Uni-Reform Teil 1: 24 Forderungen an eine Novelle des österreichischen Universitätsgesetzes (UG)

Seit 2019 liefern Peter Hilpold und ich – mittlerweile auch als Sprecher des Netzwerks „Gute wissenschaftliche Praxis für Österreich“ – dem österreichischen Wissenschaftsministerium Ideen und konkrete Vorschläge für eine dringend notwendige Novellierung des österreichischen Universitätsgesetzes (UG).

Wir haben diese Vorschläge in verschiedenen Formaten kommuniziert: ich in mehreren persönlichen Gesprächen mit dem Hochschul-Sektionschef Elmar Pichl (ÖVP und CV), mit Ex-Minister Heinz Faßmann (ÖVP-Ticket) und einem Legisten des BMBWF sowie in diversen Publikationen wissenschaftlicher und journalistischer Art; Peter Hilpold vor allem in Medienkommentaren in der „Wiener Zeitung“, in der „Presse“ und im „Kurier“. Der amtierende Wissenschaftsminister Martin Polaschek (ÖVP-Ticket) verweigerte auf Anfrage ein Gespräch.

Die Novelle lässt indes weiter auf sich warten. Nun lesen wir, dass es demnächst so weit sein wird: Schon Ende September 2023 sagte das Ministerium zur APA: „Nachjustiert werden soll außerdem bei der Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis – Stichwort: Plagiate.“ Gegenüber der „Kleinen Zeitung“ wurde das BMBWF dann Mitte Dezember konkreter: „Derzeit ist ein Hochschulrechtsreformpaket in Arbeit, das Anfang 2024 in Begutachtung geht und Verbesserungen der legistischen Situation bringen soll.“

Wir nehmen diese nunmehr endlich konkrete Ankündigung zum Anlass, alle unsere Ideen und Vorschläge noch einmal chronologisch nach Paragrafen im UG zu bündeln. Damit man nachher nicht sagen kann, die Experten hätten das nicht gefordert bzw. nicht kommuniziert:

PARAGRAF IM UG BISLANG KRITIK BZW. NEUER VORSCHLAG
1. § 1 „[…] zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen in einer sich wandelnden humanen und geschlechtergerechten Gesellschaft beizutragen.“ Der Satz enthält erstens eine Tautologie: Gesellschaftliche Herausforderungen einer Gesellschaft.

Zweitens: Warum muss „geschlechtergerecht“ schon hier stehen? Eher Fokus auf Digitalisierung, KI?

Drittens: Tempus/Logik stimmt offenbar nicht. Laut UG ist die Gesellschaft bereits geschlechtergerecht. Aber in welche Richtung wandelt sie sich?

2. §§ 2 und 3 § 2 Abs. 3a: „Sicherstellung guter wissenschaftlicher Praxis und akademischer Integrität“ § 2 Abs. 3a: „Akademische Integrität und wissenschaftliche Redlichkeit“

Das Wort „Sicherstellung“ ist bei den „Leitenden  Grundsätzen“ redundant, es müsste ansonsten bei jedem anderen der 14 leitenden Grundsätze auch eingefügt werden.

§ 3 Abs. 8a: „Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis und Sanktionierung wissenschaftlichen Fehlverhaltens“

3. § 3 Zusätzlich erwähnen oder GWP-Aufgabe mit „insbesondere“ präzisieren: „Verpflichtung zur flächendeckenden Verwendung von Plagiatssoftware (‚Portfolio-Ansatz‘)“

Damit etwa:

§ 3 Abs. 8a: „Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis und Sanktionierung wissenschaftlichen Fehlverhaltens, die Sicherung umfasst insbesondere die Verpflichtung zur flächendeckenden Verwendung von Plagiatssoftware (‚Portfolio-Ansatz‘)“

