„I schoit nur schnö den Strom ob!“ – Wie uns die Digitalisierung wahnsinnig macht (Teil 2)

Es war in aller Herrgottsfrühe, als es bei mir an der Gartentüre klingelte. Der mechanikergewandete Mann brüllte in den Morgen: „I schoit nur schnö den Strom ob, nur a Minutn.“ Aha, eh nur eine Minute, dann ist es ja nicht so schlimm! Sollte ich wohl denken. Tatsächlich verschwand der Strom dann nur für wenige Sekunden. Warum er ausgerechnet in meiner Wohnung sekundenlang abgeschaltet werden musste, habe ich nie erfahren. Was ich aber im Folgenden am eigenen Leib erleben durfte, war, dass die Wiederinstandsetzung meiner ach so smarten, elektrifizierten und digitalisierten Wohnung mindestens eine geschlagene Stunde dauerte. – Was war geschehen?

  • Zunächst mussten die Uhrzeit des Backrohrs und des Mikrowellengeräts neu eingestellt werden. Das ist schon ein regelmäßiger Kampf beim Einstellen der Sommer- und der Winterzeit, da beide Touch Screens (mein Hasswort des Jahrzehnts) so kontraintuitiv konfiguriert sind, dass man zunächst stets versehentlich einen Alarm einstellt, den zumindest ich noch nie gebraucht habe.
  • Zu meinem großen Erstaunen fand der durch den Stromausfall gekappte Desktop-PC in meinem Büro seinen zweiten Bildschirm nicht mehr. Insgesamt musste ich den Computer dreimal neustarten, bis der Bildschirm wieder angesteuert wurde.
  • Die Handyapp „Apple Home“ fand aus ebenso unerklärlichen Gründen meinen Home Pod nicht mehr. Auch das musste der App wieder neu gesagt werden: Hallo, ich habe einen Lautsprecher und ein TV-Gerät, mit denen Du schon vorher verbunden warst, Du dummes iPhone.
  • Aus erneut unerklärlichen Gründen habe ich ja zwei WLANs (eines fürs Ober- und eines fürs Untergeschoß) und so eine sonderbare Verstärker-Box namens FRITZ!Box. Als ich im Untergeschoß die Wäsche aufhängen wollte und dabei Mahlers Siebte auf YouTube hören wollte (ich ertrage das mit den Socken sonst nicht!), stellte ich fest, dass mein Handy das untere WLAN nicht mehr fand. Ich musste das Passwort neu reinkopieren, und die Verbindung klappte dann auch erst beim zweiten Mal.
  • Das Beste kommt zum Schluss: Mein elektrifiziertes Geberit-Duschklo blinkte nach dem Stromausfall rot. Auf der Fernbedienung zum WC war rückseitig von einem Fehler zu lesen, der Fehlercode war am Display aber komplett unleserlich. In der Bedienungsanleitung steht geschrieben: Bevor man sich bei rotem Blinklicht an den Geberit-Kundendienst wendet, solle man das Klo 30 Sekunden aus- und dann wieder einschalten. Gelesen, getan. Das Rotlicht blinkte weiter. Anruf beim Kundendienst: Minutenlanges Läuten, diesmal keine verlogene Ansage der Art „Wir haben derzeit besonders viele Kundenanfragen und nehmen uns für unsere Kunden ausführlich Zeit.“ (in Wahrheit stets: Wir haben zu wenig Personal.). Der freundliche Herr sagte: Klo eine Stunde lang ausschalten, dann wieder einschalten. Nicht bloß 30 Sekunden. „Das muss sich erst neu programmieren.“ Wahnsinn. Gehört, getan. Nach einer Stunde Kloabstinenz verschwand das Blinken. Mein Erfolg des Tages!

