„Der Alte“. So heißt nicht nur die bundesdeutsche Fernsehkrimi-Serie, so hieß unter Medien-Insidern jener Mann in Österreich, der über Jahrzehnte die Fäden im Land gezogen hatte: Hans Dichand. Ein Insider packte nach meinem gestrigen Blogbeitrag nun mir gegenüber aus: In der Tat seien „Antrittsbesuche“ und auch in Fortsetzung des ersten Vorsingens weitere enge Kontakte zu Hans Dichand für österreichische Minister und Regierungschefs normal gewesen. Beim Einstandsbesuch sprach man über erste ministerielle Vorhaben und ob man sich der Unterstützung durch die „Kronen Zeitung“ für diese gewiss sein konnte. Oft wurden zu solchen Besprechungen auch „Krone“-Redakteure wie Dieter Kindermann oder Claus Pándi dazu bestellt.
Der Antrittsbesuch beim „Alten“ war über Jahrzehnte Standard in Österreich
Der Insider schildert lebhaft seine Fahrt mit dem eigenen Aufzug in die Top-Etage des Medienmachers, gemeinsam mit dem frischgebackenen Minister, für den er tätig war. Ob es auch ein „Vorsingen“ von Ministerkandidaten bei Dichand gegeben habe und dieser so auch bei der Auswahl des Regierungsteams mitmischte, wisse er nicht. Er könne sich aber sehr gut vorstellen, dass mit Dichand Listen mit Ministerkandidaten durchbesprochen wurden (siehe dazu ein ähnliches Fallbeispiel weiter unten). Das System der Antrittsbesuche habe sich mit der Übernahme der Chefredaktion durch Christoph Dichand geändert, die Bedeutung der „Krone“-Landeschefs beim Ritual der Antrittsbesuche und der regelmäßigen Arbeitsessen sei gewachsen. Auf jeden Fall wurde bestätigt: Es gebe seit Jahrzehnten eine enge Bande zwischen „Kronen Zeitung“ und regierenden Politikern – nicht nur in Wien, sondern auch quer durch ganz Österreich. Der „Vorhof der Macht„, den Hans Dichand gerne so nannte, er sei in Wahrheit das „Vorzimmer zur Macht“ gewesen.
Der Insider, der ebenfalls die deutsche Medienszene gut kennt, sagte mir gegenüber, dass eine solche Nähe in Deutschland nicht existiere. Gut, wir blicken jetzt nicht weiter über den Tellerrand und reden nicht von Berlusconi oder Orbanschen Verhältnissen.
Einkaufen in die redaktionelle Berichterstattung für 1,2 Millionen Euro angeboten
Über ein anderes Boulevardmedium berichtet der Insider Irritierendes: Es habe sich um das erste ihm bekannte Medium gehandelt, das explizit das Einkaufen in redaktionelle Berichterstattung angeboten habe. Es wurde sogar ein maßgeschneidertes Angebot erstellt: So und so viele Leitartikel zu einem Thema, so und so viele redaktionelle Beiträge von bestimmter Größe, dazu Anzeigen: Das wurde dann ein „VIP-Package“ genannt, Kosten in diesem Fall: 1,2 Millionen Euro.
Nun, wenn man nun eins und zwei zusammendenkt: die gelebte Nähe und das Agenda Setting mit dem Chefredakteur und Zeitungsherausgeber hier und die Einkaufsmöglichkeit in redaktionelle Berichterstattung dort, dann sind dies jene beiden entscheidenden Faktoren, die zur mutmaßlichen Inseratenkorruption führten. Kurz & Co hätten dann (es gilt für alle Verfahrensbeteiligten die Unschuldsvermutung) eine über Jahre gelebte Fehlentwicklung zur mutmaßlich strafrechtlich relevanten „Perfektion“ geführt.