4. § 19 Abs. 2a „Maßnahmen bei Plagiaten oder anderem Vortäuschen“ „Plagiat“ ist ein Produkt, „Vortäuschen“ eine Handlung. Das Begriffspaar passt nicht zusammen.
5. § 19 Abs. 2a „Maßnahmen bei Plagiaten oder anderem Vortäuschen“ In § 51 und § 73 wird „Plagiat“ von „Vortäuschen“ binär unterschieden; hier ist das Plagiat indes eine Teilmenge von „Vortäuschen“. – Analogie: „Mord oder Kapitalverbrechen“ ist falsch; „Mord oder andere Kapitalverbrechen“ ist richtig.
6. § 19 Abs. 2a „bei schwerwiegendem und vorsätzlichem Plagiieren oder schwerwiegendem und vorsätzlichem anderen Vortäuschen“ Impliziert, dass es auch nicht-vorsätzliches Vortäuschen gibt; damit ist dieser Teil der Bestimmung Unsinn.
7. §§ 21 und 25 Senat erstellt Dreiervorschlag; Unirat wählt Rektor aus dem Dreiervorschlag Präzisierung der Teleologie des Gesetzgebers zur Vermeidung von Missbrauch
8. § 46 Abs. 1 „Die Universitätsorgane haben in allen behördlichen Angelegenheiten das AVG anzuwenden.“ Bei GWP-Verfahren muss auch ein Ombudsverfahren möglich sein, das eine Information an den Hinweisgeber gestattet (dieser hat derzeit im AVG-Verfahren keine Parteistellung).
9. § 48 Kann auf die Müllhalde der Geschichte.
10. § 51 Abs. 2 Z 31: Inhaltliches Plagiat raus (es gibt nur Text- oder Ideenplagiat)
11. § 51 Abs. 2 Z 33: Definition von „guter wissenschaftlicher Praxis“ nicht auf die Institution, sondern auf den hier notwendigen studienrechtlichen Kontext abstellen; „Wissenschaftliches Fehlverhalten“ statt „Vortäuschen“ definieren (Z 32)
12. § 73 Abs. 1 Z 2: Wieder Begriffe ändern und Relation zwischen beiden (neuen) Begriffen klar bestimmen, „Erschleichungskriterium“ raus (Täuschung des Lesers statt Täuschungsabsicht des Verfassers)
13. Neuer § 73a Einführung einer „absoluten Nichtigkeit“ bei ex post erkannter Unwissenschaftlichkeit bzw. Unwürdigkeit, eine akademische Arbeit zu sein
14. § 99 Abs. 1 Problemfälle wie OGH-Höchstrichter Neumayr Die Bestimmung zur Nicht-Verlängerbarkeit befristeter Professuren muss präzisiert werden, siehe den Vergleich § 99 Abs. 1 mit § 109 Abs. 2.
15. § 116 Gesetzes-Triplette zu Titelmissbrauch Entweder aus FHG und HS-QSG raus oder überall dieselbe Bestimmung; jedenfalls Angleichung mit Punkt 17  in dieser Tabelle
16. § 116 Klärung des „Rätselsatzes“ § 116 Abs. 3: Titelmissbrauch wegen Plagiats?
17. § 116a Geltungsbereich des § 116a derzeit nur in § 6 Abs. 7 bestimmt (nach Kritik von Theo Anders im „Standard“). Klärung und empirische Erfolgsanalyse des neuen § 116a
18. Neuer § 116b Schaffung eines neuen Straftatbestands „Hochschulkorruption“ nach dem Vorschlag hier: https://hochschulkorruption.com/gesetzesaenderung.html
19. Einführung neuer qualitativer Indikatoren für die Wissensbilanzen (positive Reviews, Innovationsfaktor)
20. Verlängerung der Frist für die Notenvergabe von vier auf acht Wochen
21. Verringerung der möglichen Anzahl von Prüfungsantritten
22. Der Missstand ist hier beschrieben: https://de.wikipedia.org/wiki/Konkurrentenklage#
Konkurrentenklage_im_Universit%C3%A4tsrecht_(%C3%96sterreich)
Ermöglichung von Konkurrentenklagen zur Durchsetzung echter Bestenauslesen
23. Siehe die Fälle Aschbacher; des Weiteren Collegium Humanum, SMBS und Riga, Studienzentrum Hohe Warte u.v.a. Frage der Anerkennung ausländischer Abschlüsse bei nicht erkennbaren Qualitätsstandards; Frage EU-weiter Standards
24. Etwa Gesetzes-Triplette zu Titelmissbrauch Mögliche Auswirkungen jeweils auf FHG, HG, PrivHG und HS-QSG reflektieren; Doubletten und Tripletten vermeiden

