Der Plagiatsfall von Innenminister Gerhard Karner ging am Dienstag, 4. Oktober 2022 im „Standard“ um 15:00 Uhr exklusiv online. Rund neunzig Minuten später klingelte das Telefon an der TU Wien: Der geplante, für sieben Jahre anberaumte neue Forschungsschwerpunkt „Gute wissenschaftliche Praxis – digital“, finanziert vom BMBWF (hier eine Vorab-Dokumentations- und -Vernetzungsarbeit online), sei gestrichen. „Eine politische Entscheidung“, wie es hieß. Die Grundkonzeption dieses Forschungsschwerpunkts sowie weite Teile des Proposals stammen von mir. Es war die Chance, es war meine Chance, Forschung zu guter wissenschaftlicher Praxis endlich an einer österreichischen Universität zu verankern.
Schon 2007 unter Plagiator Johannes Hahn gescheitert
Ein kurzer Rückblick: Erstmals wollte ich 2007 zur Plagiatsthematik in Österreich forschen, das Bildungsministerium unter Dissertationsplagiator Johannes Hahn hat das abgesagt. Diverse weitere Anläufe in Deutschland sowie an den Universitäten Wien und Salzburg scheiterten ebenso. Ich dachte mir immer, das ist schon interessant: Für Digitalisierungsinitiativen oder Genderforschung gibt es viele Millionen, für gute wissenschaftliche Praxis nicht einmal eine Million. Schon 2006 warnte mich ein Kulturphilosoph: „Dafür gibt Dir niemand Geld. Noch nie hat es dafür in Österreich Geld gegeben.“
Kurzer Ruck nach dem Fall Aschbacher
Anfang 2021, nach dem Fall Aschbacher und noch unter Bildungsminister Heinz Faßmann, hat sich die Politik dann doch kurzzeitig für „mein“ Thema interessiert: Bestimmungen zu Plagiaten und anderen Täuschungsformen wurden, wenn auch holprig bis schlichtweg unsinnig, im Universitätsgesetz verschärft. Faßmann schlug eine empirische Erhebung „Plagiatsprüfung an österreichischen Hochschulen – Anspruch und Wirklichkeit“ vor. Ein Ruck ging durchs System, wie man so schön sagt.
Auch TU-Wien-Rektorin Sabine Seidler fand nun, Ende Januar 2021, erstmals Interesse an einem Paper, das ihr schon länger vorgelegen war: Der Vorschlag zur Gründung eines Forschungsschwerpunkts zu guter wissenschaftlicher Praxis (GWP). Es sah zum ersten Mal gut aus. Eine mündliche Zusage zur Einrichtung erhielten wir schließlich Ende August 2021 vom Rektorat, grünes Licht gab auch das BMBWF. Dann wurden wir immer wieder monatelang vertröstet, obwohl das BMBWF die Mittel bereits vorgesehen hatte.
Jahrelange Verzögerung durch das TU-Wien-Rektorat
Daher spielte auch das Rektorat der TU eine unrühmliche Rolle: Zwischen dem ersten Online-Projektmeeting am 23.03.2020 und dem Fall Karner verstrichen geschlagene zweieinhalb Jahre, in denen es immer wieder monatelange Funkstille gab und es nie zu einem Rektoratsbeschluss kam, geschweige denn zu Stellenausschreibungen. – Wollte die TU Wien am Ende das Projekt gar nicht? Übte sich das Rektorat nur in der Kunst der Verzögerung, bis es ein neues Rektoratsteam gegeben hätte? Warum ließ Rektorin Sabine Seidler, sonst Anwältin der Unis für mehr Finanzmittel, eine BMBWF-Dotierung von mehr als 1 Million Euro für ihr Haus einfach 30 Monate liegen?
GWP unter Minister Martin Polaschek kein Thema mehr
Ende 2021 kam dann der überraschende Ministerwechsel von Heinz Faßmann zu Martin Polaschek. In seinem früheren Job an der Universität Graz hatte es der neue Minister als Diplomarbeitsbetreuer mit einem von mir dokumentierten Plagiatsfall eines ÖVP-Nationalratsabgeordneten zu tun. Mir wurde vermittelt, dass es zum Thema gute wissenschaftliche Praxis oder gar zur Person Stefan Weber mit dem neuen Minister eine nicht so gute Gesprächsbasis gibt, um es vorsichtig auszudrücken.
