Ich beschäftige mich in diesem Blogbeitrag mit der Rhetorik dieses Artikels aus der „Süddeutschen Zeitung“. In meinem Studium bei Peter A. Bruck nannte man das Verfahren, das ich im Folgenden anwende, die Diskursanalyse, und ich hätte etwas hochtrabender nicht von „Rhetorik“, sondern von „diskursiven Strategien“ gesprochen.
Der Kommunikationskern des analysierten Artikels steht im ersten Absatz des Fließtexts: Alexandra Föderl-Schmid habe „bei ihrer journalistischen Arbeit nicht plagiiert“ (Hervorhebung durch SW).
Dieser Kommunikationskern wurde von fast allen deutschsprachigen Medien übernommen und wanderte in die Titel der Stories: „Föderl-Schmid hat nicht plagiiert“. Ein Beispiel:
Quelle: orf.at
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Konjunktiv 1 und die Anführungszeichen fehlen. Alle Mainstream-Medien machten aus einer Behauptung eine Tatsache. Der richtige Titel wäre also stets gewesen:
„SZ“: Föderl-Schmid habe „nicht plagiiert“
Entscheidend ist aber: An keiner Stelle des 15-seitigen Kommissionsberichts (zu diesem mehr hier in einer zweiten Blogstory) steht expressis verbis, dass Föderl-Schmid „nicht plagiiert“ habe. Im Artikel der Süddeutschen Zeitung wird diese Aussage jedoch der „unabhängigen Expertenkommission“ zugeschrieben. Es handelt sich hiermit um eine falsche Tatsachenbehauptung.
Die Kommission hat im Endbericht aber auch nicht behauptet, dass Föderl-Schmid plagiiert habe. Sie hat das Thema einfach diskursiv umschifft, sie hat sich nicht festgelegt und spricht nur zwischen den Zeilen (wie erwähnt, dazu mehr in Teil 2).
Auch der nächste Satz ist spannend:
„Der Fall Föderl-Schmid sei ‚weit entfernt von einem Plagiatsskandal‘, heißt es im Abschlussbericht der Kommission, der heute in München veröffentlicht wurde.“
Nun, seit wann ist eine Expertenkommission für das Framing, für die Nachrichtenwerte und -faktoren zuständig? Wie wir aus der Medienforschung wissen, sehen „Boulevard“medien häufiger als „Qualitäts“medien einen Sachverhalt als Skandal an. Im Falle der Plagiatsdebatte ist eine Grenzziehung, wo der Bagatellfall aufhört und der Skandal beginnt, kaum möglich. Steht man auf dem – aus meiner Sicht einzig sinnvollen – Standpunkt, dass Plagiate im Journalismus gar nicht vorkommen dürfen, noch dazu nicht im „supersauberen“ Autorenjournalismus der SZ, ist selbst ein teilplagiierter Kommentar schon einer zu viel. Ein völliges No-Go sind aber Dinge wie diese. Also ja, das ist ein Skandal. Das darf man als Wissenschaftler und als Blogger behaupten.
Anders gefragt: Wann würde im Fall Föderl-Schmid denn der Skandal beginnen? Bei 50, 70, 100, 500 oder 750 von 1.091 Artikeln?
Als erste rhetorische Strategie ist somit festzumachen, dass die Aussage „hat […] nicht plagiiert“ der Kommission untergejubelt wurde, obwohl sie diese gar nicht im Bericht getroffen hat. Vielleicht hat es ein Vertreter der Kommission auf der Pressekonferenz gesagt, ich war nicht dabei. Aber auch dann hätte das Zitat dieser Person richtig attribuiert werden müssen. So gesehen ist also der erste Satz des Artikels schon wieder ein Fehlzitat und damit eine journalistische Fehlleistung der SZ. In guter (schlechter) Tradition, möchte man sagen.
Die zweite rhetorische Strategie ist die Anmaßung der Zurückweisung des Framings als „Skandal“.
Nun aber zum dritten rhetorischen Trick, zur Erzeugung kognitiver Dissonanz:
Föderl-Schmid habe zwar „nicht plagiiert“, aber gleichwohl in mehreren Fällen nicht kenntlich gemacht, dass sie Teile ihrer Texte aus Fremdquellen übernommen habe. Nun, ein Plagiat ist aber genau dadurch definiert: als Übernahme fremder Texte bei Nicht-Kenntlichmachung der fremden Quellen. Es ist so, wie wenn ich sage: Jemand hat sich nicht unerlaubter Hilfsmittel bedient, sondern nur ein paar Mal auf den Spickzettel geschaut.
Wie passt das zusammen? Gar nicht. Die SZ bediente sich eines simplen Kunstgriffs: Nennen wir das Phänomen einfach nicht „Plagiat“, sondern „Verstoß gegen die journalistischen Standards“. Nun, der prominenteste Trick dieser Art ist uns aus Russland bekannt: Nennen wir den Angriff einfach nicht „Krieg“, sondern „militärische Spezialoperation“.
