Wir erinnern uns: Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und mit dem Beginn der Digitalisierung war in keiner Weise vorhersehbar, dass unser Alltag 30 Jahre später im Wesentlichen von einer Handvoll Technologieriesen aus den USA, vornehmlich aus dem Silicon Valley, bestimmt sein wird: Microsoft, Apple, Google, Facebook und Amazon. Beide Entwicklungen zusammen, die weitgehende Ausbreitung des kapitalistischen Systems auch in den ehedem sozialistisch-kommunistischen Osten seit 1989 und die Möglichkeit einer weltumspannenden digitalen Kommunikation durch die Digitalisierung und das Internet schufen ab ca. 1994 die Welt, mit der wir uns heute konfrontiert sehen. Spätestens Ende 2022 kam womöglich ein sechster großer Player zu den genannten „Big Five“ dazu: OpenAI.
Was hat eigentlich EU-Europa in den vergangenen 20 Jahren getan? Die Antwort lautet: Es hat reagiert und reglementiert. Proaktiv war in Europa nur die anfängliche Mit-Anbetung der Digitalisierungsrhetorik aus den USA.
1. Suchmaschinen (wie Google)
Zunächst machte man sich mit Versuchen von „europäischen Antworten“ auf Google wie Quaero oder Europeana lächerlich – so, als wäre eine Suchmaschine im kapitalistischen System und unter der Bedingung weltweiter Digitalkommunikation etwas lokal Begrenztes (eine Ausnahme sind hier sicher Suchmaschinen in den verbliebenen diktatorischen Systemen). Ich selbst habe an einer Studie mitgearbeitet, die noch 2007 die Zerschlagung des Google-Konzerns forderte. Der Tenor war immer: Google & Co. sind Teufelszeug aus den USA. Was können wir tun, um Google & Co. zu verbieten? Wenn Verbieten schon nicht gelingt, wie können wir reglementieren bzw. regulieren? Oder Google & Co. zumindest zur Kasse bitten?
2. Datenschutz (DSGVO)
Dann hielt man es für eine schlaue Lösung, die surfende und klickende Menschheit zur Annahme (kaum jemals: Ablehnung) von (immer weiter ausufernden und nie gelesenen) Cookies Policies zu zwingen. Man hielt es auch für gesellschaftlich gut, dass – ganz im Gegenteil zu den USA – etwa Anfragen zu akademischen Titeln oder Beschäftigungsverhältnissen streng unter den Datenschutz fallen, was in Europa Hochstaplern jedweder Art Tür und Tor öffnet: Die Rede ist vom „Meilenstein“ der „Datenschutz-Grundverordnung“. Zur Veranschaulichung der Genese dieses weitgehend überflüssigen Monstrums empfehle ich immer wieder den Film „Democracy – Im Rausch der Daten“. Unvergessen ist für mich etwa die Szene, in der bundesdeutsche EU-Parlamentarier der Grünen, die die DSGVO maßgeblich vorangetrieben haben, stolz vor meterhohen Türmen von weißem Papier sitzen. Den doppelten performativen Widerspruch (in Bezug auf Ökologie und Digitalisierung) hat niemand problematisiert.
3. KI (wie ChatGPT)
Und nun will die Oberreaktions- und -Regulierungsbehörde EU also in die Künstliche Intelligenz eingreifen. Ein zuvor x-fach überarbeiteter „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (Gesetz über künstliche Intelligenz)“ wurde am 6. Dezember 2022 auf den Weg gebracht, übrigens kurz nach dem Release von ChatGPT. Im bekannten EU-Bürokratendiskurs ist das mehr als 200-seitige Paper von einer weitgehenden Abwehrhaltung getragen. Statt vieler S. 16:
Liebe EU: Bitte verbietet dann auch neuro-linguistisches Programmieren, überhaupt Rhetorik-Trainings vor allem für Politiker, ja generell Lügner und Manipulanten in politischen und sonstigen Führungsfunktionen. Verbietet alle Social Media-Algorithmen. Verbietet Computerspiele. – Trotz einer rigiden Begriffs- und Definitionsarbeit im Entwurf geht das doch alles in die falsche Richtung!
