- Eine gesetzliche Basis mit inkonsistenter Begrifflichkeit und ein schludriger juristischer Kommentar dazu,
- falsche „Zitier-Austriazismen“ vor allem in der Rechtswissenschaft inkl. juristischer Lehrbücher, die das Thema des wörtlichen Zitierens aussparen,
- zu lange Abschlussarbeiten mit zu vielen (richtigen und falschen) Zitaten,
- schlechte Betreuungsverhältnisse inkl. unzureichend genau lesender und prüfender Gutachter,
- ein unzureichender Einsatz von „Plagiatssoftware“ inkl. Fehlinterpretationen von Ergebnissen,
- die mangelnde Nachweisbarkeit des Vorsatzes (der „subjektiven Tatseite“) beim Plagiieren,
- die bewusste oder fahrlässige Fehlinterpretation eines Stammrechtssatzes des VwGH zur mangelnden Kenntlichmachung von Zitaten („entsprechenden Hinweisen“),
- eine durch die Amtsverschwiegenheit bedingte völlige Intransparenz von Plagiatsverfahren und schließlich
- Universitäten wie die Universität Innsbruck, die auf jede Plagiatsanzeige mit Verfahrenseinstellung reagieren:
Es hätte viel zu sagen gegeben zu den Facetten des Plagiatsproblems an österreichischen Universitäten. (Über „politische Entscheidungen“ in Plagiatsfällen wie etwa seit Jahren an der Universität Wien – siehe Hahn, Roščić und zuletzt Zadić – hätten wir uns eh keinen Diskurs erwartet. Dieses Eisen ist für die Öffentlichkeit zu heiß.)
Doch wie die gestrige Präsentation der „IHS-Plagiatsstudie“ zeigte, ist die Diskussion in Österreich um 15 Jahre zurückgefallen und alles, wofür ich seit Jahren öffentlich eintrete und wofür ich sensibilisiert habe, wurde weggewischt. Das Bravourstück, eine Plagiatsstudie zu präsentieren und alle hier eingangs erwähnten Punkte auszusparen, muss einem erst einmal gelingen. Vielleicht ist die Studie deshalb fast ein Jahr in der ministeriellen Schublade liegen geblieben? – Im Folgenden analysiere ich nur das „Policy Brief“ der Studie.
Die Sorge gilt eher dem Plagiator
Schon mit den ersten Worten (S. 3) wird die Stoßrichtung klargemacht. Es geht eigentlich um das Problem der Plagiatsvorwürfe und nicht um das Problem der Plagiate:
„Plagiatsvorwürfe treffen den Wissenschaftsbetrieb in mehrfacher Hinsicht: die beschuldigten Personen selbst, die jeweilige Hochschule, aber auch die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft insgesamt leidet.“
Die Sorge der StudienautorInnen in Defensivhaltung gilt also nicht AkademikerInnen, die eher Abschreiben als Schreiben, die mit Quellen nicht mehr richtig umgehen können und den Folgen dieser Entwicklungen für die Arbeitswelt. Das Plagiat scheint kein Bildungsproblem, sondern ein Imageproblem der Hochschulen zu sein. Studierunfähigkeit, Quellen(arbeits)unmündigkeit und sekundärer Analphabetismus sind kein Thema. Die Sorge gilt auch nicht den Beklauten, die um ihr „geistiges Eigentum“ gebracht wurden und den Falschen, die dann Karriere machen. Die Sorge gilt kurioserweise den Beschuldigten (!) und den Institutionen. Erkenntnistheoretische Frage: Verliert man Reputation durch die Tat oder durch deren Aufdeckung? Genau! Wir können über die Tat erst nach deren Aufdeckung sprechen.
Auch auf S. 4 sorgt man sich eher um die Reputation des Plagiators:
„Öffentlich verkündete und medial ausgetragene Plagiatsvorwürfe – seien sie im Einzelfall gerechtfertigt oder nicht – bleiben nicht folgenlos. Sie erschüttern den Wissenschaftsbetrieb, senken die Glaubwürdigkeit und Reputation der betroffenen Personen sowie einzelner Hochschulen, und schaden dem Ansehen der Wissenschaft insgesamt.“
Solche Zeilen sagen sehr viel über die österreichische, vermutlich auch ministerielle Mentalität aus, aber sehr wenig über das Plagiatsproblem abseits dieser Ösi-Optik. Diskussionen wie etwa zuletzt in Deutschland oder Luxemburg laufen übrigens ganz anders ab, solche Töne hört man dort nicht.
