Dem Simulationsforscher Niki Popper werden auch in seiner Dissertation höchstens Zitierschwächen attestiert: Dieses erwartbare Ergebnis auf Basis eines externen Gutachtens verkündete heute die TU Wien in einer Originaltext-Aussendung. Monate vorher gab es schon einen „Freispruch“ für die fast zur Hälfte des Fließtextes plagiierte Diplomarbeit von Niki Popper.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Statement von Vizerektor Kurt Matyas, der für studienrechtliche Belange an der TU Wien zuständig ist und somit auch die beiden Plagiatsverdachtsverfahren gegen Niki Popper zu leiten hatte: Es gebe an der TU Wien bereits Maßnahmen gegen formale Zitiermängel, sagte er gegenüber wien.orf.at.
Nun, wie verträgt sich das einerseits mit einem monatelangen Belügen der Öffentlichkeit zu einem Projekt zu „guter wissenschaftlicher Praxis“ und andererseits mit der Tatsache, dass auch er, Kurt Matyas in seiner Diplomarbeit seitenweise abgeschrieben hat?
Ich habe die Fundstellen einer bekannten bundesdeutschen Informatikerin vorgelegt. In einer E-Mail vom 16.05.23 schreibt sie, dass die Stellen „grenzwertig“ bis „problematisch“ seien.
Interessant auch, dass grobe Zitierverstöße in aktuellen Diplomarbeiten an der TU Wien dem Rektorat völlig einerlei waren (es gab keine Reaktion).
Worum geht es in der Diplomarbeit von Kurt Matyas aus dem Jahr 1989? Er schreibt (S. 1):
Zum Grad der „Neukonzipierung“ bemerkt Matyas (S. 4):
Hier steht ganz klar: „Grafiken“ (die belegt wurden) und „Programmteile“ (die belegt wurden). Von „Textteilen“ ist nicht die Rede. Aus dem Satz „Es werden in Bezug auf diese beiden Diplomarbeiten keine weiteren Quellenangaben gemacht.“ folgt nicht, dass aus einer der beiden Diplomarbeiten Texte unzitiert übernommen wurden. Die Pflicht zum Markieren von wörtlich übernommenen Texten mit Anführungszeichen findet sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Methodenliteratur bereits in den 1970er Jahren, siehe etwa Albert Scheibler. Eine „Selbstbefreiung“ von der Zitierpflicht gibt es nicht.
Nun aber zu einer Auswahl der Übereinstimmungen:
Diplomarbeit Matyas, 1989, S. 22:
Diplomarbeit Studeny, 1984, S. 16 f.:
Diplomarbeit Matyas, 1989, S. 26:
Diplomarbeit Studeny, 1984, S. 28:
Texte von Studeny wurden auch stärker umgeschrieben. Bei Matyas ist zu lesen (S. 2):
„Unternehmensplanspiele umfassen in ihrem Modell das gesamte Unternehmen mit allen Bereichen. In diesen generellen Modellen ist der Entscheidungsumfang sehr groß und unübersichtlich.“
Bei Studeny (S. 2) liest sich das elaborierter:
„Unternehmensplanspiele umfassen an sich in ihrem Modell das gesamte Unternehmen mit den Bereichen Einkauf, Produktion, Vertrieb, Finanzwesen und Verwaltung. Jedoch bläht die genaue Durchbildung all dieser Unternehmensbereiche den Entscheidungsumfang sehr auf […].“
Meist hat Matyas die Sätze von Studeny gekürzt.
Ist das schön? Nein, ist es ganz und gar nicht. Es zeigt meines Erachtens eine Tradition der Ignoranz der Textqualität und des Zitiergebots an der TU Wien auf.
Passt perfekt zu Österreich: „Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken“!
Natürlich. Es sind nicht (nur) die armen und überforderten Studierenden, die nicht mehr zitieren können (die aber auch). Es sind vor allem der Minister und die Rektoren, die all das zulassen und, siehe TU, zum Teil auch selbst praktiziert haben.