Plagiatsjäger können sich nicht um alles kümmern. Aber ich habe es dem befreundeten Salzburger Historiker Gerhard Ammerer zu verdanken, dass ich es genau wissen wollte, ob es vor der angeblichen Erfindung der weltbekannten Salzburger Mozartkugel durch den Konditormeister Paul Fürst 1890 schon Mozartkugeln eines anderen Konditors in Salzburg gab. Und siehe da, man entdeckt mit wenigen Klicks in der Google Buchsuche Unglaubliches:
Inserat im Wiener „Neuigkeits Welt-Blatt“ vom 04.02.1881:
Konditor Rudolf Baumann annoncierte 1881, dass sich seine „Salzburger Mozartkugeln“ „seit vielen Jahren der größten Beliebtheit“ erfreuen und eine „von mir komponirte Spezialität“ seien. Es müsste sie demnach schon viele Jahre vor 1881 gegeben haben. Das hieße aber, dass sie Paul Fürst nicht erst 1890 erfunden haben kann.
Ein weiteres Indiz ist ein Inserat im „Führer durch Salzburg, Berchtesgaden, Reichenhall und Umgebungen“ von der Salzburger Hofbuchhandlung Heinrich Dieter aus dem Jahr 1884:
Und im Roman „Hermann Ilfinger“ von Adolf Wilbrandt, fertig gestellt laut Vorwort im Juni 1892, ist auf Seite 158 zu lesen:
Wären die Mozartkugeln tatsächlich erst im Jahr 1890 von Paul Fürst erfunden worden, wäre es höchst unwahrscheinlich gewesen, dass diese bereits eineinhalb Jahre später in einem Roman eines in Wien arbeitenden deutschen Schriftstellers gewürdigt worden wären. Auch die Erwähnung der Mozartkugeln im Roman von Wilbrandt weist wohl eher darauf hin, dass es sie im 19. Jahrhundert schon viel früher gegeben haben muss.
So liest sich das hingegen auf der Website der Konditorei Fürst:
Alle Funde legen nahe, dass es zumindest den Markennamen „Mozartkugel“ schon vor der „Erfindung“ durch Paul Fürst gab, und zwar kreiert von der noch heute existierenden Confiserie Holzermayr, nur wenige Häuser neben der Konditorei Fürst. Ein Wortmarken-„Plagiat“ dürfte somit erwiesen sein, wenn sich bei Fürst nicht ältere Hinweise aus der Zeit um 1880 finden. Ob es sich bei den früheren Mozartkugeln aber tatsächlich auch um das Nougat-Marzipan-Konfekt von Fürst handelte, wird schwierig zu ermitteln sein.



Historie vs. Rechtslage
Die Diskussion um die Mozartkugel zeigt in ihrem Kern, dass der Begriff bereits 1881 als Salzburger Spezialität genutzt wurde und somit älter ist als die oft genannte Erfindung von Paul Fürst 1890. Rechtlich gilt „Mozartkugel“ als Gattungsbegriff ohne Markenschutz, geschützt sind nur spezifische Kennzeichen und Verpackungen einzelner Hersteller wie Fürst oder Reber. Die Historie des Namensbelegs bedeutet nicht zwangsläufig identische Rezepturen, und die Nutzung des Begriffs durch verschiedene Produzenten ist rechtlich zulässig, solange keine Herkunftstäuschung vorliegt. Die Debatte sollte zwischen historischer Herkunft und aktuellem Markenrecht klar unterscheiden.
Ausgangslage
Die von Herrn Dr. Weber aufgefundenen Zeitungsanzeigen aus dem Jahr 1881 sind ein wichtiger Beitrag zur Quellenlage. Sie zeigen, dass „Mozartkugeln“ als Salzburger Spezialität bereits damals angeboten und unter dieser Bezeichnung beworben wurden – also lange vor der weithin kolportierten Erzählung, Konditor Paul Fürst habe 1890 die Mozartkugel „erfunden“. Damit ist die gern gepflegte Monopol-Legende zumindest relativiert.
Allerdings folgt aus diesem Befund nicht automatisch, dass spätere Hersteller – etwa die Firma Reber – „Plagiate“ im Rechtssinne geschaffen hätten. Denn:
1. „Plagiat“ ist kein Rechtsbegriff.
