ex-Universitätsrektor, der wegen sexueller Nötigung verurteilt wurde oder an plagiierende Vizerektoren.
- Zunehmend gibt es entwürdigende Kämpfe um Führungspositionen an Universitäten, siehe neue Digital-Uni Linz, siehe aktuell Universität Salzburg. Politiker von SPÖ und NEOS zeigen, dass es ihnen nur ums politische Kleingeld geht und sie absolut nichts vom Problem verstanden haben.
- Der Rektorsposten wird offenbar nicht zuletzt durch die ewigen Streitereien zunehmend unbeliebter, sodass sich kaum noch geeignete Kandidaten für die vom Gesetz geforderten Dreiervorschläge finden. Rechtsbeugung ist hier salonfähig geworden, um Mittelmaßkandidaten (und wieder: Plagiatoren!) durchzupushen.
- Gegen den „Professor Untat“ wird nichts unternommen: Unqualifizierte und/oder faule Professoren bleiben ein Leben lang auf ihren Sesseln kleben und verhindern systematisch das Emporkommen eines fähigen Nachwuchses.
- Der vielleicht wichtigste Punkt: Eine Kultur der Seilschaften und des Mittelmaßes an den Universitäten verhindert in der Tat seit Jahrzehnten bei Berufungsverfahren das Prinzip der Bestenauslese, es kommt zu einer Nivellierung nach unten. Die Besten erhalten nie eine Chance oder werden entlassen.
Ja, es gibt auch Wissenschaftler, die für ihr Thema brennen (ich erlaube mir, mich dazu zu zählen, obwohl nicht von Steuergeld finanziert). Leuchtturm-Studierende. Nobelpreisträger. Aber es gibt eben diesen großen Schatten des Systems, über den das BMBWF nicht spricht.
Nun kommt also das „Hochschulrechtspaket“ 2024 daher. Eigentlich geht es hier um Wordings und um Themenmigrationen. Die Probleme der Hochschulen, die oben aufgezählt wurden, werden nicht einmal im Ansatz angegangen. Nun: Wenn man eine Kultur zu langsam ändert, ändert sich halt gar nichts.
Und auch bei den neuen Wordings und beim Rangieren von Themen wie der guten wissenschaftlichen Praxis hat man wieder nicht sauber gearbeitet, wie schon im „alten“ Universitätsgesetz (UG). Man will es nicht nur nicht besser, man kann es offenbar auch nicht besser. Hier meine heute eingereichte Stellungnahme zum Ministerialentwurf:
Zur Frage der Dreier-Vorschläge verweise ich auf eine auf der Parlamentshomepage abrufbare Stellungnahme, in der unter Berufung auf Wortlaut und Gesetzesmaterialien die Auffassung vertreten wird, „dass ein Vorschlag, der weniger als drei Personen umfasst, rechtswidrig ist“ und „dass es dem Universitätsrat auch nicht freisteht, einen offenkundig rechtswidrigen Vorschlag des Senats zur Grundlage der Wahl zum Rektor zu machen“.
Im Weiteren heißt es dort: „Der im Entwurf vorgesehene Satz „Der Universitätsrat kann auf einem Dreiervorschlag bestehen.“ stellt daher – entgegen den Erläuterungen – keineswegs die positivrechtliche Festschreibung einer „schon bisher gegebenen Möglichkeit“ dar. Ganz im Gegenteil: Eine solche Regelung impliziert, dass die übrigen Bestimmungen des Universitätsgesetzes 2002 über die Erstellung eines Dreiervorschlags durch den Senat entgegen ihrem Wortlaut zu lesen seien und dass der Senat Vorschläge erstellen dürfe, die nur eine oder zwei Personen umfassen. Diese Auffassung ist jedoch – wie oben dargelegt – von der geltenden Rechtslage nicht gedeckt.“
Zum Nachlesen: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/SNME/252286/imfname_1611913.pdf
Danke für diesen wichtigen Hinweis. Eine sehr sorgfältige und intellektuell hochstehende Kritik des Verfassungsdienstes. Erfreulich, dass es in Österreich auch Instanzen und Akteure gibt, deren tägliches Geschäft nicht die Rechtsbeugung ist.
Ich empfehle allen an dieser Diskussion hier Beteiligten mit Nachdruck, das https://ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bvwg&Entscheidungsart=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=True&GZ=W129+2281145-1&VonDatum=01.01.2014&BisDatum=10.01.2024&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ImRisSeitForRemotion=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Position=1&SkipToDocumentPage=true&ResultFunctionToken=629ab06b-a395-46a0-90b5-abb795b146d4&Dokumentnummer=BVWGT_20231211_W129_2281145_1_00 zu lesen. Es handelt sich um den anonymisierten Volltext des in Rede stehende BVwG-Erkenntnisses.
Darin finden sich auch die Referenzen der von mir erwähnten höchstgerichtlichen Entscheidungen, insbesondere in Abschnitt 3.6 ff.