Kategorienfehler und mangelnde Validität
Die Studie macht auch einen entscheidenden Kategorienfehler. Da ist im „Policy Brief“ auf S. 3 zu lesen:
„Die Hochschulen unternehmen bereits zahlreiche Anstrengungen, um das Plagiieren im Studium zu vermeiden: Drei Viertel der Hochschulen haben eine eigene für GWP oder Plagiatsvermeidung explizit verantwortliche Person oder Organisationseinheit nominiert. Fast alle Hochschulen haben hochschulweit gültige GWP-Richtlinien. Diese werden vorzugsweise über das Intra-/Internet verbreitet und sollen in Kursen vermittelt werden. Neun von zehn Hochschulen stellen Plagiatssoftware zur Überprüfung von studentischen Arbeiten zur Verfügung […].“
Ich würde dies in jeder Bachelorarbeit anstreichen: Nein, es stellen nicht neun von zehn Hochschulen Plagiatssoftware zur Verfügung. Sondern VertreterInnen von neun von zehn Hochschulen gaben an, dies zu tun. Es fand eine Befragung statt und keine Online-Investigation und/oder Inhaltsanalyse. Die Gleichsetzung von Befragungsdaten mit Fakten ist immer problematisch und eine weit verbreitete publizistische Verkürzung, aber in wissenschaftlichen Studien stellt sie ein Messproblem dar. Genauer: Die Studie ist nicht valide, sie misst nicht das, was sie zu messen vorgibt. Natürlich kann man sagen, WissenschaftlerInnen werden schon die Wahrheit sagen. Aber es kann ja auch sein, dass der Ausfüllende des Fragebogens falsch gebrieft wurde oder ihm/ihr aus anderen Gründen Fehler unterlaufen sind.
So gesehen sagt diese unrühmliche Plagiatsstudie nur aus, wie sich Verantwortliche in Hochschulen sehen, aber nicht, was an den Hochschulen „tatsächlich“ vor sich geht. Dieses zu erheben, war aber das Ziel Heinz Faßmanns, als er diese Studie in Auftrag gab. Ein methodisches Problem, auf das ich seit Jahren in meinen Lehrveranstaltungen hinweise, siehe den Leitfaden „Entstehungszusammenhang, Arbeitstitel, Forschungsfragen, Hypothesen, Literaturrecherche: Qualitätssicherung im Forschungsprozess bei sozialwissenschaftlichen schriftlichen Arbeiten“ auf dieser Website.
Falsche Schlussfolgerungen
Und wenn dann am Schluss des „Policy Briefs“ (S. 9 ff.) auch noch die „Technikzentrierung“ der Debatte kritisiert wird und ein „lebendiger Diskurs“ gefordert wird (zu welchem Thema kann der nicht gefordert werden? Richtig: Den brauchen wir sowieso über alles!), dann kann man sich nur noch wundern, welche verschlungenen Pfade solche Studien einschlagen können und wer hier warum die Richtung der Interpretationen beeinflusst hat.
Denn nicht die „Technikzentrierung“ ist in Österreich seit vielen Jahren das Problem, sondern genau das Gegenteil: die Technophobie. Damit verbunden sind die Zurückhaltung beim Einsatz von Plagiatssoftware und der oft falsche Umgang mit ihr, inkl. Fehlinterpretationen ihrer Ergebnisse.
Hatten wir nicht nach dem Fall Aschbacher über die Notwendigkeit des flächendeckenden Einsatzes von Plagiatssoftware diskutiert? Warum endet der Diskurs nun in der genau anderen Richtung?
Zurück bleibt eine Studie für 60.000,– Euro Steuergeld, die sich in so schwammigen Forderungen wie „Austauschmöglichkeiten“ und „Diskursmöglichkeiten“ erschöpft (S. 4). Austausch und Diskurs, das wollen doch alle für alles, oder nicht? Reden wir darüber! (Aber nicht mit Stefan Weber.)
Alle wirklich wichtigen Forderungen wurden gekonnt umschifft, wie etwa:
- Verpflichtung zum flächendeckenden Einsatz von Plagiatssoftware, das heißt zur vollen Anbindung an das verwendete LMS wie Moodle (die TU Wien macht das etwa bis heute nicht)
- Verpflichtende Einführungslehrveranstaltungen in guter wissenschaftlicher Praxis (GWP) in allen Curricula, und zwar zu Beginn des Grundstudiums und nicht erst etwa im Doktoratsstudium
- Verpflichtung zum Führen einer Plagiatsfallstatistik
- Abschaffung des Amtsgeheimnisses auch im UG und volle Informationsfreiheit
- Erweiterte und standardisierte eidesstattliche Versicherungen – Best Practice-Beispiele aus Deutschland sind bekannt
- Dienstrechtliche Konsequenzen für Betreuer und Gutachter bei „übersehenen“ schwerwiegenden Plagiaten
Der hegemoniale Diskurs tickt anders. Dies hat sich schon im politischen Willen der Einführung einer Verjährungsfrist für Titelaberkennungen gezeigt. In Wahrheit geht es nämlich längst darum, kritische Geister und deren berechtigte Kritik zum Schweigen zu bringen. ÖVP-nahe ForscherInnen, die alles loben, werden in Stellung gebracht.
