Es ist bekannt, dass ich seit langem die Arbeitsweise der ÖAWI, der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität, kritisiere. Vieles bei der ÖAWI ist seit jeher intransparent, Entscheidungen werden, wenn überhaupt, nur kursorisch und begründungslos kommuniziert. Bei mir rufen Betroffene an, die schildern, dass sie nie über Verfahrensausgänge informiert wurden, dass die ÖAWI entgegen ihrer auch medial abgegebenen Versprechungen keine detaillierte(re)n Untersuchungen angestellt habe etc. Insgesamt habe ich derzeit 13 Ordner in meiner Sammlung „Problematische ÖAWI-Fälle“.
Es sind des Weiteren zumindest zwei gravierende Fälle von Datenschutzverletzungen durch die ÖAWI bekannt und dokumentiert (geheimzuhaltende Gutachternamen wurden zweimal digital in den PDF-Metadaten weitergereicht). Ein „plagiatsfreundlicher“ Wissenschaftler ist in Entscheidungsposition. Die Kommunikation der ÖAWI in Sachen Aschbacher hielt ich für ein Desaster.
In Form von Offenen Briefen habe ich zuletzt Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Reagiert wurde auf diese Briefe bis heute nicht. Fazit: So kann es nicht weitergehen, wir machen uns lächerlich.
Ich wollte vor einiger Zeit wissen, wie mit Hinweisgebern umgegangen wird und habe über den anonymen Briefkasten, das BKMS-System der ÖAWI eine fiktive Verdachtsmeldung abgeschickt (mein „Mystery Shopping“ habe ich bis heute zurückgehalten):
Ich habe die Meldung am 18.04.22 abgesandt. Auch zwei Wochen später war noch keine Reaktion da. Nicht einmal eine Eingangsbestätigung, kein Hinweis, dass man sich um die aufgeworfenen Fragen kümmern werde. Rein gar nichts.
Nach knapp drei Wochen (!) dann das:
Am 08.05.22 hieß es also, man werde sich bis 28.05.22 wieder melden. Bis dahin kein Eingehen auf das inhaltliche Vorbringen, mit keinem Wort. Bis dahin sind eineinhalb Monate vergangen. Ein Wahnsinn!
Was ist hier nur los? Nachdem ich auch die GWP-Richtlinien der ÖAWI einer deutlichen Kritik unterzogen habe (siehe im Volltext unten), erweist sich nunmehr das BKMS-System als reine Zeitverzögerungsmaschine. Ich bin zutiefst enttäuscht von der ÖAWI. Seit 15 Jahren. Immer wieder und immer wieder aufs Neue.
Meine E-Mail vom 12.04.22:
„Sehr geehrte Frau Chai, Ph.D.,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Gattringer!
Als mehrjähriger Anwender der GWP-Richtlinien der ÖAWI erlaube ich mir die folgende Sammel-Rückmeldung. Ich würde mich freuen, zu den folgenden Punkten mit Ihnen in einen Dialog eintreten zu können.
1. Zielgruppen: An wen richtet sich die Richtlinie? In der Präambel werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwähnt, in § 1, Abs 1 und 2 ist zweimal von „alle[n] in der Forschung tätigen Personen“ die Rede. In § 1 Abs 4 werden auch Diplomanden und Masterstudierende als „Forschende“ bezeichnet, dann ist zweimal von „Forscherinnen und Forscher[n]“ die Rede (Abs 4 und 5). Es stellt sich terminologisch die Frage, ob jeder Masterstudierende schon ein Forscher ist, siehe etwa https://www.bic.at/berufsinformation.php?brfid=1478. Meines Erachtens wäre viel gewonnen, wenn (endlich) expressis verbis klargemacht werden würde, dass die GWP-Regeln auch für alle Studierende gelten, und zwar ab der erfolgreichen Vermittlung der jeweiligen fachspezifischen GWP-Standards. In den meisten Satzungsteilen zu GWP steht dies bereits so.
2. Herkunft der zentralen Begriffe: M.E. sollte in die Präambel aufgenommen werden, woher die Begriffe „gute wissenschaftliche Praxis“ und „wissenschaftliches Fehlverhalten“ überhaupt kommen, wer sie wann, wie und wozu in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt hat (mein Wissensstand ist: Albin Eser 1997 für die Max-Planck-Gesellschaft aus Anlass des Falls Herrmann/Brach).
3. Gruppierung der GWP-Standards: Zur besseren Übersichtlichkeit empfehle ich eine Gruppierung der GWP-Standards (§ 2) nach guter Autorschaftspraxis, guter Zitierpraxis, guter empirischer Praxis, guter Publikationspraxis und ev. auch noch guter Bewertungspraxis.
