„Direkt nach seiner Matura begann er an der Universität Wien Rechtswissenschaften zu studieren (nicht abgeschlossen)“, heißt es auf der Webseite seiner Partei. Zwischen Matura und Beginn der Parteikarriere liegen offenbar drei Jahre. In dieser Zeit hat Werner Faymann, amtierender Bundeskanzler meiner schönen Heimat, an der Universität Wien zwar Rechtswissenschaften „studiert“, aber offenbar keine einzige Prüfung abgelegt:
„Dazu, dass in seinen Lebensläufen das Studium der Rechtswissenschaften auftaucht, meinte der Kanzler, dass er inskribiert gewesen sei und einzelne Vorlesungen gemacht habe. Er habe aber nie angegeben, Prüfungen absolviert zu haben. Nach seiner Matura 1978 sei er in der Sozialistischen Jugend engagiert gewesen, meinte er auf die Frage, warum über diese Jahre so wenig bekannt sei.“
Quelle: ORF, Zusammenfassung des Sommergesprächs mit Faymann (Anm.: Wikipedia widmet dem „Studium […]“ gar eine Zwischenüberschrift)
Ihr werter Plagiatsgutachter will nun nicht die möglichen Bummeljahre des Bundeskanzlers kritisieren (zumal er selbst ein solches durchlebt hat). Es stellen sich vielmehr die interessanten Fragen: Hat jemand ein Fach studiert, wenn er in diesem nie eine Prüfung abgelegt hat? Und ist es moralisch vertretbar, das dann im Lebenslauf anzuführen? Was sagt uns das möglicherweise über den übrigen Lebenslauf? Wenn solche Angaben ok sind, dann neigte Ihr Gutachter bisher zu schamloser Untertreibung. Ab sofort muss dann nämlich in meinem Lebenslauf neben den bekannten Angaben stehen: „Studium der Computerwissenschaften, Genetik, Humanbiologie, Psychologie, Philosophie und Mathematik (nicht abgeschlossen).“ Das klingt universalgebildet, und so verkaufe ich mich nicht mehr länger unter meinem Wert. Oder?
🙂
Lieber Erbloggtes,
ad „Ad Plagiarii“:
Ein fantastischer Remix!
Vielen herzlichen Dank, das kommt über den Schreibtisch, womöglich sogar gerahmt.
Ihr
sw
Meiner Ansicht nach ist die beste Bedeutung von „studieren“, dass man sich mit einem Gegenstand und dessen wissenschaftlicher Betrachtung näher beschäftigt. Eine Immatrikulation gehört nicht notwendigerweise dazu, noch weniger universitäre Prüfungen.
Was wäre sonst mit Menschen in Unterdrückungsregimen (z.B. Deutschland im 19. Jh.), die nicht zu Prüfungen zugelassen wurden? Haben die gar nicht studiert, auch wenn sie (heute) anerkannte Experten waren? Juden in Nazideutschland müssen wir gar nicht diskutieren, das wäre sonst zu dicht an Godwins Law.
Die Ergänzung „nicht abgeschlossen“ soll dem Lebenslaufleser ja verdeutlichen, dass man keine akademischen „Würden“ erworben hat. Für akademische Abschlüsse würde ich auch je eigene Zeilen im Lebenslauf verwenden. In früherer Zeit wäre wohl die Promotionsprüfung die einzige formale Prüfung gewesen, anders als heute mit mehreren Prüfungen pro Semester, die feinsäuberlich in Datenbanken verwaltet werden müssen.
Das “Studium der Computerwissenschaften, Genetik, Humanbiologie, Psychologie, Philosophie und Mathematik (nicht abgeschlossen)” trägt man m.E. heute ungern in seinen Lebenslauf ein, weil Universalbildung kein Arbeitsmarktwert mehr zugemessen wird, der Bewerber vielmehr als wahllos, desorientiert und unorganisiert gilt. Früher war das anders. In vielen Kurzlebensläufen von Wissenschaftlern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden sich mehrere Fächer, in denen derjenige lediglich ein paar Vorlesungen gehört hat. Ganz nach Fausts Motto, das mich in diesem Zusammenhang zu einem Gedicht Ad Plagiarii inspiriert hat.