Anneliese Rohrer kam heute von einer Veranstaltung des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Für ihren „Presse“-Kommentar ist ihr dann offensichtlich nichts G’scheites, genauer: nichts Besseres eingefallen, als zur Abwechslung mal mich in die Pfanne zu hauen – ganz so, wie es Armin Thurnher vor einigen Monaten getan hat. Anneliese Rohrer stellt mich als jemanden dar, der ihre Doktorarbeit nicht finden konnte, also auf gut Deutsch: zum Recherchieren im Katalog zu blöd war/ist. Frau Rohrer schildert einen Dialog, der sich heute, am 30.09.22, oder die Tage zuvor (?) an der Universität Wien zugetragen haben soll:
„Auf meine Frage, warum Dozent Weber denn die Dissertation nicht finden könnte, reagierte es [Anm. S.W.: ein Team des Instituts] verblüfft. Ein Handgriff, eine Dissertation, kein Problem. Fündig werden kann also keine Altersfrage sein.“
Frau Rohrer verschweigt in ihrem Kommentar allerdings die wichtigste Tatsache: Ich habe ihre Dissertation gefunden. Und das habe ich ihr auch am Tag meiner Anfrage fairerweise sofort gemailt:
Nun, das nennt man – glaube ich – eine Unterlassungslüge. – Warum bleibt Frau Rohrer nicht bei den Fakten? Warum ist ihr Spin jener, dass ich ein verkappter Typ sei, der Typen aus dem Fernsehen nach ihren Doktorarbeiten fragt, weil er sonst nichts zu tun hat?
Rohrer schreibt: „Wie unterbeschäftigt muss man sein, um aus ‚Neugier‘ (an was eigentlich?) eine Arbeit zu suchen, die halb so alt ist wie das Institut?“
Ich begebe mich nun nicht auf Ihr Niveau, Frau Rohrer (ab sofort persönliche Ansprache): „Wie unterbeschäftigt muss man sein, um darüber auch noch einen Kommentar zu schreiben?“
Frau Rohrer, ich bin nicht unter-, ich bin chronisch überbeschäftigt. Ich habe drei wunderbare Kinder. Ich habe soeben mein elftes Buch veröffentlicht. (Beides trifft, wenn ich mir Ihren Wikipedia-Artikel durchlese, auf Sie offenbar nicht zu.) Mein Schreibtisch biegt sich vor Plagiatsfällen: Wieder ein Minister, ein CEO eines der größten Unternehmen in Österreich, ein Professor einer renommierten Eliteuni. Zwei Verlage wollen Bücher zum Thema. Ich könnte mich dreiteilen. Warum muss ich es mir gefallen lassen, von Ihnen ganz anders dargestellt zu werden? Und ja, ich interessiere mich brennend dafür, was in Dissertationen steht. Wo genau sehen Sie darin das Problem? Haben Sie nicht wie tausende andere ihre Dissertation selbst der Öffentlichkeit zugeführt?
Das Plagiatsproblem ist eines des Anscheins von Gelehrsamkeit, der Simulation von Wissenschaft. In gröbster Unkenntnis meiner Aktivitäten schreiben Sie:
„Das Schweigen der zuständigen akademischen Institutionen spricht eigentlich Bände. Vielleicht sollte Weber einmal dort nachfragen.“
Unglaublich, Frau Rohrer! Genau das tue ich seit 15 Jahren. Erst gestern ist über die untragbaren Zustände an der Universität Innsbruck ein bestens recherchierter Artikel in der F.A.Z. erschienen. Kein österreichisches Medium hat das Thema aufgegriffen oder auch nur bei mir angefragt. Es sind doch Menschen wie Sie, die Journalistinnen und Journalisten des Landes, die partout das Systemische nicht interessiert! Stattdessen verheddern Sie sich in Kleinkram.
Das ist die „Medienmacht“, so wird öffentliche Meinung hergestellt: Ich kann ja nicht einmal einen Kommentar zu Ihrem Geschreibsel abgeben, ohne vorher ein Abo der „Presse“ abzuschließen. Aber letztlich weiß ich, was ich tue. Das zählt. Lügen-Kommentare wie Ihre sind nur heiße Luft. Kein Wunder, dass immer mehr in Social Media und Alternativmedien auswandern, wenn öfter so gearbeitet wird.
