Universität Innsbruck: 158.000,– Euro Steuergeld für FWF-Projekt ohne publizistischen Output – doch der FWF hält seine schützende Hand darüber

Ende Juni 2016 erhielt der damals noch an der Universität Innsbruck lehrende Rechtswissenschaftler Andreas Th. Müller ein Projekt des österreichischen Forschungsförderungsfonds (FWF) mit dem Titel „Erlaubnisnormen im Völkerrecht“ und einer Dotierung von 158.096,– Euro.

In der Projektbeschreibung (ebenfalls aus dem Jahr 2016) hieß es:

„Im Rahmen des Projekts soll auf Basis einer vorläufigen Definition von Erlaubnisnormen eine Auswahl von ca. 50-60 multilateralen Verträgen (in deren englischer, französischer und deutscher Fassung) dahingehend untersucht werden, ob und in welchem Umfang sie Erlaubnisnormen enthalten.“

FachkollegInnen meldeten bereits vor einigen Monaten bei mir Zweifel an, ob diese Forschung tatsächlich jemals stattgefunden hat. Der Grund: Es gibt von Andreas Th. Müller nach 2016 keine Publikationen zu diesem Thema, und auch nicht von einer anderen Person, die am FWF-Projekt mitgearbeitet haben könnte.

Was schreibt Andreas Th. Müller, mittlerweile Professor an der Universität Basel, im Jahr 2020 in der Kurzfassung des Projekt-Endberichts (Anmerkung: PI = Principal Investigator)?

„Das Erlaubnisnormenkonzept wurde vom PI bereits erfolgreich im Bereich Selbstbestimmung und Sezession untersucht und die entsprechenden Forschungsergebnisse in einer führenden völkerrechtlichen Zeitschrift veröffentlicht. Darüber hinaus arbeiten der PI und ein Teammitglied an einem Zeitschriftenaufsatz, der das Phänomen der Spionage aus der Perspektive des Erlaubnisnormenkonzepts analysiert. Das besagte Teammitglied arbeitet zudem an einem PhD-Projekt, das die Phänomene des unfreundlichen Akts und der Retorsion (auch in einer Erlaubnisnormenperspektive) untersucht.“

Das Paper „Steuerung durch Erlaubnisnormen am Beispiel von Sezession und Selbstbestimmungsrecht“ wurde von Müller bereits im Mai 2016 veröffentlicht. Der erste Satz im Zitat der Endberichtskurzfassung ist also eindeutig zweideutig: Müller meinte mit „bereits erfolgreich … untersucht und … veröffentlicht“ den Zeitraum vor Projektbeginn. Das Paper wurde aber in der Kurzfassung so erwähnt, dass der Leser davon ausgehen musste, dass sich das „bereits erfolgreich… untersucht und … veröffentlicht“ auf den Projektzeitraum zwischen 2016 und 2020 bezieht. Die übrigen beiden erwähnten publizistischen Outcomes wurden weltweit nirgends gefunden.

Hat das Projekt also überhaupt stattgefunden? Oder handelte es sich um einen weiteren Fall von Phantomforschung?

Ich schickte Herrn Müller zwei freundliche E-Mails. Sie blieben unbeantwortet. Ich wandte mich an den Pressesprecher der Universität Innsbruck. Er verwies auf den Datenschutz (!) und darauf, dass er keinen Einblick in den Output von Drittmittelprojekten habe. Also machte ich mich in der Publikationsdatenbank der Universität Innsbruck auf die Suche. Dort fand ich viele Publikationen des Juristen, sogar eine über das Völkerrecht im Weltraum, die nicht von ihm stammt (das ist übrigens ein Fall von Metriken-Betrug, der mir schon öfter aufgefallen ist: Auch Interviews und Vorträge werden unter „sonstige Publikationen“ subsumiert). Aber wieder nichts zum Thema des FWF-Projekts.

Also wandte ich mich an den Fördergeber FWF. Dessen Antwort, die ich gestern erhielt, zitiere ich im Folgenden im Volltext:

„Das Kuratorium des FWF hat in seiner 96. Sitzung in Bezug auf das Projekt P 28732 von Andreas Müller folgende Entscheidung getroffen:

a) Der Projektleiter von P 28732 konnte gegenüber den Gremien des FWF glaubhaft erklären, dass es mehrere unabwendbare und unvorhersehbare Ereignisse gegeben hat, die den Publikationsprozess erheblich verzögert haben. Zudem wurde vom Projektleiter glaubhaft versichert, dass Publikationen zum Thema des Projektes in den nächsten Monaten erfolgen werden. Der FWF wird dies in regelmäßigen Abständen überprüfen und die noch folgenden Projektergebnisse in seinem Dokumentationssystem Forschungsradar öffentlich ausweisen.

b) Die finanzielle Gebarung des Projektes wurde vom FWF mit Projektende geprüft und es konnten keine Beanstandungen festgestellt werden.

c) Grundsätzlich weist der FWF ausdrücklich darauf hin, dass Projekte der Grundlagenforschung oft sehr innovativ und damit risikoreich sind und nicht im Detail geplant werden können. Das kann bedeuten, dass ursprüngliche Konzepte verworfen werden müssen, neue Erkenntnisse hinzukommen, Projektergebnisse sich verzögern oder Projekte scheitern und es zu keinen Ergebnissen kommt.“

Dazu: Der FWF hat sich offenbar nicht mit der Frage beschäftigt, ob die empirische Forschung – die „Untersuchung von 50-60 multilateralen Verträgen (in deren englischer, französischer und deutscher Fassung)“ nach dem Vorhandensein von Erlaubnisnormen – überhaupt jemals stattgefunden hat. Was war die Forschungsfrage, was war die Hypothese, aber vor allem: was waren die empirischen Ergebnisse?

