Die Vorgeschichte:
„Standard“: Postenschacher-Verdacht gegen Altrektor der Universität Salzburg, Heinrich Schmidinger (16.05.23)
Rechtsdebatte um Höchstrichter-Professur an der Uni Salzburg: Erlaubt das UG erneut ein Schlupfloch? (18.05.23)
Vielleicht möchten mir die juristisch versierten Leserinnen und Leser dieses Blogs die Frage beantworten: Sind alle Gesetze so, in Österreich oder gar auch anderswo, wenn man genau hinschaut? Oder ist das österreichische Universitätsgesetz (UG) ein Musterbeispiel an inkonsistenter Gesetzgebung? Das geht so langsam nicht mehr weiter. – Was hatte ich bisher alles?
- Inkonsistentes Verhältnis der Begriffe „Plagiat“ und „Vortäuschen“ zwischen § 19 Abs. 2a (Plagiat oder anderes Vortäuschen) und dem Nichtigerklärungsparagrafen 73 (Plagiat oder Vortäuschen): Einmal ist das Plagiat eine Spielart des Vortäuschens, ein andermal werden „Plagiat“ und „Vortäuschen“ voneinander streng abgegrenzt, wie auch in den Begriffsbestimmungen in § 51 Abs. 2 Z 32 und Z 33. Da ist dann in § 51 und § 73 aber die Rede von Mord oder Kapitalverbrechen, also Quatsch. Und das Begriffspaar ist gleich doppelt falsch: Ich kann nur das Plagiat mit der Täuschung vergleichen oder das Plagiieren mit dem Vortäuschen, aber nicht das Plagiat mit dem Vortäuschen.
- Inkonsistente Unterscheidung zwischen Plagiat und Vortäuschen (auf „Stufe 1“) und schwerwiegendem und vorsätzlichem (nunmehr und einmalig doch:) Plagiieren und Vortäuschen (auf „Stufe 2“) in § 19 Abs. 2a – so, als gäbe es nicht-vorsätzliches Vortäuschen. Es kann sich aber nur jemand durch Nicht-Vorsatz (etwa: Fahrlässigkeit) des anderen getäuscht fühlen, ein nicht-vorsätzliches Vortäuschen der handelnden Person ist ein Widerspruch in sich: Zum Täuschen gehört ein Wille, zum Getäuscht-Werden nicht.
- Völlig nebulöse Einfügung des § 116 Abs. 3 durch die UG-Novelle 2021: Titelmissbrauch „aufgrund eines Plagiates“ – was soll das heißen? Dass Titelmissbrauch dann und nur dann auch strafbar ist, wenn der Titel bereits rechtskräftig aberkannt wurde? Steht so nicht expressis verbis im Gesetz. Führt jemand den Titel zu Unrecht, weil er/sie vor Jahren in einer Proseminararbeit plagiiert hat? Kann auch nicht sein.
- Und seit heute neu: Inkonsistente Handhabung der Begriffe „Verlängerung“ und „neuerlicher Abschluss“/Neubestellung. Man vergleiche hierzu § 99 Abs. 1 mit § 109 Abs. 2 UG.
Ad Punkt 4: Wir haben uns nämlich in der heutigen Debatte von den Diskutanten „Martin Hitz“ und „Unibert“ in die Irre führen lassen. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den sagenumwobenen Satz in § 99 Abs. 1 UG (in der Fassung der fraglichen Zeit vom 01.01.2018): „ „
Fehler bemerkt? Der Gesetzgeber versteht hier unter „Verlängerung“ eine neue Bestellung oder Berufung, die er in ebendiesem Paragrafen ausschließt! Sonst könnte er ja gar nicht schreiben, dass eine „Verlängerung“ nur nach Durchführung eines ordentlichen Berufungsverfahrens zulässig sei. Der Gesetzgeber verwendet hier also eindeutig den alltagssprachlichen, ‚personenbezogenen‘ Begriff von „Verlängerung“ und nicht den formaljuristisch-arbeitsrechtlichen. Und das hält der Gesetzgeber wieder nicht durch, denn in § 109 Abs. 2 steht:
Fest steht nun aber: Auf Basis dieser Interpretation von § 99 Abs. 1 dürfte schon die erste Neubestellung von Höchstrichter Neumayr im Jahr 2018 unzulässig gewesen sein. Damit hat der Diskutant Peter Hilpold recht. Das Ministerium dürfte sich nun nicht mehr herauswinden können. Eine „Umgehungspraxis“ wird gerade ausgeschlossen, weil der Gesetzgeber in § 99 Abs. 1 selbst, möglicherweise unreflektiert, Verlängerung mit Neuberufung/-bestellung gleichgesetzt hat.