Übrigens: Woher will Herr Weber wissen, dass die „anonyme Meinung“ bzw. „Privatmeinung“, auf der die Entscheidung angeblich beruht (richtig wäre: die in die rechtliche Beurteilung miteinfließt), von einer „österreichischen Rechtswissenschaftlerin“ (Weber, Stellungnahme …, S. 2, Pt. 3) stammt? Das kann nur eine Mutmaßung sein. Oder Herr Weber weiß mehr als er eigentlich wissen kann …
Letzter Punkt: Das Gericht darf alle Beweismittel, die es benötigt, verwenden bzw. berücksichtigen. Wenn da (für uns Außenstehende) etwas als anonym daherkommt, ist das völlig irrelevant. Entscheidend ist nur, ob eine „Meinung“ (oder Einschätzung, Stellungnahme …) zur Klärung der offenen Rechtsfrage beiträgt, und der Richter des BVwG hat das so gesehen.
Lesen bildet, Herr Kollege! Im Erkenntnis im RIS, zu dem Sie soeben verlinkt haben, steht: „Frau Univ.-Prof. Dr. XXXX“. Wird dann wohl keine Schweizer Gynäkologin gewesen sein, oder? Jeder Insider weiß, dass der Mehrzeiler dann nur von Frau Gamper, Frau Pöschl oder Frau Perthold stammen kann. Da ich unabhängig von dieser Erkenntnis eine dieser drei Damen befragt habe, weiß ich, wer es war. Aufgrund der Anonymisierung der Person mit „XXXX“ in der öffentlichen Fassung ist auch die Bezeichnung „anonyme Meinung“ von mir korrekt. Das in der Erkenntnis tatsächlich referierte VwGH-Urteil beschäftigt sich mit keinem Wort mit den hier besprochenen Problemen. Richter Gerhold selbst konnte mir gegenüber keine Präzedenzurteile zu Zweier- und/oder Einervorschlägen angeben und verwies auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz.
Ich glaube, ich diskutiere hier mit einem faktenresistenten Unsympathler.
Sehr geehrter Herr Dr. Weber, ich fürchte ernsthaft, dass Sie es nicht verstehen WOLLEN … Im UG steht zwar, dass der Universitätsrat aus einem Dreier-Vorschlag des Senats wählt, aber was soll ein Senat tun, wenn er – wie in Salzburg offenbar (und für das BVwG nachvollziehbar) geschehen – nach gründlicher Prüfung zum Schluss kommt, dass nur zwei Personen geeignet sind? Um den Buchstaben des Gesetzes zu entsprechen, ein grundlegendes Prinzip verletzen, das da lautet „Nur eine Person, die vom Senat als geeignet erachtet wird, darf Rektor/Rektorin werden“? Zu der ganzen Thematik gibt es auch höchstgerichtliche Judikatur, die der Richter des BVwG natürlich kennt. Ihr Bemühen in Ehren, aber Sie haben zu wenig rechtswissenschaftlichen Sachverstand. „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ oder „Si tacuisses, philosophus mansisses“. Suchen Sie sich’s aus.
Zu Ihren Behauptungen:
„Im UG steht zwar, dass der Universitätsrat aus einem Dreier-Vorschlag des Senats wählt, aber was soll ein Senat tun, wenn er – wie in Salzburg offenbar (und für das BVwG nachvollziehbar) geschehen – nach gründlicher Prüfung zum Schluss kommt, dass nur zwei Personen geeignet sind?“
Na, der Senat muss den Universitätsrat darauf hinweisen, und dieser veranlasst eine Neuausschreibung. Was soll denn der Senat tun, wenn sich niemand beworben hat oder keiner für geeignet erachtet wird? Gibt es dann einen Nullervorschlag und einfach vier Jahre keinen Rektor? Ich bitte Sie!
„Um den Buchstaben des Gesetzes zu entsprechen, ein grundlegendes Prinzip verletzen…“
Niemand hat verlangt, dass eine vom Senat für nicht geeignet gehaltene Person in den Dreiervorschlag aufgenommen wird. Das ist Ihre Interpretation und die von DDr. Markus Gerhold. Sie unterstellen der Gegenseite eine Position, die sie nicht vertritt.
„Zu der ganzen Thematik gibt es auch höchstgerichtliche Judikatur“
Bitte führen Sie diese an!
„… die der Richter des BVwG natürlich kennt.“
Woher wissen Sie das? Haben Sie den Richter gefragt? Ich habe das getan. Und: Das Erkenntnis ist im RIS. Wo sind die Zitate der Judikatur?
Auf die Polemik muss ich nicht eingehen, oder?
LG
sw
Das UG mag in vielem unklar und widersprüchlich sein: In dem hier relevanten Punkt, wonach der Senat einen Dreiervorschlag zu erstellen hat, ist das Gesetz (§ 23 (3)) aber glasklar. Und das war auch kein Redaktionsversehen: Zu behaupten, dass es keine drei geeignete KandidatInnen geben soll, die für diese Funktion geeignet seien, ist einfach völlig lebensfremd.