Im Silicon Valley lacht man sich indes eins über die immer wiederkehrenden EU-Regulierungsfantasien und prototypisiert munter weiter. Wir haben in EU-Europa seit mehr als 20 Jahren ein kulturelles Problem mit der Digitalisierung, das sich etwa auch im zurückhaltenden Einsatz von Plagiatssoftware an Hochschulen zeigt. Nicht die Technophilie ist unser Problem, sondern eine rückwärts gewandte Technophobie. Und ja, auch ich wünsche mir eine Entwicklung, die nicht „technology-driven“ ist. Aber das haben wir, siehe oben, zu Beginn der 1990er Jahre wohl auf lange Zeit versemmelt. Nun geht es um intelligente Nutzung, nicht um Verbotsfantasien. Aber dafür wäre Voraussetzung, dass intelligente Menschen die Gesetze (mit)bestimmen. Und wir dann intelligent über die Nutzung der Systeme diskutieren.
@Unger In unserem System ist der 2. beste auch der Verlierer, so will es der Zeitgeist. So ist es nicht verwunderlich, dass die Investitionen fehlen. Die EU kann daran auch nichts ändern. Was dafür verpulvert wurde ist eben „dumb money“.
Von der Generaldirektion Forschung der Europäischen Komission seit spätestens Herbst 2008 dazu berufen, mich als zuvor nicht nur von der Georg-August-Universität Göttingen, sondern später auch noch von der Universität Oxford als dadurch wiederholt studiertem Sozialwirt den „härtesten Übel(n)“ (Kant, Akademieausgabe, Bd. VIII, 1923: 26) bewusst auszusetzen, ist der „Marktwert“ (Horkheimer, GS, Bd. 4: 165) meiner Arbeit nach wie vor so verschwindend gering, dass nicht einmal dessen Notierung lohnt. Die Erzeugnisse von Chatrobotern hingegen, deren Ausdrucksfähigkeit niemals über diejenigen des „Typus des gescheiten Rindviehs“ (Adorno, NS, Bd. 11: 15) hinausreichen, stehen gegenwärtig an den Börsen global weitaus höher im Kurs. Insofern die Ausschläge des psychischen Apparats stets ökonomisch bedingt sind, trägt das von Ihnen, Ronald Benedik, angeführte „dumb money“ mit Macht dazu bei, dass selbst noch die leichteste Erkrankung künftig unheilbar wird. Es nimmt dann nicht wunder, wenn inzwischen häufiger so mancher seelisch Versehrte davon spricht, dass die ihm ärztlich jeweils gestellte Diagnose aus gesellschaftlichen Gründen heraus buchstäblich einem Todesurteil gleichkommt.
Falsch als Informatiker habe ich schon sehr für davor gewarnt. Siemens, Bull etc. wurden aufgegeben und/oder verkauft. Und ich prophezeite schon damals, dass das sehr schlecht für Europa ist IT/Informatik nicht selbst zu betreiben
Der griechisch-französische Psychoanalytiker Cornelius Castoriadis stellte bereits am 3. Oktober 1992 in einem inzwischen auch auf Deutsch erschienenen Vortrag an der Pariser EPCI darauf ab, dass psychische Phänomene einen nicht-funktionalen Charakter haben, der bis zur Zerstörung der biologischen Funktionalität reichen kann (ders., in: Halfbrodt/Wolf (Hrsg.), Bd. 5, 2012: 134). Insofern der Mensch von Natur aus ein soziales Wesen und seine Psyche daher stets intersubjektiv verfasst ist, müsste zuvor das Soziale ad absurdum geführt werden. Ohne solch eine zutiefst falsche Praxis treten keine „physischen oder psychischen Schäden“, geschweige denn der Tod ein, wie der Entwurf vom 6. Dezember 2022 für ein Gesetz über künstliche Intelligenz sich geradewegs in der Irre verlierend behauptet. Laut den beiden US-amerikanischen Sozialwissenschaftlern Michael J. Piore und Charles F. Sabel vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist es ohnehin ausschließlich eine politisch zu beantwortende Frage (dies., 1984: 3), ob sich gesellschaftlich ein Umschlag zugunsten einer richtigen Praxis vollzieht oder nicht. Angesichts dessen es gegenwärtig in Europa den Juristen überlassen, lediglich die Verhältnisse zu verrechtlichen, aber zugleich die politische Antwort schuldig zu bleiben, stiehlt sich somit vor allem als demokratisch gewähltes Parlament der Europäischen Union in Wirklichkeit bloß insgeheim aus der Verantwortung.
Wichtiger wäre es, nur Politiker in die EU zu „entlassen“, die über eine sogenannte „Grundintelligenz“ verfügen. Das scheint derzeit nicht der Fall zu sein. Von all den Naturdeppen, die in der Politik der EU-Mitgliedsländer „umherkrebsen“, werden die größten Idioten in die EU entsandt. Das gehört als 1. geändert!