Der dazu gedichtete Titel – ein typisch österreichisches Phänomen oder: Wie Werner Gruber Professor und Stella Rollig Doktorin wurden

Es ist ein typisch österreichisches Phänomen, dem in der „Bulle von Tölz“-Folge aus Kitzbühel ein Denkmal gesetzt wurde: „Aber gehen’s, Herr Kommerzialrat.“ „Oh, ein Staatssekretär im Inneren.“ Bekannten Personen werden hierzulande gerne Titel oder Berufsbezeichnungen angedichtet, die sie gar nicht besitzen. Und das wird interessanterweise von diesen Personen nicht immer adhoc abgewehrt.

„Prof. Dr.“ Werner Gruber

Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist der allseits beliebte und hocheloquente österreichische Experimentalphysiker und Planetariumsdirektor Werner Gruber. Ich glaube ihm, dass er sich nie im Leben als mehr bezeichnet hat als das, was er ist: Nämlich als ein Magister der Physik und ein Universitätslektor (mit dem schönen Titel „Univ.-Lekt.“). Aber mehr als einmal wurde Werner Gruber in Fernsehsendungen als „Herr Professor“ begrüßt und hat darauf cool zurückgestikuliert, korrigiert hat er es nicht. Erst vor wenigen Tagen wurde „Professor Werner Gruber“ in „Fellner! Live“ von Herrn Fellner jun. begrüßt, man höre ab Sekunde 30 hier. Vor knapp zwei Monaten begrüßte Rudi Dolezal, übrigens echter Inhaber des Berufstitels „Professor“, in krone.tv ebenfalls „Professor Werner Gruber“ – von diesem unwidersprochen.

Nun gibt es ja in Österreich den weit verbreiteten Sprachgebrauch, dem zufolge jeder Unterrichtender irgendwie ein „Professor“ ist. Und tatsächlich hat ein Gerichtsurteil bestätigt, dass „Professor“ in Österreich keine eigentümliche Bezeichnung des Hochschulwesens ist. Wir hatten ja auch am Gymnasium „Professoren“ in Latein oder Mathematik, und bei einigen steht das sogar im Telefonbuch. In den Schulen beginnt der austriazistische Titelkult. Ich korrigiere bis heute jeden Studierenden, der mir ein E-Mail mit der Anrede „Sehr geehrter Herr Professor“ schickt. Das „Zunächst: Ich bin kein Professor.“ ist schon Stehsatz in meinem E-Mail-Programm.

Jeder Österreicher ein Professor?

Merke: Aus der Tatsache, dass „Professor“ in Österreich keine eigentümliche Bezeichnung des Hochschulwesens ist, folgt, dass das Führen des „Professor“-Titels gar nicht strafbar ist. Woraus wiederum folgt, dass sich im Prinzip jeder Österreicher so nennen darf.

Werner Gruber ist nicht nur nicht Professor. Er ist auch kein Doktor, nicht einmal ein Ehrendoktor. Auch hier kommt es zu Überhöhungen:

Quelle: https://www.wissenschaft-shop.de/astronomie-raumfahrt/dr-werner-gruber-flirten-mit-den-sternen.html

Ich glaube mich noch an die allererste Staffel der „Science Busters“ erinnern zu können. Im Abspann wurde Werner Gruber immer als „Univ.-Lekt.“ bezeichnet. Das Titel-Upgrading hat in diesem Fall wohl tatsächlich ausnahmslos die Umwelt für ihn erledigt. Zuletzt ist Herr Gruber vielleicht ein wenig nachlässig bei der Gegenrede geworden.

„Dr.“ Stella Rollig

Ein ähnlicher Fall ist die österreichische Kunstmanagerin und „Belvedere“-Chefin Stella Rollig. Im Netz finden sich unter „Dr. Stella Rollig“ mehr als 100 Funde:

Quelle: https://www.google.de/search?q=“Dr.+Stella+Rollig“

Die Quellen wirken dabei so seriös, dass man den Doktortitel kaum in Abrede stellen würde. Und in Wikipedia ist ja auch nachzulesen: „Rollig wuchs in Wien auf, studierte 1978 bis 1985 an der Universität Wien Germanistik und Kunstgeschichte und war nach dem Studium als Journalistin tätig […].“ Wenn da nicht „nicht abgeschlossen“ steht, hat die Person das Studium wohl erfolgreich beendet. Aber aus der Erwähnung eines Studiums folgt noch nicht dessen Abschluss. In Wahrheit gibt es keine Dissertation, und Frau Rollig ist Studienabbrecherin.

Mag. Dr. Armin Wolf

Nicht unerwähnt soll schließlich das umgekehrte Phänomen bleiben: Die weitgehende Unterdrückung des eigenen echten Titels. Während ORF-Moderator Armin Wolf ja seit Jahren seine Interviewpartner brav mit Titel anredet, wie sich das in Österreich so gehört (legendär: „Herr Magister Klima„, auch bundesdeutsche Wissenschaftler werden von ihm mit „Herr Professor“ angesprochen), habe ich so gut wie noch nie einen Interviewten gehört, der zu Armin Wolf „Herr Dr. Wolf“ gesagt hat. Dabei ist Armin Wolf sogar Mag. Dr. mit einer durchaus üppigen und beachtlichen Dissertation.

