Am vergangenen Freitag, dem 30.05.25, publizierte die österreichische Tageszeitung „Kurier“ ein scheinbar exklusives und rares Interview mit Clint Eastwood, der tags darauf, am 31.05.25, stolze 95 Jahre alt wurde. Das Interview wurde vom „Kurier“ heute am Nachmittag (03.06.25) verstohlen vom Netz genommen, es kann aber noch hier zu Teilen nachgelesen werden und ich habe es auch in voller Länge gesichert. – Hier ein Screenshot aus der Online-Version:
„Am Samstag wird er 95 Jahre alt – er spricht über seine Lebensphilosophie…“: Hier darf sich der Leser erwarten, dass es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Interview und Veröffentlichung gibt, oder nicht? Auch schreibt die langjährige „Kurier“-Autorin Elisabeth Sereda im Vorspann: „Dieser Tage sieht man ihn [Clint Eastwood, Anm.] mit buschigem weißem Vollbart emsig auf dem Studiogelände von Warner Bros herumeilen.“ Auch hier erwartet sich der Leser dann zurecht Aktualität. Wir reden hier von einer Tageszeitung, die einen Tag vor einem Geburtstag einer prominenten Person ein Interview veröffentlicht. Das Interview hat aber in dieser Form und zu dieser Zeit nie stattgefunden. In der Publizistikwissenschaft nennt man diese Form des journalistischen Fehlverhaltens die Pseudo-Aktualisierung.
Noch deutlicher wird die Manipulation anhand des folgenden Beispiels. Frau Sereda fragte Herrn Eastwood angeblich:
„Was halten Sie nach einer 70-jährigen Karriere im Filmbusiness von den derzeitigen Entwicklungen?“
Clint Eastwood hatte seine erste Rolle als 25-Jähriger im Film „Die Rache des Ungeheuers“ im Jahr 1955. Frau Sereda kann die Frage also erst im Jahr 2025 gestellt haben, hat die Antwort von Clint Eastwood aber, wenn überhaupt, allenfalls mit älterem Material angereichert. Das ist glatter Betrug am Leser.
Der neue „Kurier“-Chefredakteur Martin Gebhart erklärt nun heute seinen Lesern die Sache so:
„Sereda hat, wie sie gegenüber dem KURIER überzeugend darlegte, insgesamt 18 Mal mit Eastwood bei Round Tables gesprochen. Die Auslandsjournalisten erhalten von diesen Gesprächen Abschriften, die frei zur Verwendung sind. Aus diesen Gesprächen nun hat Sereda ihren Angaben nach den aktuellen Artikel verfasst. Das hieße, dass alle Aussagen Eastwoods so gefallen sind und dies auch dokumentiert ist. Für ein Geburtstagsporträt mehrere Interviews zu verwenden, ist an sich gang und gäbe. Der Form nach war der Artikel als Interview gestaltet, nicht als Porträt. So musste hier der Eindruck entstehen, es handelte sich um ein neues Interview. Dass dem nicht so war, entspricht nicht den Qualitätsstandards, die der KURIER aufrecht erhält.“
Aus anderen Quellen heißt es wiederum, der „Kurier“ werde nach dem Vorfall nicht mehr mit Frau Sereda zusammenarbeiten. Wenn dies stimmt, hat Herr Gebhart auch dies seinen Lesern vorenthalten.
Das Statement Gebharts verrät so oder so Abgründe über Konstruktionsmechanismen einer Medienbranche, die offenbar komplett verrottet ist: Es sei nach Gebhart also „gang und gäbe“, „mehrere Interviews zu verwenden“, um daraus eines, ein vorgeblich neues zu machen. – Interessant, dafür bezahlt man also für eine Tageszeitung? Nun, das kann wohl ChatGPT schon besser.
Und dann noch dazu mit einem Autoren-Credit? Frau Sereda habe „18 Mal mit Eastwood bei Round Tables gesprochen“ – was heißt das genau? War sie bei 18 Pressekonferenzen vor Filmpremieren anwesend? Wo befinden sich die „Abschriften“ dieser Round-Table-Gespräche, und warum erkannte Clint Eastwoods Medienteam den Wortlaut ihres Chefs dann nicht wieder?
Und überhaupt: Wenn, wie Martin Gebhart schreibt, „kein Zitat erfunden ist, die Interviews dokumentiert sind und der Fälschungsvorwurf zurückgewiesen werden kann“, warum wurde das Interview dann vom Netz genommen und durch ein Statement „In eigener Sache“ ersetzt?
Übrigens, Herr Gebhart, nur eine terminologische Präzisierung: Auch eine Manipulation ist eine Fälschung.
Der „Kurier“ wird mit mehreren Millionen Steuergeld pro Jahr subventioniert. Er erhält Presseförderung und Digitalförderung. Als Bürger habe ich ein Anrecht darauf, zu erfahren, wie hier gearbeitet wird. – Warum hat Herr Gebhart nicht angekündigt, alle Artikel von Frau Sereda auf journalistische Redlichkeit zu überprüfen? Frau Sereda hat im „Kurier“ in den vergangenen Monaten Interviews mit Sophia Loren, June Squibb, Tippi Hedren und vielen anderen jenseits der 90 oder über 90 geführt. Dürfen wir fragen, wo das Material hergekommen ist? Sind das auch alles pseudo-aktualisierte Kompilationen? Wen ihrer sonstigen Interviewpartner hat Frau Sereda persönlich getroffen und sich Interviews autorisieren lassen? Kann sie entsprechende Beweisfotos vorlegen?
Ich habe alle Artikel gesichert und werde sie wie stets einer ehrenamtlichen Investigation unterziehen. Das macht sonst wieder niemand hierzulande. Österreich ist ein Land der Wegducker. Die kriselnde Medienbranche, zumindest die Mainstream-Medien, hält im Wesentlichen zusammen, und der Presserat ist zahnlos, in ihm sitzen ja selbst führende „Kurier“-Journalisten.
Clint wird Augen gemacht haben, als er beim morgendlichen Lesen des Kuriers, noch vor der Washington Post, das nie geführte Interview mit ihm gesehen hat…
Ich bitte Sie, Herr Abermann! Er kann sich nur nicht mehr erinnern.