Machen wir es kurz: Der von der Süddeutschen Zeitung in Auftrag gegebene „Kommissionsbericht zur Aufarbeitung der gegen Alexandra Föderl-Schmid erhobenen Vorwürfe“ (PDF-File, 15 Seiten) ist frisiert. Er ist nun selbst ein Fall für eine Prüfung durch eine Kommission – aber diesmal bitte in externem Auftrag, etwa einer Medienbehörde oder einer politischen Partei.
Auf S. 6 des Berichts findet sich eine Tabelle, ohne Literaturreferenz. Ich habe sie „durchgegoogelt“: Die Kategorien und ihre Definitionen wurden allesamt von der dreiköpfigen Kommission „erfunden“. Und wenn man das genau durchliest, entdeckt man das „Cheating“.
Hier steht nämlich:
- Die Übernahme von Formulierungen aus Wikipedia ohne Quellenangaben sei kein Plagiat.
- Die Übernahme von Formulierungen aus Quellen von als zuverlässig eingestuften Institutionen ohne Quellenangaben sei kein Plagiat.
- Die Übernahme von Faktensätzen von anderen ohne Quellenangaben sei kein Plagiat.
Ich möchte klarstellen: Derlei Einschränkungen finde ich in der weltweit verfügbaren Literatur zu journalism und plagiarism an keiner Stelle. Diese definitorischen Einschränkungen/Ausgrenzungen hat vielmehr erst die SZ-Kommission vorgenommen. Und das offenbar mit dem Ziel, die Anzahl der als „Plagiate“ zu bezeichnenden Artikel von Alexandra Föderl-Schmid möglichst überschaubar zu halten.
Wie definiert die SZ-Kommission dann überhaupt ein „Plagiat“ im „Journalismus“? Obige drei Punkte fallen mal weg. In der Tabelle auf S. 6 ist Aufschlussreiches zu lesen:
Wann liegt ein Plagiat vor? „Es wird wissentlich und methodisch die journalistische Leistung anderer in einer Weise kopiert, ohne die der eigene Text keine Gültigkeit hätte.“
Diese Definition ist absurd: Ihr zufolge würde ein Plagiat im Journalismus überhaupt nur dann vorliegen, wenn eine „journalistische“ Leistung „kopiert“ wurde. Das heißt aber: Wenn der Journalismus etwa aus Wissenschaft, Literatur oder Wirtschaft (etwa: Unternehmenswebsites) „kopiert“, ist das der SZ-Kommission zufolge schon mal kein journalistisches Plagiat. – Und was heißt hier überhaupt „kopiert“? Der Begriff schließt ein Umschreiben, eine bösartige Paraphrase aus. Das ist der Plagiatsbegriff aus der Zeit vor dem 20. Jahrhundert: Plagiate sind 1:1-Kopien fremder Werke, also wörtliche „Abschriften“. Die Definition der Kommission ist um mindestens 100 Jahre aus der Zeit gefallen.
Und dann gilt auch noch ein quantitatives Abzugskriterium: Es muss so viel ohne Quellenangabe(n) kopiert worden sein, dass die Arbeit ohne kopierte Stellen keine kohärente journalistische Arbeit mehr sein würde (man mag ergänzen: weil dann zu kurz oder zu bruchstückhaft, zu zusammenhangslos). Ein solches Kriterium taucht in der internationalen Literatur an keiner Stelle auf. Die Kommission verwendet das Argument der „geltungserhaltenden Reduktion“: Ein Plagiat wäre nur dann der Fall, wenn ein Werk unter Abzug der kopierten Stellen keines mehr wäre. Diese Sichtweise wurde etwa vom VG Düsseldorf bereits explizit in Bezug auf das Wissenschaftsplagiat verworfen:
„Eine ‚geltungserhaltende Reduktion‘ finde nicht statt. Auf die Quantität der Plagiate im Verhältnis zur Länge der Arbeit komme es jenseits einer hier nicht ernstlich zu erwägenden Bagatellgrenze rechtlich nicht an. Maßgeblich seien die große Zahl und vor allem die teils ganz erhebliche Gravität der festgestellten Plagiate.“
Quelle: VG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.2014
Werfen wir einen Blick in die internationale Literatur zu Plagiaten im Journalismus: Starten wir mit dem Klassiker „The Ethical Journalist“ von Gene Foreman, 2015. In diesem ist zu lesen: Plagiat im Journalismus sei „taking credit for phrases, sentences, paragraphs, or even an entire story that someone else has created“. Diese Definition verfolgte die SZ-Kommission nicht. Für die Kommission beginnt ein Plagiat nicht schon bei „phrases“ oder „sentences“, sondern erst bei so vielen Absätzen, dass ohne diese der Artikel keiner mehr wäre.
