Österreich ist ja das letzte demokratische Land Europas mit der Amtsverschwiegenheit im Verfassungsrang. Mit einer Änderung der Bundesverfassung und einem neuen Informationsfreiheitsgesetz soll damit – nach jahrelanger Verschieberitis – nun endlich Schluss sein. Doch stehen wirklich neue transparente Zeiten jenseits der Behördenwillkür an? Oder hat sich der Gesetzgeber wieder einmal – im Sinne einer „typisch österreichischen Lösung“ – die eine oder andere Hintertür offen gelassen? Sehen wir am Beispiel der mitbetroffenen „Selbstverwaltungskörper“ der Universitäten einmal etwas genauer hin:
Im bisherigen Universitätsgesetz (UG 2002) ist unter „Verschwiegenheit“ nachzulesen:
„§ 48. Die Mitglieder von Kollegialorganen und andere Universitätsorgane sind zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet (Art. 20 Abs. 3 B-VG).“
Doch Art. 20 Abs. 3 B-VG soll nach dem Ministerialentwurf entfallen. Damit wäre die Amtsverschwiegenheit an den heimischen Universitäten also Geschichte. Das soeben novellierte UG würde einen Paragraphen verlieren.
Die Auswirkungen auf Verfahren bei Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens oder auch auf allgemeine Meldungen von Korruptionsverdachtsfällen wären womöglich erfreulich: Die universitären Organe könnten sich nicht mehr wie bislang auf die Amtsverschwiegenheit bzw. das Amtsgeheimnis zurückziehen und schweigen. Wir hätten endlich einen Zustand wie etwa in unserem Nachbarland (und in Amerika oder England schon seit langem) erreicht, dass bei solchen Verfahren der/die Informant/in auf Wunsch über den Verfahrensstand und -ausgang informiert werden muss (hier die Musterverfahrensordnung des Strafrechtlers Albin Eser aus dem Jahr 1997, die dann Vorbild für fast alle bundesdeutschen Universitäten wurde).
Österreichs Universitäten haben es hingegen nach diesem essentiellen Vorstoß in Deutschland mehr als 20 weitere Jahre geschafft, sich bei Meldungen zu Fehlverhalten und Korruption hinter der Amtsverschwiegenheit zu verstecken und Informant/innen, Hinweisgeber/innen und Whistleblower nicht zu informieren. Das könnte nun bald Geschichte sein. Doch ist das schon das Ende der Geschichte?
Unter „Verfahren in behördlichen Angelegenheiten“ wird wohl weiter im UG zu lesen sein:
„§ 46. (1) Die Universitätsorgane haben in allen behördlichen Angelegenheiten das AVG anzuwenden.“
Aus mir nicht bekannten Gründen umfasst der Ministerialentwurf zwar eine Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes, des Rechnungshofgesetzes 1948 und des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953, aber nicht des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) 1991. Und in diesem soll also offenbar auch in Zukunft stehen:
„§ 48. Als Zeugen dürfen nicht vernommen werden: […]
3. mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betraute Organe sowie Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts, wenn der Gegenstand ihrer Aussage der Amtsverschwiegenheit unterliegt und sie von der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit nicht entbunden worden sind.“
Hat das Ministerium vergessen, hier die Amtsverschwiegenheit auch zweimal „rauszulöschen“? Klarerweise hat das keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Universitäten. Aber eine sonderbare Optik ist es schon, wenn nicht tatsächlich ein Versehen.
So oder so wird die neue Definition von „Informationen im allgemeinen Interesse“ aber der Knackpunkt der Auslegung werden, und dies auch für universitäre Belange. Im Ministerialentwurf zum neuen Informationsfreiheitsgesetz heißt es unter § 2 Abs. 2:
„Informationen von allgemeinem Interesse im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Informationen, die einen allgemeinen Personenkreis betreffen oder für einen solchen relevant sind, insbesondere Studien, Gutachten, Stellungnahmen und Verträge mit einem Gegenstandswert von mindestens 100 000 Euro.“
Die Informationen über den Ausgang der Plagiatsverfahren Aschbacher und Weidinger wären etwa auch bisher schon solche „Informationen von allgemeinem Interesse“ gewesen, da es sich um Personen des öffentlichen Lebens handelt und eine Medialisierung bereits erfolgt ist (siehe auch die analoge Kommunikationspolitik in den Fällen Hahn, Roščić und Kuhn zuvor).
Was ist aber mit einem in der Öffentlichkeit wenig bekannten Wissenschaftler, der etwa der Manipulation von Labordaten oder des schwerwiegenden Plagiats überführt wurde? Man könnte denken, die Redlichkeit der Wissenschaft sei doch immer für „einen allgemeinen Personenkreis“ „relevant“. Man kann das aber auch genau andersrum interpretieren.
Und außerdem stehen wie schon bisher möglicherweise die „überwiegenden berechtigten Interessen“ einer Person der Veröffentlichung einer Information entgegen. Ebenfalls wie bisher wird es also immer im Einzelfall eine Abwägung zwischen der Wahrung der Persönlichkeitsrechte einerseits und der Durchsetzung der Informationsfreiheit/Transparenz andererseits geben müssen. Aber ändert sich damit wirklich irgend etwas? Oder ist das neue Informationsfreiheitsgesetz nur ein Feigenblatt mit einigen neuen Begriffen und Definitionen?
Sehr geehrter Herr Weber,
Danke herzlich für Ihren sehr wertvollen und wichtigen Beitrag!
Da ich Ihren Forschungsbereich als sehr interessant und spannend betrachte, so erlaube ich mir eine Stellungnahme.
@In der Öffentlichkeit wenig bekannte Wissenschaftler: Sehr wohl müssen diese Akteure der Forschung, welche der redlichen Wissenschaft aus Berufung dienen und unter anderem einen wertvollen Beitrag für die Forcierung des geistigen, gesundheitlichen und technischen Fortschritts und Wohlstands der Gesellschaft leisten sollten, auch von öffentlichem Interesse sein. Wer ist diese Gesellschaft? Diese Gesellschaft finanziert als Steuerzahler Institutionen wie das FWF, FFG, AIT und insbesondere die staatlichen Universitäten mit den unzähligen jährlichen Berufungen einer gut bezahlten Professur. Unterschätzen wir nicht welchen Einfluss Forschungsergebnisse, finanziert auch von Ministerien, in der Entscheidungsfindung der Politik und Wirtschaft haben könnten.
@Christine Aschbacher: Ich denke, dass mächtige Apparate im Hintergrund intervenieren könnten, um diese doch sehr peinliche Causa ohne Konsequenz in die „Vergessenheit“ zu katapultieren.
@Peter Weidinger: Wer würde als eventueller Günstling und Geförderter im Dunstkreis des Herrn Rektor Martin Polaschek genug Stolz und Ehre verfügen, um einfach das auszusprechen, was für alle klar ist: „Ja es wurde geschlampt und die Diplomarbeit wurde nicht ordentlich oder gar nicht überprüft. Denn die Funktionen in den Gremien, das zusätzliche lukrative Einkommen durch das Erstellen von Gutachten und das Verfassen von Publikationen sind für die Reputation und das Ansehen viel wichtiger.“? Einigen ProfessorInnen darf ich deshalb einen besonders fortgeschrittenen Intra-Rollenkonflikt attestieren.