Aus der Trickkiste des SZ-Journalismus:
Trick 1 | AFS habe „nicht plagiiert“. Das steht aber nicht im Bericht! |
Trick 2 | Kommission übernimmt Aufgabe der Medien: Framing als „Skandal“ sei weit übertrieben. |
Trick 3 | Deckungsgleiches Phänomen wie Plagiat wird nicht „Plagiat“ genannt. |
Und noch ein viertes Beispiel aus dem Text:
„Vermeintliche Plagiatsverdachtsfälle“ sind runde Kreise. Wenn es denn ein „Plagiatsverdachtsfall“ ist, ist er ja schon vermeintlich, das ist im Wort „Verdacht“ enthalten.
Vor dreißig Jahren, als ich Journalismus lernte, wäre dieser Artikel so nicht durchgegangen, nicht einmal bei der kleinsten Lokalzeitung. Wenn die SZ immer so schreibt, wenn das die Leistung des Autorenjournalismus dieses Mediums ist, die Licht ins Dunkel bringen will, verzichtet man besser auf die Lektüre dieses Blatts.
Sehr geehrter Herr Weber,
könnten Sie bitte ein paar Kommentare zum letzten Absatz im Bericht (Seite 15) schreiben bzw. gegebenenfalls auf Fachliteratur (Stichwort: Wahrscheinlichkeit von nicht-trivialen Wortkombinationen) verweisen? Denn so, wie ich Ihre Arbeit verstanden habe, verwenden Sie die Software nur als Basis und investieren die meiste Zeit um die gefundenen Stellen im Gesamtkontext interpretieren und beurteilen (und alles dokumentieren) zu können.
Im vorletzten Absatz steht sogar: „Und, wie oben bereits angemerkt: Wenn im Text auf die Originalquelle hingewiesen wird, können wortgleiche Sätze durchaus akzeptabel sein.“ Hmm? Meinen die damit richtiges Zitieren? 😉 Seit wann geht’s darum, Worgleichheiten zu vermeiden? Hier steckt ja schon ein Bewusstsein dahinter. Und wenn man einen Text mit (sagen wir) hundert Wörtern frei schreibt und ein (kurzer) Satz dabei einem anderen Satz eines anderen Artikels ähnlich ist, dann ist das ja deswegen kein Plagiat, oder?
Danke!
P.S. Das, was die Plagiatssuche überhaupt erst möglich macht, ist die Nicht-Kommutativität der Buchstaben (oder Zeichen) in der Sprache. In der Natur wird übrigens ständig „plagiiert“, deshalb kann man auch über DNA-Sequenzen ganze Stammbäume rekonstruieren. Viele Muster erkennen wir (mit sehr aufwändigen statistischen Methoden und komplexen bioinformatischen Algorithmen) nur, weil diese Sequenzen eben nicht (rein) zufällig sind. Analog würde ich das bei Texten sehen, die wir verstehen können und dadurch „überleben“. (Sehr pointiert formuliert, auf Details kann ich auf Nachfrage aber gerne näher eingehen.)
Leider fehlt mir gerade die Zeit, mich detaillierter mit dem Bericht dieser Kommission zu beschäftigen. Auf die Schnelle habe ich nur das Buch „Einführung in den praktischen Journalismus“ (19. Auflage) von Gabriele Hooffacker und Klaus Meier gefunden, in dem es auf Seite 152 heißt: „Ein paar Regeln und Vorschläge für richtiges Zitieren: Lassen Sie keine Unklarheit darüber aufkommen, von wem das Zitat stammt. Vor allem, wenn Sie mehrere Redner oder sonstige Quellen zitieren, sollten Sie jedes Zitat eindeutig identifizieren. Und: Geben Sie nie der Versuchung nach, Zitate zu erfinden oder zu frisieren.“ [Kapitel „Die Nachricht“, Abschnitt „Objektivität“]
Schon ganz zu Beginn des Abschnittes „Objektivität“ erfährt man (unmissverständlich): „Vom Journalisten erwartet man, dass er der ‚Pflicht zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung‘ nachkommt. Für die Arbeit der Presse fordert der Pressekodex, dass ‚zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Graphik … mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben‘ sind.“ [Seite 133]
Gleich darauf wird sogar erklärt, warum das notwendig ist. Der Kommissionsbericht liest sich aber ganz anders. Schreibt also Klaus Meier im Buch von einem „theoretischen praktischen Journalismus“, der schon am „praktischen Journalismus“ einer sogenannten Qualitätszeitung scheitert? Warum wird (im Bericht) die „Produktivität“ (wo anders habe ich sogar von einer „Schreib-Maschine“ gelesen) so positiv herausgestrichen, wo doch genau das zu den Problemen führt?
Etwas, das mich im Kommissionsbericht (schon beim Überfliegen) irritiert hat, war der Kommentar, dass sauberes Zitieren den Text unlesbar macht. Nun, spricht man hier über die Leser:innen der SZ (und sagen wir dem Standard)? Und selbst, wenn man annehmen würde, dass das zu „anspruchsvoll“ wäre (was ich nicht glaube), was würde passieren, wenn wir in einer schwierigen Situation (z.B. einer Pandemie) eben genau (wirklich) schwierige wissenschaftliche Texte interpretieren müssen?