Das Thema wird mit einer neuen Regierung neu aufzurollen sein.
Anmerkung: Ich habe für die Studie das Einleitungskapitel verfasst sowie den Fragebogen in mehreren Iterationen mit optimiert. In die übrigen Schritte war ich nicht eingebunden. Die Studie war mir bis zur Präsentation gestern selbst nicht bekannt.
Zur Forderung des verpflichtenden Einsatzes von „Plagiatssoftware“: Wie passt das mit der Feststellung zusammen, dass deren Ergebnisse ja interpretiert werden müssen, und sie sogar oft fehlinterpretiert werden, bzw. wie stellen Sie sich den Ablauf in der Praxis vor?
Ich frage deshalb, weil ich meine Dissertation zwar auch verpflichtend einem Plagiatscheck unterziehen musste, aber es hätte faktisch keine Instanz gegeben, die aufgrund der Ergebnisse die Abgabe zurückgewiesen hätte. Ich hätte nur selbst Probleme erkennen können, aber ich wusste ja schon vorher, dass es keine gibt. Nachdem die Software sehr viele Standardformulierungen als Übereinstimmungen mit mir völlig unbekannten Werken anmerkte, habe ich mir die Ergebnisse auch gar nicht bis zum Ende angesehen. Einen Plagiator hätte man so auch nur erkannt, wenn der Betreuer sich die Ergebnisse im Detail angesehen hätte. Wenn ich mich in die Position eines Betreuers versetze, gehe ich davon aus, dass ich, zumindest mit dem „Overreporting“, dass die Software, die ich verwenden musste, an den Tag legte, da auch nur näher hinsehen würde, wenn ich einen Verdacht habe, aber dann brauche ich wahrscheinlich gar keine Plagiatssoftware, um das Problem zu erkennen.
Die Frage, was einen „lebendigen“ von einem „toten“ Diskurs unterscheidet, ist nicht trivial. Schon Friedrich Nietzsche wollte wissen: Wie kann man nur weise sein in einer toten Gesellschaft? Ihm zuvorkommend sprach Karl Marx von „todte(r) Arbeit“ (Marx, K.: Das Kapital, Hamburg, 1872, S. 445, 2. verbess. Aufl.). Was nun angesichts dessen „lebendiger Arbeit“ (Kern, H.; Schumann, M.: Das Ende der Arbeitsteilung?, München, 1986, S. 19, 3. Aufl.) zu Eigen ist, müsste deshalb noch offengelegt werden. So zu tun, als ob die Rede von einem „lebendigen“ Diskurs selbsterklärend wäre, weicht insofern der Mühe aus, notwendig Erkenntnisse zu gewinnen. Wenn man so will, könnte daraus geschlussfolgert werden, dass die IHS-Plagiatsstudie jedwede Substanz vermissen lässt.
Traurig, traurig: Wieder einmal eine problematische und kontraproduktive Studie, finanziert mit Steuergeldern. Große Verbrüderung vor Weihnachten im österreichischen akademischen Bereich. Weiter so, trotz der ganzen Plagiatsfälle. Auch die österreichische Rechtswissenschaft will sich nicht dem internationalen Standard stellen. Es sind zu viele renommierte Persönlichkeiten verwickelt. Weg mit den Kritikern, ergreift den Erbringer der Information. Wir sind und bleiben die besten – und was man außerhalb Österreich sagt und denkt, ist uns egal!
Ich denke, dass die ÖVP nun zeigt, wie Themenführerschaft und Message Control auch in der Wissenschaft funktionieren. Dass sich das IHS dafür einspannen lässt, passt ins Gesamtbild. Dass nun auch das Team von ÖVP-Mann Klaus Poier mitmischt, ebenso. Ich war gestern wirklich guten Willens und neugierig auf die empirischen Findings. Nach zwei Stunden Webinar wurde mir klar, dass ich kein einziges verwertbares empirisches Datum aus dieser Studie mitnehmen kann. Ich weiß nicht mehr als vorher über das Plagiatsproblem. Ein bisschen mehr weiß ich nur über die österreichische Befindlichkeit und wie ministerielle Studien zustande kommen. Und wie konsequent hier Parteipolitik den Diskurs steuert. Und dass das eigentlich fast allen egal ist. Wahnsinn!