Ich frage mich langsam, wer die Legisten des UG waren. Mir ist schon klar, dass Inkonsistenzen durch Novellen und zunehmende Flickwerke entstehen. Aber irgendwann ist es zu viel des Schlechten. Und irgendwann erlaube ich mir (als Abonnent der einschlägigen Zeitschriften N@HZ und zfhr) höflich die Frage, warum die österreichische Hochschulrechtswissenschaft dazu nichts sagt und ich hier als „Hobbyjurist“ am Werken bin, der dann sogar von den angestellten Juristen für seine Arbeit offen angefeindet wird (Stichwort ÖFG-Beirat). In meinem Wissenschaftsverständnis wäre es die vordringliche Aufgabe der Rechtswissenschaft, solche Inkonsistenzen aufzuspüren und zu problematisieren, anstatt Erläuterungen des Ministeriums zu copypasten und das „Kommentar“ zu nennen.
Bekanntlich zählen die Angehörigen der Familie Porsche/Piëch zu den 100 reichsten Österreichern. Ihren Stammsitz hat die Familie seit langem in Zell am See (Land Salzburg). Über die Porsche Automobil Holding SE wird die Mehrheit der stimmberechtigten Aktien an der Volkswagen AG gehalten. Bereits in den frühen 1990er Jahren hatte der weltweit inzwischen umsatzstärkste Fahrzeughersteller mit einem opportunistischen Handeln in den eigenen Reihen zu tun, das laut dem Geschäftsbericht aus dem Jahr 1993 die Transaktionskosten in von keinem mehr erreichbare Höhen schnellen ließ und zu einem Personalüberhang von rund 30.000 Mitarbeitern allein in den westdeutschen Werken führte. Feiert insofern heute der Opportunismus nicht zuletzt an der Universität Salzburg drei Jahrzehnte später noch immer fröhliche Urständ, ist es zulässig zu kritisieren, dass offenbar aus der ökonomisch damals schwersten Krise eines an den globalen Märkten präsenten Konzerns dort fortgesetzt nicht die richtigen Schlüsse gezogen werden. Während aber die Volkswagen AG dadurch seinerzeit kurz vor dem völligen Zusammenbruch stand und schon Befürchtungen unter der Belegschaft kursierten, ihr könnte dasselbe Schicksal beschieden sein wie zu Beginn der 1980er Jahre der einstigen AEG-Telefunken AG (Goes, in: Dunkel et al. (Hrsg.), 2019: 107), die längst nicht mehr existiert, finanziert sich die Universität Salzburg gegenwärtig mit Mitteln des Staates. Fraglich somit, ob hier nicht Untreue vorliegt. Zumindest ein Höchstrichter des OGH sollte sich nicht in den Ruch von Praktiken begeben, die geeignet sind, mit Macht den schließlichen Ruin einer ansonsten prosperierenden Volkswirtschaft mitten in Europa zu erzwingen.
Die gesamte Vorgangsweise rund um die § 99 Professuren von Matthias Neumayr wirft ein sehr schlechtes Licht auf Universität und Herrn Neumayr. Als Höchstrichter, der sich als Spezialist im Arbeits- und Öffentichen Dienstrecht geriert, steht zu erwarten, sich zumindest insoweit mit dem Universitätsrecht zu befassen, wie es ihn selbst betrifft. Es erscheint seltsam, dass Herrn Neumayr weder 2018 noch bei seiner Bewerbung 2023 bekannt gewesen sein soll, dass er den Ruf nicht nochmals erhalten hätte dürfen. Auf Wikipedia steht nach wie vor, er wäre seit 2013 „ordentlicher Universitätsprofessor“ (diese Bezeichnung gab es übrigens damals schon nicht mehr) für Zivilverfahrensrecht an der Universität Salzburg. Auf der Website des OGH wird er auch noch als Univ.-Prof. geführt. Gelten in Österreich für Höchstrichter andere Spielregeln?