Weder das deutsche noch das europäische Markenrecht kennen diesen Terminus. Juristisch maßgeblich sind für Deutschland u. a.:
• Art. 7 Abs. (1) lit. c) EUTMR (beschreibende Angaben dürfen nicht monopolisiert werden),
• § 14 MarkenG (Schutz eingetragener Marken),
• § 4 Nr. 3 und § 5 UWG (Schutz gegen Herkunftstäuschung und Nachahmung).
2. „Mozartkugel“ ist ein Gattungsbegriff.
Das Gericht der Europäischen Union (T-304/06) hat in der Rechtssache Paul Reber GmbH & Co. KG ./. HABM bestätigt, dass „MOZART“ für Schokoladenwaren rein beschreibend ist und deshalb als Marke keinen Schutz beanspruchen kann. Niemand kann also den bloßen Begriff exklusiv für sich sichern.
3. Schutz besteht nur bei konkreten Kennzeichen oder Aufmachungen.
• Österreich 2017 Die Salzburger Konditorei Fürst darf ihre Ware als „Original Salzburger Mozartkugel“ kennzeichnen. Der OGH (Österreich 2017 ) hat einer täuschend ähnlichen Silber-Blau-Verpackung eines Mitbewerbers die Nutzung untersagt.
• Mirabell vertreibt die „Echte Salzburger Mozartkugel“.
• Reber (Bad Reichenhall) produziert seit Jahrzehnten die „Echte Reber Mozart-Kugel“ – mit eigener Rezeptur und Kennzeichnung.
Der 4. Historie ≠ Identität.
Aus der Erwähnung von „Mozartkugeln“ anno 1881 folgt zwar, dass der Name früher gebräuchlich war – nicht aber, dass es sich um die gleiche Rezeptur oder Herstellungsweise handelte wie später bei Fürst. Die Belege sichern die Bezeichnung nicht zwingend die stoffliche Identität.
5. Fazit:
Die Legendenkritik des Blogs ist grundsätzlich nachvollziehbar: Die Mozartkugel ist älter als oft behauptet. Die weitergehende These vom „Plagiat“ ist dagegen meines Erachtens etwas überspannt: Markenrechtlich ist „Mozartkugel“ heute ein frei verwendbarer Begriff; geschützt sind lediglich die konkreten Kennzeichen, Verpackungen und Herkunftsangaben einzelner Hersteller. Reber in Deutschland handelt beispielsweise damit nicht rechtswidrig, solange es keine Herkunftstäuschung gibt.
Die Diskussion sollte daher sauber trennen zwischen der Historie (also wer hat wann zuerst den Namen genutzt?) und Recht (was ist davon heute noch exklusiv geschützt?).
Lieber Herr Kräft!
Sie berühren da wirklich einige spannende Fragen.
Zunächst und 1.: Ich habe den Begriff „Plagiat“ im Blogbeitrag bewusst unter Anführungszeichen gesetzt. Da ich noch nie so einen alten Fall bearbeitet habe, müsste ich zuerst einmal schauen, ob es 1880 überhaupt schon so etwas wie einen funktionierenden Markenschutz gab. Anzuwenden ist natürlich, davon unabhängig, stets die aktuelle Rechtslage. Und es ist auch stets zu unterscheiden zwischen einem juristischen Verständnis von „Plagiat“ (ohne Legalbegriff im Urheberrecht!) und dem wissenschaftlichen oder allgemeinsprachlichen Terminus.
2. Es ist richtig, dass der Begriff „Mozartkugel“ solitär (alleinstehend) nicht geschützt ist, aber er tritt alleine in der österreichischen Markensuche in einer Vielzahl von Firmenvarianten auf, siehe Bild. Ich würde daher sagen: „Mozartkugeln“ oder gar „Echte Mozartkugeln“ dürfte ich eine neue Kreation nicht nennen, „Webers Mozartkugeln“ aber schon. Da fällt mir ein, dass die großartige Bäckerei Wippler in Dresden tatsächlich Weberkugeln anbietet: https://www.baeckerei-wippler.de/webers-freikugeln Diese dürften wiederum produkttechnisch ein kleines „Ideenplagiat“ der Salzburger Kreation sein… ;-)!