Warum Neo-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig zusätzlich zum Magistergrad einen MSc.-Grad führt

Es wird einem mitunter vermittelt, das sofortige „Durchleuchten“ von Spitzenpolitikerinnen und -politikern, die neu im Amt sind, sei etwas Antidemokratisches. Nun, meiner Meinung nach ist das Gegenteil der Fall: Zunächst bin ich überaus dankbar dafür, in einer Demokratie und in einem Land zu leben, in dem die freie Meinungsäußerung ein hohes Gut ist (wir erleben gerade jetzt wieder, welche dramatischen Folgen es haben kann, wenn das Gegenteil der Fall ist) – und in dem wir somit auch über Themen wie das vorliegende offen sprechen können. Sodann möchte ich betonen, dass ein sauberer Lebenslauf – der nichts verschweigt, aber auch nirgendwo übertreibt – und redliche akademische Abschlussarbeiten Mindeststandards nicht nur in der (Spitzen-)Politik sein sollten. Wenn diesem Ethos mit einem „Wer wird denn so genau hinschauen…“ begegnet wird, läuft in der Gesellschaft etwas falsch, eben auch in der freien und demokratischen Gesellschaft.

Ich gehöre offenbar zu den wenigen Menschen in Österreich, die sich für die akademische Ausbildung und die Qualifikationsschriften von (neu angelobten) Personen in höchsten politischen Ämtern interessieren. Der traditionelle Journalismus leistet diese Investigation nicht. Ministerinnen und Minister geben sich derzeit in Österreich so schnell die Türklinke in die Hand, dass ein genaues Kandidaten-Screening wohl auch für die Parteien gar nicht mehr möglich ist.

Worum es mir heute geht: Der neue ÖVP-Landwirtschaftsminister trägt an vielen Stellen im Internet zwei Grade, nämlich einen Mag.-Grad und einen MSc.-Grad:

Quelle: https://bauernbund.at/team (11.05.22)

Sein Lebenslauf (Stand: 11.05.22) lässt aber keinen Rückschluss auf die Herkunft des Master of Science-Grades zu:

Quelle: https://www.dieneuevolkspartei.at/Download/Team_LL/Lebenslauf_NorbertTotschnig.pdf (11.05.22)

Nun schließe ich es aus, dass Herr Minister Totschnig seinen zweiten Titel unbefugt führt: In der Regel wäre das kein großer Distinktionsgewinn – wenn, dann wäre schon ein Fake-Doktor das bessere Upgrade. Daraus folgt aber, dass es ein zweites Studium, einen zweiten Studienort, somit einen zweiten Ausbildungsweg des Neo-Ministers geben muss, den die Partei-Website, Wikipedia und die gesamte Berichterstattung über den „Muster-Lebenslauf“ heute verschwiegen hat. Und sorry, das verstehe ich einfach nicht. Ich würde, wie immer, einfach nur gerne die Wahrheit erfahren.

Eine Anfrage des Teams Weber beim Bauernbund vom 11.05.22 vormittags blieb unbeantwortet.


Update vom 13.05.22:

Nachdem die „Tiroler Tageszeitung“ meinen Blogbeitrag aufgegriffen hatte, legte die Presseabteilung des Bauernbundes dieses Dokument vor:

Zunächst: Diese Transparenz ist löblich! Aber auf der Diplomurkunde steht der Titel „Master of Science (MSc) Management“, da ist ein Titelzusatz dabei. Allerdings erlaubte das Ministerium das Führen des Grades auch in abgekürzter Form, wohlwissend um den Preis der Verwirrung:

„Die Mastergrade in der Weiterbildung sind nicht identisch mit den Mastergraden aufgrund des Abschlusses ordentlicher Studien (Masterstudien), auch wenn sie zum Teil denselben Wortlaut haben.“
Quelle: Ministeriumsdokument zu Mastergraden in der Weiterbildung, 2007

Den besagten „Lehrgang universitären Charakters“ (diese Form wurde 2012 abgeschafft) haben SanConsult und Trinergy International durchgeführt. Trinergy International ist bekannt als Anbieter im Bereich der NLP-Techniken (des Neuro-Linguistischen Programmierens). NLP gilt innerhalb der Wissenschaft als Parawissenschaft. In einer OTS-Meldung aus dem Jahr 2007 über den Lehrgang heißt es, dass alle Abschlüsse mit dem Grad MBA beendet werden. Der NLP-Partner Trinergy wurde nicht erwähnt.

