Eine Partner-PR-Meldung von heute stimmt mich nachdenklich. Da heißt es zu Beginn der Medieninformation hochtrabend: „Auf völlig neue Art entsteht in Linz eine neue Universität.“ – Das klingt natürlich immer gut!
„Expertenvortrag“ mit BM Polaschek
Dann aber schon Kontrapunkt Nummer 1: „Dazu gibt es Expertenvorträge, u.a. mit Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) […]“. Diesem „Expertenvortrag“ würde ich nur zu gerne beiwohnen. Vielleicht ist ja mit dem Begriff „Expertenvortrag“ hier ein Vortrag für oder vor Experten gemeint. Ich gehe davon aus, dass die Lecture in einer zukünftigen Digital-Uni sicher gestreamt werden wird. Hat die Uni denn schon eine E-Mail-Adresse, sodass man mal nachfragen könnte?
Künstler als Fellows
Noch mehr stutzig macht mich aber diese Ankündigung: „25 Studierende gehen mit den Fellows, darunter Ziv Epstein, Paolo Cirio, Edwina Portocarrero, Nan Zhao und Dietmar Offenhuber, in das Wintersemester und arbeiten in sechs geblockten Seminaren in Linz zu Themen wie ‚Infrastructure‘, ‚Data & Code‘, ‚Machines, Robots & Tangibles“ und ‚Interfaces & Visualization‘ weiter an einem Lehrplan […].“
Sorry, das klingt eher nach digitalem Kraut-und-Rüben-Selbstfindungsseminar denn nach einem bottom-up-Aufbau stringenter Curricula. Und geradezu absurd finde ich, dass die wohl wichtigsten gegenwärtigen internationalen Trends fehlen: KI-generierte Inhalte, Digital Twins und Computational Science. Da hätte Österreich wirklich mal Aufholbedarf und könnte nationale USPs generieren! Aber „Data & Code“, das ist doch eine Allerweltsklammer. Googelt man die Namen der Fellows, stellt man fest, dass fast alle eher Künstler, Designer oder Theoretiker sind, Leute aus dem „Ars electronica“-Biotop eben.
Man sollte vielleicht einmal daran erinnern, dass nicht diese Künstlerblase in den vergangenen beiden Jahrzehnten die Digitalisierung vorangetrieben hat, sondern dass das Leute wie Elon Musk, Jeff Bezos oder zuletzt Sam Altman waren. Sollte man sich nicht eher Experten aus diesen Firmen nach Österreich holen, damit in Europa mal was weitergeht?
Noch vor 23 Jahren: Macho-Wettwixen und „Vergewaltigung als kunstschaffende Strategie“
Die „Ars electronica“ entwickelte sich hingegen unter dem Musiker und Ingenieur Gerfried Stocker (keine akademische Ausbildung) zu einem Sammelplatz von mitunter auch sozialdarwinistischen bis ultrakonservativen Denkern. Mit Schaudern erinnere ich mich an den Auftritt von Randy Thornhill in Linz (siehe etwa hier und hier) oder an die „Ars“ zum Thema „Memetik“, die Richard Dawkins huldigte. Ein Macho-Wettwixen, flankiert von ultrakonservativen amerikanischen Naturalisten, das wäre heute undenkbar, war aber vor 23 Jahren in Linz noch hochwillkommen. (Eine historische Wahrheit, die die Stadt gerne verdrängt.)
Es sieht so aus, als würde die „Ars electronica“ aus dem IDSA (Institute for Digital Sciences Austria) eine weitere Kunstuniversität, ein Digital-Arts-Labor machen wollen. Nun, das ist aber völlige Themenverfehlung. Aber andererseits gilt: Wen kümmern in Österreich schon die Inhalte, solange alles nach Techno-Chic klingt?
Der Revolution das Wort zu reden, in einem Land, in dem die Freiheit längst eine Stätte gefunden hat, zeugt laut Max Horkheimer von schierer „Blindheit“. Insofern ist dem so genannten „Founding Lab“ im österreichischen Linz nicht mehr zu helfen, falls gegenwärtig dort derselbe Unfug betrieben wird, für den schon Jürgen Habermas noch während seiner Assistenten-Zeit in den späten 1950er Jahren herbe Kritik einstecken musste. In den Worten von Karl Heinz Haag handelte es sich dann bei deren Tun lediglich um eine wiederholte Verschwendung wertvollster Ressourcen. Von bloßer Geldverbrennung würde es sich nicht unterscheiden. Darin womöglich noch Kunst zu erkennen, könnte somit vermessener nicht sein.
Geldverbrennung als Kunstperformance wäre ein durchaus pointiertes Statement in der absurden gegenwärtigen österreichischen Diskussion um die Sicherung von Bargeld im Verfassungsrang.
Viel naheliegender als eine in Linz veranstaltete Kunstperformance mit Bargeld im Verfassungsrang wäre, die Rede von Anton Zeilinger zur diesjährigen Eröffnung der Salzburger Festspiele anzuhören. Cornelius Castoriadis gibt zwar gleichsam bedenken, dass jeder Mensch beispielsweise die Messe in h-Moll anders wahrnimmt. Aber von esoterischen Deutungen dessen, was der Physik-Nobelpreisträger vor wenigen Wochen erst jüngst zur Frage der Verschränkung verlauten ließ, sollte man sich nicht allzu sehr beeindrucken lassen. Das gestaltende Prinzip bleibt auch künftig einer positiven Bestimmung entzogen. Die neopositivistische Tendenz in hochentwickelten Industriegesellschaften kostet daher völlig unnötig sämtliche Kräfte; wobei keine Erholung in Aussicht steht.
Ich habe mir das Gestammel bereits angehört, danke für den Hinweis.
Das sind mal wahre Worte und ein toller Beitrag. Keine Ahnung, was die mit dieser Kunstuni wollen. Was den “Aufholbedarf” betrifft, so möchte ich erwähnen, dass an der JKU Linz (wie Sie vermutlich wissen) hoch kompetitive KI-Spezialisten sitzen, wie etwa der Erfinder des LSTM Sepp Hochreiter. Aber auch jüngere Leute wie ein Johannes Kofler oder ein Richard Küng, die clever und auch “pushy” sind. LG
Danke für das Lob! Vielleicht möchten Sie den genannten Kollegen meinen Artikel mailen?