Wäre dem so, dann könnte es dafür nur zwei Gründe geben: Die Findungskommission hat ihre Arbeit nicht ordnungsgemäß erledigt oder die betreffende Universität liegt derart im Argen, dass sich kein vernünftiger Mensch mehr findet, der sich den Job des Rektors dort antun will. Beide Extremsituationen müssten ursächlich angegangen werden.
Hinter der Regel, dass es einen Dreiervorschlag geben muss, steckt zudem eine sehr konsequente Überlegung: Die Letztentscheidung über den Rektor trifft der Universitätsrat, nicht der Senat. Mit einer Zweier- bzw. einer Einserliste könnte der Senat das „Verfassungsgefüge“ der geltenden Universitätsordnung auf den Kopf stellen. Eine wohlfeile Begründung, weshalb die anderen beiden KandidatInnen, die eine Mehrheit im Senat nicht haben möchte (oder auch nur, um den gewünschten Kandidaten/die Kandidatin „durchzudrücken“), findet sich problemlos.
Stefan Webers Argumentation ist tadellos. Ihm hier ein Mitspracherecht streitig machen zu wollen, nur weil er nicht Jus studiert hat, verweist auf ein in der österreichischen Juristerei vielfach anzutreffendes Grundübel: zu glauben, dass ein Universitätstitel von der Notwendigkeit einer Sachargumentation entbindet.
Dass Rationalitätsstandards inzwischen ungezählte Male unterlaufen werden, kritisierte der Jurist und Philosoph Matthias Mahlmann von der Universität Zürich erst jüngst vor rund einer Woche am 12. Januar 2024 gegenüber der Tageszeitung „Frankfurter Allgemeine“. Dadurch aber, dass die zwar zuvor schon vom deutschen Bundesverfassungsgericht am 19. November 2021 in seinem damaligen Urteil als „unverzichtbar“ bezeichneten Mindeststandards von der Forschungs- und Bildungspolitik selbst fortwährend völlig missachtet werden, nimmt es nicht wunder, wenn heutzutage die an das Gewissen appellierende Frage von Max Weber aus dem Jahr 1919 zu „Wissenschaft als Beruf“ aktueller denn je ist: „Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hinaussteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben?“. Würde die Republik Österreich im Zuge des Ministerialentwurfs namens „Hochschulrechtspaket 2024“ sich nicht davon unterscheiden, wäre das in der Tat geradezu sensationell und ein weltweites Ereignis. Allerdings ist damit aller bisher gemachten Erfahrung nach nicht zu rechnen.
Lustig geschrieben!
Mittlerweile halten wir bei 16 Problempunkten (gestern in der Stellungnahme noch 13) im neuen Entwurf.
Sehr traurig, was man alles sieht, wenn man sich in ein Thema vertieft.
Am 13. Dezember 2017 machte der frühere Präsident der Georg-August-Universität Göttingen, Horst Kern, in seinem damals öffentlich gehaltenen Vortrag auf die Tatsache eines akademisch zunehmend weniger leistungsfähigen Umfelds aufmerksam. Um als Mensch solch widrigste Bedingungen aushalten zu können, empfahl der Wiener Arzt Sigmund Freud bereits im Jahr 1915, sich notwendig auf den Tod einzurichten (Si vis vitam, para mortem). Insofern ist es keinesfalls trivial, vor allem in der Spitzenforschung tätig zu sein. Nicht von ungefähr verbucht deshalb eine mit Preisen vielfach ausgezeichnete Physikerin das nackte Überleben als ihren wichtigsten Erfolg (Feusi, A., in: NZZ v. 4. Juni 2018). Angesichts der buchstäblichen „Knochenarbeit“ (Müller-Doohm, S., 2011: 463) käme es politisch einzig darauf an, insbesondere die Träger des aktuellsten, die gesellschaftlichen Verhältnisse am tiefsten erfassenden und damit zukunftsreichsten Denkens nicht länger einer derlei kaum mehr sagbaren Perversion auszusetzen, die in der Konsequenz bloß auf eine Vernichtung von deren ohnehin überaus seltenem und unveräußerlich an ihre Person gebundenem Vermögen hinausläuft. Schieben Hochschulgesetze dem sich laut einem vor dem Europäischen Gerichtshof vor kurzem gefallenen Entscheid ansonsten automatisiert vollziehenden Prozess nicht bald einen schweren Riegel vor, lohnt sich schon ökonomisch keine Kritik nicht zuletzt an einem in Österreich gegenwärtig dazu vorliegenden Ministerialentwurf.
Warten auf September….
Ich wollte gerade schreiben: „Ist das das neue bislang unentdeckte Manuskript von Samuel Beckett?“ Leider haben Sie den Gag durch die Wahl des Nicknames vorweggenommen…