Mainzer Herzchirurgin unter Plagiatsverdacht

Nach einer Führungskraft im öffentlichen Dienst (siehe Leipziger Amtsleiter) nun also auch noch die Medizin: Eine Mainzer Herzchirurgin steht massiv unter Plagiatsverdacht, siehe hier und hier. Unter anderem soll sie aus der Habilitationsschrift ihres eigenen Doktorvaters großflächig unzitiert abgeschrieben haben, der das „durchgehen“ ließ (oder wieder mal: nie gelesen hat). Die heutige Oberärztin hat auch eine Funktion im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Ihr Doktorvater (und Klinikdirektor) lobte sie erst jüngst in einer Presseaussendung für ihre Verdienste um die „grundlagenwissenschaftliche Forschung“. Es ist ein Wahnsinn. Der Fall wurde diesmal auf PlagiPedi ins Rollen gebracht und wird derzeit auf VroniPlag diskutiert, wo man auch erschreckend eindeutige Vergleichsscreenshots ansehen kann. Dass Leute, die offensichtlich keine Skrupel hatten, zu plagiieren, tagtäglich Menschen operieren und somit über Leben und Tod entscheiden, gibt dem ganzen Skandal noch einmal eine neue Dimension.

6 Kommentare zu “Mainzer Herzchirurgin unter Plagiatsverdacht

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  1. Berolina

    Diese ganze Plagiatsdiskussion scheint mir derzeit ein bisschen eingeschlafen zur sein. Anbei ein kleiner Aufreger zum Beenden des Winterschlafes: Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis und viele andere durch das Abschreiben zu akademischen Weihen gelangt sind, setzt nun Groupon noch einen drauf und bietet Doktortitel (h.c.) zu Ramschpreisen an. Das ist zu finden im Beitrag http://www.marketingfish.de/all/doktortitel-zum-schnaeppchenpreis-groupon-verramscht-dubiose-titel-5890/
    Wenn heute der 1. April wäre, hätte ich es ja noch verstanden. Aber wir haben erst Ende März….

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  2. Mitleser

    Sehr geehrte Leser,

    diese Ärztin hat in der wichtigsten Arbeit in Ihrem Studium der Medizin, nun sagen wir mal, fünfe gerade sein lassen.
    Dieses mag auf den ersten Blick nicht ihre handwerklichen Fähigkeiten beeinträchtigen, so wie ein guter Handwerker auch bei Rechnungen bescheißen kann.
    Nur wenn diese Dame weiß, dass Erlichkeit nicht immer notwendig ist, welche Skrupel hat sie dann, evt. Operationsberichte falsch auszufüllen, um vielleicht möglichen Regressanforderungen aus dem Weg zu gehen? Keine!

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  3. Sangamo

    Hallo Herr Erbloggtes,
    Sie haben natürlich recht: es ist gleich, ob der Arzt einen Dr.-Titel hat oder keinen oder ob der Dr.-Titel mit einer echten oder gefakten Dr.-Arbeit erworben wurde. Was zählt, ist, ob seine Patienten gesund werden, krank bleiben oder sterben. Aber das ändert nichts daran, daß es zu untersuchen gilt, ob der Dr.-Titel redlich erworben wurde, d.h. mit einer Arbeit, die den Anforderungen der jeweils geltenden Promotionsordnung entspricht oder nicht. Ist letzteres der Fall, muß der Dr.-Titel entzogen werden, gleich ob jemand ein guter oder schlechter Arzt ist oder keiner.

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  4. Erbloggtes

    Nein, lieber Herr Weber, in die Kerbe des letzten Satzes schlage ich (natürlich) nicht. Ein Politiker kann charismatisch sein, rhetorisch geschickt, intelligent und skrupellos. Manche nennen das einen guten Politiker. Ich nicht. Ein Lügner und Betrüger, der noch dazu Realitätsverlust demonstriert und sich nicht an die geltenden Regeln halten kann oder will, kann kein guter Politiker sein. (Wenn man betrogen hat, dafür verurteilt wurde, das zugibt und verspricht, es nicht wieder zu tun, dann kann man nach 10 Jahren überlegen, ob man den Freiherrn nochmal in irgendein Amt wählen kann.)

