Die Frage des „Standard“-Redakteurs Theo Anders an unseren Wissenschaftsminister Martin Polaschek lautete: „Nicht einmal der verpflichtende Einsatz von Plagiatssoftware wird politisch vorgegeben, warum nicht?“ Und der Minister, offenbar bar jeder Ahnung von Plagiatssoftware, antwortete: „Weil nicht alle Universitäten gleich sind und die autonomen Unis in ihren Bereichen am besten entscheiden können, welche individuellen Vorkehrungen sie brauchen.“
Seit vielen Jahren versuche ich die Stakeholder davon zu überzeugen, dass die Plagiatssoftwareprüfung jeder schriftlichen Arbeit so wichtig ist wie das „Pickerl“ (der „TÜV“) beim Auto oder die Vorsorgeuntersuchung beim Menschen. Alle Untersuchungen meines Teams und von mir sowie alle Plagiatsdokumentationen sprechen dafür. – Aber es lässt sich nichts machen, es will nicht in die Köpfe der Verantwortlichen. Es scheitert einfach an deren Mindset.
Eine mandantenfähige Software, die als one-stop solution im Netz angeboten wird, gibt es bereits: sie heißt Turnitin Similarity. Hier muss man das Rad nicht neu erfinden. Aber warum kein Pilotprojekt, in dem jede der 22 öffentlichen österreichischen Universitäten eine Subdomain von Turnitin erhält, also etwa die Universität Wien https://univie.turnitin.com?
Für die Schulen gibt es bereits ein zentralisiertes Portal, es heißt seit November 2023 ABA (für „abschließende Arbeiten“) und ist erreichbar unter https://aba.bildung.gv.at/login. Hier können Vorwissenschaftliche Arbeiten mit der Software PlagScan zentralisiert geprüft werden, und es gibt auch ein zentrales Repository, etwa, um Themendoubletten auszuschließen. Warum gibt es für die Universitäten und Fachhochschulen keine solchen Pilotprojekte?
Die ernüchternde Antwort lautet: Weil der politische Wille dazu fehlt. Wie das aktuelle „Hochschulrechtspaket“ zeigt, schreibt das Ministerium verpflichtende Kontrollsysteme weiterhin nicht einmal in den Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten vor. Weder Minister Polaschek noch sein Hochschul-Sektionschef Elmar Pichl wollen hier Pionierarbeit leisten. Kurioserweise hat selbst das Nachbarland, die Slowakei, ein zentralisiertes Plagiatsprüfsystem, das „antiplagiátorský systém“. Über dessen Wirksamkeit, siehe Fall Aschbacher, wird man diskutieren können, aber immerhin gibt es dort überhaupt einen Versuch der Vereinheitlichung.
Dazu kommt: Es besteht seit langem Prototypisierungsbedarf in zumindest vier Bereichen:
1) Intrinsischer Textvergleich innerhalb ein und desselben Textfiles: Suche nach wiederholt vorkommenden Textabschnitten
2) Vergleich eines Textes mit n anderen auf Übereinstimmungen (ein zu prüfendes Werk wird mit n Digitalisaten abgeglichen)
3) Vergleich von n Texten untereinander auf Übereinstimmungen (etwa der klassische Fall schriftlicher Klausuren)
4) Vergleich eines Textes mit einem oder mehreren Referenztexten bezüglich der Frage der Autorschaft
Alle Punkte waren in einem Prototypisierungsvorhaben an der TU Wien angedacht, das wurde politisch von Elmar Pichl gecancelt. Übrig blieb eine Autorschaftserkennungssoftware als Prototyp, die ich für meine Gutachten einsetze. Ein Informatik-Masterarbeitsprojekt zu den Themen 1 bis 3 wurde vom Betreuer an der TU Wien versemmelt. – So läuft wissenschaftliche Exzellenz in Österreich bei kontroversen Themen, die aber eigentlich grundlegend wären!