Die Pointe ist nun, dass man darüber vergleichsweise einfach Qualitätsjournalismus (so, wie’s übrigens im Buch beschrieben ist) definieren kann: Anspruchsvolle und verständliche Texte, die in der Form (insbesondere in der Sauberkeit beim Zitieren) eine Art Brücke zwischen Alltag und Wissenschaft schaffen.
Klaus Meier war lange Jahre Vorsitzender der DGPuK: https://www.ku.de/news/klaus-meier-als-vorstand-der-dgpuk-verabschiedet
Die Gesellschaft ist dafür bekannt, Plagiate zu verharmlosen. Ihr Selbstverständnis ist es: Wer bei uns Mitglied ist, den darf kein Plagiatsvorwurf treffen. In einem Fall perfekt dokumentiert, man muss nur ein bisschen über Umwege recherchieren. Dieses Selbstverständnis hat er nun auch zum Wohle der SZ angewandt. Für mich heißt das Korruption.
Ich war zuletzt der Meinung Ihr Umgang mit dem Fall ist ein falscher, aber ich muss mittlerweile eingestehen der Umgang der Medien/des Systems mit dem Fall ist auch nicht besser. Dieses Gutachten und die Berichterstattung darüber ist beschämend und beleidigend, allerdings diesmal für den/die LeserIn.
Zum Kommissionsbericht finden Sie ab 21.05. vormittags eine Kritik hier im Blog.
Ich bin ob des perfiden Vorgehens äußerst schockiert und kannte solches bislang vor allem nur aus der Politik, wo es allerdings immer von eben jener Clique – teils zurecht – heftig kritisiert wird. Überhaupt sehe ich in diesem Verhalten einige Parallelen (Wagenburg, Relativierung, Leugnung, fehlendes Schuldbewusstsein) zu einer anderen, aktuellen Causa. Es hätte nur noch gefehlt man hätte Ihnen „Gemurkse und Gefurze“ vorgeworfen, nur diesmal eben die andere, unpolitische Seite. Ich bin gespannt auf Ihre weitere Analyse.
Angesichts dessen, dass laut Max Horkheimer „alles Leben … Schuld (ist)“ (in: GS Bd. 14: 134), lässt es aufhorchen, wenn der nunmehr vorliegende Kommissionsbericht zur Aufarbeitung der gegen Alexandra Föderl-Schmid erhobenen Vorwürfe auf der dortigen Seite 11 nach persönlich mit ihr geführten Gesprächen zu dem Schluss gelangt, „dass sie sich keiner Schuld bewusst war“. In Wirklichkeit ist damit ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Mithin konnte die Untersuchung dadurch lediglich Nicht-Arbeit zutage fördern, aber keine Arbeit. Wenigstens die Süddeutsche Zeitung sollte sich daraufhin selbst befragen, womöglich in der Vergangenheit zuhauf Tätigkeiten entgolten zu haben, die nicht einmal im Ansatz eine Vergütung rechtfertigen.
Ich bezahle Medien für eine tages- oder wochen-/monatsaktuelle Rundschau, für einen Lagebericht. Zusätzlich sind Wertungen/Kommentare nett, insbesondere, wenn ein Medium unterschiedliche (Pro/Contra etc.) veröffentlicht. Es mir als Leser oder dem Medium aber keinen Mehrwert, Fakten/Allgemeinheiten neu zu formulieren. Das ist ja nichts weiter als die Verschriftlichung, die so kostengünstig wie möglich erfolgen soll.
Da also die wortgleiche Übernahme von Sätzen weder qualitätsmindernd wirkt noch (i.d.R.) urheberrechtlich relevant ist, gibt es schlicht kein Problem. Vor allem hat Stefan Weber als Politaktivist überhaupt kein Mandat, sich willkürliche Bewertungskriterien auszudenken, in aktivem Widerspruch zu Wissenschaftlern und Praktikern im Bereich Journalismus.
Sehr geehrter Herr Stein!
Ich darf Sie darauf hinweisen, dass ich auch Wissenschaftler bin. Zum Thema Plagiat dürfte ich mehr publiziert haben als alle SZ-Kommissionsmitglieder zusammen.
Außerdem war ich in Salzburg jahrelang im Tageszeitungs- und Radiojournalismus tätig.
Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Dr. Weber,
könnten Sie evtl. Stichproben machen, ob die „Methode Föderl-Schmid“ vielleicht einfach längst – horribile dictu – „journalistischer Standard“ bei der SZ ist? Vielleicht, indem Sie Beiträge anderer Vielschreiber*innen überprüfen? Wenn ich mir die Reaktion der SZ anschaue, dann liegt diese Vermutung einfach sehr nahe. Es gibt dafür ja auch bereits konkrete Hinweise, insbesondere weil die SZ einräumen muss, dass sie Übernahmen von Nachrichtenagenturen überhaupt nicht kennzeichnet.
Mit freundlichen Grüßen,
Bernd-Christoph Kämper