Dann wurde sehr überraschend Ende März 2022 die Präsentation einer Plagiatsstudie des IHS, noch initiiert und finanziert unter Heinz Faßmann, drei Tage vorher abgesagt:
Quelle: E-Mail vom 25.03.22 des BMBWF
Das zeitnahe Nachholen lässt bis heute auf sich warten. Ein Wiki-Projekt zum Thema Zitieren wurde ebenso überraschend auf Eis gelegt, eine angekündigte Review des Ministeriums fand bis heute nicht statt. Juristische Fachanfragen von mir beim BMBWF blieben 2022 auf einmal unbeantwortet, vorher herrschten Diskurs und Interesse. Eine angekündigte Diskussion zu kohärenteren GWP-Regeln im Universitätsgesetz und deren Umsetzung im zweiten Halbjahr 2022 kamen nicht.
Ich verstand, dass unter dem neuen Minister gute wissenschaftliche Praxis kein Thema mehr war, obwohl die Kosten im Vergleich zu den anderen Kuchenstücken des Uni-Budgets schlichtweg nicht ins Gewicht fallen würden. Und obwohl die Probleme auf dem Tisch liegen, siehe etwa zuletzt die Diskussion um den laxen Umgang mit Plagiatsfällen an der Universität Innsbruck. Und so erschien 2022 gute wissenschaftliche Praxis wieder als die alte One-Man-Show, wie all die Jahre zuvor.
2022 wegen Plagiator Gerhard Karner gescheitert
Nun kam also, nach dem Plagiatsvorwurf gegen Innenminister Gerhard Karner, der endgültige Todesstoß für all meine GWP-Bemühungen. Drei Jahre Vernetzungs- und Aufbauarbeit und ein allseits gelobtes, von vielen als geradezu perfekt bezeichnetes Konzept (siehe die Wiedergabe hier im Beitrag unten) wurden vom Tisch gewischt. Von ganz oben, „eine politische Entscheidung“ eben. In Wahrheit wohl eher eine Retourkutsche für jemanden, der sich als nicht von der Politik steuerungsfähig erwiesen hat. Hatte man mir immer nur eine Karotte vor die Nase gehalten?
Dazu eine Reflexion.
Würde sich die Politik, und hier die Hochschulpolitik, in Österreich um Probleme und Sachthemen kümmern, hätte sie sich eigentlich sagen müssen: Jeder weitere Plagiatsfall führt uns umso deutlicher vor Augen, wie wichtig dieser Forschungsschwerpunkt wäre. Und Politiker mit akademischen Graden, die plagiiert haben – das geht eigentlich gar nicht. Wir müssen jetzt einmal vor unserer eigenen Tür kehren.
Aber weder der positive Auslöser Aschbacher noch der negative Auslöser Karner haben etwas mit der ‚Realität da draußen‘, mit der Praxis der Hochschulen zu tun: Die Politik machte in beiden Fälle nur deshalb Politik, weil jemand aus den eigenen Reihen betroffen war.
Parteien- statt Volksherrschaft
Politik in Österreich gehorcht ausnahmslos der Parteiräson. Die Demokratie, eigentlich „Volksherrschaft“, ist in Österreich nur das Feigenblatt für die Parteienherrschaft. Wer kein Parteibuch hat oder nicht zumindest parteinah ist, wer als Student nicht beim Kartellverband oder einer ähnlichen Organisation war, der hat es in der Regel schwer. Er muss ein Leben lang mit Sachthemen anklopfen. Aber die will kaum jemand hören, eben weil Parteiloyalität prioritär ist.
Wird ein politisch Verbündeter angegriffen, muss ein geplanter Forschungsschwerpunkt sterben. Die ÖVP zeigt: Wir sitzen am längeren Ast! Mir wurde vermittelt, dass ich als Wissenschaftler Politik mache und das nicht gehe. Nun, das ist interessant: Dann hätten ja die Wissenschaftler Heinz Faßmann und Martin Polaschek auch nicht Politiker werden dürfen. Die Wissenschaftler Filzmaier, Stainer-Hämmerle und Mangott machen mit ihren Fernsehkommentaren ständig Politik, Filzmaier als DUK-Professor kanzelt live einen nach dem anderen Politiker genüsslich herab. Warum darf ein Filzmaier, was ein Weber nicht dürfte?
Würde man umgekehrt von mir, noch gar nicht an der TU Wien engagiert, verlangen wollen, dass ich schon jetzt keine Politikerplagiate der ÖVP mehr oute, wäre das ungefähr so, wie wenn ein Programmierer in Aussicht gestellt bekommt, in vielleicht einem Jahr oder noch später bei Microsoft angestellt zu werden. Er müsse aber schon jetzt seinen Apple-Geräten abschwören.