Der Insider bemerkt abschließend: Eine gewisse „Korrelation“ zwischen Werbeanzeigen und positiver redaktioneller Berichterstattung sei unter Bundeskanzler Faymann institutionalisiert worden. (Für die Übermittlung medienwissenschaftlicher Studien, die sich mit dem Inserier-Verhalten in der Ära Faymann beschäftigen, bin ich dankbar.)
Das Fallbeispiel: Die „Krone“ muss von einem Ministerkandidaten überzeugt werden
Ein Fallbeispiel der ersten beschriebenen Art findet sich im Auswertungsbericht 1633 zum „Beinschab ÖSTERREICH Tool“ der WKStA auf S. 234:
Thomas Schmid diskutierte hier im iMessage-Verlauf mit Sebastian Kurz die mögliche neue Ministerriege, die am 18. Dezember 2017 angelobt wurde. Schmid schreibt an Kurz am 11. Dezember 2017: „Wegen Moser – Achtung wegen Pandi und Dichand. Die müssen dann noch überzeugt werden.“ Ein Wiener Polit-Journalist klärt auf: Josef Moser hätte Finanzminister werden sollen. Allerdings passte das den beiden genannten „Krone“-Journalisten nicht, man schätzte ihn als für dieses Amt zu schlecht steuerbar ein. Als Kompromiss wurde Moser dann Justizminister.
Korruption der Demokratie durch Boulevard-Journalisten als heimliche Mitentscheider
Wenn das alles so stichhaltig ist (woran ich derzeit keinen Zweifel habe): Was ist das für ein Zerrbild einer Demokratie, bei dem zuerst führende Boulevard-Journalisten von Minister-Kandidaten überzeugt werden müssen und ihr Veto einlegen können? Das Schlimme daran ist: Das wurde offenbar über Jahrzehnte in Österreich so gehandhabt. Doch das korrumpiert die Demokratie genau so wie frisierte Studien oder veruntreute Gelder. Die Macht geht dann nämlich nicht vom Wähler aus, sondern von einer Handvoll nicht demokratisch legitimierter Journalisten.
In der Tat hätte die WKStA dann „nur“ die Spitze des Eisbergs sichtbar gemacht, und womöglich hat dieser noch mehrere Spitzen.
Und wie sagte mein Insider abschließend: „Was wird sich nach diesen Enthüllungen ändern? Genau gar nichts.“
Es wird immer irgendwer, irgendwo die Fäden ziehen, Herr Weber! Während nicht selten Vetternwirtschaft auf dem Weg zu Macht und nützlich sind, ist Hans Dichand in einer Barackensiedlung am Murufer im Süden von Graz aufgewachsen. Er sah seine Berufung im Journalismus und begann als 14-jähriger eine Lehre in der Schriftsetzerei in Eggenberg. Es brauchte viele Stationen, Rückschläge inbegriffen) bis er es zum „Medienmacher“ gebracht hatte. Und viel wäre anderes gelaufen, wenn er an einer der Wegkreuzungen auf einen Bankmanager getroffen wäre, der ihm 1989 einen Kredit einräumte (1), der ihm die Übernahme der Hälfteanteile an der „Krone“ ermöglicht hätte: Kurt Falk verkaufte an die WAZ (heute: Funke Mediengruppe) der SPD, hinter dem Türschild des Streitpartner saß dann Erich Schumann. Bis zu seinem Tod im Jahr 2010 war „Der Alte“ Alleingeschäftsführer und Herausgeber der „Krone“ und entschied auch in wirtschaftlichen Fragen.
Was vielfach negiert wird: Hans Dichand hatte den Puls der Durchschnittsbürger, den vielfach gescholtenen „kleinen Leuten“, den „Stimmvieh“. Er kümmerte sich persönlich um die Leserbriefseiten („Das freie Wort“) richtete den „Ombudsmann“ ein und ja, er betrieb Kampagnen-Journalismus: Ohne ihn gebe es ein Donau-Kraftwerk in der Hainburger Au (1984) und Kurt Steyrer (SPÖ) wäre Bundespräsident geworden (1986). Kurz: Er griff (patriotische) Stimmungen auf, verstärkte sie und förderte trotz einer Nähe zur SPÖ den Aufstieg von Jörg Haider („Österreich zuerst“ bei Migration und EU).
