Von der „Plagiatsjagd“ zur wissenschaftlichen Zitats- und Plagiatsforschung: Zeit für einen Wandel!

Im Zuge der Debatte um das Buch „Akadämlich“ geistern Fragen der Studierfähigkeit der aktuellen Studentengeneration und der Qualitätssicherung an den Hochschulen gerade wieder durch die Medien, siehe etwa hier und die Replik hier. Es ist hoch an der Zeit, dass sich das akademische System diesen Fragestellungen endlich in Forschung und Entwicklung annimmt. Dieses scheint hier immer noch in einer rätselhaften Schweigespirale gefangen zu sein, die es mit Mut zu durchbrechen gilt.

Plagiatsfälle von großteils prominenten Persönlichkeiten sind nun schon seit 2005 (!) in Österreich und seit spätestens 2011 auch in Deutschland ein medialer Dauerbrenner. Wir „feiern“ heuer 20 Jahre „Plagiatsskandale“. Die Universitäten haben mit effizienter Plagiatssoftware ’nachgerüstet‘, wobei die Software Turnitin in den vergangenen Jahren zum ‚Google der Plagiatssuche‘ avanciert ist. Es verwundert aber, dass es bis heute keine akademische Zitats- und Plagiatsforschung gibt, eine längst überfällige Disziplin. – Zunächst einmal stelle ich die Frage: Was könnte diese leisten? Welche Forschungsdesiderate gibt es?

  • Unerforscht ist, wie sich die Zitiertechniken in der modernen (Geistes-)Wissenschaft entwickelt haben: von den Doppelhaken (Diples) in jeder Zeile der Marginalspalte ab dem 15. Jahrhundert bis zu den doppelten öffnenden und schließenden Anführungszeichen in modernen Fließtexten. Ich habe mir das einmal stichprobenartig für das 18. Jahrhundert in Verteidigungsschriften der Universität Salzburg angesehen. Es gibt dazu schlichtweg noch keine Publikationen. Mit der Visual Library, einem großen Retrodigitalisierungsprojekt, stünde nun auch das entsprechende Material digital zur Verfügung, auch an der Universität Salzburg.
  • Nicht minder interessant ist die Geschichte der Lehrbücher zum wissenschaftlichen Arbeiten. Das erste bedeutende Kompendium zu wissenschaftlichen Arbeitstechniken dürfte der Jesuit Leopold Fonck im Jahr 1908 publiziert haben. Interessanterweise führen die Spuren also in die Theologie und zur Universität Innsbruck. Einen frühen wissenschaftlichen Plagiatsvorwurf machte Fonck ebenfalls im Jahr 1908 dem auch in Innsbruck lehrenden Juristen Ludwig Wahrmund. Der sich daraus entwickelnde Streit ging als „Wahrmund-Affäre“ in die österreichische Wissenschaftsgeschichte ein. Die Wurzeln dieses Konflikts in Fragen der akademischen Redlichkeit (nämlich sowohl in Bezug auf die Vorwurfskultur Foncks als auch die Fehler Wahrmunds!) sind allerdings ein weiteres Stück bedeutender österreichischer Geistesgeschichte, das noch nicht geschrieben wurde.

Bücher zum Zitieren und zur guten wissenschaftlichen Praxis, Fonck links untere Reihe, fünftes und sechstes Buch von links. Bibliothek Stefan Weber, Mai 2025, eigene Aufnahme

  • Drittens wäre die Prototypisierung einer lokalen Textbetrugserkennungssoftware – in Ergänzung zu den Funktionen von Turnitin, dessen Denklogik stets der Abgleich mit einem möglichst umfassenden globalen Repository ist – eine wichtige Aufgabe der Universitäten, gerade in Zeiten von generativer KI. Turnitin leistet etwa explizit keinen Vergleich von Texten auf Autorschaft. Auch Redundanzen innerhalb ein und desselben Textes werden nicht angezeigt. Hier wäre durchaus an die Entwicklung einer marktreifen Software zu denken. Warum sollte das nicht von einer österreichischen Universität ausgehen?

Selbstkritik

Ich plädiere also für einen ‚Einzug‘ der Zitats- und Plagiatsforschung an eine heimische Universität oder Hochschule. Die Zeit ist reif! Die ‚Plagiatsjagd‘ hat nun das Problem lange genug anhand von zahlreichen prominenten Beispielen aufgezeigt. Es ist hoch an der Zeit, dass sich die Plagiatsdebatte weg vom Zeigefinger, weg vom Einzelfall und hin zur empirischen Plagiatsforschung entwickelt.