Die Ombudsstelle für Studierende in Österreich hat sich in ihrem Jahresbericht 2022/23 löblicherweise schwerpunktmäßig mit der guten wissenschaftlichen Praxis auseinandergesetzt. Ihre Forderungen lauten:
Eine „Statistik über Verfahren zu wissenschaftlichem Fehlverhalten“ führt derzeit nur die Universität Wien öffentlich, allerdings eingeschränkt auf die Fehlverhaltensform Plagiat. Bei allen anderen Universitäten muss man froh sein, wenn man das Thema überhaupt auf der Website findet. Bände spricht hier etwa die Website zu guter wissenschaftlicher Praxis der Universität Klagenfurt mit hoffnungslos veralteten Inhalten: Die Ombudsstellen-Richtlinie stammt aus dem Studienjahr 2003/04, der Code of Conduct aus dem Jahr 2008, und der Fließtext der Website dürfte seit 2007 nicht mehr angerührt worden sein. Wieder einmal beweist die Universität Klagenfurt: Die gute wissenschaftliche Praxis? Stellen Sie sich bitte hinten an!
Und diese Beobachtung aus der Universität Klagenfurt führt zu Institutionen (jenseits des BMBWF), die allesamt in Österreich in diesem wichtigen Bereich etwas hätten voranbringen können, aber einfach nichts taten und tun. Ich habe es bei allen versucht, ich habe sie alle angeschrieben, Ideen wurden entweder beschwiegen oder politisch gecancelt:
- Die Universitätenkonferenz (uniko) unter der Leitung von Klagenfurt-Rektor Oliver Vitouch
- Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) unter der Leitung von Ex-Minister Heinz Faßmann
- Der Forschungsförderungsfonds (FWF) unter der Leitung von Christof Gattringer
- Die Österreichische Forschungsgemeinschaft (ÖFG) unter der Leitung von Reinhold Mitterlehner (ja, ich weiß…)
- Die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) unter der Leitung von Sabine Chai (ja, ich weiß…)
Und wenn wir schon beim Thema Schweigen im Walde sind: Vereinheitlichte Richtlinien zur Nutzung und Zitation von Inhalten, die Künstliche Intelligenz generiert hat, geben sich die österreichischen Universitäten auch nicht. Auch hier schweigen alle oben genannten Institutionen. Für die Schulen gibt es hingegen ein entsprechendes Paper. Und es gibt das Thema „Künstliche Intelligenz und wissenschaftliches Arbeiten“ nun auch in Buchform.
Es verfestigt sich bei mir der Eindruck: Die Autonomie der Universitäten wird längst dazu missbraucht, dass man autonomerweise einfach gar nichts tut. Und das Ministerium fordert nichts, verteilt nur das Steuergeld. Es darf nichts fordern, denn die Universitäten sind ja autonom. – Ein falsches Paradigma, wie auch das der Studienplatzfinanzierung!
Das ist das gemütliche Milieu, das dann mit Sicherheit die nächsten Nobelpreisträger bis 2030 (so Bundeskanzler Nehammer in seiner Rede kürzlich und im „Österreichplan“) hervorbringen wird!
Wie sagte ein Schweizer Kollege jüngst in Anbetracht immer neuer Plagiatsfälle? „Academia is dead.“
Nicht einmal im Ansatz damit vertraut zu sein, wie die „Waffe der Kritik“ (Marx, in: Deutsch-Französische Jahrbücher, 1844: 79) stets zu führen ist, missbraucht die Fähigkeit zur Empathie derjenigen Dritten, die nachweislich dazu befähigt sind, eine Kritik der Waffen zu üben. Insofern sieht sich nicht zuletzt Anton Zeilinger als Österreichs jüngster Nobelpreisträger mit Praktiken konfrontiert, die seine ihm unveräußerlich gegebene Arbeitskraft, die bekanntlich nichts weiter als eine Naturkraft ist, fortgesetzt auf Verschleiß fahren. Allen voran Walter Benjamin war bekanntlich daraufhin mehr über kurz als lang „am Ende seiner Kräfte und nicht willens, sich der Strapaze auch nur einen Schritt länger als nötig auszusetzen“ (Eiland/Jennings, 2020: 886). Nicht ein „academia is dead“ ist angesichts dessen zu beklagen. Vielmehr käme es künftig politisch alles entscheidend darauf an, die zahllosen Anstiftungen zur dadurch erzwungenen Selbsttötung als solche schleunigst an ein Ende kommen zu lassen.