Schwerster Plagiatsfall in der jüngeren österreichischen Universitätsgeschichte: Kulturwissenschaftlerin der JKU Linz nach Serienplagiaten entlassen

An der Johannes Kepler Universität Linz wurde eine Kulturwissenschaftlerin und Philosophin wegen werkprägender Plagiate entlassen, die „Oberösterreichischen Nachrichten“ berichten exklusiv darüber. Nachdem zahlreiche Plagiatsstellen in einem von ihr im Jahr 2018 verfassten Aufsatz enttarnt wurden, wurden weitere schwerwiegende Plagiatsfragmente in der von ihr eingereichten Habilitationsschrift entdeckt. Nach der vom Rektorat ausgesprochenen Entlassung liegt der Fall nun vor dem Landesgericht Linz. Ihren Antrag auf Erteilung der Lehrbefugnis und damit die Habilitationsschrift hat die Kulturwissenschaftlerin im November 2019 zurückgezogen. Sie schrieb in einer E-Mail:

„Sehr geehrter Herr Rektor, sehr geehrte Vizerektorinnen und Vizerektoren, sehr geehrter Herr Dekan,
ich ziehe meinen Antrag auf Erteilung der Lehrbefugnis mit sofortiger Wirkung zurück, weil die von mir eingereichte Monografie „[gelöscht durch S.W.]“ fehlerhafte Stellen aufweist.
Ich weiß nicht, wie gerade mir dieses passieren konnte, nachdem ich schon seit vielen Jahren wissenschaftliches Arbeiten in deutscher und englischer Sprache an der JKU unterrichte und meine Arbeit vor der Abgabe mittels Lektorat überprüfen ließ.
Ich habe die letzten Tage meine Exzerpte, Lesetagebücher und Sammlungen von Belegstellen durchforstet und bin nicht fündig geworden, wann und an welcher Stelle mir versehentlich nicht zitierte Textstellen in meine Materialsammlung geraten sind.“

Soweit alles in Ordnung, könnte man denken: Eine Plagiatorin flog auf, die Universität Linz reagierte mit der Entlassung wegen schweren wissenschaftlichen Fehlverhaltens vorbildlich. Und in der Tat ist die Reaktion der JKU mit Nachdruck zu loben und ein wichtiges Signal! – Aber es bleiben Fragen und Rätsel offen:

  • Wie war es möglich, dass jemand, der ein solches massives wissenschaftliches Fehlverhalten begangen hat, fast 30 Jahre an der Universität Linz unterrichten konnte? Hat sich die Kulturwissenschaftlerin die Arbeitsweise erst zuletzt angeeignet, oder hat sie schon früher so gearbeitet?
  • Wenn Letzteres: Warum ist das früher nie jemandem aufgefallen? Oder wurden Verdachtsmomente unter den Teppich gekehrt?
  • Welche Werte und Standards hat die Kulturwissenschaftlerin ihren Studierenden vermittelt (angeblich wurden von ihr zwischen 800 und 1.000 Studierende (!) jährlich geprüft)?
  • Werden die Universität Linz und/oder die ÖAWI auch die älteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Philosophin inklusive der Dissertation auf Plagiat überprüfen?
  • Welche rückwirkenden dienstrechtlichen Konsequenzen könnte es geben, wenn man auf weitere ältere Delikte stoßen würde?
  • Muss auch der Doktorgrad widerrufen werden, wenn auch in der Dissertation gravierendes wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt wird?

Aus dem Fall kann nur eine Lehre gezogen werden: Alle wissenschaftlichen Arbeiten zumindest in den soft sciences müssen vor Begutachtung oder Veröffentlichung mit Plagiatssoftware überprüft werden.

Hier einige Fundstücke aus den Arbeiten der Kulturwissenschaftlerin, zu Tage gefördert mit der Plagiatssoftware Turnitin. Es handelt sich meinem Kenntnisstand zufolge um die gravierendsten Plagiatsstellen einer (ehemals) angestellten österreichischen Wissenschaftlerin seit dem Plagiatsfall „Wickie und die starken Männer“ an der Universität Klagenfurt aus dem Jahr 2006.

Aus einem mittlerweile zurückgezogenen Paper der Kulturwissenschaftlerin aus dem Jahr 2018 (es handelt sich wohlgemerkt um die „eigene“ Conclusio, siehe Überschrift):

Das schrieb allerdings schon der deutsche Philosoph Wulf Kellerwessel in einer Rezension aus dem Jahr 2012:

Noch unglaublicher bereits die einleitenden Sätze aus der mittlerweile ebenfalls zurückgezogenen Habilitationsschrift:

Das wiederum verfasste schon der ebenfalls deutsche Philosoph Jan Peter Beckmann in einem erstmals 1995 erschienenen Buch:

Plagiatsepistemologen erkennen hier natürlich sofort die einmalige „Güte“ der Fundstellen. Ihr werter Plagiatsgutachter muss gestehen, solche unglaublichen Plagiate seit vielen Jahren nicht mehr gesehen zu haben. Dennoch ist die Verfasserin der Plagiate davon überzeugt, nicht plagiiert zu haben. Das macht den Fall auch psychologisch sehr interessant, wenn nicht gar einmalig.