Übrigens: Erst jüngst am 10.01.2023 erkannte der deutsche Bundesgerichtshof als die höchste Instanz in Zivilrechts- und Strafrechtssachen auf Untreue (siehe die Pressemitteilung 3/23). Über die aus schierem Eigeninteresse heraus vereinbarten Arbeitsverträge zum Nachteil der Allgemeinheit muss nun das Landgericht Braunschweig, an das der Fall zurückverwiesen wurde, eine Entscheidung am Beispiel der Volkswagen AG fällen, inwieweit das dortige Management insbesondere die mittlerweile überaus horrenden Kosten für die Vergütung von Betriebsräten auf daran völlig unbeteiligte Dritte abwälzen darf, denen bei einer Grenzüberschreitung ein enormer Vermögensschaden eintritt. In einem ungeheuren Anflug geistiger Umnachtung zeigte sich angesichts des höchstrichterlich ergangenen Urteils allen voran die Metallgewerkschaft empört und sprach von einem angeblichen Anschlag auf die betriebliche Mitbestimmung, solange die Allgemeinheit sich dessen im Zuge stets geteilter Gewalten notwendig erwehrt, deren Lasten zu tragen. Analog dazu wäre inständig zu hoffen, dass wenigstens in Österreich im Unterschied zu Deutschland die gesamte Bevölkerung nicht ebenso äußerst unzulässig in Haftung genommen worden ist, als vor kurzem an der Universität Salzburg auf zumindest nicht nachvollziehbare Weise eine Berufung auf eine Professur erfolgt ist.
Vorneweg: Es tut mir leid, sollten Sie meine Ausführungen derart verwirrt haben. Aber Sie haben des Pudels Kern noch nicht erfasst. Neumayr wurde eben nicht auf seinen bestehenden Professuren verlängert, sondern – und das war der juristische Kniff – auf „anderen“ neu bestellt. Problematisch könnte dies vor allem, wie schon von Hitz angemerkt, aufgrund von § 109 UG 2002 sein, der die Höchstdauer von Befristungen regelt.
Nein, Sie irren sich. Lesen Sie den Satz bitte ganz genau: „Eine Verlängerung der Bestellung ist nur nach Durchführung eines Berufungsverfahrens gemäß § 98 zulässig.“ Über die Widmung/das Wording im Rahmen des dann korrekterweise stattzufindenden ordentlichen Berufungsverfahrens (selber Wortlaut wie ursprüngliche § 99-Ausschreibung oder auch variiert möglich?) wird nichts ausgesagt. Der Begriff „Verlängerung“ wird personenbezogen verwendet, da ja von einer „Verlängerung“ die Rede ist, wenn (genauer: nachdem) ein ordentliches Berufungsverfahren stattgefunden hat. Eine § 99-Neubestellung derselben Person auch auf eine „andere“ Professur würde somit dem Gesetzeswortlaut widersprechen. Nirgendwo steht, dass die Widmung identisch sein muss, damit es unzulässig wird (würde man einen Beistrich weglassen, dürfte man dann neu bestellen?). Es tut mir leid, dass ich Ihrer Rechtsinterpretation nicht mehr folgen kann, ich halte sie für eine Nebelkerze.
Was wäre, wenn zwischen Ablauf der §-99-Professur und der „Neubestellung“ z.B. drei Jahre liegen, in denen der/die Betreffende evtl. an einer anderen Universität arbeitet? Würden Sie dann auch wieder von „Verlängerung“ sprechen, und wenn ja, wie soll dieser Fall unter diesen Begriff passen?
Sagen Sie es mir! Oder die BMBWF-Legisten! Oder Hochschulrechtler aus Wien, Linz oder Graz! Die Fälle von „absichtlichen“ Lücken sind mir auch schon bekannt. Neumayr fiel nicht darunter.
Der Punkt ist: Neumayr wurde über eine eigenwillige Krücke mehrfach auf eine – nominell andere – Professur bestellt. Im wahrsten Sinne des Wortes nämlich „neu bestellt“. Das ist auch der Unterschied zwischen einer Verlängerung und einer Neubestellung. Erstere bedeutet die Verlängerung des ursprünglichen Verhältnisses („Hinausschieben“ der Befristung), zweitere den neuen Abschluss eines neuen Rechtsverhältnisses. Gerade im Universitätsalltag ist Letzteres ja leider in den letzten Jahren Usus gewesen, um nicht in Kettenvertragsverhältnisse und damit „unbefristete“ Verträge zu rutschen. Ich verstehe nicht, wie man angesichts dessen, tw. mit professoralem Gestus („Gehen Sie in eine Einführungsvorlesung!“), steif und fest behaupten kann, das wäre sowieso dasselbe. Das erkennt das UG 2002 in § 109 auch ausdrücklich an (Sie bezeichnen das als „Inkonsistenz“, man geht aber typischerweise davon aus, dass der Gesetzgeber bei unterschiedlicher Wortwahl an unterschiedlichen Stellen Unterschiedliches regeln wollte). Die Causa um Neumayr ist sicher zu kritisieren, aus vielerlei Gründen, aber nicht auf Basis einer – mehr als – diskutablen Rechtsauffassung. Ich frage mich eher, warum ein OGH-Richter es notwendig hat, „daneben“ noch als Professor tätig zu sein, sein Hauptberuf dürfte Arbeit genug bedeuten und Fachbeiträge schon aufgrund seiner Stellung genügend Gewicht haben. Da ist er aber bei Weitem nicht der einzige Fall.