Aber: nicht alles ging auf: Viktor Klima’s SPÖ blieb zwar stimmen- und mandatsträrkste Partei, aber Wahlgewinner FPÖ verhalf Wolfgang Schüssel (ÖVP) zur Kanzlerschaft. Bundespräsident Thomas Klestil blieb es vorbehalten, Karl-Heinz Gasser und nicht Spitzenkandidat Thomas Prinzhorn (FPÖ) als Finanzminister anzugeloben und dem Regierungspakt eine „Präambel“ voranstellen zu lassen und sich mit Hans Dichand auszutauschen. Hoffentlich hat Gattin Margot Trost gespendet, denn der Forderung von „Täglich Alles“, die Löffler abzugeben, hat Klestil nicht erfüllt.
All das wäre unmöglich gewesen, wenn er bei der Personalauswahl überwiegend ein gutes Händchen gehabt hätte: „Staberl“ (Richard Nimmerrichter), der „In den Wind gereimt“ Dichter (Wolf Martin), der Postler (Michael Jeannée), die Innenpolitker (Dieter Kindermann & Peter Gnam) sowie Cato/Aurelius (er selbst) waren die Treiber, dass die „Krone“ nicht nur gekauft sondern auch gelesen wurde (Reichweite: bis zu 43%)!
Abschließend noch ein Wort zu Claus Pandi, der Nachfolger von Dieter Kindermann als Krone-Innenpolitik Chef und seit 2018 Chefredakteur deren Salzburger Regionalausgabe: Ihm ist es gelungen, BK Alfred Gusenbauer und BPO Werner Faymann knapp vor der NRW einen Leserbrief an den Herausgeber der „Kronen Zeitung“ zu richten, den dieser am 27.6.2008 veröffentlichte. Inhaltlich decken sich die Forderungen in Bezug auf die künftige Ausgestaltung der EU weitgehend mit den Vorstellungen der „Krone“ (zB verpflichtende Volksabstimmungen in Österreich für weitere Vertragsänderungen sowie für den Beitritt der Türkei), rechtlich sind sie brisant. Der Hofberichterstatter (frag nach bei Franz Voves) von Bundeskanzler Werner Faymann (1994-2007 Wiener Wohnbaustadtrat und enger Freund von Hans Dichand) heirate nach der NRW in Venedig Angela Feigl (BK Pressesprecherin), Josef Ostermayer war sein Trauzeuge und Faymann Gast.
Pandi scheint in Alltagsfragen weder „Rechtsbelehrungen“ zu verstehen noch auf Auskünfte von Servicestellen zu vertrauen, denn er schrieb er an den Landespolizeikommandanten Roland Horngacher (Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien):
„Lieber Herr Hofrat, es ist mir zwar unangenehm, aber ich brauche fachlichen Rat. Ich bin heute gegen 0.20 Uhr auf dem Gürtel in eine Radarfalle gefahren, was mich sehr ärgert, weil ich sonst als Schleicher verrufen bin. Ich entschuldige mich jetzt schon, Sie mit diesem Unfug belästigt zu haben, aber sie wissen aus der Praxis sicher genau, wie ich da verfahren soll.“ (2)
1 Das Medienhaus „Österreich“ wurde 2006 von der RLB-OÖ (GD Ludwig Scharinger) mitfinanziert.
2 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20071023_OTS0154/falter-polizeiskandal-weitet-sich-aus-planierte-strafmandate-und-interventionsschreiben-an-polizeispitze-werden-veroeffentlicht
Herr Dr. Weber,
Ich bin jetzt aber doch ein wenig überrascht von Ihrer hier zur Schau gestellten Naivität. Mag schon sein, dass Sie so viel mit anderem beschäftigt gewesen sind, dass Sie der Frage des Einflusses der österreichischen Boulevard Presse auf die Politik nicht ausreichend nachgegangen sind. Aber dass selbst Ihnen spätestens der Brief von Feymann (mitunterzeichnet von Gusenbauer) an Dichand nicht die Augen (nicht nur Ihnen) geöffnet hat, lässt mich erschaudern und lässt mich sprachlos zurück. Wenn selbst Sie offensichtliche Zusammenhänge nicht erahnen, wer dann?