Und einige wenige sehen das ähnlich: Ein Linzer Philosoph lobte in einer E-Mail die Qualität der Habilitationsschrift (wohl in Unkenntnis der Funde). Die feministische Philosophin Herta Nagl-Docekal verlieh in einer E-Mail ihrer Hoffnung Ausdruck, den Plagiatsvorwürfen könnte etwas entgegengehalten werden (erschreckend das nicht vorhandene Interesse, dem Vorwurf auf den Grund zu gehen). Ich biete beiden eine kostenlose Einschulung in die Plagiatsdetektion und das Funktionieren von Plagiatssoftware an. Und ich wiederhole meine Bitte: Alle Arbeiten müssen überprüft werden, um hinkünftig die finanziellen Mittel möglichst nur noch für ehrliche WissenschaftlerInnen auszugeben! Die Prüfung auf Plagiat ist nichts anderes als das „Pickerl“ („der TÜV“) für das Auto: die Voraussetzung für das Fahren = die Produktion von Erkenntnissen.

Wenn wir nur davon ausgehen, dass ein Prozent der WissenschaftlerInnen schwerwiegend plagiiert, handelt es sich um rund 1.000 mögliche Fälle im österreichischen Wissenschaftssystem und einen Schaden von rund 2 Milliarden Euro.

5 Kommentare zu “Schwerster Plagiatsfall in der jüngeren österreichischen Universitätsgeschichte: Kulturwissenschaftlerin der JKU Linz nach Serienplagiaten entlassen

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  1. Pingback: Schwerwiegender Plagiatsvorwurf gegenüber Erhard Oeser

  2. Sven Schroder

    Sehr geehrter Herr Dr. Weber,

    besten Dank für Ihre Antwort.

    Mittelschwere und schwere Fälle werden hier in Ihrem Bolg mit Namen vorgestellt. Aber ausgerechnet beim schwersten Plagiatsfall in der jüngeren österreichischen Universitätsgeschichte wird kein Name genannt? Gerade bei diesen Serienplagiaten ist eine Referenzierung/Namensnennung doch ein Erkenntnisgewinn.

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  3. Leo

    Schön, dass es aus Linz auch Beiträge wie diesen gibt: Philosophin: „Ethik beginnt, wo die Sachkenntnis endet“. Zitat: „Wir müssen mit diesen Fragen schon viel früher beginnen, und angewandte Ethik in alle Curricula einbauen. Ich habe hier (an der JKU; Anm.) die Möglichkeit, einen interdisziplinären Blended-Learning-Kurs für angewandte Ethik abzuhalten und habe im Durchschnitt 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Da ist unsere „überschaubare“ Universität sicher wie in vielen anderen Bereichen durchaus ein Musterbeispiel. Aber es gibt natürlich auch Einrichtungen, die von Ethik nie etwas hören. Öffentlich wirksam wird nur noch Fehlverhalten von einzelnen Disziplinen oder Personen, wenn es um Datenmanipulationen, Plagiate oder Titelhandel geht. Das sind dann die Schlagzeilen, die sich in der Öffentlichkeit niederschlagen.“

    Antworten
  4. Sven

    Sehr geehrter Herr Dr. Weber,

    seiens mir bittschön nicht böse, aber kann es sein, dass der sehr geschätzte Plagiatsgutachter hier in diesem Blog in diesem Beitrag Referenzierungsfehler gemacht hat, vielleicht sogar mit voller Absicht?

    Der unermüdliche Aufklärer zitiert aus der sog. Habilitationsschrift, aber er gibt keine genaue und überprüfbare Referenz an. Wie soll man das nun wissenschaftlich überprüfen, wenn keine Referenz angegeben ist, also Ross und v.a. Reiter(in) fehlen?

    Ferner: Ein wörtliches Zitat ohne Beleg kann unter Umständen auch unter die Rubrik Urherberrechtsverletzung fallen, aber er soll sich ja um ein Plagiat handeln – leider kann man das nicht so einfach überprüfen, da fehlende Referenz; vielleicht mit voller Absicht? Angst vor „juristischen Aus€inand€rs€tzung€n“ hier sehr wahrscheinlich nur ein Hilfsausdruck.

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    1. Stefan Weber Beitragsautor

      Lieber Herr Schroder!
      Ja, ich habe bei Eröffnung dieses Blogs im Jahr 2010 angekündigt, hier Ross und Reiter nennen zu wollen! Eine Angst vor einer juristischen Auseinandersetzung habe ich gerade im vorliegenden Fall sicher nicht. Ich würde es im Gegenteil sogar begrüßen, wenn die Dame bis zum VwGH oder OGH gehen würde, denn dann hätten wir einen weiteren interessanten Urteilsspruch. Die Habilitationsschrift und das Paper wurden von der „Verfasserin“ zurückgezogen. Die Titel sind also nicht auffindbar, weshalb eine Referenzierung keinen Erkenntnisgewinn darstellen würde.
      Übrigens, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben: Anwaltsbriefe, Unterlassungsbegehren, Unterlassungsklagen etc. haben mir noch nie schlaflose Nächte gemacht. Solche habe ich schon erhalten von:
      * Anwalt von Johannes Hahn
      * Anwalt der Verfasserin des Klagenfurter „Wickie-Plagiats“
      * Anwalt einer plagiierenden (und Unsinn verzapfenden) Münsteraner Medizinerin
      * In zwei Fällen Anwälte von Kommunikationswissenschaftlerinnen der TU Dresden
      * Anwalt von Salvatore Giacomuzzi
      Also nur her damit! 🙂

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