6 Kommentare zu “Warum Neo-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig zusätzlich zum Magistergrad einen MSc.-Grad führt

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  1. Andy Dufresne

    Gleich vorweg: Ich lobe mir diese Transparenz ebenso und möchte keinerlei Vorwürfe gegenüber Herrn Totschnig erheben, sondern die Chose wieder einmal auf eine Metaebebe heben:
    Diese „Titel“, die wohl bewusst ident mit den akademischen Graden waren, luden ja geradezu zur Blendung ein – was die anbietenden Institutionen auch wussten. Irgendwann wird es Wifi-Kurse für Friseur*innen zum Thema Haarfärben geben, nach denen sich der/die Absolvent*in „PhD“ auf die Visitenkarte schreiben kann. Dies steht dann halt – erst auf den zweiten Blick ersichtlich – für „Professional Hair Dyer“ …….

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Sehe ich genau so. Wenn „MSc.“ sowohl für ein absolviertes Masterstudium nach einem Bachelor stehen kann als auch für einen absolvierten privatwirtschaftlich durchgeführten Lehrgang aus dem NLP-Umfeld, macht das keinen Sinn mehr. Allerdings bleibt die Frage, warum die Station im Lebenslauf verschwiegen wurde. Das kann aber in der Tat auch ein redaktionelles Versehen gewesen sein.

    2. Andy Dufresne

      „Allerdings bleibt die Frage, warum die Station im Lebenslauf verschwiegen wurde. Das kann aber in der Tat auch ein redaktionelles Versehen gewesen sein.“

      Ich würde ein „Verschweigen“ nicht unterstellen. Ein blöder Vergleich: Ich (Magister) besitze aus diversen Gründen einen Gabelstaplerführerschein. Dieses Detail werden Sie in meinem CV nicht finden, ganz einfach weil es mit meiner Profession absolut nichts zu tun hat. Nur: Wenn ich einen MSc neben meinem Namen führe, ist dieser mir entweder so „wichtig“, dass ich dann auch im CV ausführen würde, wo ebendieser erworben wurde. Oder aber ich möchte gerade NICHT, dass irgendwo aufscheint, dass es sich – direkt gesagt – „nur“ ein Lehrgangsabschluss handelt. Dass heutzutage gerade bei aufstrebenden Politikern kritisch nachgefragt wird, müsste dem Träger des Titels bewusst sein. Und deshalb gibt es hier meiner Meinung nach nur zwei Wege: Entweder, man erwähnt den Lehrgang nicht und führt den Titel auch nicht beim Namen, oder man führt ihn und erwähnt die Herkunft transparent. Letzteres geschah in diesem konkreten Fall auf Nachfrage umgegend – und da sag ich zumindest im Nachhinein „Chapeau“ für die Offenheit! Und das ist mir sympathisch. Das Detail wurde nachgereicht – und das ist ehrenhaft

      Bei dieser Thematik spielt halt wieder der österreichische Titelwahn mit – und ich verstehe, dass jemand, der eine Karriere anstrebt, dazu geneigt ist, hier allein aus einer Art Gruppenzwang mitzuschwimmen und ein solches Prestigesymbol anzustreben. Dabei hat er als Magister seine Qualulifation als Akademiker der Magister/Master-Ebene doch schon ausreichend bewiesen und es sollte nicht der Titel, sondern die Qualität der Arbeit als Politiker zählen. Aber erklären Sie das mal dem gemeinen Österreicher…

  2. Robert Beltle

    Jetzt wurde der Lebenslauf ja aktualisiert, aber das wirft bei mir mehr Fragen auf als es beantwortet. Ich war eigentlich immer der Meinung man kann einen M.Sc. nur über ein ordentliches Studium erwerben, wie z.B. auch einen M.A., universitäre Lehrgänge verbinde ich mit Titeln wie einem MBA.

    Außerdem kommt mir der Titel irgendwie auch im Bezug auf die Studienrichtung komisch vor, auch da würde ich eher einen MBA erwarten.

    Ebenso ungewöhnlich finde ich, dass keine Angaben zur Institution die den Titel verliehen hat gemacht werden.

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Den „MSc.“ als Titel nach einem absolvierten Universitätslehrgang trägt sogar unser aktueller Bundeskanzler – natürlich zu Recht. Dass es da auch einen privatwirtschaftlich durchgeführten Lehrgang eines NLP-Instituts gab, war mir neu.

  3. Reinhold+Knoll

    Wie unlängst irritiert! Wegen der Häufigkeit bedeutet das, dass die Ausbildungsinstitutionen überlastet sind. Das wissen wir seit Jahren! So trifft die Investigation nicht allein den geschickten Schummler etc.; sondern auch die Schulen! Meine Abhilfe lautete vor 20 Jahren: jedem und jeder bei der Geburt alle Titel zu verleihen. Bei positivem Ende des Kindergartens wird der Bachelor gestrichen und darf nicht mehr geführt werden….usf. am Ende ist dann der Herr Mayer der mit den meisten Graden….

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