Lieber Unibert!
Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Satz „Eine Verlängerung der Bestellung ist nur nach Durchführung eines Berufungsverfahrens gemäß § 98 zulässig.“ aussagt, dass er „Verlängerung“ in jenem Sinne versteht, dass diese auch (oder gar nur) über eine Neubestellung erfolgen könne (was der Satz dann, quasi in zweiter Stufe, ausschließt). Somit wäre die Neubestellung ein Weg zur Verlängerung. Denn sonst dürfte ja unter Annahme der erfolgten „Durchführung eines Berufungsverfahrens gemäß § 98“ gerade nicht von einer „Verlängerung“ die Rede sein. Der Gesetzgeber versteht hier unter „Verlängerung“ eben nicht nur (oder gar nicht!) das bloße Hinausschieben einer Befristung nach hinten, etwa durch eine Vertragsergänzung zum ersten Vertrag. Davon abweichende Interpretationen werden Sie nicht nur Juristen, sondern auch Linguisten und Logikern erklären müssen.
Sie schreiben von weiteren Fällen. Ich sehe mir das sehr gerne an, bitte nennen Sie mir diese. Das geht auch anonym über das Kontaktformular auf meiner Website.
LG
sw
Herr Doz. Weber, Ihre und Herrn Prof. Hilpolds Analyse zu Ad 4 ist sehr treffend: Herrn Neumayrs Bestellung wurde schon 2018 zu unrecht verlängert bzw er gesetzwidrig wiederbestellt.
Ich schließe mich Caius an, dass dem nichts hinzuzufügen ist und tue es dennoch :). Diese unzulässige Verlängerung ging nur, weil Herr Neumayr Kontakte zu den „richtigen Personen“ an der Universität hatte (die meisten ehemalige Studienkollegen).
Es soll hervorgehoben werden, dass es keine Selbstverständlichkeit bei den Usancen an der Salzburger Universität ist, dass Herr Rektor Lehnert diesem Missbrauch öffentlicher Mittel ein Ende gesetzt hat. Diese Objektivität ist bei dem Druck der Salzburger Seilschaften – und ich weiß, wovon ich schreibe – bemerkenswert.
Sonnenklare Analyse – dem ist nichts hinzufügen! Vielen Dank für diese exzellente Studie.
Aber dass § 99 Abs. 1 keine Verlängerung – in welcher Form auch immer – zulässt, war den meisten (allen?) schon klar. Nun wird versucht, das Bild zu vernebeln. Vielleicht fürchtet man sich in Salzburg vor den Konsequenzen für das, was in der Vergangenheit geschehen ist.
Vielen Dank! Man kann mir nicht vorwerfen, dass ich heute nicht ausführlich die Pro- und Kontra-Stimmen gehört hätte. So, wie es sich jetzt final darstellt, und nach Rückschau ins UG-Archiv und Konsultation weiterer Experten ist das ein schwerer universitätspolitischer Skandal. Ich lehne mich damit als „Einzelkämpfer“ sehr weit hinaus. Wieder einmal zeigt sich, dass wir in Österreich dringend eine Aufdeckungsinstitution für die Wissenschaft brauchen. Das geht so nicht weiter.
@ Stefan Weber 18. Mai 2023 um 21:18:
Ich fände einen Entwurf für eine Systematik „Verhaltenskodex im Wissenschaftsbetrieb“ schon mal sehr interessant.
Wenn diese auch heutzutage gängige Delikte wie Raub bzw. Vortäuschung der Autorenschaft bei wissenschaftlichen Artikeln umfasst, dann könnte es spannend werden.
Das Verhalten im Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie oder öffentlich wahrnehmbare Stellungnahmen von Wissenschaftlern zu (anderen) Themen im Spannungsfeld der Politik (wie beispielsweise „Klimawandel“ oder zum Demographie-Dashboard der FPÖ) sind vermutlich erst mit ausreichendem zeitlichem Abstand einer seriösen Aufarbeitung zugänglich.
Lieber Herr Langerhammer!
Ich habe diesbezüglch bereits einen Versuch gestartet: https://gwp.or.at/gwp-kodex
Ein „Verhaltenskodex im Wissenschaftsbetrieb“ würde freilich noch weiter reichen.
LG