    Ärzte hingegen können lügen und betrügen (bei der Steuer, im Straßenverkehr, in ihrer Ehe), und trotzdem gute Ärzte sein. Nur an Realitätsverlust dürfen sie nicht leiden.
    Ihren Argumentationsfehler sehe ich an dem Punkt, an dem Sie „Wissen aneignen“ und „Forschen“ miteinander gleichsetzen. Man kann up-to-date sein, jedes neue Forschungsergebnis kennen, und das alles, ohne selbst geforscht zu haben. Es soll tatsächlich gute Ärzte geben, die nicht geforscht haben und keinen Doktortitel haben 😉

    Sie können das bestreiten, indem Sie behaupten, Ärzte könnten keine guten Ärzte sein, wenn sie lügen. Oder Sie argumentieren, dass Plagiatoren Blender sind, und Blender vielleicht gute Versicherungsvertreter abgeben oder gute Rechtsanwälte, aber keinesfalls gute Ärzte. Denn bei Ärzten zählen harte Fakten, und als Patient will man sein Vertrauen nicht in jemanden setzen, der behauptet, er könne etwas, was er in Wahrheit nicht kann – ungeachtet des Unterschieds zwischen forschen und behandeln. Das ist in der Tat ein idealistisches Ärztebild.

    Ich bin dem gar nicht so streng abgeneigt. Aber meinen Sie nicht, dass es einen Unterschied zwischen Ärzten und Politikern gibt?

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  5. Erbloggtes

    Ich finde nicht, dass Plagiate auf die Fähigkeit zur Chirurgie durchschlagen. Als Arzt muss man wissen, was man tut, und das technisch können. Man muss nicht: forschen und wissenschaftlich schreiben können.
    Dass im Gesundheitswesen der Doktortitel wertvoll für den Erfolg ist, sollte man daher abschaffen. Aber dazu müsste man das gesamte System umkrempeln. Das wird nichts werden.
    Was macht man also mit Ärzten, die bei der Promotion betrogen haben? Einen Unterschied zu Politikern sehe ich da schon.

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    1. admin

      Lieber Erbloggtes Bloggender,

      wie erfrischend, dass auch wir nicht immer einer Meinung sind ;-).

      Ich finde diesen Fall ganz furchtbar. Ich habe mir die 15 Vergleichsseiten genau angesehen. Das sind die üblichen Abgründe der Textkultur ohne Hirn (oder mit ganz wenig Hirn). Nur wenn es einen Mediziner trifft, noch dazu in leitender Funktion, ist es m. E. besonders schlimm. Die strenge Trennung in theoretisches Wissen (den Stand der Forschung, den Stand der wissenschaftlichen Differenzierung in einem Fachgebiet, immer Up-to-Date zu sein mit den Journals, was auch immer) und praktische Anwendung (den Alltag der Diagnose und der Therapie/des Eingriffs/was auch immer) funktioniert doch nicht. Ich habe das Argument schon früher manchmal gehört, in ähnlichen Kontexten: Man kann doch schon mal plagiieren und trotzdem gut operieren können, dann eher im Sinne von handwerklichem Geschick. Aber gibt es denn irgend einen chirurgischen Eingriff, bei dem der Arzt nicht ganz genau WISSEN muss, was der Stand der Forschung ist, was er im unvorhersehbaren Fall X tun muss usw.? Und dieses Wissen erhält er NICHT NUR durch die Praxis (außer, er hat immer einen Schutzengel). Dieses Wissen muss er sich VOR dem Abstieg in die empirische Realität menschlicher Körper ANEIGNEN und nicht bloß AB- UND UMSCHREIBEN. Aber bitte, vielleicht ist mein Ärztebild hier zu idealistisch.

      Wenn Sie schreiben, dass Plagiate nicht „auf die Fähigkeit zur Chirurgie durchschlagen“ (und Sie im Folgenden ja auch – mitunter zu Recht – die chirurgische Praxis vom Forschen trennen), so schlagen Sie in dieselbe Kerbe wie die Guttenberg-Verteidiger (Merkel et al.): Plagiate müssen nicht auf die Fähigkeit durchschlagen, ein guter Politiker zu sein, denn Politik ist nicht Forschung.

      LG
      sw

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