Um den bestbezahlten Legisten des Ministeriums nicht die ganze Arbeit ehrenamtlich abzunehmen, haben wir einige Felder leer gelassen bzw. nicht alles bereits neu formuliert.

Das BMBWF, in den vergangenen Jahren als chronischer Verhinderer der Bemühungen um Qualitätssicherung an den österreichischen Universitäten aufgetreten, wird man daran messen müssen, was von den 24 Punkten (und idealerweise darüber hinaus!) im kommenden Begutachtungsentwurf umgesetzt werden wird.


Teil 2: Weitere Expertenvorschläge für eine Reform des österreichischen Universitätsgesetzes (UG)

Teil 3 und des Pudels Kern: Keine GWP- und Qualitätskriterien im zentralen § 13 zu den Leistungsvereinbarungen

3 Kommentare zu “Uni-Reform Teil 1: 24 Forderungen an eine Novelle des österreichischen Universitätsgesetzes (UG)

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  1. Vermutlich...

    Hallo Herr Weber,

    tolles Interview bei Talkaccino.
    https://www.talkaccino.at/interview/gesellschaft/plagiatsjaeger-stefan-weber/
    „Wenn man aus dem Dilemma rauswill, dann müsste man es so abändern, dass nicht die Täuschungsabsicht des Abschreibenden nachgewiesen werden muss, sondern die Täuschung des Lesers bei objektiver Betrachtung. Ob die durch Inkompetenz, Bosheit oder Ghostwriting passiert ist, ist vollkommen egal. Das müsste man gesetzlich nur ändern.“ (Stefan Weber)

    Ich denke mir, dass Fehlverhalten immer als „Tat“ gesehen werden muss, weshalb auch immer der Vorsatz eine Rolle spielen sollte. Die Täuschung des Lesers bei objektiver Betrachtung? Öffnet das nicht Tür und Tor für Willkür? Die Universitäten in Deutschland betonen, wie Sie ja selbst auf Ihrem Blog schreiben, den Vorsatz und sind bei der Aberkennung – gerade bei Dissertationen – gar nicht so zimperlich. Eine Gesetzesänderung ist – denke ich – hier nicht notwendig.

    Ein Freischuss und drei Antritte – also zwei Wiederholungen – bei allen Prüfungsarten finde ich zum Beispiel fair.
    Zur Zeit sind es häufig vier Antritte, was auch noch geht. Ändern würde ich das jetzt nicht.
    Aber vielleicht würde ich Aufnahmeverfahren gut finden und die „Sollbruchstellen“ BA MA und PhD mehr betonen.
    Hierzu ein guter Artikel:
    https://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/praesidialbereich/docs/WarumPromovierenWirGuenther.pdf

    freundliche Grüße
    VM

    Antworten
  2. Vermutlich...

    Hallo Herr Weber,

    wieviele Prüfungsantritte finden Sie gerecht? Wie sieht es aus bei pruefungsimmanenten LVs (zB PS, SE und Bachelorseminare). Was ist mit DAs und MAs?

    Guten Rutsch,
    VM

    Antworten
  3. Lex Maus

    Wetten dass:
    Der Berg kreißt – und gebiert eine Maus!

    Und was für Zufall: Er hat ab heute ziemlich genau 9 Monate Zeit!

    Antworten

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