Was ein eh nur ganz kurzer Stromausfall im Jahr 2025 alles bewirken kann… Ich möchte einmal einen Tag in meiner neuen Wohnung erleben, an dem mich meine digitalisierten Geräte und dutzenden Apps in Ruhe lassen und einfach ihren Dienst verrichten. Aber wie Gabriel Yoran so wunderbar schreibt: Es ist nichts zu machen. Diese Geräte wollen beschäftigt werden. Sie sind einsam. Sie buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass wir Geld verlieren und sie immer wieder Geld kosten. Und dass sie rasch kaputt gehen.

Die Retreater und Schamanisten dieser Welt haben nicht ganz unrecht, wenn sie hier von einem Zoo, genauer: von einem Affencircus, sprechen. Mich widert die Digitalisierung meines Lebensumfelds zunehmend an. Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, erhalte ich die nächste Störungsmeldung via App: Mein Rasenmäherroboter findet seine Dockingstation nicht. Stattdessen hat er sich im Rasen eingegraben.

Update: Ein bekannter Journalist hat diesen Blogbeitrag gelesen und mailt mir: „Ja, es klappt nicht mit Digitalisierung und Apps. Die Konzerne verarschen uns.“ Na denn!

2 Kommentare zu “„I schoit nur schnö den Strom ob!“ – Wie uns die Digitalisierung wahnsinnig macht (Teil 2)

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  1. Anton Bucek

    Grandiose Analyse!

    Oder auch das kann passieren:

    Sachverhaltsdarstellung:

    1. Die elektronische Vignette ist nur mehr digital erhältlich, analogien Bypass gibt es nicht mehr wie bisher z.B. an der Tankstelle diese Vignette zu kaufen und bar zu bezahlen.
    2. Am 28.4.2025 wollte ich so eine elektronische Vignette zum benützen der tschechischen Autobahn bei einer OMV Tankstelle in der Tschechischen Republik bei Znaim lösen. In meiner Begleitung befand sich ein hohes ehemaliges Regierungsmitglied.
    3. Mir wurde von der OMV Kassierin ein Informationsblatt mit QR Quode übergeben.
    4. Ich würde nach Eintritt in das Bestellsystem ausschließlich mit tschechischer Sprache konfrontiert, die Kassierin half mir beim Ausfüllen.
    5. Nach Eingabe der Creditkarten-Daten (VISA) scheiterte der Vorgang.
    6. Ein weiterer Versuch mit meiner Mastercard scheiterte ebenfalls
    7. Ein weiterer OMV Mitarbeiter erbarmte sich unser, scheiterte aber auch nach Verwendung der Kreditkarte des ehemaligen Regierungsmitgliedes
    8. Der OMV Mitarbeiter erbot sich seine tschechische Kreditkarte zu benutzen und für uns das Verfahren auf meinem Mobiltelefon mit seiner Karte zu versuchen, was auch schlussendlich gelang. Er wurde für die von ihm über seine Creditkarte ausgelegten tschechischen Kronen mit €15,00 entschädigt.
    9. Damit war eine Weiterfahrt über die Autobahn nach Kopřivnice über Brünn und Olmütz möglich.
    10. Wenn der OMV Mitarbeiter nicht geholfen hätte wäre folgende Alternativen möglich gewesen:
    a) hohe Strafen in Kauf zu nehmen
    b) Autobahnbenützung vermeiden
    c) Umdrehen und auf diese Geschäftsreise verzichten
    11. Es wurde kostbare Zeit von 4 Personen in Anspruch genommen. Unser Dank gilt dem sehr hilfsbereiten OMV Mitarbeiter!

    Aber die Digitslisierungs-Missionare im Parlament und Regierung finden das ist ein Problem der senilen Senioren der Pflegestufe 10.

    Antworten
    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Eine herrliche Schilderung des mittlerweile in vielen Bereichen zum Alltag gewordenen Digitalisierungswahnsinns. Wir sollten ein Buch darüber gemeinsam schreiben ;-).

      Ich empfehle zur allgemeinen Thematik den Film „U-Turn“ über das Abgleiten in einen Strudel des Wahnsinns. Diesen als Comedy mit Fokus auf Digitalisierung und Bill Murray in der Titelrolle „neu“ zu drehen, würde jetzt ein Kassenschlager werden.

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