Ich darf erinnern, dass in dem Schreiben Faymann (der dann den Mitunterzeichner Gusenbauer so losgeworden ist) dem Herausgeber persönlich (also Dichand!) und nicht etwa den Lesern oder den Österreichern zugesichert hat, einer Änderung der EU Verträge (samt Türkei Betritt) würde er nur zustimmen, falls dies durch eine Volksabstimmung so entschieden wird. Wenn also was Kurz angeblich (muss noch vor Gericht bewiesen werden) „getan hat“, ein „Sittenbild, Korruption und Untreue“ war, was ist dann ein im vorauseilenden Gehorsam verfasster Brief von einem Bundeskanzler an einen Zeitungszaren, um sich dessen wohlwollende Berichterstattung zu sichern?? Nun, dafür gibt es einen eigenen Tatbestand, und der lautet Hochverrat! Bezeichnend für dieses heuchlerische Land, dass das niemanden gekümmert und zu keinem Ermittlungen geführt hat. All dies spricht Kurz nicht frei, dies ist ein separates Verfahren, es wirft aber ein bezeichnendes Licht auf so Vieles…
Bleiben Sie dran, Herr Dr. Weber, Österreich benötigt dringend Leute wie Sie, vor allem, da Sie offensichtlich auf keinem Auge blind sind. Wenn Leute wie Sie Aufdeckungsarbeit leisten, kann ich mir sicher sein, dass es um die Sache geht. Leider bin ich in der sehr einseitig dargestellten Affäre um den ehemaligen Bundeskanzler sehr überzeugt, dass hier andere Interessen im Vordergrund stehen und Rechte mit Füßen getreten werden, und das ist sehr schädlich für unser Land.
Daher, danke!
Man muss bei der Krone auch bedenken, dass es ein deutliches Vorher und Nachher gibt, was den Tod von Hans Dichand betrifft. Ich müsste nachschauen, aber ich glaube, das war 2009. Vor ein paar Monaten schilderte ein Ex-Krone-Mitarbeiter auf Facebook das Antichambrieren von Politikern in der Redaktion, auch von Kurz 2011 als neuem Staatssekretär. Das war also schon die Zeit von Christoph Dichand, und der User meinte auch, dass der Unterschied deutlich war.
Ich erinnere mich an einen dann rasch gelöschten Tweet von Claus Pandi am 24.1.2011, wonach General Entacher beurlaubt sei. Die Krone machte mit mehreren Titelseiten dafür Druck, doch Darabos war wie Entacher für das bestehende System mit Wehrpflicht. Entacher wurde tatsächlich unter etwas seltsamen Umständen abberufen.
Dabei muss man daran denken, dass die Krone im Herbst 2010 eine Kampagne wieder via Titelseiten machte, um eine Volksbefragung über die Wehrpflicht in Aussicht zu stellen, dh das versprach dann Häupl bei der Gemeinderatswahl. Und es gab einen Schwenk der SPÖ weg vom Volksheer zum Berufsheer, von dem Pandi Darabos vor laufender Kamera überzeugen wollte. Damals machte Pandi kurze Videos, die auf die Webseite der Krone gestellt wurden. Man konnte sehen, wie er Darabos seine Verachtung zeigte, indem er andere nebenbei grüsste, während Darabos am Rande des Ministerrats antworten sollte. Auch das macht deutlich, dass manche Medien eine Rolle spielen, die ihnen nicht zukommt.