Jüngst, nach der Aufdeckung der Plagiate in der Dissertation und in den journalistischen Arbeiten von Alexandra Föderl-Schmid, wurde der kommerzielle ‚Plagiatsjäger‘ von gewissen Medien zum ‚Kopfgeldjäger‘ umgeschrieben, der beliebige Vorwürfe erhebt, wenn er dafür Geld bekommt. Das ist natürlich kompletter Quatsch. Zugestehen muss ich meinen Kritikern aber, dass sicher die breite Öffentlichkeit bis heute nicht weiß, was ein Plagiat im akademischen Kontext überhaupt ist. Differenzierungen sind schwer bis gar nicht vermittelbar. Wie fragte mich ein ‚Mann von der Straße‘ neulich zu Habeck: „Hot er bschissn oder net?“ – So einfach ist die Sache eben nicht. Aber das Katz-und-Maus-Spiel Plagiatssucher erhebt Plagiatsvorwürfe – Universität entkräftet diese Vorwürfe früher oder später, das hat sich irgendwie ausgespielt und davon bin ja auch nicht nur ich betroffen, das geht meinen Kollegen Heidingsfelder und Zenthöfer sowie den wertvollen Dokumentierern der Plattform VroniPlag Wiki genau so. Mein Ziel war und ist es, dass die Zitats- und Plagiatsforschung an einer Universität ankommt, das sage ich in allen Interviews seit Jahren. Und damit sind in Österreich auch Namen verknüpft, dafür wurde ein Netzwerk gegründet. Die führenden Namen sind:

Im Nachbarland Deutschland gab es soeben wieder etwas Bewegung: 14 Berliner Universitäten haben eine gemeinsame Ombudsstelle zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis (GWP) gegründet. Aber auch das ist noch keine empirische Erforschung der guten wissenschaftlichen Praxis und der Formen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Österreich könnte hier somit immer noch eine Pionierrolle einnehmen. Einer öffentlichen Universität würde es gut stehen, zu einer ‚Musteruniversität für gute wissenschaftliche Praxis‘ werden zu wollen, die auch Forschung und Entwicklung zu GWP ermöglicht.

Salzburger Verlag mit eigener Buchreihe zu „GWP“

Der werte Verfasser dieser Zeilen ist ein an der Universität Wien habilitierter Medienwissenschaftler, der an der Universität Salzburg promoviert wurde. Sein Ziel war es seit jeher, die Zitats- und Plagiatsforschung an einer Universität zu verankern. Viele Millionen Euro fließen ins Bildungssystem – die Thematik sollte den Verantwortlichen eine kleines Kuchenstück dieser Summe wert sein.

Dafür wurde im vergangenen Jahr von der Salzburger Edition Tandem unter der Leitung von Volker Toth auch eine eigene Reihe gegründet: „GWP – Materialien zur guten wissenschaftlichen Praxis“.

Der ‚Plagiatsjäger‘ – was ohnehin nur ein Medien-Framing war und ist, das vom „Spiegel“ 2002 für die Berliner Kollegin Debora Weber-Wulff kreiert wurde – wäre dann kein ‚Jäger‘ mehr, sondern ein Philologe und ein nach den Methoden der empirischen Sozialforschung vorgehender Wissenschaftler. ‚Promi-Fälle‘ müssten dann nicht mehr in den Medien abgehandelt werden, sondern wären Sache der betroffenen Universitäten – was ein starkes System der Qualitätssicherung wie auch der Sanktionierung von Fehlverhalten voraussetzt. Erst wenn dieses nicht funktioniert, kann die Öffentlichkeit immer noch adressiert werden.

Die Themen liegen auf dem Tisch

Ein Rektor, der sich das trauen würde, würde Neues wagen, aber letztlich eine sinnvolle Sache ermöglichen. Und er würde damit einem Spiel ein Ende bereiten, das nur eine fortgesetzte Entwertung der akademischen Grade in der öffentlichen Meinung zur Folge hat: das sich seit Jahren wiederholende Narrativ der Nicht-Aberkennung von Titeln trotz des Vorkommens von zum Teil erheblichen Plagiaten in Abschlussarbeiten.

Die Gesellschaft ist letztlich immer besser gefahren, wenn Katz-und-Maus-Spiele irgendwann in ein konstruktives Miteinander übergegangen sind. Meine Hand ist ausgestreckt, und die Themen liegen auf dem Tisch. Die Universitäten stehen aber auch in der Verantwortung, Kritik an etwaigen Dysfunktionalitäten ernst zu nehmen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Die maximale Dateigröße für den Upload: 20 MB. Sie können hochladen: Bilddatei, Dokument, Spreadsheet, Textdatei. Links zu YouTube, Facebook, Twitter und anderen Dienstanbietern werden automatisch eingebunden. Dateien hierhin ziehen