Martin Polaschek, der falsche Mann im Job
Ja, man darf nicht die Hand beißen, die einen füttert. Aber das hat sie eben noch gar nicht! Außerdem ist das Problem folgendes: Das Geld für GWP darf kein Mascherl haben, keine politische Färbung. Eine Universität oder Hochschule müsste sich trauen, das von ihrem Globalbudget zu finanzieren. Wenn das keine Hochschule wagt, weil dann der Minister womöglich die Mittel kürzen würde, dann ist Martin Polaschek einmal mehr der falsche Mann in diesem Job.
Die Sache hat aber auch ihr Gutes: Ich bleibe unabhängig. In diesem Blog muss ich mir von jetzt an kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Ich habe vieles aus Rücksichtnahme auf die kommenden Stakeholder zurückgehalten, Prüfaufträge nicht angenommen, bereits fertige Plagiatsgutachten unter Verschluss gehalten. Das ist jetzt Geschichte. So wie meine GWP-Forschung an der TU Wien.
Ich bin gespannt, wie es mit der ebenfalls bislang gelobten Arbeitsgemeinschaft „Gute wissenschaftliche Praxis im Wandel“ der Österreichischen Forschungsgemeinschaft und meinem Lehrauftrag an der TU Wien weitergeht. Wenn die auch noch aufgrund politischer Entscheidungen gecancelt werden, sind das Zustände wie in Ungarn oder der Türkei.
Mir wurde gesagt: Wissenschaftler dürfen nicht Politik machen. Ich sage: Die Freiheit der Forschung und Lehre darf kein Politikum werden. Und erst recht kein Parteipolitikum. Ein Deal „Wir geben Dir nur dann Geld, wenn Du uns nicht mehr kritisierst“ widerspricht dem Grundprinzip der Wissenschaft. So beginnt Korruption.
Aus dem Konzept:
Sehr geehrter Herr Weber,
da ich auf der GWP Webseite ein ganzes Team und viele Namen sehe: ist das Proposol und der Text, wie im ersten Absatz angegeben, hauptsächlich von Ihnen?
Wäre es nicht fair, die anderen Autoren anzugeben? Oder geben Sie diese aus taktischen Gründen nicht an, damit hier keine Retourkutschen erfolgen?
F. Huber
Ich muss ehrlich sagen, dass mich diese Wort zutiefst schockieren:
“In diesem Blog muss ich mir von jetzt an kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Ich habe vieles aus Rücksichtnahme auf die kommenden Stakeholder zurückgehalten, Prüfaufträge nicht angenommen, bereits fertige Plagiatsgutachten unter Verschluss gehalten.”
Das heißt ja im Umkehrschluss nichts anderes, als dass Sie ihre Gutachten gezielt als Waffe einsetzen. Immer Munition parat haben, um diese dann als Druckmittel einsetzen.
Der frühere Präsident der Georg-August-Universität in Göttingen, Reinhard Jahn, kritisierte öffentlich schon vor etlichen Jahren in einer Rede, dass Projekte zunehmend „nicht mehr dem intrinsischen Forschungsinteresse der Antragsteller entsprechen“. Insofern ist es heute sogar ein unschätzbarer Gewinn, wenn ein Projekt vor allem zu guter wissenschaftlicher Praxis nicht an einer Universität angesiedelt ist. Um sich selbst nicht „verbiegen (zu) müssen“, wie Reinhard Jahn seinerzeit zu bedenken gibt, bietet sich stattdessen eher eine Tätigkeit als freier Wissenschaftler an. Aus höchst leidvoller Erfahrung heraus mit einem dortigen Projekt an einem so genannten An-Institut, das wegen solch eines eklatant vorherrschenden Mangels beinahe mein Leben gefordert hat, setze zumindest ich meinen Fuß niemals mehr über die Schwelle einer Universität.
Lieber Stefan,
gräme dich nicht. Für unsere Verdienste um die Wissenschaft werden wir höchstens posthum oder nach dem Rücktritt von der aktiven Karriere geehrt, während sich Leute, die deine Forschungen abblasen, weil sie es können, sich Ehrendoktorate zuschanzen.
Es ist lächerlich, dass es nicht schon lange standardisierte Qualitätskontrollen und hochwertige Plagiatsroutineuntersuchungen an den Universitäten und geförderte Forschung zu oben angesprochenen Dingen gibt.
11 1/2 Jahre nach zu Guttenberg, “dem Baron von Münchhausen der Wissenschaft” bleibt ein gewisser Muff “unter den Talaren”, der Veränderung, Fortschritt, Qualitätskontrollen und Forschung am akademischen Betrugsphänomen verhindert.
Grüße aus dem plagiatsverseuchten Nachbarland Bayern. 😉