Vorschläge zur Eindämmung des Titelwahns

Drei Vorschläge zur Eindämmung des austriazistischen Titel-Upgradings:

  • Wenn eine Person ein Studium nicht abgeschlossen hat, soll sie es doch bitte überall vermerken (mit „nicht abgeschlossen“ oder „ohne Abschluss“).
  • Jener höchste akademische Grad, der erworben wurde, soll angegeben werden (und nicht bloß etwa „Abschluss des Physikstudiums„).
  • Falschen Titelzuschreibungen im Web und in Interviews sollte sofort begegnet werden.

Eigentlich sollten wir die akademischen Titel und Bezeichnungen ganz aus den Anreden verbannen.

Wären das Ansätze, oder ist das letztlich eh alles einerlei in Zeiten, in denen Titel nur noch wenig bis nichts aussagen, weil man sich schnell für gutes Geld einen MBA per Fernstudium kaufen kann? Auf den österreichischen Titelkult haben diese Entwicklungen aber offenbar keine Auswirkungen…

11 Kommentare zu “Der dazu gedichtete Titel – ein typisch österreichisches Phänomen oder: Wie Werner Gruber Professor und Stella Rollig Doktorin wurden

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  1. Andy Dufresne

    Sehr geehrter Herr Weber!

    Ich weiß nicht, ob dieser ältere Thread von Ihnen noch ausführlicher verfolgt wird, aber hierzu einige Gedanken und Fragen:

    1. Seit einigen Jahren sind alle Lehrer, wie Sie vermutlich wissen, in Österreich ‚Professoren‘ – egal ob pragmatisiert oder nicht. Es handelt sich hierbei um eine sogenannte Verwendungsbezeichnung. In offiziellen Briefen von der Bildungsdirektion wird man auch als ‚Prof. Mag. …‘ angeschrieben. Ich kenne jedoch niemanden, der diesen ‚Prof.‘ irgendwo anführt. Also ich käme nie auf die Idee, denselben etwa auf meine Visitenkarte zu drucken. Wenn Eltern mich mit ‚Herr Professor‘ ansprechen, kontere ich meist mit einem charmanten ‚Das ist übertrieben‘. Jedoch stand vor einigen Jahren ‚Prof.‘ vor dem Namen jeder Lehrperson auf der Homepage, bis sämtliche Titel auf der Homepage gelöscht wurden, seit an manchen Schulen (bei uns nicht) Bachelors berufsbegleitend unterrichten (und man keine ‚Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen BA, Mag/MA und den wenigen Dr. suggerieren wollte – was meiner Meinung nach auch gut so ist, da wir alle dieselbe Tätigkeit verrichten).
    Deshalb wundert mich nicht, dass bei Universitätslehrenden von nicht-informierten automatisch davon ausgegangen wird, diese seien Professoren – wenn (theoretisch) jeder Volksschullehrer ‚Professor‘ ist. Dass der Unteeschied zwischen Titel und Verwendungsbezeichnung nicht ersichtlich ist, ist klar. Und dass letztere ein peinlicher Schwachsinn à la Österreich ist, steht für mich außer Frage.

    2. Sie fordern, dass überall – auch auf Wikipedia – ersichtlich sein sollte, ob jemand ein Studium abgeschlossen hat, oder nicht. Hier stimme ich Ihnen völlig zu! Dies sollte meiner Meinung nach genau so geschrieben stehen (‚abgeschlossen‘ oder ’nicht abgeschlossen‘ – und auch mit Titel, denn bei einem ‚Bachelor‘ ist ‚abgeschlossen‘ halt so eine Sache…) Auch wenn es schwierig sein wird, dies durchzusetzen (da ja jeder einen Wikipediaeintrag ändern kann und der Autor ja nicht bestimmt werden kann): Haben Sie diesen Appell mal in offiziellen Medien irgendwo publik gemacht? Gerade bei Politikern sollte auch auf informellen Kanälen wie Wikipedia Transparenz herrschen – und keine Formulierungen akzeptiert werden, die einen nicht-vorhandenen Abschluss suggerieren.