Konkret:
- § 2, Abs 1, Z 1: Gute empirische Praxis
- Z 2: Gute Zitierpraxis (fremdes geistiges Eigentum)
- Z 3: Gute Zitierpraxis (eigenes geistiges Eigentum)
- Z 4: Gute Autorschaftspraxis
- Z 5: Gute Autorschaftspraxis
- Z 6: Ev. gute Bewertungspraxis oder gemeinsam mit Z 7 weitere.
4. Fehlende Quellenangaben: M.E. fehlen an zumindest vier Stellen Quellenangaben zu österreichischen Gesetzestexten. Gerade eine GWP-Richtlinie sollte das Zitiergebot mustergültig einhalten!
- § 3, Abs 1: „für möglich hält und sich damit abfindet“, hier fehlt der Verweis auf § 5 StGB, https://www.jusline.at/gesetz/stgb/paragraf/5
- § 3, Abs 1: „nicht bloß für möglich, sondern für gewiss hält“, auch hier fehlt der Verweis auf § 5 StGB, https://www.jusline.at/gesetz/stgb/paragraf/5
- § 3, Abs 1: „auffallend stark außer Acht lässt“, hier fehlt der Verweis auf § 6 StGB, https://www.jusline.at/gesetz/stgb/paragraf/6
(Meines Erachtens ist es geradezu unerlässlich, hier den Leser*innen den Kontext zu erklären. Die österreichische strafrechtliche Terminologie kann nicht als notorisches Wissen vorausgesetzt werden.) - § 3, Abs 2, Z 3: Diese Definition von Plagiat findet sich bekanntlich auch im UG, wortwörtlich, als müsste zumindest eine Quellenangabe erfolgen, wenn nicht sogar aus Gründen der besonderen Hervorhebung des Wortlauts eine Kenntlichmachung mit Anführungszeichen (meine Empfehlung!).
5. Gruppierung der Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens:
§ 3, Abs 2, Z 1-8: Ich empfehle auch hier eine Gruppierung nach guter Autorschaftspraxis, guter Zitierpraxis, guter empirischer Praxis, guter Publikationspraxis und ev. auch noch guter Bewertungspraxis.
6. QRPs: Es fehlt in den Richtlinien die Thematik „Grauzone“/fragwürdige Wissenschaftspraxen komplett. Ich empfehle eine Aufzählung der wichtigsten als neuen § 3 Abs 3.
7. Duldung wissenschaftlichen Fehlverhaltens:
§ 4: Es fehlt m.E. eine klare Position zur Frage, ob die stillschweigende Duldung wissenschaftlichen Fehlverhaltens (etwa: die Kenntnis vom wissenschaftlichen Fehlverhalten anderer, aber dessen Nicht-Meldung) selbst wissenschaftliches Fehlverhalten darstellt oder nicht. Ich bin hier unschlüssig, vermisse aber eine klare Positionierung der ÖAWI in den Richtlinien.
Ich erlaube mir abschließend noch ein Wort zum Design der PDF-Ausgabe: Die Schrift halte ich für nicht gut leserlich, ebenso ist der permanente Wechsel von deutschen zu englischen Seiten m.E. nicht leserfreundlich. Schließlich werden die Cartoons der Ernsthaftigkeit des Themas, die ja auch in der Präambel zum Ausdruck kommt, meiner Auffassung nach nicht gerecht.
Ich freue mich, wenn ich bei einem Überarbeitungsprozess mitwirken kann.“
Passiert ist bis heute – rein gar nichts. Die Richtlinien sind immer noch dieselben, aus dem Jahr 2015. Was tut eigentlich die ÖAWI?
Anlässlich des vom 23. bis 26. September 1987 öffentlich tagenden Ersten Blaubeurer Symposions erkennt Walter Jens im dortigen Vorwort bereits eine Bedrohung der in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Würde des Menschen, falls fortgesetzt so getan wird, als ob wissenschaftliches Arbeiten vor allem in der Spitzenforschung lediglich ein Glasperlenspiel sei, das unter Verzicht auf dessen Individualität aufzuführen wäre. Insofern müsste sich in Österreich die Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) erklären, angesichts dessen untätig zu bleiben, wenn dadurch inzwischen sogar Papiere der Weltgemeinschaft im Feuer stehen. Die im akademischen Jargon so bezeichnete „Werftstudie“ kritisiert ohnehin die nicht erst seit heute, sondern bereits seit vielen Jahrzehnten vorherrschende Gleichgültigkeit unter der jeweiligen Bevölkerung, die zu allen Zeiten immer nur sehr eng begrenzt verfügbaren Träger solch einer überaus seltenen Arbeitskraft für fremde Zwecke buchstäblich zu verheizen.