Wenn es während des Projekts „mehrere unabwendbare und unvorhersehbare Ereignisse gegeben“ haben soll, dann müsste ein anständiger Professor das Projekt doch abgebrochen und den unverbrauchten Betrag zurückgezahlt haben, oder nicht? Wir reden hier von Steuergeld. Wer wurde im Rahmen des Projekts, wenn überhaupt, angestellt? Was war der publizistische Output dieser Person? Warum sollen jetzt plötzlich, nach meiner Anfrage und mehr als drei Jahre nach Projektende, in den nächsten Monaten doch Publikationen erfolgen? Und wenn der FWF (sicher zurecht) darauf hinweist, dass Projekte auch inhaltlich scheitern können, dann muss die Frage erlaubt sein, warum der Abschlussbericht ganz anders klingt.

Kann es sein, dass der FWF hier mutmaßlichen Fördergeldmissbrauch deckt? Hat er eigentlich seit meinem ersten an ihn herangetragenen Plagiatsfall anno 2002 irgendetwas gelernt, oder macht er – wie die ÖAWI – grundsätzlich die Mauer?

Die Qualitätssicherung des FWF zeigt enorme Lücken:

  • Abschlussberichte von mit Steuergeldern finanzierten Projekten müssten im Zeitalter der Informationsfreiheit grundsätzlich im Volltext online publiziert werden.
  • Ebenso müsste eine Ex-Post-Kontrolle stattfinden, ob in Abschlussberichten angekündigte Publikationen tatsächlich erscheinen, was im Fall Müller wohl nachweislich nicht erfolgt ist. Das würde ganz einfach mit automatischen Remindern gehen. Derzeit sieht es so aus, als könnten in Endberichten beliebige Ankündigungen erfolgen, die nicht mehr überprüft werden.

Aber die Frage ist, wie immer in Österreich, ob man überhaupt genau hinschauen will.

4 Kommentare zu “Universität Innsbruck: 158.000,– Euro Steuergeld für FWF-Projekt ohne publizistischen Output – doch der FWF hält seine schützende Hand darüber

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  1. L15

    Zur Rückmeldung des Pressesprechers – auch dazu eröffnen sich Fragen:
    – Wenn Fördermittel des FWF an eine österreichische gehen und dort verwaltet werden, dann stellt diese keine Fragen zu Ergebnissen des Forschungsprojektes?
    – „Getrennter Rechnungskreis“ der Universität schön gut (was das genau bedeutet, interessiert vielleicht die Finanzbuchhalter), aber immerhin ein „Rechnungskreis“ der Uni, oder?
    – „Treuhänderische Verwaltung“ ist wohl ein Euphemismus: Mit diesen (steuerfinanzierten!) Mitteln wird dann ja Forschung der Universität betrieben. Die Forschungsergebnisse (so es welche gibt, aber das dürfte wohl der Normalfall sein, auch ein misslungener Versuch ist ein Ergebnis, nur unterlassene Forschung führt zu Nullergebnissen) werden in der Folge der Universität zugerechnet. Diese werden Teil des Leistungsausweises der Universität und beeinflussen das internationale Ranking.. Aber die Universität interessiert sich gar nicht für die Ergebnisse, fragt nicht nach, auch Jahre nach Abschluss des Projektes nicht?

    Gut, war also keine Frage des Datenschutzes, sondern schlicht und einfach fehlendes Interesse an den Daten. So besser?

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  2. Uwe Steger

    Lieber Kollege Weber,

    nachdem es ja hier auch immer um publizistische Redlichkeit geht, muss ich Sie leider etwas korrigieren: Ich habe in diesem Zusammenhang zu keinem Zeitpunkt den Datenschutz bemüht, sondern Ihnen unter anderem so geantwortet:
    „… Wie Sie sicher wissen bedeutet das, dass der Projektleiter allein für alle Aspekte der Durchführung verantwortlich ist und die Universität lediglich treuhänderisch und in einem getrennten Rechnungskreis die finanziellen Mittel verwaltet. Der Projektleiter hat in diesem Fall keine Berichtspflichten gegenüber der Universität, sondern nur gegenüber dem Fördergeber, hier dem FWF. Uns liegen daher keine Informationen über wissenschaftliche Inhalte, Ergebnisse oder ggf. Publikationen des Projekts vor.“

    Liebe Grüße
    Uwe Steger
    Pressesprecher der Universität Innsbruck

    Antworten
    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Tatsächlich eine Verwechslung, bitte entschuldigen Sie. Auf den „Datenschutz“ hat der FWF mehrmals in Korrespondenz verwiesen.

  3. L15

    Verstehe ich das recht, dass der FWF selbst kontrolliert und abschließend beurteilt hat, ob der FWF rechtens gehandelt hat? Da gibt es wahrscheinlich zwei FWFs und der eine hat mit dem anderen nichts zu tun… LOL….

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