Wissenschaftliche Kreativität ist die Schlüsselressource einer modernen Gesellschaft. Alles entscheidend dabei ist die Nähe zu ihrem Urquell. Auf dem Weg dorthin ist eine bereits von Immanuel Kant so bezeichnete „enge Pforte“ zu passieren. Anstatt nun hindurch zu gehen, lediglich insbesondere im Zuge des Verfassens einer Doktorarbeit zu simulieren, die Passage gemeistert zu haben, täuscht den höchsten Gewinn vor, den ein Mensch erringen kann. Insofern tut es um der Redlichkeit willen mehr als Not, solch einer zutiefst falschen Praxis zugunsten einer richtigen Praxis eine Absage zu erteilen. Ansonsten ist zu befürchten, dass die einst schon von Johann Wolfgang Goethe in der Ballade „Der Erlkönig“ kritisierte Irrlichterei ein neues Denken desorientiert, das Albert Einstein laut einem Bericht der „New York Times“ vom 25. Mai 1946 für unabdingbar erachtet hat, falls die Menschheit überleben will. Es steht somit enorm viel auf dem Spiel, wenn nicht zuletzt Anneliese Rohrer die Plagiatsforschung als angeblich minderwertig herabwürdigt und die Person des Stefan Weber als charakterlich wenig respektabel verunglimpft.
Peinlich, dass der FAZ-Artikel von Dr. Zenthöfer vom Donnerstag, 29. September, S. 6, in Österreich systematisch totgeschwiegen wird.
Wenn Einzelfälle an die Öffentlichkeit gelangen (ohnehin immer seltener) wird sofort der politische oder persönliche Gegner gesucht und dieser verfolgt. Aber ja, das „systemische Problem“, wenn es ein solches geben sollte, werde man natürlich angehen, klar doch!
Und wenn das „systemische Problem“ an einer österreichischen Universität (nicht durch das eigentlich zuständige Wissenschaftsministerium, sondern durch die ausländische Presse) dann in messerscharfer Klarheit, sachlich, ohne Polemik, offengelegt wird, dann bricht das große Schweigen aus. Denn hier funktioniert die „Täter-Opfer-Umkehr“ nicht mehr. Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen!
Man muss den Eindruck gewinnen: Nirgendwo geht „Aussitzen“ so gut wie in Österreich.
Danke, Werner. Augiasyphos!😃 Ein treffendes Bild!
Wie bedrängt von verdrängten Ängsten muss man sein, wenn man, weil man sich mit in Frage gestellt fühlen könnte, nicht nachfragt, sondern behauptet oder so schön in den medienöffentlichen Raum stellt, dass hinter akribischer Arbeit, übrigens im Interesse der Freiheit der Wissenschaft, eine fragliche Motivation stecken könnte. Stefan Weber tut die minder bewertete Arbeit, um ganz bewusst das Klischee zu nützen, einer Putzfrau: er entstaubt und er wischt in versteckten Winkeln auf, wo man selbst nicht so genau hinschaut. Das dient der Freiheit von Wissenschaft, weil sie nur für frei gehalten werden kann, wenn sie in ihrerm Autoritätsanspruch authentisch ist. Nur daraus können sich Glaubwürdigkeit und Vertrauen begründen. Freiheit der Wissenschaft ist nicht ein Privileg eines Einzelnen, sondern ein sozial geteiltes Gut: in der Wissenschaft wie in der Kunst, wie in der Politik. Diese Perspektive sollte es uns wert sein die Arbeit eines Plagiatswächters als Beitrag zu achten, den gesellschaftlichen Diskurs – auch in der Sphäre der Wissenschaft – frei zu machen von den diversen Versuchungen narzisstischer Kulissen.
Vielen Dank für diesen schönen Kommentar. Mir fiel da noch das Bild des „Putzerfisches“ an den großen Tankern der Universitäten ein…
Was ich mit dem Kommentar von Frau Rohrer prototypisch zeigen wollte, ist, wie stark es letztlich doch immer um Selbstgefälligkeit und Eitelkeit in den österreichischen Medien geht. Und um eine geradezu systematische Tiefgangsvermeidung. Man haut halt mal schnell einen in die Pfanne, der einem vor vier Wochen zwei kurze E-Mails geschickt hat. Dafür gibt es dann noch eine ganze Ladung von falschen Unterstellungen. Die Debatte wird damit immer weggelenkt von den wirklich wichtigen Dingen. Eigentlich ein systematisches Nivellieren intellektuell wichtiger Debatten ins Mittelmaß, in die Welt von Karlich und Stöckl.
Lieber Thomas,
prima Kommentar. Ich hätte als Beispiel noch jenes des Augiasyphos genannt (die weithin unbekannte Viertelgottheit, dazu verdammt, den Stall des Augias immer und immer wieder reinigen zu müssen, nachdem der gute Herakles meinte, die Arbeit wäre getan). Das Reinigen der Ställe wiederum bringt jenen Dung auf den Acker der Wissenschaft, der Glaubwürdigkeit und Vertrauen sprießen lässt.