Die neue Definition von Plagiat der SZ-Kommission findet sich auch nicht auf der wichtigsten Referenz-Seite zum Thema überhaupt, der Website des amerikanischen ORI:
„Plagiarism is the appropriation of another person’s ideas, processes, results, or words without giving appropriate credit.“
Und auf der Webseite eines Anbieters von Plagiatssoftware heißt es im Abschnitt „Plagiarism in journalism“:
Plagiarismus im Journalismus sei „stealing another person’s work and offering it as one’s own. Or it could be the act of using text fragments of other authors without references. […] Even if a few lines were quoted from Wikipedia, this is not allowed, despite the fact that Wikipedia allows recurrent use and sharing of its content.“
Alle oben genannten Definitionen wurden von der Kommission ignoriert. Würde man diese jedoch anwenden (und nur das wäre Wissenschaft gewesen), wäre die Anzahl der plagiatsinfizierten Artikel bei Alexandra Föderl-Schmid deutlich höher.
Natürlich kann man etwas komplett Neues erfinden. Aber dann muss man schon argumentieren, warum das bisherige falsch war.
Durch eine gezielte Engfassung des Plagiatsbegriffs entstand ein falsches Kategoriensystem und letztlich ein frisiertes Ergebnis. Der Vergleich macht uns sicher:
SZ-Kommission | Team Weber | |
Grundgesamtheit | 1.100 Artikel | 1.091 Artikel |
Verwendete Plagiatssoftware | Turnitin | Turnitin |
Beanstandete Artikel | „rund zwei Dutzend“ (Bericht, S. 2) |
> 50 |
Teilplagiierte Vor-Ort-Reportagen | 1 (Bericht, S. 12 unten) |
6 |
Teilplagiierte Kommentare | 1 (Bericht, S. 10 Mitte) |
3 |
Quelle/Erstpublikation: nius.de
Man nennt das, glaube ich, Forschungsbetrug.
Es gäbe noch viel zu schreiben zu diesem Bericht – einem Musterstück der Nicht-Aufklärung. Nur einen Punkt noch: Im Kapitel 7, den „Empfehlungen“ wird das Thema Einsatz von Plagiatssoftware mit keinem Wort erwähnt. Gerade das wäre aber für die Herausgeber und Chefredakteure eine entscheidende Information gewesen:
- Vor- und Nachteile ihrer Verwendung zur Qualitätssicherung
- Welchem Produkt am Markt kann ich vertrauen?
- Wie kann ich Software in den schnellen tagsaktuellen Workflow integrieren?
- Wer darf, wer soll prüfen?
Wieder mal wurden die Falschen an ein Thema herangelassen, und heraus kamen Fake News, die von den spottenden linksliberalen Journalisten, ihren Confirmation Bias nährend, dankbar und unhinterfragt übernommen wurden.
Die Sache erinnert mich an die gerade veröffentlichte, interne Aufarbeitung des journalistischen Totalversagens beim youtube-Format „STRG_F“. Ebenso wie bei der SZ scheint nämlich auch dieser Aufarbeitungsversuch gänzlich misslungen:
„Der Personalrat hat in einem Brandbrief an den Intendanten seine Vorbehalte gegen das Verfahren und den Bericht in deutlichen Worten formuliert.“
(Quelle: https://uebermedien.de/95625/nach-rezo-kritik-an-strg_f-ndr-misslingt-die-aufarbeitung-des-misslingens/)
Einen solchen Personalrat wünscht man sich auch bei der Süddeutschen…
Sehr geehrter Herr Doz. Dr. Weber,
die hier von Ihnen veröffentlichte Darstellung, dass der von der Süddeutschen Zeitung in Auftrag gegebene „Kommissionsbericht zur Aufarbeitung der gegen Alexandra Föderl-Schmid erhobenen Vorwürfe“ Fake News enthält, ist eine nachweislich wahre Tatsachenbehauptung und keine Meinungsäußerung.
Daher wird man Sie auch nicht auf Unterlassung verklagen. Dennoch dürfte zu erwarten sein, dass demnächst jeder Plagiator vor Gericht auf diese „alternative“ Definition des Plagiats verweisen wird.