Bachelorarbeiten sind nicht in Bibliotheken abgabepflichtig, sie werden meist nicht einmal von den Universitäten und ihren Instituten gesammelt. Diplom- und Masterarbeiten sind in Österreich in Bibliotheken abgabepflichtig, in Deutschland hingegen nicht. In Deutschland ist es deshalb auch fast immer unmöglich, einen Diplom- oder Magistertitel auf Echtheit zu überprüfen. Täuschungen in Diplom- und Magisterarbeiten verjähren zahlreichen deutschen Studienordnungen zufolge nach fünf Jahren, in Österreich gibt es diese Regelung nicht. Doktorarbeiten sind in Österreich wie in Deutschland in Bibliotheken abgabepflichtig. Plagiate in ihnen verjähren nie. Diskussionen über die Einführung einer Verjährung nach fünf oder zehn Jahren sind bislang gescheitert.
Aber Vorsicht: Wer etwa an der Comenius-Universität Bratislava seinen Doktor macht, dessen allfälliges Plagiat würde schon nach einem Jahr verjähren. Und innerhalb des ersten Jahres gäbe es eine nicht näher definierte Disziplinarmaßnahme (eine schriftliche Rüge tut nicht weh). Das slowakische Hochschulgesetz kennt keinen Titelentzug (Rechtsauskunft anabin der KMK vom 24.07.2017), das österreichische hingegen schon, und die deutschen Ländergesetze kennen ihn auch. Bundesdeutsche Bibliotheken nehmen an der internationalen Fernleihe teil, osteuropäische zunehmend nicht mehr. Wo am besten unter immerwährendem Ausschluß der Öffentlichkeit promovieren? In Stettin, Prag, Sofia? Soweit darf es gar nicht kommen! Liebe Wissenschaftsminister der EU, das schreit nach Harmonisierung!
Nun aber zu den höchsten Weihen, um die es in diesem Beitrag eigentlich geht. Die Habilitationsschrift ist die „anspruchsvollste akademische Qualifikationsschrift„. Mit dieser entscheidet sich – zusammen mit einem didaktischen Gutachten –, wer selbst an Universitäten „frei“ unterrichten darf und wer selbst andere Qualifikationsschriften betreuen und beurteilen darf. Und genau auf dieser Ebene herrscht nun wieder jene Regelfreiheit, wie wir sie von der untersten Ebene, von den Bachelorarbeiten kennen: Oft sind in Habilitationsordnungen nicht einmal Verpflichtungen zu eidesstattlichen Erklärungen über das selbstständige Anfertigen der Arbeit enthalten. Man setzt offenbar voraus, dass Betrug auf diesem Niveau nicht mehr stattfinden kann. Dem steht entgegen, dass VroniPlag derzeit 13 plagiatsinfizierte Habilitationsschriften auflistet, selbst bin ich in Kenntnis zweier weiterer. Während Doktorarbeiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen, gilt dies für die – höher gereihten – Habilitationsschriften nicht.
Das führt zu der unbefriedigenden Situation, dass Habilitationsverfahren und -schriften bis heute auch im stillen Kämmerlein ausverhandelt werden können. Am Endpunkt der akademischen Publikationskarriere stehen also wieder Intransparenz und Nichtöffentlichkeit. Warum bekommt der Doktorand Publikationsauflagen, der Habilitand aber nicht?
Ein Fallbeispiel: Nehmen wir den berühmten österreichischen Gerichtspsychiater Univ. Prof. Dr. Reinhard Haller. Als blitzgescheiter und höchst eloquenter Gutachter ist er wohl über jeden Zweifel in Bezug auf akademische Unredlichkeiten erhaben. Doch auch seine Habilitationsschrift aus dem Jahr 1994, „Psychische Störung(en) und Kriminalität – Eine epidemiologische Studie zum Kriminalverhalten psychisch kranker und behinderter Menschen“, erwähnt etwa hier, hier und hier, ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Sie findet sich auch in keinem Bibliothekskatalog verzeichnet. Österreichweit wie weltweit.
Hat die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung der Habilitationsschrift von Reinhard Haller? Ich würde dies bejahen. Herr Haller hat ja, dem damaligen Studienplan für Medizin entsprechend, ohne Doktorarbeit promoviert, und der Titel „Univ. Prof.“ wurde ihm vom Bundespräsidenten verliehen. Die Habilitationsschrift ist also überhaupt die einzige wissenschaftliche Qualifikationsschrift von ihm.
Lesen Sie dazu diese und diese Anfragebeantwortung des renommierten Psychiaters, jeweils gerichtet an mich.
Dissertationen sind nur deswegen veröffentlichungspflichtig, weil Theodor Mommsen das so durchgesetzt hat in Preußen. Siehe dazu
Damals gab es noch keine Habilitation, die ist später dazugekommen. Und bei der Gelegenheit haben die wenigsten Habilitationsordnungen daran gedacht, eine Veröffentlichungspflicht mit aufzunehmen.
Liebe Frau Weber-Wulff!
Danke für diese historische Rekonstruktion des Problems.
Ich sehe hier zwei gegenläufige Tendenzen: Einerseits werden immer mehr Hochschulschriften (zumindest in Österreich: ab Magisterebene) auf Hochschulservern im Volltext online publiziert, auf Hausarbeitenbörsen monetarisiert, auf Plattformen wie ResearchGate oder Academia.edu oder eigenen Webseiten privat veröffentlicht; andererseits gibt es wie erwähnt den Trend zur Geheimhaltung. Nicht nur ich, auch Hermann Horstkotte und andere Spezialisten für akademische Integrität machten in der jüngsten Zeit vermehrt die Erfahrung, dass Dissertationen von osteuropäischen Universitäten (zuletzt konkret Budapest, Prag, Stettin) unter Hinweis auf nationale Copyright Acts nicht mehr an der Fernleihe teilnehmen. Manchmal war nicht einmal klar, ob überhaupt eine Lesesaalbenutzung vor Ort möglich wäre. Damit wird die Promotion wieder Privatsache zwischen Promovenden und Betreuern. Wie erwähnt, plädiere ich hier für eine Harmonisierung innerhalb der EU. Wir haben sonst bald zwei Klassen von Doktoren: Transparente und intransparente.