    3. Haben Sie sich einmal mit Niveauunterschieden an staatlichen Unis und diversen Fernunis beschäftigt? Das Angebot an diversen Studiengängen mit teils himmelschreiend lächerlichen Bezeichnungen hat doch erst die Nachfrage an Titeln kreiert. Ich habe neulich eine Masterarbeit, verfasst an einer deutschen Fernuni, gelesen – und war ob des dürftigen Inhaltes eher schockiert. Sollte hier – vergleichbar mit dem ehemaligen Mag. (FH) – nicht eine Bezeichnung wie MA (F) für ‚Fernstudium‘ eingeführt werden, damit unterschieden werden kann, ob sich jemand jahrelang als Vollzeitstudierender intensiv seinem Fach gewidmet hat, oder berufsbegleitend ein paar Hausarbeiten geschickt hat, dafür schön seine 1,0 kassiert (während die Uni Geld kassiert) usw… Ich formuliere das natürlich überspitzt und vereinfacht auf den Punkt gebracht, und möchte auch nicht alle Fernunis über einen Kamm scheren, aber nach den Einblicken, die ich erhielt, sind trotz Qualitätsscheins und wissenschaftlichen Kriterien für mich trotzdem Merkmale erkennbar, nach denen ich diverse Fernunis unterm Strich dennoch als Titelmühlen bezeichnen würde (leider gerade für Österreicher interessant). Ich habe mir aus Interesse mal Unterlagen aus so einem Fernstudium besorgt und behaupte: Man braucht weder die Hohe Warte, noch ein ‚Land im Osten‘, noch einen Ghostwriter, sondern nur ein bisschen Zeit und gute Schreibkompetenzen, wenn man einen MA hinter dem Namen stehen haben möchte und halt brav die Studiengebühren bezahlt und sich an vorgekaute Leitfäden hält und Kriterienbeschreibungen zur Bewertung brav umsetzt. Vielleicht möchten Sie mir hierzu kurz mitteilen, ob Sie sich mal mit dem Thema ‚Titelgeilheit‘ im Kontext mit Fernunis und den dortigen Ansprüchen beschäftigt haben? Denn diese sind evtl die Wurzel vielen Übels bezüglich des Akademisierungswahns (wie es Rümelin so treffend bezeichnete).

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  2. Martin N.

    Sind Abschlüsse der Universitäten wie Harvard oder Oxford demnach auch erkauft? Ich verwehre mich gegen so eine pauschale Aussage. Meinen Bachelor habe ich ebenfalls im Fernstudium absolviert. Ohne Vorbereitung auf eine Klausur oder ohne Einhaltung von wissenschaftlichen Standards bei schriftlichen Arbeiten gab es keine positive Note. Erkaufen konnte ich hier nichts, aber vielleicht war ich an der falschen Hochschule… 😉

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  3. Gottfried Bergmair

    Sehr geehrter Herr ‚Plagiatsjäger‘ Dozent Doktor Stefan Weber, ich meine man kann es auch übertreiben. Ich habe mit dem charmanten Titel des Herrn Gruber nun wirklich kein Problem. Erschreckend ist hingegen, dass nun schon kurzweilige TV-Talk’s ins schiefe Licht gerückt werden müssen, damit sie ihr Lebensthema ausbreiten können. Verstehen sie mich nicht falsch: Wenn eine Person mit einem Titel hausieren geht, der ihr nicht zusteht, dann kontaktieren und konfrontieren sie diese Person mit den Fakten ihrer Expertise, die sie herausgefunden haben. Und gut ist es. Ich finde es sehr traurig, dass auch unsere Zeit, nicht ohne das Mittel der öffentlichen Zurschaustellung anderer Menschen, auskommt.

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    1. Martin

      In Zeiten der allgemeinen Pragmatisierung gab es auch an Universitäten so genannte „Bundeslehrer L1“ (offiziell damals natürlich noch nicht gegendert …); das waren vielfach Gymnasiallehrer:innen, die („Vollzeit“) in den Hochschuldienst übernommen wurden (z. B. für die Fremdsprachenlehre), aber auch neu angestellte Lehrende, die dann – wie im Sekundarschulbereich – den Amtstitel „Professor“ führen durften. Diese Gruppe von Personen ist aber meist bereits im Ruhestand bzw. bewegt sich auf diesen zu. Heute werden fest angestellte Lehrende dieses Typs als „senior lecturers“ bezeichnet – natürlich ohne „Prof.“-Titel.

  4. Sextus Empirikus

    Auch in Deutschland ist die Unsitte weit verbreitet, insbesondere bei Politikern, ein nicht abgeschlossenes Studium nicht zu deklarieren. Studienabbrecher sollten zu ihrem Misserfolg stehen! Sie haben eben andere Talente, die eventuell im politischen Geschäft besser genutzt werden können.

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  5. Bernhard

    Wo kann man sich bitte einen MBA-Titel per Fernstudium kaufen? Oder meinen Sie, dass man für ein MBA Fernstudium Studiengebühren bezahlen muss (so wie im Rest der Welt auch).

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  6. Tilmann Reuther

    Ich kann mich erinnern, dass zB in der Mensa zu Unimitarbeiterinnen aller Art „Herr/Frau Doktor“ gesagt wurde, einerseits. Sich ein späterer Präsident der AdW beim „Kroiss“ im NIG mit den Worten „Spectabilis, heißt das!“ gegen diese Anrede – durch einen Studenten beim Wurschtsemmelkauf – verwahrte.
    Also ehrlich, ich hab mir mein Mensatablett ohne Richtigstellung – war damals bloß Mag.phil – vollgestellt, und auch schon auf Studierenden-emails mit der Anrede „Hallo“ geantwortet
    Summa summarum: Ein Problem mit Prof. Gruber hab ich nicht.

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